Année politique Suisse 2006 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
 
Volksrechte
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Nutzung der Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu vier mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmungen (Ausländergesetz, Asylgesetz, Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas, Familienzulagengesetz). Bei allen stimmte das Volk dem Parlamentsbeschluss zu. Ausserdem hiessen Volk und Stände eine neue Verfassungsbestimmung gut (Bildungsartikel).
Im Jahr 2006 wurden 5 Volksinitiativen eingereicht. Dem Volk zum Entscheid vorgelegt wurde ein Volksbegehren (Nationalbankgewinne für die AHV); es wurde abgelehnt. Zwei Volksinitiativen wurden nach der Ausarbeitung von Gegenvorschlägen zurückgezogen („Für fairere Kinderzulagen!“, „Für einen zeitgemässen Tierschutz“). Damit stieg Ende 2006 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen auf zwölf. Neu lanciert wurden zehn Volksinitiativen.
Insgesamt kam es somit zu sechs Volksabstimmungen (1 obligatorisches Referendum, 1 Volksinitiative und 4 fakultative Referenden). Bei allen dieser 6 Entscheide folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament (2004: vier von fünf) [48].
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Reform der Volksrechte
Zum Ausländerstimmrecht siehe oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht und Stimmrecht).
Die Vernehmlassung über den Vorentwurf für die legislative Umsetzung der 2003 in die Verfassung aufgenommenen allgemeinen Volksinitiative war mehrheitlich negativ ausgefallen. Trotzdem legte der Bundesrat im Mai dem Parlament seinen Vorschlag für entsprechende Teilrevisionen von Bundesgesetzen vor (BG über die politischen Rechte, Parlamentsgesetz und Bundesgerichtsgesetz). Die Vielzahl der bei der Behandlung einer derartigen Initiative möglichen Entscheidungsschritte, welche durch das System von zwei gleich berechtigten Parlamentkammern noch komplexer werden, erlaubte es dem Bundesrat nicht, die Vorlage gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf wesentlich zu vereinfachen [49]. Nachdem sich die SPK des Nationalrats davon hatte überzeugen lassen, dass eine einfachere Lösung nicht möglich ist, beschloss sie mit 13 zu 11 Stimmen, Nichteintreten zu beantragen. Gleichzeitig einigte sie sich mit der SPK des Ständerats darauf, eine Vorlage zur Aufhebung des Verfassungsartikels über diese allgemeine Volksinitiative vorzubereiten. Der Nationalrat folgte der Mehrheit seiner Kommission und entschied sich mit 136 zu 13 Stimmen für Nichteintreten [50].
Die parlamentarische Initiative Gross (sp, ZH) für die Einführung der Gesetzesinitiative wurde vom Nationalrat mit 97 zu 74 relativ knapp abgelehnt. Der Initiant hatte vergeblich argumentiert, es gelte, angesichts der Probleme mit der allgemeinen Volksinitiative (siehe oben), den Bürgerinnen und Bürgern ein griffiges Instrument zur Verfügung zu stellen, das sich in allen Kantonen bewährt habe [51].
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Abstimmungen und Wahlen
In der gleichen Botschaft, in welcher er die allgemeine Volksinitiative vorgelegt hatte (siehe oben), beantragte der Bundesrat auch einige Anpassungen des Gesetzes über die politischen Rechte und des Gesetzes über die politischen Rechte der Auslandschweizer, welche mit der allgemeinen Volksinitiative nichts zu tun haben. Es ging dabei insbesondere um eine Präzisierung des Begriffs „Stellvertretung“ und um die rechtliche Absicherung der Weiterentwicklung des Vote électronique nach dem Abschluss der ersten Pilotphase. Die drei bisher an Versuchen mit der elektronischen Stimmabgabe beteiligten Kantone Genf, Neuenburg und Zürich sollen in Zukunft generell eine befristete Bewilligung erhalten und diese nicht mehr für jede eidgenössische Abstimmung neu einholen müssen. Dazu sollen weitere Kantone Versuche durchführen können und die Anforderung, diese Testabstimmungen wissenschaftlich zu begleiten, wird fallen gelassen. Als Voraussetzung für die generelle Einführung der Stimmabgabe im Internet auch für Auslandschweizer soll der Bund die Kantone zudem verpflichten können, ein zentrales elektronisches Stimmregister für im Kanton stimmberechtigte Auslandschweizer zu führen. Im Gegensatz zur Vorlage über die Umsetzung der allgemeinen Volksinitiative war für diesen Teil der Neuerungen im Nationalrat Eintreten unbestritten. Die neuen Bestimmungen wurden in der Dezembersession mit einigen Abweichungen gegenüber der Version des Bundesrates gutgeheissen [52].
Der Bundesrat veröffentlichte zudem einen „Bericht über die Pilotprojekte zum Vote électronique“, von welchem der Nationalrat Kenntnis nahm. Der Bundesrat beurteilte darin die Pilotversuche positiv, äusserte sich aber sonst eher skeptisch, insbesondere gegenüber der Behauptung, dass damit die Stimmbeteiligung verbessert werden könnte. Am sinnvollsten scheint ihm die Einführung des elektronischen Abstimmens für Auslandschweizer. Im Inland sollen mittelfristig (bis 2011) jedoch höchsten 10% der Stimmberechtigten Zugang zu dieser Form der Stimmabgabe erhalten [53].
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats legte ihren in Form einer parlamentarischen Initiative gehaltenen Entwurf für einen indirekten Gegenvorschlag zur VolksinitiativeVolkssouveränität statt Behördenpropaganda“ vor. Im Wesentlichen geht es dabei um die Aufnahme der bereits heute in Leitlinien festgelegten Grundsätze der Behördeninformation bei Volksabstimmungen in das Gesetz über die politischen Rechte. Diese Informationen sollen sachlich, transparent und verhältnismässig sein. Als Besonderheit soll der Bundesrat verpflichtet werden, umfassend zu eidgenössischen Volksabstimmungen zu informieren und dabei – das wäre eine Neuerung – immer den Standpunkt des Parlaments zu vertreten. Der Bundesrat sah weiterhin keinen Anlass, die bisher praktizierten Regeln von Leitlinien- auf Gesetzesstufe zu befördern und sprach sich dezidiert dagegen aus, dass die Regierung in jedem Fall die Haltung des Parlaments vertreten müsse. Der Nationalrat befasste sich in der Dezembersession mit diesen Vorschlägen. Gegen die Anträge der SVP, welche ihre eigene Volksinitiative bevorzugt, und des Bundesrates beschloss er Eintreten. In der Frage, ob der Bundesrat auch dann den Standpunkt der Bundesversammlung vertreten müsse, wenn er damit nicht einverstanden ist, beschloss der Rat auf Antrag Müller (fdp, AG) eine weniger rigide Lösung, indem er ihm untersagte, in diesem Fall eine abweichende Empfehlung abzugeben. Dieser Beschluss stützte sich auf ein Gutachten des EJPD, welches der Regierung die Propagierung einer vom Parlamentsentscheid abweichenden Parole untersagt, ihr aber erlaubt, sich in diesem Falle zurückzuhalten [54].
Für Aufsehen sorgte die Neuenburger Kantonsregierung, als sie dem offiziellen Stimmmaterialversand eine Parolenempfehlung für die eidgenössischen Vorlagen vom September (Ausländergesetz und Asylrecht) beilegte. Der Bundesrat berurteilte dies als unzulässig, weil die Empfehlung dem mit Steuermitteln finanzierten offiziellen Versand beigelegt wurde. Die Neuenburger Regierung verteidigte ihr Vorgehen damit, dass dies in ihrem Kanton schon längere Zeit so gemacht werde. In Unkenntnis dieser Diskussion legte die Regierung von Basel-Stadt den Abstimmungsunterlagen zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 26. November eine Empfehlung bei und wurde in der Folge von den Bundesbehörden ebenfalls getadelt [55].
 
[48] Siehe dazu auch Andreas Gross, „Der Gebrauch der Volksrechte verändert sich“, in NZZ, 16.1.07. Zur Nutzung der brieflichen Stimmabgabe publizierte die Bundeskanzlei die Resultate einer Erhebung (NZZ, 1.4.06).
[49] BBl, 2006, S. 5261 ff.; NZZ, 1.6.06. Vgl. SPJ 2005, S. 39.
[50] AB NR, 2006, S. 1972 ff.; NZZ, 19.9.06. Siehe dazu auch Andreas Gross in Lib., 5.12.06.
[51] AB NR, 2006, S. 673 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 39. Der NR verlängerte die Frist zur Ausarbeitung einer Vorlage für die Einführung des Finanzreferendums (pa. Iv. der SVP, siehe SPJ 2004, S. 36) bis zur Herbstsession 2008 (AB NR, 2006, S. 1569). Siehe auch Andreas Gross in AZ, 30.12.06.
[52] BBl, 2006, S. 5261 ff.; AB NR, 2006, S. 1979 ff. Vgl. SPJ 2005, S. 40.
[53] BBl, 2006, S. 5459 ff.; AB NR, 2006, S. 1983; TA, 1.6.06.
[54] BBl, 2006, S. 9259 ff. und 9279 ff. (BR); AB NR, 2006, S. 1959 ff. Die Pa. Iv. der SPK-NR gilt als Umsetzung der Pa. Iv. Burkhalter (fdp, NE). Vgl. SPJ 2005, S. 39 f. Das Parlament verlängerte die Behandlungsfrist für die Volksinitiative um ein Jahr (AB NR, 2006, S. 1972; AB SR, 2006, S. 1223).
[55] AB NR, 2006, V, Beilagen, S. 70 f.; TA, 31.8. und 18.11.06; BaZ, 1.11., 15.11., 23.11. und 24.11.06 (BS). Offenbar besteht diese Praxis nur in den beiden Kantonen Basel-Stadt und Neuenburg.