Année politique Suisse 2006 : Chronique générale / Finances publiques
 
Finanzausgleich
Im Berichtsjahr verabschiedete das Parlament die Ausführungsgesetzgebung zur neuen Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA). Sie umfasst Änderungen von insgesamt 30 Bundesgesetzen und regelt das Stipendienwesen, die Eingliederung invalider Personen und die AHV-Ergänzungsleistungen neu. Hauptinstrumente der NFA bilden die Programmvereinbarungen und als finanzielles Gegenstück die Globalbeiträge: Im Bereich der Verbundaufgaben zwischen Bund und Kantonen regelt eine Programmvereinbarung die strategischen Ziele, die Finanzbeiträge des Bundes und die Finanzaufsicht. Sie liefert die Grundlage für die Gewährung von Bundesbeiträgen in Form von Globalbeiträgen; Einzelbeiträge werden nur noch ausnahmsweise, bspw. beim Natur- und Heimatschutz, bewilligt. Damit vergrössert sich einerseits der Entscheidungsspielraum der Kantone, andererseits bestehen kaum mehr Anreize, ein Projekt nur auszuführen, um Bundesbeiträge zu erhalten.
Im Ständerat warnte Kommissionssprecher Schiesser (fdp, GL) davor, mit Anträgen, die mit der Ausführung der NFA nichts zu tun haben, in die Kompetenz der parlamentarischen Fachkommissionen einzugreifen und „die Büchse der Pandora zu öffnen“. In der Detailberatung hiess der Rat die meisten Bundesgesetze des Mantelerlasses ohne grosse Erörterungen gut, so auch das neue Gesetz über die Eingliederung der Behinderten, das klare Leistungsstandards für die Behindertenbetreuung festlegt; dieser Teil der Vorlage hatte im Vorfeld der Abstimmung zur NFA-Verfassungsgrundlage für Widerstand gegen das gesamte Projekt gesorgt. Beim Nationalstrassenbau entsprach der Ständerat jedoch gegen den Antrag des Bundesrates dem Anliegen der kantonalen Baudirektoren, dass der künftig allein zuständige Bund nicht nur beim kleineren projektfreien Unterhalt, sondern auch beim projektgestützten grösseren Unterhalt die Kantone einbinden und mit ihnen Leistungsvereinbarungen abschliessen kann. Beim Krankenversicherungsgesetz, in dem die Prämienverbilligung für Versicherte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen weiterhin eine Verbundaufgabe von Bund und Kantonen darstellt, beschloss die kleine Kammer, dass sich der Bund neu pauschal mit 25% der Gesundheitskosten an der Grundversicherung für 30% der Bevölkerung beteiligt. Mit dieser Systemänderung vermindert sich der direkte Bundesbeitrag gegenüber heute um 600 Mio Fr. Vor diesem Hintergrund versuchte eine linke Kommissionsminderheit vergeblich, die Kantone dazu zu verpflichten, die bisher von Bund und Kantonen entrichteten Beiträge ab Inkrafttreten der NFA während mindestens drei Jahren in bisheriger Höhe weiter zu leisten. Bundesrat Merz betonte, dass der Bund die Mittel zugunsten der Kantone für die Krankenversicherung zwar um 600 Mio Fr. zurückfahre, den Kantonen aber zur Kompensation neue, frei verfügbare Mittel zur Verfügung stünden. Beim Stipendiengesetz lehnte der Rat eine materielle Harmonisierung der Stipendien und Darlehen ab. Die Mehrheit sah zwar Handlungsbedarf, doch sei die NFA der falsche Ort für eine Stipendiendiskussion. Chancenlos blieben deshalb linke Minderheitsanträge, welche die Erst-, Zweit- und Weiterbildung definieren resp. die Beiträge des Bundes an die Aufwendungen der Kantone für Ausgabenbeihilfen auf 16% festlegen wollten. Neu basieren die Bundeskredite zugunsten der Kantone für Stipendien nicht mehr auf dem Durchschnittswert der Aufwendungen der letzten Jahre, sondern auf der Bevölkerungszahl der Kantone. Der Ständerat hiess die Ausführungsgesetzgebung zur NFA mit 25:5 Stimmen bei 2 Enthaltungen gut [63].
Im Nationalrat blieb ein Rückweisungsantrag einer Minderheit Goll (sp, ZH), welcher ein stärkeres Engagement des Bundes im Sozialbereich und gesamtschweizerische Standards für das Stipendienwesen verlangt hatte, chancenlos. In der Detailberatung lehnte es der Rat beim Nationalstrassenbau anders als die kleine Kammer ab, grosse Unterhaltsarbeiten auch den Kantonen zu übertragen. Verworfen wurde ferner ein Antrag der Linken, das fakultative Referendum für Parlamentsbeschlüsse zur allgemeinen Linienführung und zur Art von Nationalstrassen einzuführen und den Nationalstrassenbau so analog zu den grossen Eisenbahnprojekten zu behandeln. Durchzusetzen vermochten sich SP und Grüne jedoch beim IV-Gesetz, wonach der Bund logopädische und psychomotorische Therapien zugunsten der Eingliederung Invalider zu unterstützen habe; der Bundesrat wollte diese Massnahmen ausnehmen, da die IV sie schon bisher nicht als medizinische, sondern als sozial- und sonderpädagogische Behandlungen eingestuft hatte, welche die NFA neu den Kantonen überträgt. Beim KVG wehrte sich die Linke erfolglos gegen die Senkung der zukünftigen Bundesbeiträge und forderte eine dreijährige Übergangsfrist. Beim Stipendiengesetz schloss sich der Nationalrat der kleinen Kammer an, wonach die Bundesbeiträge für Stipendien und Studiendarlehen nach der Bevölkerungszahl auf die Kantone zu verteilen sind. Abgelehnt wurden jedoch Anträge zu einer Harmonisierung der Beiträge, zur stärkeren Verlagerung der Stipendien zugunsten von Darlehen resp. umgekehrt, zur Aufhebung der Alterslimite resp. deren Erhöhung bis zum 35. Altersjahr sowie zu Vorgaben betreffend die Höhe von Ausbildungsbeiträgen. Bei den AHV/IV-Ergänzungsleistungen beschloss die grosse Kammer mit Zustimmung des Bundesrats, dass die Kantone auch vom Arzt verordnete Bade- und Erholungskuren vergüten müssen. Ausserdem muss sich der Bund stärker an den Kosten für Personen beteiligen, die in Heimen und Spitälern wohnen. Die grosse Kammer hiess die NFA-Ausführungsgesetzgebung mit 104:63 Stimmen gut [64].
In der Differenzbereinigung setzte sich der Nationalrat beim Nationalstrassenbau durch und schloss die Kantone von den grossen Unterhaltsarbeiten aus. Im Bereich der Ergänzungsleistungen stimmte er hingegen einer stärkeren Belastung der Kantone zu: Demnach übernimmt der Bund sowohl bei Personen, die sich zu Hause aufhalten als auch bei jenen in einem Heim je fünf Achtel der Kosten, und die Kantone müssen Beträge, die im Heim oder im Spital über die Existenzsicherung hinausgehen, zu 100% übernehmen. Bei den logopädischen und psychomotorischen Therapien verzichtete der Rat ebenfalls auf seine Lösung und strich sie von der Liste jener Massnahmen, die der Bund zu bezahlen hat. Die Vorlage passierte die Schlussabstimmung im Ständerat mit 37:5 Stimmen bei 2 Enthaltungen, im Nationalrat mit 123:62 Stimmen bei 4 Enthaltungen; SP und Grüne hatten sie abgelehnt [65].
Ende Jahr präsentierte der Bundesrat seine Botschaft zur Festlegung des Ressourcen-, Lasten- und Härteausgleichs. Demnach stellt der Bund im Einführungsjahr der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen insgesamt rund 2,5 Mia Fr. für die neuen Ausgleichsgefässe zur Verfügung. Von der Ausgleichssumme des Bundes gehen 72,5% (1,8 Mia) in den vertikalen Ressourcenausgleich und 27,5% (682 Mio) in den geografisch-topografischen und den soziodemografischen Lastenausgleich. Der durch die ressourcenstarken Kantone finanzierte horizontale Ressourcenausgleich beträgt 70% des vertikalen Ressourcenausgleichs (rund 1,26 Mia). Mit diesen Beschlüssen entsprach der Bundesrat der Stellungnahme der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) und der überwiegenden Mehrheit der Kantone. – Für den zeitlich befristeten Härteausgleich, der jenen ressourcenschwachen Kantonen zugute kommt, die durch den Übergang zur NFA nicht ein bestimmtes Mindestausmass an finanzieller Entlastung erfahren, stellt der Bund 287 Mio bereit, die Kantone weitere 143 Mio. Beim Übergang zur NFA sind (mit Ausnahme des Härteausgleichs) die finanziellen Be- und Entlastungen zwischen Bund und Kantonen insgesamt ausgeglichen [66].
In der Vernehmlassung war die Vorlage auf ein insgesamt positives Echo gestossen. Namentlich die KdK, einzelne Kantone, der Städte- und Gemeindeverband, die Spitzenverbände der Wirtschaft und die politischen Parteien äusserten sich mehrheitlich wohlwollend. Die ressourcenstarken Kantone wollten ihren Beitrag im horizontalen Ressourcenausgleich jedoch auf zwei Drittel (statt 70%) des Beitrags des Bundes festgelegt haben, zudem sprachen sie sich für eine deutliche Gewichtsverschiebung vom geografisch-topografischen zum soziodemografischen Lastenausgleich aus, während der Härteausgleich nur an ressourcenschwache Kantone ausgerichtet werden soll, die beim Übergang zur NFA erheblich weniger Geld erhalten. Die SVP lehnte als einziger Vernehmlassungsteilnehmer den Entwurf ab aufgrund der vorgesehenen Ausgestaltung des Härteausgleichs und der aus ihrer Sicht fehlenden Darstellung der Einsparungen, die sich mit der NFA realisieren liessen [67].
 
[63] AB SR, 2006, S. 125 ff., 137 ff. und 206 ff.; Presse vom 16.3.06; vgl. SPJ 2005, S. 132. Zu den einzelnen Themen siehe die jeweiligen Sachkapitel; zur Volksabstimmung über die NFA siehe SPJ 2004, S. 117.
[64] AB NR, 2006, S. 1196 ff. und 1224 ff.; Presse vom 20.-21.9.06.
[65] AB SR, 2006, S. 732 ff., 852 f., 885 und 923; AB NR, 2006, S. 1393 ff., 1537 und 1602 f.; BBl, 2006, S. 8341 ff.
[66] BBl, 2007, S. 645 ff.; Presse vom 9.12.06. Zu den Geberkantonen gehören gemäss Globalbilanz 2004/05 (Botschaft S. 756) BL, GE, NW, SZ, TI, ZG und ZH; Empfängerkantone sind AG, AI, AR, BE, BS, FR, GL, GR, JU, LU, NE, OW, SG, SH, SO, TG, UR, VD und VS.
[67] Presse vom 12.-16.10.06; NZZ, 21.10.06; LT, 2.11. und 1.12.06; NLZ, 17.11.06.