Année politique Suisse 2006 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
Eisenbahnverkehr
Im Sommer hiessen die Aktionäre der Bahnunternehmung „Regionalverkehr Mittelland“ (RM), die vor allem im östlichen Teil der Agglomeration Bern tätig ist, die
Fusion mit der „Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn“ (BLS) zur
BLS AG dank der Stimmen der Haupteigner gut – die Mehrheit der Anwesenden lehnte sie ab. Die BLS-Aktionäre stimmten dem Projekt ebenfalls zu
[26].
Auf den 1. Juli 2006 fusionierten die Appenzeller Bahnen (AB), die Trogenerbahn (TB), die Rorschach-Heiden-Bergbahn (RHB) und die Bergbahn Rheineck-Walzenhausen (RhW) zu den „
Appenzeller Bahnen“
[27].
Um ihren Anteil im grenzüberschreitenden Verkehr zu erhöhen, gründeten die SBB und die Deutsche Bahn eine gemeinsame Marketing-Firma namens „
Rheinalp“. Ähnliche Kooperationen pflegen die SBB bereits mit den Bahnen Italiens (unter der Marke Cisalpino) und Frankreichs (Lyria). Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit Deutschland bilden Frankfurt, Stuttgart und München
[28].
Diskussionslos überwies der Nationalrat ein Postulat Müller (fdp, SG), das den Bundesrat beauftragt zu prüfen, wie auf der Ost-West-Achse – insbesondere zwischen der Schweiz resp. den westlichen Nachbarn und den neuen EU-Mitgliedern im Osten – ein modernes, leistungsfähiges
Bahngüterverkehrssystem für den Transport von Wechselbehältern und Containern eingerichtet werden könnte
[29].
Der Schweizerische Eisenbahn- und Verkehrspersonalverband reichte beim UVEK eine
Petition „Gegen die Gewalt im öffentlichen Verkehr“ mit rund 10 000 Unterschriften ein. Darin verlangt er Massnahmen gegen die Gewalt in Zügen und Bussen – als Reaktion auf zahlreiche Aggressionen, unter denen das Personal sowie die Fahrgäste des öffentlichen Verkehrs zu leiden haben
[30].
Die Räte billigten die
Leistungsvereinbarung zwischen dem
Bund und den
SBB für die Jahre 2007-2011 mit einem Zahlungsrahmen von 5,88 Mia Fr. Davon entfallen rund 1,8 Mia Fr. auf die Betriebskosten und 4,1 Mia Fr. auf Investitionen (3,7 Mia Fr. für Substanzerhaltung). Bundesrat Leuenberger erklärte mit Hinweis auf die Entlastungsprogramme 2003 und 2004, dass der Zahlungsrahmen derart knapp berechnet sei, dass sich die SBB Kürzungsübungen nicht mehr ohne weiteres gefallen lassen könnten
[31].
2005 hatte das Parlament die zweite Etappe der Bahnreform an die Regierung zurückgewiesen, weshalb die vorgesehene Neuordnung der Finanzierung der Eisenbahn-Infrastruktur nicht wie geplant auf den 1. Januar 2007 in Kraft treten kann. Da der 8. Rahmenkredit für die Privatbahnen Ende 2006 erschöpft ist, beantragte der Bundesrat dem Parlament als Übergangslösung einen
9. Rahmenkredit für Investitionsbeiträge an die konzessionierten Eisenbahnunternehmen (KTU) für die Jahre 2007–2010 von 600 Mio Fr. und die Umwandlung des der BLS Lötschbergbahn gewährten Baukredits in bedingt rückzahlbare Darlehen
[32].
Gegen den Willen des Bundesrates erhöhte der
Ständerat diesen Kredit auf 800 Mio Fr. – die KTU hatten aufgrund des Bedarfs 1,05 Mia Fr. verlangt. Gemäss Kommissionssprecher Pfisterer (fdp, AG) reiche die von der Regierung beantragte Summe weder für die Erhaltung der Substanz noch für die nötigen Erweiterungsinvestitionen aus. Die Privatbahnen müssten haushälterisch mit den Finanzmitteln umgehen sowie Umfang und Optimierungsmöglichkeiten ihres Angebots prüfen, allenfalls auch die Umstellung vom Bahn- auf den Busbetrieb. Der Bundesrat erwäge mittelfristig Streckenschliessungen aus Sicherheitsgründen, aber auch aufgrund unverhältnismässiger Sanierungskosten. Bundesrat Leuenberger hielt an den von der Regierung beantragten 600 Mio Fr. fest, da der Bund sparen müsse, die Parteien für Bildung und Forschung aber mehr Geld ausgeben wollten. In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat sowohl den 9. Rahmenkredit für die KTU als auch die Umwandlung des der BLS Lötschbergbahn gewährten Baukredits in ein bedingt rückzahlbares Darlehen einstimmig an. Er überwies zudem ein Postulat, das einen Bericht zum Zustand der Infrastruktur der Privatbahnen verlangt
[33].
Im
Nationalrat stand eine weitere Erhöhung des KTU-Kredits auf 920 Mio Fr. zur Diskussion, welche die Mehrheit der Verkehrskommission vorschlug und die von der SP und den Grünen getragen wurde. CVP und FDP wollten sich dem Ständerat anschliessen (800 Mio), die SVP unterstützte den Vorschlag des Bundesrats (600 Mio). Die grosse Kammer folgte mit 109:80 Stimmen dem Ständerat und setzte den Rahmenkredit für die KTU auf 800 Mio Fr. fest. Ein Antrag der SVP, für Strecken, die längerfristig stillzulegen sind, keine wertvermehrenden Investitionen zu tätigen, wurde mit 116:73 Stimmen verworfen. In der Gesamtamtstimmung hiess der Nationalrat den Rahmenkredit für die KTU mit 161:8 Stimmen bei 20 Enthaltungen gut. Die Umwandlung des der BLS Lötschbergbahn gewährten Baukredits in bedingt rückzahlbare Darlehen hatte die Verkehrskommission des Nationalrats erst andiskutiert, aber noch nicht beschlossen
[34].
Das Parlament billigte das Abkommen mit Italien betreffend die Erneuerung der
Simplonkonzession sowie den Betrieb der Bahnstrecke bis Domodossola diskussionslos
[35].
Die SBB nahmen das neue Zugsicherungssystem
European Train Control System (ETCS) in Betrieb. ETCS ist europaweit kompatibel und liefert dem Lokomotivpersonal alle Fahrinformationen direkt in den Führerstand. Es ermöglicht die Erhöhung der Fahrtgeschwindigkeit und damit eine raschere Zugfolge, was die Kapazität der Strecke erheblich verstärkt. Ab Juli verkehrten die Personenzüge auf der Neubaustrecke Mattstetten-Rothrist vorerst in den Randstunden am Abend mit ETCS, ab Dezember alle täglich über 240 Züge, wobei die Höchstgeschwindigkeit vorerst auf 160 km/h beschränkt blieb. Ab Dezember 2007 soll die Maximalgeschwindigkeit auf 200 km/h erhöht werden
[36].
Im Februar hiessen die Bündnerinnen und Bündner mit 72% Ja-Stimmen den Verpflichtungskredit von 20 Mio Fr. für den Bau der
Porta Alpina in Sedrun gut. Regierung und Parlament Graubündens hatten dem Souverän einstimmig ein entsprechendes Gesamtpaket mit Vor- und Hauptinvestitionen für den NEAT-Anschluss in die obere Surselva vorgelegt, sämtliche Parteien und Verbände hatten um Zustimmung geworben. Zusammen mit der Beteiligung der Surselva von 5 Mio Fr. bringt Graubünden damit die Hälfte der veranschlagten Kosten von 50 Mio Fr. auf. Den Rest soll der Bund bezahlen; bisher hat das Bundesparlament einen Anteil an der Vorinvestition von 7,5 Mio Fr. verabschiedet. Im Mai erteilte das UVEK dem Kanton die Baubewilligung für Vorinvestitionen in der Grössenordnung von 15 Mio Fr. unter der Auflage, dass sich die Realisierung des Gotthard-Basistunnels nicht verzögert und dass der Kanton mit dem noch zu bestimmenden Betreiber der Porta Alpina ein Betriebskonzept ausarbeitet
[37].
Bei der Realisierung des NEAT-Bauloses
Erstfeld-Amsteg (UR) mit einem Auftragsvolumen von 413 Mio Fr. kam es zu Verzögerungen: Anfang Jahr focht die Berner Marti Holding den Vergabeentscheid der Alptransit AG erfolgreich an, diese beauftragte aber zum zweiten Mal ein von der österreichischen Firma Strabag geführtes Konsortium mit den Arbeiten, worauf die unterlegene Firma erneut Einspruch erhob. Die eidg. Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen hiess auch diese zweite Beschwerde gut. Auf Anregung der NEAT-Aufsichtskommission setzte Bundesrat Leuenberger eine Arbeitsgruppe ein, welche nach Lösungen suchen soll, um die verzögerten – und so bereits um rund 30 Mio Fr. verteuerten – Bauarbeiten möglichst rasch an die Hand zu nehmen. Um einen dritten Rekurs zu verhindern, sollen externe Experten die Offerten der beteiligten Firmen prüfen und eine Vergabe-Empfehlung abgeben
[38].
Der
Ständerat debattierte die Angelegenheit anlässlich einer dringlichen Interpellation Jenny (svp, GL) in der Herbstsession. Stadler (cvp, UR) bezeichnete die Vorwürfe des Interpellanten (u.a. Mauschelei bei der Vergabe des Bauloses, bewusstes in Kauf nehmen von Verzögerungen) als so gravierend, dass sich auch die NEAT-Aufsichtsdelegation damit beschäftige. Bundesrat Leuenberger betonte, die Alptransit AG sei bei der Vergabe korrekt vorgegangen. Hauptursache für die weiteren Verzögerungen beim Bau des Gotthard-Basistunnels und damit ausschlaggebend für die hohen Kostenfolgen sei die Ausgestaltung des Beschaffungsrechts. Daher prüfe der Bundesrat, ob es mit einer diesbezüglichen Gesetzesrevision möglich wäre, zeitliche Verzögerungen durch die Ergreifung von Rechtsmitteln zu reduzieren, beispielsweise, indem die Überprüfung von Entscheiden durch die Beschwerdeinstanz auf Willkür beschränkt wird oder Beschwerden keine aufschiebende Wirkung mehr erhalten
[39].
Im Februar zeichnete sich ab, dass auch beim Bau des
Ceneri-Basistunnels Mehrkosten von 174 Mio Fr. drohen und Verzögerungen möglich sind. Im Mai verlangte die NEAT-Aufsichtsdelegation die Überprüfung von Beschlüssen (Anzahl Röhren und Fluchtstollen) und empfahl dem Bundesrat, dem Parlament spätestens zusammen mit der Botschaft über die zukünftige Entwicklung der Bahnprojekte eine Vorlage für einen zweiten NEAT-Zusatzkredit zu unterbreiten, um die absehbare Finanzierungslücke zu schliessen. Anlässlich der Grundsteinlegung des Ceneri-Tunnels erklärte Bundesrat Leuenberger, das UVEK halte an zwei Tunnelröhren fest
[40].
Im Februar gab
Benedikt Weibel nach 14 Jahren im Amt seinen
Rücktritt als SBB-Chef auf Ende Jahr bekannt. Zu seinem Nachfolger wählte der SBB-Verwaltungsrat den Baselbieter Andreas Meyer, welcher bei der Deutschen Bahn (DB) für die S-Bahnen von Berlin und Hamburg zuständig ist
[41].
Die SBB boten
Studierenden an, sie zu
Lokomotivführern auszubilden. Nach einer 35 Wochen dauernden Schulung sollen sie zu Spitzenzeiten und an Wochenenden zur Entlastung der Vollzeit-Lokomotivführer auf S-Bahnlinien zum Einsatz kommen. Die Bahnangestellten kritisierten dieses Ansinnen; sie befürchteten Lohndumping und einen Verlust an Sicherheit
[42].
Im April kündigten die SBB ihre Gesamtarbeitsverträge per Ende Jahr; um wettbewerbsfähig zu bleiben, brauche es branchenübliche Arbeitsbedingungen. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, absolvierten Mitte Dezember rund 2000 Lokomotivführer ihren Dienst nach Vorschrift. Kurz vor dem Auslaufen des GAV einigten sich Eisenbahngewerkschaften und SBB auf einen
neuen Gesamtarbeitsvertrag: Die SBB-Angestellten erhalten 3,5% mehr Lohn und einen Tag mehr Ferien, müssen dafür aber 41 statt 40 Stunden pro Woche arbeiten
[43].
Die Ankündigung von
SBB Cargo vom vergangenen Jahr, in der ganzen Schweiz nur noch 323 von 650 Stationen für den Schienengüterverkehr bedienen zu wollen, hatte in vielen Kantonen Proteste ausgelöst. Nach zahlreichen Verhandlungen gab das Unternehmen im Frühjahr bekannt, es habe für 170 Firmen eine spezifische Lösung gefunden, doch müssten zahlreiche Kleinkunden künftig auf die Strasse umsteigen. Mit der geplanten
Restrukturierung könne SBB Cargo 96% des bisherigen Transportvolumens auf der Schiene behalten, und die Zahl der abzubauenden Stellen reduziere sich um 28 auf insgesamt 620. Ein Umbau des Rollmaterialservice soll die Produktivität in den Werkstätten Biel und Bellinzona erhöhen; SBB Cargo beabsichtige aber, das Werk Biel künftig mit einem starken Partner zusammen zu führen. Diese Neuausrichtung des Unternehmens bringe jährliche Einsparungen von 25 Mio Fr.
[44].
Die SBB schrieben
2006 mit einem
Ergebnis von 259,4 Mio Fr. wieder schwarze Zahlen. Verbesserungen in allen operativen Bereichen und die Auflösung von Rückstellungen ermöglichten das Resultat. Der Personenverkehr erzielte ein Betriebsergebnis von 246,2 Mio Fr. (2005: 132,7 Mio). Die Zahl der zurückgelegten Personenkilometer stieg um 3,2% auf 14,27 Mia; die SBB beförderten 285,1 Mio Reisende (+3,3%). Der Güterverkehr musste auch 2006 Verluste hinnehmen, das Betriebsergebnis fiel mit -37,3 Mio Fr. aber deutlich besser aus als im Vorjahr (-166,4 Mio). Die gesamte Verkehrsleistung von SBB Cargo übertraf mit 12,34 Mia Nettotonnenkilometern erstmals die 12-Mia-Grenze (2005: 11,48 Mia). Die SBB Infrastruktur erzielte ein Jahresergebnis von 91,8 Mio Fr. (+74,4 Mio). Die Erfolgsrechnung 2006 schloss mit einem Betriebsertrag von 7,217 Mia Fr. (+1,0%) und einem -aufwand von 6,922 Mia Fr. (-2,6%)
[45].
[26] Presse vom 23.5. und 23.-24.6.06; vgl.
SPJ 2005, S. 147.
[27]
SGT, 21.1., 1.4., 23. und 26.6.06.
[29]
AB NR, 2006, S. 492 und Beilagen I, S. 565 f.; zu SBB Cargo siehe unten.
[31]
BBl, 2006, S. 3817 ff.;
AB SR, 2006, S. 570 ff.;
AB NR, 2006, S. 1298 ff.;
BBl, 2006, S. 8665 ff. und 9827 ff.; Presse vom 11.3.06; zu den EP 03 und 04 vgl.
SPJ 2003, S. 136 ff.,
2004, S. 112 f. und
2005, S. 124 ff. Zum Infrastrukturfonds siehe oben (Strassenbau).
[32]
BBl, 2006, S. 3897 ff.; vgl.
SPJ 2005, S. 148 f.
[33]
AB SR, 2006, S. 574 ff. und 580; Presse vom 22.6.06.
[34]
AB NR, 2006, S. 1305 ff.;
BBl, 2006, S. 8669; Presse vom 26.9.06.
[35]
BBl, 2006, S. 3089 ff.;
AB NR, 2006, S. 1497;
AB SR, 2006, S. 1129 f.; vgl.
SPJ 2004, S. 135.
[36] Presse vom 22.4.06; vgl.
SPJ 2005, S. 148.
[37] Presse vom 13.2. und 6.5.06; vgl.
SPJ 2005, S. 130 f. und 148.
[38] Presse vom 15.2., 6.5., 13.9., 3.-5.10. und 16.11.06; vgl.
SPJ 2004, S. 133.
[39]
AB SR, 2006, S. 911 ff.; Presse vom 6.10.06.
[40] Presse vom 14.2., 20.2., 13.5. und 2.-3.6.06; vgl.
SPJ 2005, S. 148.
[41] Presse vom 25.2. und 24.6.06.
[43] Presse vom 1.4., 9.10., 16. und 21.12.06;
TA, 11.12.06.
[44]
AZ, 12.1. und 3.2.06;
QJ, 14.1.06;
BaZ, 10.2.06; Presse vom 2. und 18.3.06; siehe auch die Antworten des BR auf eine zurückgezogene Motion Stähelin (cvp, TG), eine Frage Huguenin (pda, VD) und die Interpellationen Recordon (gp, GE), Müller (fdp, AG), Simoneschi (cvp, TI) und Salvi (sp, VD) in
AB SR, 2006, S. 464 f.;
AB NR, 2006, S. 305 sowie Beilagen I, S. 355 f., 449 f. und 604 f., Beilagen III, S. 687 f.; vgl.
SPJ 2005, S. 150 f.
[45] Geschäftsbericht der SBB 2006; Medienmitteilung der SBB vom 4.4.07.
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