Année politique Suisse 2006 : Politique sociale / Population et travail
 
Kollektive Arbeitsbeziehungen
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Gesamtarbeitsverträge
Einen für die Arbeitnehmer günstigen neuen GAV konnte die Gewerkschaft Unia in der Uhrenindustrie aushandeln; da es der Branche ausgezeichnet geht, mussten die Arbeitgeber Zugeständnisse machen (Erhöhung der Krankenkassenbeiträge und der Überbrückungsrente bis zum ordentlichen AHV-Alter). Im Gegenzug wurde eine absolute Friedenspflicht vereinbart. Der neue GAV gilt ab Anfang 2007 bis Ende 2011 und betrifft rund 35 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in 416 angeschlossenen Betrieben [18].
Der Migros, dem grössten privaten Arbeitgeber der Schweiz, gehen langsam die Sozialpartner aus. 2005 hatte die Gewerkschaft Unia das Handtuch geworfen, nun kehrte auch Gewerkschaft Syna dem orangen Riesen den Rücken und erklärte, sie werde den neuen GAV nicht unterzeichnen, da der Vertrag neben einigen Verbesserungen (Einführung eines zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubs, Ausdehnung des Mutterschaftsschutzes) inakzeptable Verschlechterungen enthalte, insbesondere die Bestimmung, dass das Unternehmen die wöchentliche Arbeitszeit um zwei Stunden verlängern oder verkürzen kann – mit oder ohne Lohnangleichung. Schliesslich wurde der GAV nur von den beiden Berufsverbänden KV Schweiz und Metzgereipersonalverband unterzeichnet [19].
Eiszeit kündigte sich auch in der Baubranche an. Der Baumeisterverband (SBV) bezeichnete die Gewerkschaft Unia als ideologisch verblendet, drohte damit, den erst im Vorjahr abgeschlossenen GAV im März 2007 zu kündigen und die Unia bei Neuverhandlungen nicht mehr als Gesprächspartner zu akzeptieren. Die Unia konterte, die Baumeister würden die Lösung von Streitigkeiten in den dafür vorgesehenen Gremien immer wieder blockieren. Unter diesen Voraussetzungen war es nicht verwunderlich, dass die Lohnverhandlungen für 2007 schliesslich scheiterten [20].
Im Konflikt um einen GAV für die Deutschschweizer Presse wurde die eidgenössische Einigungsstelle eingeschaltet. Das EVD setzte sie auf Ersuchen der Mediengewerkschaften Comedia und Impressum ein. Die Verleger hatten sich dagegen ausgesprochen. Ihr Verband lehnt es ab, Löhne in einem GAV zu regeln. Bis Ende Jahr konnte keine Einigung erzielt werden [21].
Für Verhandlungen und Arbeitskonflikte bei den bundesnahen Betrieben sowie bei der Swiss siehe oben, Teil I, 6b, Eisenbahnverkehr, Post und Telekommunikation sowie Flugverkehr.
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Arbeitskonflikte
Beim Buntmetallverarbeiter Swissmetal Boillat im bernjurassischen Reconvilier verhärteten sich im Lauf des Januars die Fronten zwischen der Arbeitnehmerschaft, welche die volle Unterstützung der Gewerkschaft Unia und von weiten Teilen der lokalen Bevölkerung hatte, und der Unternehmensleitung zusehends. Die Belegschaft wehrte sich gegen einen Restrukturierungsplan der Firma, wonach der Giessereibetrieb in Reconvilier aufgehoben und in das Werk nach Dornach (SO) verlegt werden sollte. Dadurch hätten rund 100 der 320 Mitarbeitenden ihre Stelle in Reconvilier verloren. Am 25. Januar wurde der unbefristete Streik ausgerufen. Die Konzernleitung drohte mit Stilllegung des Betriebs, falls die Arbeit nicht umgehend wieder aufgenommen werde und entliess schliesslich 21 Kadermitarbeiter, die sich mit der Belegschaft solidarisiert hatten, sowie später rund 120 Mitarbeitende; als Kündigungsgrund für letztere Massnahme wurde ein Kundenverlust durch den Streik ins Feld geführt.
In dieser schier ausweglosen Situation schaltete sich Bundesrat Deiss, Vorsteher des EVD ein, empfing Vertreter beider Konfliktparteien zu getrennten Gesprächen und schlug schliesslich die Einsetzung eines Mediators in der Person des Unternehmers Rolf Bloch vor. Nach 30 Tagen wurde der Streik ausgesetzt und die Verhandlungen unter Leitung von Bloch aufgenommen, nachdem die Geschäftsleitung zugesichert hatte, dass sie die angedrohten Strafanzeigen gegen die Streikenden nicht eingereicht hatte. In der Folge wurden auch einige der ausgesprochenen Kündigungen zurückgezogen. Zudem wurde ein neutraler Experte eingesetzt, der die betriebswirtschaftliche Lage in Reconvilier durchleuchten sollte. Dieser empfahl den Konfliktparteien, sich auf die Weiterführung der Giesserei während maximal vier Jahren zu einigen. Entlassene Mitarbeiter sollen im Rahmen der Möglichkeiten des Unternehmens wieder eingestellt und in Reconvilier wieder ein Werkleiter eingesetzt werden. Die Umsetzung der Massnahmen hätte eine neutrale Gruppe überwachen sollen. Von dieser externen Kontrolle wollte die Geschäftsleitung allerdings nichts wissen, sie setzte die Mediation aus und erklärte, die Empfehlung in Eigenregie umsetzen zu wollen.
Die von der langen Kampfdauer zermürbte Belegschaft stimmte schliesslich zu. Entgegen der Forderung der Gewerkschaft wollte das Unternehmen auch keinem Sozialplan für die letztlich 111 Entlassenen zustimmen, sondern einen Sozialfonds für die Betroffenen einrichten, an dessen Finanzierung sich die Firma und die Unia, die von der Geschäftsleitung stets als „Brandstifterin“ bezeichnet worden war, zu gleichen Teilen beteiligen sollten. Dies bezeichnete die Gewerkschaft umgehend als absurd, da es von Gesetzes wegen vorgesehen sei, dass der Sozialplan ausschliesslich vom entlassenden Betrieb finanziert werde; sie zog die Swissmetal vor das Branchen-Schiedsgericht. Diese konterte damit, dass sie von der Unia einen Schadenersatz zwischen 5 und 10 Mio Fr. für die durch den Streik verursachte Produktionseinbusse verlangte, da die Gewerkschaft trotz der in der Metall- und Maschinenindustrie geltenden Friedenspflicht den Streik aktiv unterstützt und sogar noch angeheizt habe [22].
 
[18] Presse vom 26.10.06.
[19] NLZ, 4.7.06; Presse vom 24.8.06; TA, 14.11.06.
[20] Presse vom 19.3., 8.12. und 11.12.06.
[21] NZZ, 29.6.06; NF, 29.9.06.
[22] Presse vom 26.1.-28.1., 30.1., 1.2., 3.2., 10.2., 14.2.-16.2., 18.2., 24.2., 25.2., 1.3.-3.3., 24.3., 25.3., 20.4., 26.4., 13.6., 19.6., 20.6., 28.6., 1.7., 14.7., 27.7., 13.9. und 6.12.06. Siehe SPJ 2005, S. 178. Die Vorgänge rund um Swissmetal führten zu mehreren Anfragen, Fragen und einer Ip. im NR. In seinen Antworten verwies der BR stets auf die Wirtschaftsfreiheit, die es ihm untersage, direkt zu intervenieren (Geschäfte 05.3734, 06.1043, 06.1064, 06.5037, 06.5101 und 06,5126).