Année politique Suisse 2006 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Suchtmittel
Mit 105 994 gültigen Unterschriften kam die Volksinitiative «für eine vernünftige Hanf-Politik mit wirksamem Jugendschutz»
(„Hanfinitiative“) zustande. Sie verlangt, dass der Anbau, Erwerb, Besitz und Konsum von psychoaktiven Substanzen der Hanfpflanze straffrei wird. Der Bund soll Vorschriften über Anbau, Herstellung, Ein- und Ausfuhr erlassen und dabei durch geeignete Massnahmen sicherstellen, dass dem Jugendschutz angemessen Rechnung getragen wird. Werbung für psychoaktive Substanzen der Hanfpflanze sowie Werbung für den Umgang mit diesen Substanzen bleiben verboten. Obschon die Initiative Forderungen enthält, die in wesentlichen Teilen der bisherigen Stossrichtung des Bundesrates in der Cannabisfrage entsprechen, empfahl der Bundesrat dem Parlament Ende Jahr die Ablehnung der Initiative. Er betonte, diese negative Stellungnahme bedeute keine Haltungsänderung. Da die SGK des Nationalrates aber entschieden habe, dem Parlament einen Vorschlag zur Hanffrage zu unterbreiten, wolle er diesem nicht vorgreifen. Zudem sollte die Cannabisproblematik seiner Meinung nach im Rahmen der restlichen Suchtpolitik und nicht auf Verfassungsstufe geregelt werden
[30].
Nach dem Scheitern der
Revision des Betäubungsmittelgesetzes 2004 in der grossen Kammer hatte die SGK des Nationalrates 2005 beschlossen, die unbestrittenen Elemente der Revision, insbesondere das 4-Säulen-Konzept (Prävention inklusive Jugendschutz, Therapie, Schadensverminderung – beispielsweise durch die medizinisch kontrollierte Heroinabgabe – und Repression) mit einer parlamentarischen Initiative wieder aufzunehmen. Im Mai legte die Kommission ihre Vorschläge für eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes vor. Der Bundesrat war damit weitgehend einverstanden
[31].
Bereits in der Eintretensdebatte wurde in erster Linie die heroingestützte Behandlung
Schwerstsüchtiger ins Zentrum gerückt. Um die Behandlung des brisanten Geschäfts zu verzögern, reichte Ruey (lp, VD) einen Rückweisungsantrag an die Kommission ein. Er erklärte, die Heroinabgabe müsse vertieft untersucht werden, bevor man den auf Ende 2009 befristeten Bundesbeschluss in ordentliches Recht überführe. Support erhielt er von Bortoluzzi (svp, ZH), der die entsprechenden Untersuchungen des BAG als zu wenig neutral einstufte. Bundesrat Couchepin widersprach und wies auf zahlreiche Studien hin, welche die Wirksamkeit der Heroinabgabe belegen (weniger Drogentote, gesündere Konsumenten, geringere Beschaffungskriminalität). Rueys Antrag wurde deutlich mit 61 zu 11 Stimmen abgelehnt. In der Detailberatung meldeten sich die Befürworter einer strengen Abstinenzpolitik erneut wortreich: Die Heroinabgabe habe nichts mit Menschenliebe zu tun (Freysinger, svp, VS), sei sogar menschenverachtend (Waber, edu, BE). Dem hielten die Befürworter gegenüber, sie rette Menschenleben (Gutzwiller, fdp, ZH) und sei mittlerweile auch von der WHO als Therapiemöglichkeit für Schwerstsüchtige anerkannt (Ménetrey-Savary, gp, VD). Die
medizinisch indizierte Heroinabgabe passierte schliesslich mit 111 zu 73 Stimmen, die gesamte Revision mit 106 zu 65. Nicht durchsetzen konnte sich der Bundesrat mit seinem Wunsch, Heroin aus der Liste der verbotenen Stoffe in jene der verschreibbaren Betäubungsmittel umzuklassieren. Couchepin plädierte vergeblich, dabei handle es sich um eine reine Frage der Logik. Um nicht noch einmal die gesamte Vorlage zu gefährden, wurde dieser Antrag mit 106 zu 70 Stimmen mit dem Argument verworfen, dies könne auch auf Verordnungsstufe geschehen. Im Fall einer Zustimmung durch den Ständerat drohte die EVP/EDU-Fraktion bereits mit einem Referendum, dem sich wohl auch Teile der SVP anschliessen dürften; damit könnte das Stimmvolk zum zweiten Mal nach 1999 über die heroingestützte Therapie befinden
[32].
[30]
BBl,
2006, S. 1889 f. und
BBl,
2007, S. 245 ff. Siehe dazu auch die Stellungnahme des BR zu einer Ip. im NR (
AB NR, 2006, S. 2036). Vgl.
SPJ 2004, S. 179 und
2005, S. 187.
[31]
BBl, 2006, S. 8573 ff. und 8645 ff. Siehe
SPJ 1999, S. 256 ff.,
2004, S. 178 f. und
2005, S. 187.
[32]
AB NR, 2006, S. 1837 f., 1856 ff., 1869 ff. und 2003 ff.; Presse vom 21.12.06. Auf Antrag des BR lehnte der NR eine Motion Wasserfallen (fdp, BE) ab, welche eine deutliche Verschärfung der 4-Säulen-Politik des Bundes sowie ein klar verankertes Verbot des Cannabiskonsums verlangte; das relativ knappe Stimmenverhältnis (90:80) zeigte aber die nach wie vor bestehende Gespaltenheit der grossen Kammer (
AB NR, 2006, S. 771 ff.).
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