Année politique Suisse 2007 : Politique sociale / Santé, assistance sociale, sport / Gesundheitspolitik
Im Vorjahr hatte der Bundesrat dem Parlament beantragt, die 2005 eingereichte Volksinitiative
„Ja zur Komplementärmedizin“ dem Volk ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Im
Nationalrat anerkannten sowohl die Sprecher der Kommissionsmehrheit als auch die Rednerinnen und Redner aus dem bürgerlichen Lager die Bedeutung der Komplementärmedizin für die Gesundheitsversorgung. Sie übernahmen aber vollumfänglich die Auffassung des Bundesrates, wonach die Alternativmedizin bereits mit der heutigen Gesetzgebung berücksichtigt werden könne. Sofern die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit einzelner Methoden nachgewiesen werde, sei eine Aufnahme in den Leistungskatalog der Grundversicherung möglich. Die vom Initiativtext verlangte „umfassende Berücksichtigung“ eröffne aber einen zu grossen Spielraum für Interpretationen, was zu nicht absehbaren Kosten führen könnte. Die Kommissionsminderheit aus SP und GP führte dagegen ins Feld, es gehe in erster Linie um eine angemessene Berücksichtigung der Komplementärmedizin in Lehre und Forschung sowie um das Bewahren der Heilmittelvielfalt, konnte sich aber nicht durchsetzen. Mit 93 zu 78 Stimmen lehnte der Nationalrat die Initiative ab
[14].
Auch im
Ständerat sprach sich niemand grundsätzlich gegen die Komplementärmedizin aus. Das Anliegen sei zwar sympathisch, die vorberatende Kommission lehne die Volksinitiative aber mehrheitlich ab, weil sie erheblich zu weit gehe, führte deren Sprecher aus. Büttiker (fdp, SO) schlug vor, das Wort „umfassend“ im Initiativtext zu streichen und die Formulierung „Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Berücksichtigung der Komplementärmedizin“ als
direkten Gegenvorschlag dem Volk zu unterbreiten. Er sei der Ansicht, dass Schul- und Komplementärmedizin vermehrt zusammenarbeiten sollten. Ein Verfassungsartikel sei nötig, weil die Komplementärmedizin sonst weiterhin an den Rand gedrängt würde. Der Vorteil seiner Formulierung liege darin, dass die Interpretation, wonach alle ärztlichen und nichtärztlichen Methoden in die Grundversicherung aufgenommen werden müssten, nicht mehr möglich sei. Ein zuvor von der Kommissionsminderheit eingebrachter Gegenvorschlag, der einen direkten Bezug zur Krankenversicherung herstellte, wurde zugunsten von Büttikers Variante zurückgezogen. Sommaruga (sp, BE), selber Mitglied des Initiativkomitees, unterstützte den Antrag Büttiker „im Sinne einer guten und auch mehrheitsfähigen Lösung“. Sie versprach, sich nach einer Annahme des Gegenvorschlags für einen Rückzug der Initiative einzusetzen. Bundesrat Couchepin blieb auch gegenüber dem neuen Vorschlag skeptisch und bezeichnete diesen als unnötig. Er befürchtete, dass Büttikers Formulierung in der Praxis ähnliche Schwierigkeiten bereite wie die Initiative selbst. Der Rat lehnte schliesslich die Initiative einstimmig ab, unterstützte aber den Gegenvorschlag Büttiker mit 36 zu 4 Stimmen. Gleichzeitig wurde die Behandlungsfrist um ein Jahr bis März 2009 verlängert, ein Vorgehen, welchem auch der Nationalrat zustimmte
[15].
Zu recht viel Unmut hatte 2005 der Entscheid des EDI geführt, fünf provisorisch in den Pflichtleistungskatalog nach KVG aufgenommene ärztliche
Alternativmethoden (Phytotherapie, Homöopathie, traditionelle chinesische Medizin, anthroposophische Medizin und Neuraltherapie) wieder zu streichen, da deren Wirksamkeit nicht wissenschaftlich habe nachgewiesen werden können. Vorstösse zur Korrektur dieses Entscheids wurden denn auch eingereicht. Gegen dessen Willen verpflichtete der Ständerat den Bundesrat mit einer mit 19 zu 3 Stimmen deutlich angenommenen Motion Forster (fdp, SG), bis Ende 2008 anhand von wissenschaftlichen Methoden, nicht aber zwingend nach den Kriterien der Schulmedizin, noch einmal zu untersuchen, ob die aus der obligatorischen Krankenversicherung ausgeschlossenen Therapieformen Homöopathie, anthroposophische Medizin und traditionelle chinesische Heilkunde den Nachweis der Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit gemäss Art. 32 KVG erbracht haben. Sollte dies für eine oder mehrere Methoden der Fall sein, so seien diese definitiv in den Grundleistungskatalog aufzunehmen
[16].
[14]
AB NR, 2007, S. 1239 f. und 1241 f.
[15]
AB SR, 2007, S. 1098 ff.;
AB NR, 2007, S. 1986.
[16]
AB SR, 2007, S. 796 ff. Zur Kontroverse um den Ausschluss der fünf komplementärmedizinischen Methoden vgl.
SPJ 2005, S. 183. Im NR sind noch eine Pa.Iv. und eine Motion (Geschäfte 07.424 und 07.3274) hängig, die eine stärkere Berücksichtigung der Alternativmedizin im KVG verlangen. Siehe auch oben (Epidemien).
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