Année politique Suisse 2007 : Politique sociale / Assurances sociales
 
Berufliche Vorsorge
Der Bundesrat verabschiedete seine Botschaft zur Strukturreform in der beruflichen Vorsorge zuhanden des Parlaments. Der Entwurf sieht eine Kantonalisierung der direkten Aufsicht vor. Die Oberaufsicht soll neu durch eine vom Bundesrat und der Bundesverwaltung unabhängige Kommission von Sachverständigen wahrgenommen werden, in der auch die Sozialpartner vertreten sind. Die bestehenden Governance-Bestimmungen werden erweitert mit dem Ziel, persönliche Interessen der Aktuare bei der Verwaltung der Gelder auszuschliessen. Die Revisionsvorlage enthält zudem Massnahmen, um die Beteiligung der älteren Menschen am Arbeitsmarkt zu fördern [16].
Mitte Jahr gab der Bundesrat einen Gesetzesentwurf zur Finanzierung öffentlich-rechtlicher Vorsorgeeinrichtungen in die Vernehmlassung. Mit der Neuregelung sollen diese Pensionskassen (insbesondere jene für das Staatspersonal), deren Finanzierung bisher aus Steuergeldern garantiert war, verpflichtet werden, ihre Finanzen offen zu legen. Vorsorgeeinrichtungen, deren Deckungskapital bei Inkrafttreten über 100% liegt, sollen zwingend im System der Vollkapitalisierung und nach den gleichen Regeln wie privatrechtliche Vorsorgeeinrichtungen weitergeführt werden. Institutionen mit einem Deckungsgrad unter 100% sollen innerhalb von 30 Jahren ausfinanziert sein [17].
Im Vorjahr hatte der Bundesrat dem Parlament den Antrag unterbreitet, den Mindestumwandlungssatz in der beruflichen Vorsorge rascher und weitgehender zu senken, als dies in der 1. BVG-Revision beschlossen worden war (gestaffelter Rückgang von 7,1 auf 6,8% bis ins Jahr 2014), nämlich beginnend mit 2008 bis 2011 auf 6,4%. Während die Senkung in der BVG-Revision aus demografischen Gründen erfolgte, wurde das Abweichen von Fahrplan und Zielsatz mit der anhaltend schwierigen Situation auf den Kapitalmärkten begründet, welche für die Zukunft Renditen, wie sie in der Vergangenheit erwirtschaftet werden konnten, als unwahrscheinlich erscheinen lassen. Im Ständerat erlitt die Vorlage vorerst Schiffbruch. Mit 22 zu 9 Stimmen trat die Kammer zwar gegen den Antrag der SP, welche die Senkung im jetzigen Zeitpunkt als unnötig erachtete, auf den Entwurf ein, konnte sich dann aber in der Detailberatung nicht einigen, ab wann und in welchem Ausmass die Senkung vorgenommen werden soll. Der Fahrplan des Bundesrates schien auch einer Mehrheit der Kommission als sozialpolitisch nicht umsetzbar, weshalb sie den Zeitrahmen der Senkung von drei auf fünf Jahre ausdehnen wollte. Schliesslich setzte sich dann ein Minderheitsantrag aus der CVP (David, SG und Schwaller, FR) und Teilen der FDP (Forster, SG und Saudan, VD) zu den Übergangsbestimmungen durch. Danach sollte der Umwandlungssatz erst ab 2014 innerhalb von vier Jahren von 6,8 auf 6,1% gesenkt werden. In der Gesamtabstimmung wurde dieser Kompromissvorschlag schliesslich mit 22 zu 11 Stimmen bei vier Enthaltungen abgelehnt: Dagegen stimmten die Abgeordneten der SP, die sich jeder schnelleren Senkung als der bei der 1. BVG-Revision beschlossenen widersetzten, so wie eine Mehrheit aus der SVP- und der FDP-Fraktion, die eine raschere Senkung wollten [18].
Spätestens seit den Diskussionen um den so genannten Rentenklau sind im Bereich der beruflichen Vorsorge die Forderungen nach mehr Transparenz bei den Formen und Performances der Anlagen der Sammelstiftungen, die oft von privaten Lebensversicherungsgesellschaften geführt werden, nicht mehr verstummt. Mit der vom Bundesrat in die Wege geleiteten weiteren Senkung des Mindestumwandlungssatzes wurden die Stimmen aus dem linken und gewerkschaftlichen Lager immer lauter, die als Gegenstück zur Senkung eine nachvollziehbare Offenlegung der Finanzen der Kollektivversicherungen verlangen. Insbesondere wurde den privaten Versicherungsgesellschaften immer wieder unterstellt, sie würden die Ergebnisse der Anlagen des BVG-Kollektivvermögens zu niedrig ausweisen, um mit den erzielten Gewinnen eine Quersubventionierung der für sie attraktiveren Einzellebensversicherungen vorzunehmen. Mit Zustimmung des Bundesrates, der auf bereits laufende Arbeiten verwies, wurde ein Postulat Robbiani (cvp, TI) angenommen, welches einen Grundlagenbericht zum Öffentlichkeitsprinzip bei der Verwaltung der BVG-Gelder verlangt [19].
Mit einer parlamentarischen Initiative hatte Robbiani (cvp, TI) 2004 beantragt, dass aus Gründen der Steuergerechtigkeit für die Quellenbesteuerung der Leistungen aus der 2. Säule und der Säule 3a nicht der Sitzkanton der Sammelstiftung, sondern der letzte Wohnsitzkanton des Begünstigten zuständig sein sollte, falls dieser zwischenzeitlich im Ausland lebt. Die zuständigen Kommissionen beider Kammern hatten der Initiative Folge gegeben, weil damit jenen Kantonen, die während der Erwerbstätigkeit des Begünstigten beim steuerlichen Einkommen Abzüge für die berufliche Vorsorge zulassen mussten, im Gegenzug die Einnahmen aus der Quellensteuer zufliessen sollten. Der Bundesrat beantragte Nichteintreten auf die Vorlage, weil damit ein erheblicher administrativer Mehraufwand entstehen würde. Er konnte sich mit Unterstützung von FDP und SVP knapp durchsetzen [20].
Die grosse Kammer nahm ein Postulat ihrer WAK an, welches den Bundesrat beauftragt, einen Bericht über die Über- und Unterbesteuerung der privaten Altersvorsorge vorzulegen. Insbesondere soll er aufzeigen, welche steuerlichen Effekte beim Bezug von Pensionskassen-Geldern oder Säule-3a-Geldern und anschliessender Umwandlung in eine Leibrente eintreten. Im Weiteren soll er die künftige steuerliche Behandlung von Schweizer Grenzgängern, die zwar in der Schweiz wohnen, aber im grenznahen Ausland besteuert werden, in Bezug auf die Säulen 3a und 3b aufzeigen [21].
Der Nationalrat überwies ein Postulat Robbiani (cvp, TI), das den Bundesrat um einen Bericht ersucht zur versicherungsrechtlichen Problematik von Personen, welche Temporärarbeit leisten. Werden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen für ein Beschäftigungsverhältnis von unter drei Monaten eingestellt, so riskieren sie, von der beruflichen Vorsorge ausgeschlossen zu werden, auch wenn sie regelmässig wiederbeschäftigt werden [22].
Zu den Pensionskassen des Bundes und der bundesnahen Betriebe siehe oben, Teil I, 1c (Verwaltung).
Die liechtensteinische Gesetzgebung verlangt spätestens ab Januar 2007 die Schaffung oder Bestimmung eines Sicherheitsfonds für die betriebliche Personalvorsorge. Liechtenstein trat deshalb mit dem Anliegen an die Schweiz heran, ihre Vorsorgeeinrichtungen dem schweizerischen Sicherheitsfonds BVG anzuschliessen. Die getroffene Vereinbarung sieht vor, dass die Aufgaben des liechtensteinischen Sicherheitsfonds vollumfänglich vom schweizerischen Sicherheitsfonds BVG übernommen werden. Die Vereinbarung wurde seit dem 1. Januar 2007 vorläufig angewendet. Im Berichtsjahr mussten die Räte ihre Zustimmung zum Übereinkommen geben, was auch oppositionslos geschah. Dabei wurde explizit festgehalten, dass dies ohne Einkauf geschieht, weil der Fonds ein rein schweizerisches Gebilde bleiben muss, und dass die Schweiz keine Mitbestimmung gewährt; nicht der Staat Liechtenstein, sondern die dort domizilierten Pensionskassen treten dem Fonds bei [23].
Der Bundesrat beschloss, den Mindestzinssatz für die Gelder in der beruflichen Vorsorge für das Jahr 2008 von 2,5 auf 2,75% herauf zu setzen. Er stützte sich bei seinem Entscheid insbesondere auf die langfristige Durchschnittsrendite der 7-jährigen Bundesobligationen (2,6%). Zudem berücksichtigte er die Ertragsmöglichkeiten von Aktien, Anleihen und Liegenschaften. Die BVG-Kommission und die Arbeitgeber hatten sich ebenfalls für 2,75% ausgesprochen, während die Gewerkschaften 3% für angemessen gehalten hätten [24].
 
[16] BBl, 2007, S. 5669 ff.
[17] Presse vom 28.6.07; Lit. Brechbühl.
[18] AB SR, 2007, S. 453 ff. Siehe SPJ 2006, S. 203.
[19] AB NR, 2007, S. 574. Siehe dazu eine Interpellation im SR (AB SR, 2007, S. 39 f. und 815 ff.) und zwei im Plenum des NR noch nicht behandelte Interpellationen der SP-Fraktion (Geschäfte 06.3644 und 06.3719). Ende August verabschiedete der BR einen Bericht zur Überschussverteilung in der BV, der zum Schluss kam, dass sich die Transparenz seit der BVG-Revision 2004 verbessert hat (Presse vom 30.8.07).
[20] AB NR, 2007, S. 618 ff. Eine Motion Robbiani mit der gleichen Stossrichtung wurde ebenfalls verworfen (AB NR, 2007, S. 1512).
[21] AB NR, 2007, S. 1512. Zu steuerlichen Schlupflöchern bei der zweiten und dritten Säule siehe auch eine Interpellation im NR (AB NR, 2007, S. 1521).
[22] AB NR, 2007, S. 1714.
[23] AB SR, 2007, S. 453 und 1212; AB NR, 2007, S. 1694 ff. und 2077.
[24] Presse vom 30.8.07.