Année politique Suisse 2007 : Politique sociale / Assurances sociales / Krankenversicherung
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Volksinitiative für eine Einheitskasse
Am 11. März stimmte das Volk über die sowohl vom Bundesrat als auch vom Parlament zur Ablehnung empfohlene Volksinitiative „Für eine soziale Einheitskrankenkasse“ ab. Diese war von einer in der Westschweiz aktiven Bewegung „Mouvement Populaire des Familles (MPF)“ mit Unterstützung links-grüner Kreise aus weiteren Teilen der Schweiz lanciert und 2004 eingereicht worden. Sie verlangte eine einzige Krankenkasse in der obligatorischen Grundversicherung unter Federführung des Bundes und die Erhebung der Prämien nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten, also die Abkehr vom heute geltenden System der so genannten Kopfprämien [25].
Der Abstimmungskampf artete weitgehend in eine Spiegelfechterei über Zahlen aus. Das linke Lager (SP, GP, CSP, PdA und der SGB) vertrat die Auffassung, eine Einheitskasse würde den kostenintensiven Wettbewerb der Versicherungen in ihrer Jagd nach den so genannten guten Risiken (junge, männliche Versicherte, die kaum Leistungen in Anspruch nehmen) unterbinden und den unteren Mittelstand und die Familien merklich entlasten. Das bürgerliche Lager warnte vor zunehmender Bürokratie und dem Weg in eine Staatsmedizin. Da der Initiativtext nicht klar mache, ob nicht auch Staatsgelder in die Finanzierung des neuen Systems fliessen müssten, würden zudem ihrer Ansicht nach die unteren Einkommen über notwendig werdende Steuererhöhungen unter dem Strich eher stärker belastet, da das heute wirksame Instrument der Prämienverbilligung für tiefe Einkommen und Familien hinfällig würde [26].
Besonders sauer stiess den Befürwortern die Rolle von Santésuisse auf, dem Dachverband der Krankenversicherer. Bereits in der Ständeratsdebatte hatte Fetz (sp, BS) einen aus Prämiengeldern gespiesenen und mit 7 Mio Fr. dotierten Politfonds von Santésuisse kritisiert. Brändli (svp, GR), Präsident von Santésuisse, hatte zugeben müssen, dass ein Teil der Fondsgelder tatsächlich in diese Abstimmungskampagne fliesse [27].
In der Volksabstimmung vom 11. März lehnten Volk und Stände die Initiative mit 71,2% Nein-Stimmen sehr deutlich ab. Obwohl es sich um das einzige nationale Abstimmungsthema gehandelt hatte, war die Beteiligung mit 46% recht hoch. Mit Ausnahme von Neuenburg (51,3%) und Jura (57,7%) verwarfen alle Kantone, am klarsten die ländlichen Gegenden der Zentral- und Ostschweiz. Aber auch im Aargau, in Zürich und St. Gallen erreichten die Initianten kaum 20% Zustimmung. Da die Initiative in den grossen französischsprachigen Kantonen Genf und Waadt ebenfalls abgelehnt wurde, konnte auch nicht von einem Graben zwischen den Sprachregionen die Rede sein. Die Vox-Analyse zeigte, dass die Idee einer Einheitskrankenkasse nicht einmal bei den Sympathisanten der SP ungeteilte Unterstützung fand: Sie sprachen sich nur im Verhältnis zwei zu eins für die Initiative aus. Anhänger der drei bürgerlichen Regierungsparteien lehnten sie mit 85-90%-Mehrheiten ab [28].
Volksinitiative für eine Einheitskrankenkasse
Abstimmung vom 11. März 2007

Beteiligung: 46,0%
Ja: 641 917 (28,8%)
Nein: 1 590 213 (71,2%)

Parolen:
Ja: SP, GP, CSP, PdA; SGB.
Nein: CVP, FDP, SVP, LP, EVP, EDU, FPS, SD, Lega; Economiesuisse, SGV, SBV.
Stimmfreigabe: Travail.Suisse.
 
[25] Siehe SPJ 2004, S. 191 f. und 2006, S. 205.
[26] Bund, 17.1.07; AZ und NZZ, 20.1.07; Presse vom 1.2.-10.3.07.
[27] BaZ, 20.1.07.
[28] BBl, 2007, S. 3229 f.; Presse vom 12.3.07; Nai, Alessandro / Lloren, Anouk, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 11. März 2007, Genf und Bern 2007.