Année politique Suisse 2008 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Sozialdemokratische Partei (SP)
An einem ausserordentlichen Parteitag am 1. März wählten die SP-Delegierten den Freiburger Nationalrat Christian Levrat einstimmig zum neuen Parteipräsidenten. Er war der einzige Kandidat für das Amt. Auf einen Vorschlag Levrats hin beschloss die SP, ihr Parteipräsidium zu erweitern. Neben der Bisherigen Silvia Schenker (BS) wurden Pascale Bruderer (AG), Jacqueline Fehr (ZH), Marina Carobbio (TI) und Stéphane Rossini (VS) zu neuen VizepräsidentInnen der Partei gewählt. Pierre-Yves Maillard trat als Vizepräsident zurück. Der abtretende Parteipräsident Hans-Jürg Fehr hatte sich im Vorfeld geäussert, dass die bestehende SP-Geschäftsleitung als Organ für die operative Führung nicht mehr geeignet sei. Die 14-köpfige Geschäftsleitung solle sich vermehrt auf die strategische Planung konzentrieren, während ein erweitertes Präsidium die operative Leitung übernehmen solle. Levrat äusserte in seiner Rede die Überzeugung, dass die SP sich wieder stärker als soziale Bewegung verstehen müsse, um erfolgreich zu sein. Thematisch solle sich die SP auf wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit konzentrieren. Als Ziel nannte Levrat einen Wahlsieg bei den eidgenössischen Wahlen 2011. Die SP-Delegierten beschlossen die Nein-Parole zur Einbürgerungsinitiative der SVP, zur Initiative „Volkssouveränität statt Behördenpropaganda“ und zum Gesundheitsartikel [4].
Im Mai konnte die SP ihre Steuergerechtigkeitsinitiative einreichen. Nach den ursprünglichen Plänen hätte die Volksinitiative bereits vor den Wahlen 2007 eingereicht werden sollen. Die SP kündigte ein neues Mittel zum Unterschriftensammeln für Initiativen und Referenden an: Ein „Referendum-Club“, dessen Mitglieder jeweils mindestens 10 Unterschriften sammeln sollen [5].
An ihrer Delegiertenversammlung Ende Juni in Freiburg diskutierte die SP über die Bildungs- und Familienpolitik. Die gesamtschweizerische Harmonisierung des Bildungswesens durch das Konkordat Harmos wurde positiv beurteilt. Die Delegierten verabschiedeten ein Thesenpapier zur Bildung, in dem unter anderem die flächendeckende Einführung von Gratis-Tagesschulen gefordert wurde. Keine Chance hatte ein Antrag von Chantal Galladé (ZH), die freie Schulwahl nicht abzulehnen. Galladé hatte argumentiert, bereits heute könnten reiche Familien faktisch durch Umzug die Schule wählen. Mit der freien Schulwahl würde daher die Chancengleichheit erhöht. Gegner der freien Schulwahl argumentierten insbesondere mit den hohen Kosten, die diese verursachen würde. Bezüglich der Finanzierung von Kinderkrippen fiel das Fazit der Delegierten anders aus als noch im März 2007, als entschieden worden war, das Modell der Betreuungsgutschriften weiterzuverfolgen. Nun wurde dieses zur Überarbeitung an die Parteileitung zurückgewiesen. Zurzeit kommen nur Personen mit tiefem Einkommen über subventionierte Krippenplätze in den Genuss staatlicher Unterstützung. Betreuungsgutscheine könnten auch Familien der Mittelschicht entlasten. Vor allem Delegierte aus der Romandie kritisierten jedoch dieses Modell. Die SP-Delegierten fassten folgende Abstimmungsparolen: Ja zur Volksinitiative „für eine vernünftige Hanfpolitik mit wirksamem Jugendschutz“, Ja zum revidierten Betäubungsmittelgesetz und Nein zur Volksinitiative für die Beschränkung des Verbandsbeschwerderechts [6].
Viel zu reden gab im Sommer der Vorschlag des Parteipräsidiums für ein Positionspapier zur Sicherheitspolitik. Dieses Papier war ausgearbeitet worden, als eine interne Umfrage nach den nationalen Wahlen 2007 zeigte, dass viele Personen in der SP-Basis die Behandlung des Themas Sicherheit durch die Partei als mangelhaft betrachteten. Inhaltlich enthielt das nun vorgestellte Papier zwar wenig Neues, weitgehend wurden bereits gesetzlich verankerte Massnahmen erwähnt. Die verwendete Sprache – Begriffe wie „Ausländerkriminalität“ oder „herumhängende Jugendliche“ – löste in Teilen der Partei jedoch Widerstand aus. Stärker als bisher wurden im Papier neben der Prävention auch einige repressive Massnahmen befürwortet, wie etwa punktuelle Videoüberwachung, ein Verbot organisierter Bettelei, Stadion- und Rayonverbote für Hooligans und die rasche Ausweisung von „Kriminaltouristen“. Insbesondere die Juso bezeichneten das Positionspapier deshalb als zu repressiv. Weitere Kritiker argumentierten, dass sich die Sicherheitslage in der Schweiz nicht verschlechtert habe und daher kein Grund für eine Neupositionierung der SP bestehe. Befürwortende Stimmen wie diejenige der als Vorsteherin der zuständigen Fachkommission an der Ausarbeitung beteiligten Evi Allemann (BE) bezeichneten das Papier dagegen als ausgewogen. Es wurde im September überarbeitet [7].
Ende August wurde unter dem Titel „Klarheit in der Analyse“ der erste Teil des sich in Überarbeitung befindenden Parteiprogramms der SP vorgestellt. Das geltende SP-Parteiprogramm ist seit 1982 in Kraft. Eine Revision hatte der ehemalige Präsident Hans-Jürg Fehr vorgeschlagen, der auch die Leitung der Ausarbeitung innehat. Für die SP stellt sich unter anderem die Frage, ob sie am Fernziel der „Überwindung des Kapitalismus“ festhalten soll. Im Entwurf für ein neues Parteiprogramm ist nun die Rede davon, dass ein partizipatives Menschenbild in der Politik mit einem autoritären Menschenbild in der Wirtschaft nicht koexistieren könne. Nötig sei deshalb eine „Demokratisierung aller demokratisierbaren Bereiche“ [8].
Im September gab die SP ihre Schwerpunkte für die kommenden drei Jahre bekannt: Soziale Gerechtigkeit (gegen Sozialabbau bei ALV und IV, für eine Modernisierung der Sozialwerke), Erhöhung der Kaufkraft (höhere Löhne, Renten und Kinderzulagen sowie tiefere Lebenshaltungskosten) und Förderung der erneuerbaren Energien. Mit diesen Themen wolle die SP sowohl die Arbeiter- als auch die Mittelschicht ansprechen [9].
Im Oktober äusserte die SP Kritik am staatlichen Rettungspaket für die von der Finanzkrise stark betroffene Grossbank UBS. Levrat forderte die Gründung einer Auffanggesellschaft durch Bund und Kantone, welche die Bank mit Kapital versorgen und dafür umgekehrt UBS-Aktien erhalten solle. Das Darlehen der Nationalbank an die UBS im Umfang von 60 Mia Fr. sei zudem zu hoch. Die SP forderte weiter strengere Eigenkapitalvorschriften für Banken und ein Verbot risikotreibender Boni [10].
An der Delegiertenversammlung der SP in Aarau am 25. Oktober war die Wirtschaftskrise eines der Hauptthemen. Die SP-Delegierten verabschiedeten zwei Resolutionen zu diesem Thema: Erstens forderten sie, dass ein Manager nicht mehr verdienen soll als ein Bundesrat (ca. 440 000 Fr./ Jahr). Zweitens verlangen sie ein Investitionsprogramm des Bundes zur Konjunkturstützung. Das Sicherheitspapier der SP wurde in überarbeiteter Form von den Delegierten mit 281 Ja zu 7 Nein verabschiedet. Die Parteileitung konnte sich dabei in allen wichtigen Punkten durchsetzen. Der Begriff „Ausländerkriminalität“ wurde jedoch auf Antrag der SP Basel-Stadt gestrichen. Widerstand gab es auch gegen die Forderung nach Videoüberwachung. Einen Antrag auf ein Verbot derselben verwarfen die Delegierten aber. Es wurde zudem die Position eingenommen, dass Ausländer der ersten Generation, die schwer straffällig geworden sind, nach einer Einzelfallprüfung ausgewiesen werden sollen. Eine weitere neue Forderung im Positionspapier war die nach einer Aufstockung der Polizeikräfte. Die SP-Delegierten bestätigten Christian Levrat als Parteipräsidenten. Umstritten war die Wahl Cédric Wermuths (Juso) in das Vizepräsidium anstelle der zurücktretenden Silvia Schenker. Wermuth wurde dafür kritisiert, dass er empfohlen hatte, die UBS bankrott gehen zu lassen. Er wurde schliesslich mit 214 zu 168 Stimmen gewählt. Für die Personenfreizügigkeit mit der EU beschlossen die Delegierten mit 293 zu 15 Stimmen die Ja-Parole. Sie befürworteten zudem die Initiative des SGB für ein flexibles AHV-Alter. Weiter wurde eine Statutenänderung bewilligt, welche die operative Parteileitung dem erweiterten Präsidium als neuem Organ der Partei überträgt [11].
Nach Bundesrat Schmids Rücktritt im November bestätigte die SP grundsätzlich den Anspruch der SVP auf den frei gewordenen Sitz. Sie wolle nicht mit der Konkordanz brechen, aber auch nicht irgendeinen von der SVP favorisierten Hardliner wählen. Die SP-Parlamentarier gaben ihre Stimme aller Wahrscheinlichkeit nach grösstenteils dem Thurgauer Hansjörg Walter (svp) [12].
 
[4] NZZ, 12.1., 27.2. und 3.3.08; AZ, 16.1. und 6.2.08; BaZ und TA, 1.3.08; Bund und LT, 3.3.08.
[5] Initiative: Siehe SPJ 2007, S. 325. Referendum-Club: BaZ, 6.5.08.
[6] SoZ, 29.6.08; LT, NZZ und TA, 30.6.08. Siehe SPJ 2007, S. 325.
[7] NZZ, 1.7., 4.8. und 9.10.08; WoZ, 17.7.08; AZ, 3.9.08; BZ und Bund, 9.9.08. Siehe SPJ 2007, S. 325 f.
[8] NZZ, 30.8.08; BaZ, 2.9.08. Siehe SPJ 2006, S. 288 f.
[9] Bund, 13.9.08.
[10] TA, 2.10. und 21.10.08; AZ, 21.10.08.
[11] Presse vom 27.10.08.
[12] SGT, 27.11.08; Bund, 24.12.08. Siehe dazu oben, Teil I, 1c (Regierung).