Année politique Suisse 2008 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique
Bürgerrecht und Stimmrecht
Am 1. Juni lehnten Volk und Stände die von der SVP eingereichte Volksinitiative zur Einbürgerungspolitik („für demokratische Einbürgerungen“) deutlich ab. Diese wollte erreichen, dass erstens jede Gemeinde selbst bestimmen kann, nach welchem Verfahren sie einbürgern will, und dass zweites dieser Entscheid endgültig, das heisst nicht beschwerdefähig sein soll. Die Initiative widersprach damit dem Urteil des Bundesgerichts aus dem Jahre 2003, wonach ein negativer Entscheid begründet werden muss und eine Beschwerde, zum Beispiel wegen Diskriminierung oder Willkür gegen diesen eingereicht werden kann. Die Initiative griff aber auch in die kantonale Hoheit über die Gemeindeorganisation ein.
Die SVP rezyklierte in der Abstimmungskampagne das Motto und das Inserate- und Plakatsujet aus ihrem Kampf gegen die erleichterte Einbürgerung aus dem Jahre 2004: Ein Slogan, der dazu aufrief, die „Masseneinbürgerung“ zu stoppen und ein Bild mit Händen verschiedener Hautfarbe, die sich frei mit Schweizer Pässen bedienen. In der Kampagne fuhr die SVP auf zwei Schienen. Auf der einen Seite gab sie sich als Verteidigerin der direktdemokratischen Volksrechte. Auf der anderen Seite empfahl sie ihre Initiative als Mittel im Kampf gegen die Einwanderung, gegen kriminelle Ausländer und generell gegen „die Missstände in der Ausländerpolitik“. Besonders stark engagierte sich der ehemalige SVP-Bundesrat Blocher, der auch in der Arena-Sendung des Deutschschweizer Fernsehens als Hauptexponent der Initianten auftrat. An den Plakatwänden und bei den Inseraten in der Presse dominierten die Botschaften der Initianten um ein Mehrfaches. Auf der Seite der SVP kämpften die kleinen Rechtsaussenparteien und die AUNS sowie, mit massivem Geldeinsatz, ein aus einigen wenigen Politikern der FDP und der CVP gebildetes Komitee mit dem Namen „Bürgerrechte stärken“. Etwas überraschend hatte auch der Gewerbeverband die Ja-Parole ausgegeben; er engagierte sich in der Kampagne allerdings nicht.
Auf der Gegenseite standen alle übrigen Parteien und die Gewerkschaften, wobei auf nationaler Ebene die Linke mit den Gewerkschaften und die Vertreter der bürgerlichen Parteien zwei separate Abstimmungskomitees bildeten. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse bezog keine Stellung
[16].
VI „für demokratische Einbürgerungen“
Abstimmung vom 1. Juni 2008
Beteiligung: 45,2%
Ja: 804 730 (36,2%) / 1 Stand
Nein: 1 415 249 (63,8%) / 19 6/2 Stände
Parolen:
– Ja: SVP, EDU (1)*, SD, Lega, FPS; SGV.
– Nein: FDP (2)*, CVP, SP, GP, GLP, EVP, LP, CSP, PdA; SGB, Travail.Suisse.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Das Resultat fiel bei einer Beteiligung von 45% mit
1 415 249 Nein gegen 804 730 Ja deutlich aus. Nur gerade im Kanton Schwyz, wo die Urnenabstimmung über Einbürgerungen Tradition hat, stellte sich eine Mehrheit (60%) hinter die SVP-Initiative. Relativ knapp abgelehnt wurde das Begehren in den Kantonen der Zentral- und der Ostschweiz. In den grossen Mittellandkantonen Bern und Zürich stimmten weniger als 40% für die Initiative. Am geringsten fiel die Unterstützung in der Romandie aus, wo mehr als 80% mit Nein stimmten. Die nach der Abstimmung durchgeführte repräsentative Befragung ergab, dass die Sympathisanten der SVP nahezu geschlossen für, die Anhänger der drei anderen Regierungsparteien und die Parteiunabhängigen aber sehr deutlich dagegen gestimmt hatten
[17].
Mit der Ablehnung der SVP-Volksinitiative am 1. Juni konnte der auf eine
parlamentarische Initiative Pfisterer (fdp, AG) zurückgehende indirekte Gegenvorschlag in Kraft treten
[18]. Beide Ratskammern lehnten
Standesinitiativen der Kantone Luzern und Aargau aus dem Jahr 2004 ab, da die darin enthaltenen Forderungen in der Debatte über die Initiative Pfisterer bereits behandelt worden waren
[19].
Noch vor der Volksabstimmung hatte der Nationalrat einer
Standesinitiative des Kantons Schwyz keine Folge gegeben. Diese hatte verlangt, dass ein Einbürgerungsverfahren ohne Beschwerdemöglichkeit zumindest für nicht in der Schweiz geborenen Anwärter möglich sein soll. Der Ständerat, welcher diese Initiative im Jahre 2004 noch unterstützt hatte, sprach sich nun auch dagegen aus
[20].
In der Herbstsession gab der Nationalrat mit 119 zu 49 Stimmen einer parlamentarischen Initiative der SVP-Fraktion keine Folge, welche die
Abschaffung der erleichterten Einbürgerung verlangt hatte. Reimann (svp, SG) hatte zur Begründung dieses Vorstosses argumentiert, dass wegen der erleichterten Einbürgerung mit ihren verkürzten Wohnsitzpflichten für Ehegatten von Schweizerbürgern und für hier Aufgewachsene viele schlecht integrierte Personen das Bürgerrecht erhalten würden. Keine Chance hatte auch eine weitere parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion. Diese forderte die
Aberkennung des schweizerischen Bürgerrechts für Eingebürgerte mit doppelter Nationalität, welche erheblich oder wiederholt gegen die Rechtsordnung verstossen haben. Abgesehen von der geschlossenen SVP-Fraktion und dem EDU-Vertreter Waber (BE) vermochte sich niemand für diese Ungleichbehandlung von Schweizer Bürgern zu erwärmen
[21].
Etwas besser erging es einer anderen parlamentarischen Initiative der SVP-Fraktion, welche zusätzlich zur Wohnsitzpflicht von zwölf Jahren verlangte, dass die gesuchstellende Person während mindestens sieben Jahren im
Besitz einer Niederlassungsbewilligung gewesen sein muss. Es sollte damit verhindert werden, dass zum Beispiel abgewiesene Asylbewerber, die sich provisorisch in der Schweiz aufhalten dürfen, eingebürgert werden. Der Nationalrat entschied zwar mit 103 zu 54 Stimmen, dem Vorstoss keine Folge zu geben. Er nahm aber zur Kenntnis, dass die Staatspolitischen Kommissionen beider Räte zuvor einer weniger weit gehenden parlamentarischen Initiative der SVP-Fraktion Folge gegeben hatten, welche verlangt, dass nur eingebürgert werden darf, wer über eine Niederlassungsbewilligung verfügt
[22]. Relativ knapp mit 85 zu 73 Stimmen lehnte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion ab, die
Bezüger von Invalidenrenten oder Sozialhilfe von der Einbürgerung ausschliessen wollte. Neben der geschlossenen SVP hatte sich auch eine klare Mehrheit der FDP hinter diesen Vorstoss gestellt
[23].
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats hatte im Herbst 2007 die parlamentarische Initiative Allemann (sp, BE) für eine Senkung des aktiven
Stimmrechtalters auf
16 Jahre unterstützt. Nachdem sich die Schwesterkommission des Ständerates im Januar des Berichtsjahres aber mit neun zu drei Stimmen dagegen ausgesprochen hatte, kam sie auf ihren Entscheid zurück. Sie empfahl dem Plenum nun mit 15 zu 8 Stimmen, der Initiative keine Folge zu geben. Dabei übernahm sie das Hauptargument des Bundesrates, dass nicht über politische Fragen entscheiden solle, wer nicht auch rechtlich als entscheidungsfähig gelte. Zudem sprach sich die Kommissionsmehrheit auch gegen unterschiedliche Alterslimiten für das aktive und das passive Wahlrecht aus. Neben der geschlossenen SP und der fast einstimmigen GP unterstützten bloss vereinzelte Bürgerliche den Vorstoss, der mit 107 zu 61 Stimmen abgelehnt wurde
[24].
Die Regierung des Kantons
Bern beantragte gegen Jahresende eine Verfassungsänderung für die Senkung des Wahlrechtsalters auf 16 Jahre. Das Parlament hatte im Vorjahr die Regierung mit einer Motion zu diesem Schritt aufgefordert. In der Vernehmlassung im Sommer hatte sich gezeigt, dass die Positionen der Parteien unverändert geblieben waren: SP, GP und EVP sprachen sich für, SVP, FDP, BDP und EDU gegen die Neuerung aus. In
Basel-Stadt, wo das Parlament im Jahr 2007 und im Januar des Berichtsjahres Vorstösse für eine Senkung des Wahlrechtsalters unterstützt hatte, legte die Regierung dem Parlament im April einen Antrag auf eine entsprechende Verfassungsrevision vor. Im Kanton
Uri reichten die Jungsozialisten eine Volksinitiative für das Wahlrechtsalter 16 ein, die in der Folge auch von der Regierung unterstützt wurde
[25].
Im Kanton Bern lehnte das Parlament mit klarer Mehrheit eine Motion der EVP ab, die schweizerischen
Kindern von ihrer Geburt an das aktive Stimmrecht erteilen wollte. Für Minderjährige würde dieses treuhänderisch von den Eltern ausgeübt. Die EVP argumentierte, dass mit dieser verstärkten Stimmkraft für junge Familien in der Politik auch vermehrt die Interessen der zukünftigen Generationen berücksichtigt würden
[26].
Die in der Deutschschweiz bisher nahezu erfolglosen Befürworter des Ausländerstimmrechts unternahmen einen neuen Anlauf. Linke und gewerkschaftliche Kreise reichten im Kanton
Bern eine Volksinitiative für die Einführung des fakultativen kommunalen Stimmrechts für Ausländer ein, die seit mindestens zehn Jahren in der Schweiz und seit mindestens fünf Jahren im Kanton wohnen
[27].
[16]
NZZ, 19.3.08; Presse vom 31.3.-31.5.08;
Bund, 26.4.08 (Komitee „Bürgerrechte stärken“);
NZZ, 10.5.08 (Blocher);
TA, 17.5.08 (Arena);
Sonntags-Blick, 25.5.08 (Inserat „Missstände …“);
SGT, 29.5.08;
TA, 31.7.08 (Kampagneausgaben). Gegner der Initiative publizierten auch eine Aufsatzsammlung (
Lit. Gross). Siehe
SPJ 2007, S. 20 f.
[17]
BBl, 2008, S. 6161 ff.; Presse vom 2.6.08; Engeli, Isabelle e.a.,
Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 1. Juni 2008, Genf und Bern 2008.
[18]
BBl, 2008, S. 6151 f. Siehe
SPJ 2007, S. 20 f.
[19]
AB SR, 2008, S. 80;
AB NR, 2008, S. 1347 (LU) und 1348 (AG).
[20]
AB NR, 2008, S. 459 f.;
AB SR, 2008, S. 368. Siehe
SPJ 2004, S. 21.
[21]
AB NR, 2008, S. 1348 f. (erleichterte Einbürgerung) und 1064 f. (Ausbürgerung).
[22]
AB NR, 2008, S. 1184 f.
[23]
AB NR, 2008, S. 1185 f. Zur Zahl der Einbürgerungen siehe unten, Teil I, 7d (Ausländerpolitik).
[24]
AB NR, 2008, S. 1297 ff.;
AZ, 14.2.08. Siehe
SPJ 2007, S. 22.
[25] Bern:
Bund, 28.6., 4.10. und 13.12.08. Basel:
BaZ, 4.1. und 16.4.08. Uri:
NLZ, 9.4. und 29.12.08. Siehe
SPJ 2007, S. 22.
[26]
Bund, 22.1.08. Siehe dazu auch
BaZ, 12.3.08.
[27]
Bund und
BZ, 12.8.08;
Bund, 29.8.08. Bisher kennen in der Deutschschweiz nur die Kantone AR und GR das fakultative kommunale Ausländerstimmrecht.
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