Année politique Suisse 2008 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
 
Parlament
Auf Antrag seiner Staatspolitischen Kommission lehnte der Nationalrat mit 106 zu 56 Stimmen eine parlamentarische Initiative der SVP ab, welche die Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle der vorberatenden Kommissionen verlangte. Während Mörgeli (svp, ZH) argumentierte, dass die Bürgerinnen und Bürger damit das Verhalten der von ihnen Gewählten besser kontrollieren könnten, befürchtete eine Mehrheit der SPK davon negative Auswirkungen auf die Parlamentsarbeit. Insbesondere würde damit der Spielraum der Parlamentsmitglieder eingeschränkt und die Suche nach mehrheitsfähigen Kompromissen erschwert [19].
Ende November wurde die umfangreiche Renovation des Bundeshauses mit einem Tag der offenen Türen feierlich abgeschlossen. Die Umbau- und Wiederinstandstellungsarbeiten des Parlamentsgebäudes hatten knapp drei Jahren gedauert und rund 100 Mio Fr. gekostet [20].
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Instrumente
Die SPK des Nationalrats legte eine parlamentarische Initiative vor, welche Anliegen aus verschiedenen in den letzten Jahren eingereichten Vorstössen von Ratsmitgliedern aufnahm. Das Hauptziel der Vorlage war eine Aufwertung der Motion und des Postulats in den Verhandlungen des Nationalrats. Durch eine Ausdehnung der Sitzungsdauer und verkürzte Redezeiten in gewissen Eintretensdebatten soll genügend Zeit für die Behandlung von persönlichen Vorstössen gewonnen werden. Vorstösse, die als mehrheitsfähig erscheinen, weil sie bereits von der anderen Ratskammer oder einer Kommissionsmehrheit angenommen worden sind, sollen konsequent prioritär behandelt werden. Das bisherige Vorgehen, Vorstösse von der Traktandenliste zu streichen, wenn sie zwei Jahre nach ihrer Einreichung vom Rat noch nicht behandelt worden sind, soll aufgegeben werden. Über diese würde in Zukunft wieder abgestimmt, allerdings ohne vorangehende Diskussion. Während diese Neuerungen nur den Nationalrat betreffen, schlug die SPK-NR auch einige Änderungen für beide Räte vor. Um Zeit zu gewinnen, soll das Differenzbereinigungsverfahren bei der Vorberatung von parlamentarischen Initiativen durch die Ratskommissionen gestrafft, die Plenumsberatung über in beiden Räten eingereichte identische Kommissionsmotionen gekürzt und auf eine obligatorische Mitwirkung der Finanzkommissionen bei der Vorberatung ausgabenrelevanter Vorlagen verzichtet werden. In diese Sammelvorlage nahm die SPK auch noch die Umsetzung von zwei weiteren parlamentarischen Anliegen auf. Zum einen ging es um eine von Nationalrat Hochreutener (cvp, BE) 2005 eingereichte parlamentarische Initiative, welche eine präzise Regelung des Verfahrens im Falle der Amtsunfähigkeit eines Mitglieds des Bundesrates verlangt. Wir behandeln dieses Thema oben unter dem Titel Regierung. Zum anderen ging es um die Umsetzung der im Vorjahr vom Parlament überwiesenen Motion Markwalder (fdp, BE) für eine generationsverträgliche Politik. Der Bundesrat soll in Zukunft in seinen Botschaften auch ausführen, inwiefern seine Vorschläge mit den Interessen künftiger Generationen vereinbar sind [21].
Das Parlament verabschiedete diese neuen Bestimmungen bereits in der Herbstsession. Das Eintreten war im Nationalrat unbestritten und auch in der Detailberatung gab es nur wenige Änderungsanträge. Sehr umkämpft war allerdings die so genannte Guillotineklausel für Motionen und Postulate. Das Ratsbüro opponierte gegen den ursprünglichen Antrag der SPK. Sein Argument, ein Abstimmungsmarathon über alle nach zwei Jahren noch nicht erledigten Vorstösse am Sessionsende sei unzumutbar, überzeugte auch eine Mehrheit der SPK. Diese schlug deshalb in der Ratsdebatte die Beibehaltung des Status quo (automatische Abschreibung) vor und setzte sich damit gegen den Widerstand der SP und der GP durch. Der Ständerat war mit diesen Beschlüssen weitgehend einverstanden. Er lehnte aber die Neuerung ab, dass ein Vorstoss nicht nur von einer einzelnen Person eingereicht werden kann, sondern auch gemeinsam von zwei oder drei Ratsmitgliedern aus verschiedenen Fraktionen. Da diese Lösung, welche den parteiüberschreitenden Charakter einer Intervention hervorheben soll, für den Nationalrat von einer gewissen Bedeutung sein könne, solle er sie jedoch für sich in seinem Ratsreglement einführen dürfen. Nachdem die Parlamentsdienste auf die Kosten der dafür erforderlichen Anpassung der elektronischen Erfassungsformulare hingewiesen hatten, verzichtete auch der Nationalrat in der Differenzbereinigung auf diese Neuerung [22].
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Parlamentsmandat
Wie der Ständerat im Vorjahr genehmigte nun auch der Nationalrat die Anpassung seiner Entschädigungen an die Teuerung und die Ausrichtung eines Betrags von 500 Fr. je Person für den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung. Er hiess die Vorlage gegen den Widerstand der SVP und einer starken Minderheit der FDP-Fraktion gut. Diese hatten mit einem Nichteintretensantrag die Vorlage grundsätzlich als Schritt hin zu einem Berufsparlament bekämpft. Der Nationalrat sprach sich jedoch gegen eine von der Linken unterstützte parlamentarische Initiative John-Calame (gp, NE) für eine Verbesserung der Sozialversicherungsleistungen für Abgeordnete, die ihr Mandat vollamtlich ausüben, aus [23].
Wie im Vorjahr der Nationalrat lehnte nun auch der Ständerat das Gesuch um die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Nationalrat Waber (edu, BE) ab [24].
Zu grossen Auseinanderstzungen kam es im Nationalrat zwischen der SVP und den übrigen Parteien beim Antrag der Mehrheit der Rechtskommission, die Immunität des SVP-Nationalrats Brunner (SG) aufzuheben. Gegen den SVP-Präsidenten bestand der Verdacht, als Mitglied der GPK das Amtsgeheimnis verletzt zu haben. Der ausserordentliche Staatsanwalt Pierre Cornu beantragte beim Parlament die Aufhebung der Immunität, um diese Verdachtsmomente abklären zu können. Konkret soll Brunner dem Generalsekretär des damals noch von Christoph Blocher (svp) geleiteten EJPD vorzeitig den Bericht der Subkommission der GPK über die Vorkommnisse beim Rücktritt von Bundesanwalt Roschacher übergeben haben. Gegen den heftigen Widerstand der SVP, welche von einer rein politisch motivierten Kampagne gegen ihren Präsidenten sprach, trat der Nationalrat auf das Geschäft ein und hob die parlamentarische Immunität von Brunner auf. Der Ständerat stellte sich auf Antrag seiner Rechtskommission gegen diesen Entscheid und hob die Immunität Brunners nicht auf. Die Kommission begründete ihren Antrag damit, dass das Verhalten Brunners – das Blocher und auch er selbst nicht abstritten – zwar nicht akzeptabel sei; es solle aber nicht strafrechtlich, sondern im Rahmen des parlamentarischen Disziplinarrechts geahndet werden. Berücksichtigt hat der Ständerat auch die Tatsache, dass die damalige Auseinandersetzung in einer emotional sehr aufgeladenen Atmosphäre stattfand und sich auch andere Kommissionsmitglieder nicht immer einwandfrei verhalten hätten [25].
 
[19] AB NR, 2008, S. 1357 ff.
[20] 24h, 21.11.08; TA, 22.11.08. Siehe SPJ 2006, S. 34.
[21] BBl, 2008, S. 1869 ff.; NZZ, 5.2. und 27.2.08. Zum Verzicht auf die automatische Abschreibung von mehr als zwei Jahre alten Vorstössen im NR siehe SPJ 2005, S. 35 (Motion Kunz, svp, LU) und 2007, S. 36. Die Priorität für Kommissionsvorstösse resp. die Abschaffung der Privilegien der Finanzkommission hatten die Nationalräte Hämmerle (sp, GR) und Abate (fdp, TI) mit 2006 eingereichten pa. Iv. gefordert. Zur Motion Markwalder siehe SPJ 2007, S. 255 f.
[22] AB NR, 2008, S. 855 ff., 975 ff., 1421 ff., 1483 ff. und 1575 f.; AB SR, 2008, S. 712 ff. und 830; BBl, 2008, S. 8233 ff. Die Motion de Bumann (cvp, FR), welche es ermöglichen sollte, dass Interpellationen und Anfragen jederzeit und nicht nur während den Sessionen eingereicht werden können, ist vom NR nicht, wie es hier im Vorjahr fälschlicherweise hiess, angenommen, sondern abgelehnt worden (SPJ 2007, S. 36 f.).
[23] AB NR, 2008, S. 25 ff. und 486 sowie 1324 ff. (John-Calame); AB SR, 2008, S. 210; BBl, 2008, S. 2267 f. Siehe SPJ 2007, S. 37.
[24] AB SR, 2008, S. 81. Siehe SPJ 2007, S. 38.
[25] AB NR, 2008, S. 1385 ff. und 1447 ff.; AB SR, 2008, S. 944 ff.; So-Blick, 1.6.08; BüZ, 13.6.08; Presse vom 20.6.08. Zur GPK-Untersuchung siehe SPJ 2007, S. 38 f. sowie unten, Gerichte.