Année politique Suisse 2008 : Politique sociale / Assurances sociales / Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
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SGB-Initiative
Der Nationalrat besprach die 2006 vom SGB eingereichte Initiative „Für ein flexibles AHV-Alter“ in einer Marathon-Eintretensdebatte, bei der es auch um die 11. AHV-Revision ging. Rund 30 Ratsmitglieder ergriffen das Wort, wobei die verschiedenen Lager die gleichen Argumente benutzten, wie bereits in früheren Debatten um das Rentenalter. Die Fraktionen der SP und der Grünen befürworteten die Initiative, weil sie zu mehr sozialer Gerechtigkeit führe und ihre Kosten tragbar seien. Zudem hoben sie hervor, dass eine Frühpensionierung heute das Privileg von Gutverdienenden mit dickem Polster aus der zweiten Säule sei. Die Gegner führten vor allem finanzielle Argumente an. Nach Meinung der bürgerlichen Fraktionen zielte die Initiative in Wirklichkeit auf eine Senkung des Rentenalters ab, was der demographischen Entwicklung zuwiderlaufe und die AHV in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten bringe. Den Minderheitsantrag, die Initiative zur Annahme zu empfehlen, lehnte der Nationalrat schliesslich mit 123 zu 66 Stimmen ab [2].
Eine sehr ähnliche Diskussion wie im Nationalrat entstand auch im Ständerat. Hier forderte ebenfalls eine links-grüne Minderheit, die Initiative zur Annahme zu empfehlen. Die Initiative war ihrer Meinung nach finanzierbar und zielte nicht auf eine generelle Senkung des Rentenalters ab, sondern ermöglichte es allen Beschäftigten sich vorzeitig pensionieren zu lassen. Auch hier wies das bürgerliche Lager darauf hin, dass die Initiative der demographischen Entwicklung keine Rechnung trage und viel zu teuer sei. Den Minderheitsantrag lehnte die kleine Kammer mit 27 zu 8 Stimmen ab [3]. In der Schlussabstimmung gingen sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat mit dem Bundesrat einig. Der Nationalrat empfahl die Initiative mit 127 zu 61 Stimmen zur Ablehnung und der Ständerat noch deutlicher mit 32 zu 7 Stimmen [4].
Am 30. November stimmte das Volk mit einer Mehrheit von 58,6% gegen die Volksinitiative „Für ein flexibles AHV-Alter“. Die vom SGB eingereichte Initiative war von der SP, den Grünen, der EVP, den SD und der CSP unterstützt worden. Die Befürworter der Initiative argumentierten damit, dass es darum gehe, Gerechtigkeit bei der Frühpensionierung zu schaffen. Bis anhin hatten sich eine solche in der Schweiz nur gut verdienende Menschen leisten können. Mit der Initiative sollte eine Frühpensionierung auch für die Gruppe der tieferen Einkommensklassen möglich werden, die eine solche aufgrund gesundheitlicher Probleme oft dringender nötig hätten. Zu den Gegnern der Vorlage zählten alle anderen Parteien und die Arbeitgeberverbände. Sie argumentierten vor allem mit der fehlenden Finanzierbarkeit eines solchen Vorschlags, insbesondere auch aufgrund der demographischen Entwicklung [5].
Die Ablehnung der Initiative war in der Deutschschweiz besonders deutlich. Am deutlichsten Nein sagte Appenzell-Innerrhoden mit 74,9%. Am besten schied die Initiative in der Deutschschweiz im Kanton Basel-Stadt mit 53,5% Nein-Anteil ab. Lediglich vier Kantone (TI, NE, GE und JU) stimmten dem Begehren zu. Die Vox-Analyse ergab, dass insbesondere soziodemographische Merkmale wie die Sprachregion und das Alter das Stimmverhalten beeinflussten. So wurde die Flexibilisierung des Rentenalters von denjenigen Altersgruppen am stärksten angenommen, die davon in absehbarer Zeit profitieren hätten können. Wie so oft bei sozialpolitischen Vorlagen ergab sich ein „Röstigraben“. Während die Deutschschweizer Stimmenden die Initiative mit 61% klar ablehnten, war diese in der Westschweiz mit 51% nur knapp verworfen worden. Auch die ideologische Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Achse hatte einen massgeblichen Einfluss auf den Stimmentscheid [6].
Volksinitiative „Für ein flexibles AHV-Alter“
Abstimmung vom 30. November 2008

Beteiligung: 47,6%
Ja: 970 221 (41,4%) / Stände: 4
Nein: 1 374 598 (58,6%) / Stände: 16 6/2

Parolen:
Ja: SP, GP (1*), EVP (2*), CSP, PdA, SD, Lega; SGB, Travail.Suisse.
Nein: FDP, CVP, SVP, LP, EDU, FP, GLP, BDP; eco, SGV, SBV.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
 
[2] AB NR, 2008, S. 322 ff. und 379 f. Siehe SPJ 2006, S. 198.
[3] AB SR, 2008, S. 300 ff.
[4] AB NR, 2008, S. 1024; AB SR, 2008, S. 532.
[5]Presse vom 15.10.-29.11.08.
[6] BBl, 2008, S. 605 ff.; Presse vom 1.12.08; Krömler, Oliver / Milic, Thomas / Rousselot, Bianca, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 30. November 2008, Zürich und Bern 2009.