Année politique Suisse 2008 : Politique sociale / Assurances sociales / Krankenversicherung
Nachdem das
Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung bereits je zwei Mal im Ständerat und im Nationalrat behandelt worden war, hatte der
Ständerat im Berichtsjahr immer noch
vier inhaltliche Differenzen zu behandeln. Die Kommission beantragte, aus Kostengründen in allen Punkten an den ursprünglichen Beschlüssen festzuhalten. Ohne Diskussion beschloss der Ständerat daraufhin, eine einjährige Karenzfrist für den Anspruch auf eine Entschädigung beizubehalten. Die periodische Anpassung der Pflegebeiträge der Krankenversicherung an die Pflege, welche der Nationalrat vorgeschlagen hatte, sollte ebenfalls gestrichen werden. Der Ständerat beharrte ebenso darauf, dass der Übergang zur neuen Pflegefinanzierung kostenneutral erfolgen soll. Einzig um die Frage der Finanzierung der ärztlich verordneten Akut- und Übergangspflege entstand eine längere Diskussion. Die Kommissionsmehrheit wollte am Modell 60% Krankenversicherung, 20% öffentliche Hand und 20% zulasten der Patienten festhalten und damit den vom Nationalrat vorgeschlagenen Kostenverteiler ablehnen. Eine Kommissionsminderheit Maissen (cvp, GR) plädierte hingegen dafür, den Kostenverteiler des Nationalrates zu übernehmen (55% Kantone und 45% Krankenversicherer). Die Minderheit argumentierte damit, dass es richtig sei, wenn die Übergangspflege gleich finanziert werde wie die spitalinterne Behandlung. Die Mehrheit der Kommission sprach sich hingegen dafür aus, dass auch die Patienten und Patientinnen ein gewisses Mass an Solidarität gegenüber den jungen Steuerzahlern übernehmen und daher an der Finanzierung beteiligt werden sollten. Mit 23 zu 18 Stimmen nahm der Ständerat den Antrag der Mehrheit an
[39].
Der
Nationalrat gab in der
weiteren Differenzbereinigung nur einmal nach und zwar akzeptierte er die einjährige Karenzfrist für den Anspruch auf eine Hilflosenunterstützung. Er verlangte jedoch mit einer Motion vom Bundesrat bis Ende 2009 eine Vorlage, welche die Leistungen der Hilflosenentschädigung mit jenen der Pflegefinanzierung koordiniert. Bei der Frage der Finanzierung der Akut- und Übergangspflege hielt der Nationalrat an seinem Vorschlag (45% Krankenversicherer, 55% Kantone) fest, ebenso wie bei der periodischen Anpassung der Pflegebeiträge. Hier sollen die Beiträge alle zwei Jahre angepasst werden, jedoch nicht wie ursprünglich beschlossen an die Kostenentwicklung der Pflege, sondern neu an die Teuerung gemäss Landesindex der Konsumentenpreise. Eine kostenneutrale Pflegefinanzierung, welche der Ständerat vorgeschlagen hatte, lehnte der Nationalrat erneut ab
[40].
Der Antrag der
Einigungskonferenz, übernahm bei der Akut- und Übergangspflege den Verteilungsschlüssel des Nationalrates (45% Krankenversicherer, 55% Kantone, analog Spitalfinanzierung). Diese Pflegeleistungen müssen jedoch bereits im Spital ärztlich angeordnet werden und der Kostenverteiler gemäss Spitalfinanzierung kommt lediglich während maximal zwei Wochen zur Anwendung. Bei der periodischen Anpassung der Pflegebeiträge setzte sich die Version des Ständerates durch, wonach der Bundesrat nicht verpflichtet ist, die Beiträge der Krankenversicherung periodisch anzupassen. Bei der Frage der kostenneutralen Einführung der Pflegefinanzierung wird eine solche für den Bereich der allgemeinen Pflege verlangt, nicht aber für die Akut- und Übergangspflege. Trotz Opposition von Maury Pasquier (sp, GE), welche die Bestimmungen zur Akut- und Übergangspflege als zu restriktiv empfand, nahm der Ständerat den Vorschlag der Einigungskonferenz mit 22 zu 6 Stimmen an. Der Nationalrat schloss sich daraufhin diskussionslos dem Vorschlag der Einigungskonferenz an
[41]. In der
Schlussabstimmung nahm der Ständerat das Gesetz mit 33 zu 8 Stimmen an. Im Nationalrat erklärten Goll (sp, ZH) und Müller (gp, AG), dass ihre Fraktionen das Gesetz ablehnen würden. Die grosse Kammer nahm das Bundesgesetz über die Neuordnung der Pflegefinanzierung schliesslich mit 126 zu 55 Stimmen an
[42].
Als weiteres Teilpaket der KVG-Revision hatte der Bundesrat dem Parlament im Jahre 2004 seine Botschaft zu
Managed Care, also integrierten Versorgungsnetzen mit Budgetverantwortung, vorgelegt. Insbesondere sollte der heute geltende Vertragszwang zwischen Versicherern und Leistungserbringern aufgehoben werden, um kostengünstiger arbeitende Ärztenetzwerke nachhaltiger zu fördern. Dieser Teilbereich hatte aufgrund von Widerstand in der Ärzteschaft jahrelang in der Kommission des Ständerates verharrt. Erst in diesem Jahr konnten sich die beiden Kammern darauf einigen, den Zulassungsstopp für die Eröffnung neuer Arztpraxen bis 2009 weiterzuführen
[43].
Die Botschaft des Bundesrates sah aber auch Neuerungen bei der Medikamentenpreisbildung vor. Dieses Jahr ging die Vorlage nun in die Differenzbereinigung. Hierbei behandelte der Ständerat vor allem die Frage der Definition von preisgünstigen Arzneimitteln und die entsprechende Versorgung. Die Kommissionsmehrheit des Ständerates empfand die Formulierung des Nationalrates als verwirrend, wonach bei der Beurteilung der Preisgünstigkeit nicht nur der möglichst geringe Aufwand für die Heilwirkung, sondern auch die Kosten für Forschung und Entwicklung angemessen berücksichtigt werden müssen. Der Ständerat stimmte dem Vorschlag seiner Kommission mit 25 zu 13 Stimmen zu, welche als Ersatz für den besagten Artikel vorschlägt, den Bundesrat zu beauftragen, für eine preisgünstige Arzneimittelversorgung in der obligatorischen Krankenversicherung zu sorgen. Im Nationalrat stiess diese Streichung der angemessenen Berücksichtigung von Forschung und Entwicklung auf taube Ohren. Die Kommissionsmehrheit verlangte an der früher vom Nationalrat beschlossenen Formulierung festzuhalten und siegte mit 111 zu 66 Stimmen. Der Ständerat strich zur Verabschiedung der Vorlage diesen Absatz 3. Die Kommission des Nationalrates hingegen schloss sich dem Streichungsvorschlag des Ständerates nicht an und machte einen neuen Vorschlag für den umstrittenen Absatz. Die Bedeutung dieses Absatzes war im Nationalrat sehr umstritten. Während Vertreter der SVP ihn als das Herzstück der Teilrevision betrachteten, war die SP gegenteiliger Ansicht und sah in ihm den überflüssigsten Teil der Revision. Der Nationalrat folgte der Kommissionsmehrheit und entschied sich mit 108 zu 65 Stimmen für die neue Formulierung.
Die damit notwendig gewordene
Einigungskonferenz schloss sich dem Vorschlag des Ständerates an und beantragte mit 15 zu 10 Stimmen die Streichung des umstrittenen Absatzes. Der Ständerat folgte dem Antrag der Einigungskonferenz diskussionslos. Im Nationalrat beantragte eine Minderheit Bortoluzzi (svp, ZH), den Antrag der Einigungskonferenz abzulehnen. Das Ergebnis sei unbefriedigend, da ein wesentliches Element, nämlich der Aspekt der Wirtschaftlichkeit im Zulassungsverfahren, willkürlich aus der Revision herausgebrochen worden war. Eine Mehrheit der FDP stimmte ebenfalls gegen den Vorschlag der Einigungskonferenz. Die SP Fraktion warb für Zustimmung, konnte aber keine Mehrheit finden. Der Nationalrat lehnte den Antrag der Einigungskonferenz mit 97 zu 83 Stimmen ab. Damit war die
Vorlage zu den Medikamentenpreisen
gescheitert [44].
[39]
AB SR, 2008, S. 15 ff. Siehe
SPJ 2007, S. 240 f.
[40]
AB NR, 2008, S. 608 ff. Motion:
AB NR, 2008, S. 611 f.
[41]
AB SR, 2008, S. 435 f.;
AB NR 2008, S. 870 f.
[42]
AB SR, 2008, S. 531 f.;
AB NR, 2008, S. 1022 f.
[43]Siehe
SPJ 2007, S. 241 f. sowie oben, Teil I, 7b (Gesundheitspolitik).
[44]
AB SR, 2008, S. 10 ff., 590 ff. und 778;
AB NR, 2008, S. 746 ff., 1167 ff. und 1469 f. Siehe
SPJ 2007, S. 242.
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