Année politique Suisse 2008 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
Hochschulen
Der Vorentwurf für das
Bundesgesetz über die Förderung der Hochschulen und Koordination im schweizerischen Hochschulbereich (HFGK) stiess in der Vernehmlassung teilweise auf Widerstand. Die SVP und die Grünen forderten die Rückweisung der Vorlage und auch die übrigen Vernehmlassungsteilnehmer äusserten sich kritisch zu zentralen Punkten des Gesetzesentwurfs. Abgelehnt wurde insbesondere die institutionelle Aufwertung der Fachhochschulen. Die SP bemängelte, dass dadurch der enge Bezug zur Berufsbildung verloren ginge, was eine Akademisierung der Fachhochschulen zur Folge hätte, während der Gewerkschaftsbund vor allem eine Entmündigung der Parlamente von Bund und Kantonen befürchtete. Grundsätzliche Einwände gegen den Entwurf erhob auch der Gewerbeverband. Er machte geltend, die Wettbewerbsverzerrung zwischen den Fachhochschulen und der höheren Berufsbildung, deren Absolvierung für die Studierenden wesentlich teurer sei, drohe diesen zweiten Weg zu zerstören. Die Direktorenkonferenz der Berufsfachschulen forderte einen Ausgleich der öffentlichen Finanzleistungen zugunsten der höheren Berufsbildung. Mit dem neuen Konzept prinzipiell zufrieden war die CVP
[40].
Personen aus Nicht-EU-Staaten, die nach dem Studienabschluss keine Stelle haben, müssen die Schweiz nach geltendem Recht zügig verlassen. Die Rektorenkonferenz der Universitäten (CRUS) fordert seit Jahren, dass diese Studienabgänger eine
längere Frist zur Arbeitssuche erhalten, weil sie mit Steuergeldern ausgebildet worden sind und in der Wirtschaft viel leisten könnten. Mit diesen Argumenten stiess sie auf zunehmendes Echo. Im Februar reichte der CVP-Nationalrat und ETH-Honorarprofessor Neirynck (VD) eine parlamentarische Initiative für grosszügigere Zulassungsbestimmungen ein. Die Staatspolitischen Kommissionen der beiden Räte stimmten dem Begehren zu, während es vom Bundesrat abgelehnt wurde. Die Regierung begründete ihre Haltung damit, dass im Winter 2008 trotz guter Konjunktur 8500 Studienabgänger arbeitslos waren. In die gleiche Richtung zielt auch eine von der freisinnig-demokratischen Fraktion deponierte Motion. Sie will den Bundesrat verpflichten, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus Nicht-EU-/-Efta-Ländern nach dem Studienabschluss während sechs Monaten auch ohne Arbeitsstelle in der Schweiz aufhalten dürfen
[41].
Die Schweiz und Frankreich haben im Berichtsjahr ein
Rahmenabkommen über die gegenseitige Anerkennung von Bachelor- und Master-Diplomen geschlossen. Der neue Vertrag ersetzt die bisherige Regelung und dehnt den Geltungsbereich auf Fachhochschulen aus
[42].
Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse veröffentlichte 2008 seine
Leitlinien für Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik. Er sprach sich für eine grössere Autonomie der miteinander konkurrierenden Hochschulen aus und möchte, dass Bund bzw. Kantone nur noch über die strategische Ausrichtung der Institutionen entscheiden. Ein weiteres Anliegen bildet die stärkere Leistungsorientierung im Bildungswesen. Dazu sollen die Studiengebühren auf der Master-Stufe nach Leistungen differenziert werden, beispielsweise zwischen 0 Fr. für die besten und 10 000 Fr. für die knapp genügenden Studierenden. Zudem sollen die Hochschulen künftig aussuchen können, welche Studierenden sie zum Master-Studium zulassen wollen. Diese Idee stiess bei den Universitäten und beim Verband der Schweizer Studierendenschaften auf Ablehnung
[43].
Ein Postulat Widmer (sp, LU) beauftragt den Bundesrat zu prüfen, weshalb in der Schweiz das
Interesse an natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studien im Vergleich zu anderen OECD-Ländern gering ist und welche Massnahmen zu ergreifen wären, um die Motivation für solche Studiengänge zu erhöhen. Mit einem weiteren Postulat forderte Widmer eine umfassende Evaluation der bisherigen Implementierung der Bologna-Reform. Dabei sollen insbesondere die Bereiche Mobilität, Vergabe und Anerkennung der ECTS-Punkte, Studienfinanzierung, Gleichstellung und Qualitätssicherung untersucht werden. Die beiden Vorstösse wurden vom Nationalrat überwiesen
[44].
Im Berichtsjahr wurden die Ergebnisse einer gesamtschweizerischen Untersuchung über die
qualitativen (subjektiven) Auswirkungen der Bologna-Reform veröffentlicht. Im Auftrag der Rektorenkonferenz (Crus) und der Studierendenverbände wurden 4700 Studierende zu ihrer Einschätzung des Bologna-Systems befragt. Fast Dreiviertel der Befragten waren mit dem Studium zumindest zufrieden; 11% gaben an, sie seien enttäuscht. Besonders Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften bemängelten, dass die Erwartungen der Arbeitswelt zu wenig berücksichtigt würden
[45].
Martine Rahier, Professorin für tierische Ökologie und Entomologie, wurde im Januar als
Rektorin der Universität Neuenburg gewählt. Damit wird zum ersten Mal eine Westschweizer Universität durch eine Frau geleitet
[46].
Im Berichtsjahr feierte die
Universität Zürich ihr
175-Jahr-Jubiläum. Zürich war die erste Universität Europas, die nicht von einem Landesfürsten oder der Kirche, sondern von einem demokratischen Staatswesen gegründet wurde. Die Hochschule wollte den Festakt nutzen, um Wissen mit breiten Kreisen der Bevölkerung zu teilen. Dazu organisierte sie zahlreiche Ausstellungen, Feste und Präsentationen, welche alle unter dem Motto „Wissen teilen“ standen
[47].
Ende Juni verabschiedete der Genfer Grosse Rat ein neues Gesetz, welches die
Autonomie der Universität und ihre
internationale Konkurrenzfähigkeit stärken soll. Die Studierenden ergriffen zusammen mit den Gewerkschaften das Referendum gegen den neuen Erlass und brachten die notwendigen Unterschriften zusammen. Sie kritisierten insbesondere die Verpflichtung der Universität, sich aktiv um private finanzielle Unterstützung zu bemühen. Davon befürchten sie eine Schwächung der Sozialwissenschaften, welche bei der Mittelbeschaffung gegenüber den Natur- und insbesondere den Biowissenschaften benachteiligt sind. Unzufrieden waren die Studierenden auch mit der Aufwertung des Rektorats, welches neu Professorinnen und Professoren nominieren und in eigener Regie Fakultäten gründen und aufheben darf. In der Volksabstimmung vom 30.11. stimmte das Volk dem Gesetz mit 72% Ja zu
[48].
Der
ETH-Rat hat die Mechanismen für die Zusammenarbeit der ihm unterstellten Institutionen (der beiden Hochschulen und der vier Forschungsanstalten) verstärkt. In der Geschäftsordnung wurde das Kollegialprinzip festgeschrieben, wobei die Sonderstellung des vollamtlichen Präsidenten bestehen bleibt. Ein neuer Geschäftsausschuss, dem auch die Präsidenten der beiden Hochschulen angehören, wird künftig zu ausgewählten Traktanden Varianten ausarbeiten und die Besetzung von Spitzenpositionen begleiten. Die Beteiligten erhoffen sich dadurch, die während den vergangenen Jahren schwelenden Konflikte beilegen zu können
[49]. Der Schlussbericht des ETH-Rates über die Leistungsperiode 2004-2007 wurde vom Ständerat in der Wintersession einstimmig gutgeheissen
[50].
Die ETH Lausanne kann ein internationales
Zentrum für Neuroprothesen mit fünf Lehrstühlen aufbauen. Es soll zur weltweit wichtigsten Einrichtung in diesem Fachbereich werden und einen Schnittpunkt zwischen Grundlagenforschung, klinischer Anwendung sowie industrieller Nutzung bilden. Das Zentrum verfügt für einen Zeitraum von 10 Jahren über ein Budget von 40 Mio Fr., davon stammen 20 Mio Fr. aus den Familienstiftungen Bertarelli und Borel
[51].
Die Universitäten Bern und Neuenburg führen ihre Forschungsgruppen in experimenteller und theoretischer Teilchenphysik zusammen. An der Universität Bern entsteht ein neues gemeinsames
„Center for Research and Education in Fundamental Physics“. Finanziert wird das Projekt vor allem durch Mittelumlagerungen innerhalb der Universität Bern. Zusätzlich leistet die Schweizerische Universitätskonferenz in den Jahren 2009-2012 einen Beitrag von 6 Mio Fr.
[52].
Das Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung (IDHEAP), die Universität Bern und die Universitäten der italienischen Schweiz errichten ein
Netzwerk für Lehre und Forschung in Verwaltungswissenschaften. Sie bieten künftig gemeinsam einen Masterstudiengang, eine Doktorandenausbildung und Forschungsprogramme im Bereich der öffentlichen Verwaltung an. Das Projekt wird in den Jahren 2009-2012 von der Schweizerischen Universitätskonferenz und vom Schweizerischen Nationalfonds mit einem Beitrag von 6 Mio Fr. unterstützt
[53].
Die Stadt
Neuenburg wird Sitz der
Fachhochschule Jurabogen (HE Arc). Dies wurde im Januar von den Trägerkantonen Bern, Neuenburg und Jura beschlossen. Die durchgeführten Analysen haben gezeigt, dass sich Neuenburg aufgrund der Erreichbarkeit am besten als Sitz der Schule eignet. Mit diesem Beschluss verbunden ist ein Neubau für die Schule beim Bahnhof Neuenburg
[54].
Die Teilschulen der
Hochschule Luzern sollen unter eine gemeinsame Direktion gestellt werden. Der Konkordatsrat hat im Berichtsjahr eine entsprechende Vereinbarung in die Vernehmlassung geschickt. Die Reorganisation kann nur umgesetzt werden, wenn die Trägerkantone Luzern, Schwyz und Zug sowie die übrigen Konkordatskantone Uri, Ob- und Nidwalden zustimmen
[55].
In der Herbstsession stimmte der Nationalrat einem Postulat Häberli-Koller (cvp, TG) zu, welches den Bund verpflichtet, die
Eintrittskriterien für die Zulassung zu den Fachhochschulen zu überprüfen. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob die Anforderungen, welche an Absolventen von Mittelschulen gestellt werden, in allen Fachbereichen nach den gleichen Massstäben beurteilt werden oder ob es gewisse Studiengänge gibt, in welchen die Überprüfung nicht mit der nötigen Sorgfalt vorgenommen wird
[56].
Die
Fachhochschule Westschweiz (HES-SO) soll mehr Autonomie erhalten. Im November wurde ein entsprechender Vorschlag präsentiert, welcher noch vom Bundesrat genehmigt werden muss. Die geltende Struktur der Fachhochschule wird vom Bund seit längerem kritisiert. Er beanstandet hauptsächlich den grossen Einfluss der Trägerkantone auf die Tätigkeit der Schulen. Gemäss dem vorgestellten Entwurf soll die HES-SO künftig durch ein Rektorat von 3 bis 5 Mitgliedern geleitet werden. Die Kantone behalten allerdings eine starke Stellung und bleiben insbesondere auch für die Nomination der Professorinnen und Professoren zuständig
[57].
Im Herbstsemester 2007/08 waren an den Schweizer Hochschulen fast
178 000 Studierende immatrikuliert. Davon besuchten 116 906 eine Universität (+1,5% gegenüber dem Vorjahr) und 60 809 (+6,3%) eine Fachhochschule oder eine pädagogische Hochschule. Mittlerweile nimmt in der Schweiz ein Drittel der Bevölkerung eines Jahrgangs ein Hochschulstudium auf, rund die Hälfte davon sind Frauen. Gut 20% der Studierenden sind ausländischer Staatsangehörigkeit. Laut den Prognosen des Bundesamtes für Statistik werden im Jahr 2012 über 200 000 Studierende an den Hochschulen eingeschrieben sein. Das würde gegenüber dem Jahr 2007 eine Zunahme von 13% bedeuten
[58].
Die interkantonale Vereinbarung zur
Harmonisierung von Ausbildungsbeiträgen stiess in der Vernehmlassung grundsätzlich auf Zustimmung. Grundlegende Einwände gab es nur seitens der Kantone Appenzell Innerrhoden, Obwalden und Sankt Gallen. Die übrigen 23 Kantone begrüssten die wesentlichen Aspekte des Entwurfs, sie schlugen allerdings in Detailfragen noch zahlreiche Änderungen vor. Kritische Voten gab es etwa bezüglich der Aufteilung zwischen Stipendien und Darlehen sowie des Systems für die Berechnung der Ausbildungsbeiträge. Die Koalition Jugend für Stipendien (Vertreter der Union der Schülerorganisationen, des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände sowie des Verbands der Schweizer Studierendenschaft) beanstandete, dass der Beitritt zur Vereinbarung für die Kantone freiwillig ist und ihnen sehr lange Fristen zur Umsetzung der neuen Ordnung eingeräumt werden. Zudem sprach sie sich vehement gegen eine Finanzierung der Ausbildung durch Darlehen aus. Die Erziehungsdirektorenkonferenz verabschiedete im Oktober den aufgrund der Vernehmlassungsantworten überarbeiteten Entwurf in erster Lesung. Die zweite Lesung ist für 2009 geplant
[59].
Zur Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes und der dort vorgesehenen Erhöhung der Wartefrist von Studienabgängern, siehe oben, Teil I, 7c (Arbeitslosenversicherung).
[40]
NZZ, 4.2.08;
BaZ, 31.3.08. Vgl.
SPJ 2007, S. 268.
[41]
AZ, 20.6.08;
LT, 29.8. und 16.10.08;
NZZ, 16.10.08; Parl. Iv. Neirynck: 08.407; FDP-Motion: 08.3376.
[42]
NZZ, 11.9.08;
TG, 14.10.08.
[43]
BaZ,
NZZ und
TA, 24.4.08.
[44]
AB NR, 2008, S. 468 (Natur- und Ingenieurwissenschaftlichen Studien) und 1006 (Bologna-Reform).
[46]
LT, 16.1. und 4.2.08;
QJ, 16.1.08.
[48]
WoZ, 21.8.08;
TG, 1.12.09.
[50]
AB SR, 2008, S. 966 ff. Vgl.
SPJ 2007, S. 269.
[51]
BaZ,
LT und
NZZ, 12.11.08.
[52]
NZZ, 11.4.08;
SZ, 14.4.08.
[53]
www.presseportal.ch, 30.9.08;
LT, 1.10.08.
[54]
Bund und
QJ, 19.1.08. Vgl.
SPJ 2007, S. 270.
[55]
NLZ, 30.7., 25.9. und 10.10.08.
[56]
AB NR, 2008, S. 1556.
[58]
NZZ, 3.6. und 2.7.08.
[59]
NZZ, 11.9. und 17.9.08;
BaZ und
LT, 17.9.08;
ÉDUCATIONch, Nr. 3/2008 (www.edk.ch). Vgl.
SPJ 2007, S. 271.
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