Année politique Suisse 2009 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires
Gerichte
Das
Bundesverwaltungsgericht hatte im Vorjahr das Parlament um die Bewilligung von sechs zusätzlichen Richterstellen ersucht. Im massgeblichen Gesetz ist ein Bereich von 50 bis 70 Stellen genannt, in der Ausführungsverordnung ist die Anzahl aber auf 64 fixiert. Das mit der Oberaufsicht über das Bundesverwaltungsgericht betraute Bundesgericht erachtete in der aktuellen Konsolidierungsphase dieser neuen Instanz die
Aufstockung um eine italienischsprachige Richterstelle
zur Bewältigung der Pendenzen im Asylbereich als ausreichend. Die Rechtskommission des Ständerats hatte zuerst nur eine auf zwei Jahre befristete Stelle genehmigen wollen. Da dies rechtlich nicht möglich war, beantragte es dem Plenum mit einer parlamentarischen Initiative, die Zahl der ordentlichen Vollzeitrichterstellen von 64 auf 65 aufzustocken, was auch der Bundesrat unterstützte. Eine linke Kommissionsminderheit forderte eine Erhöhung auf 67 Stellen, drang damit aber beim Parlament, das die Vorlage in der Sommersession verabschiedete, nicht durch
[21].
Ende August meldete das
Bundesverwaltungsgericht neuen Personalbedarf an. Anlass dazu war die grosse Anzahl von Beschwerden, die im Zusammenhang mit dem Amtshilfegesuch der USA bei der Aufklärung von Steuerdelikten von Kunden der schweizerischen Grossbank UBS zu erwarten waren. Um die UBS vor zivilrechtlichen Klagen zu schützen, hatte sich die Schweiz in einem am 19. August unterzeichneten bilateralen Abkommen verpflichtet, ein rund 4450 Konten betreffendes
Amtshilfegesuch der USA innert eines Jahres zu bearbeiten. Die für die Bewältigung dieser Arbeit erforderlichen Richterstellen sollten jedoch nicht dauerhaft eingerichtet werden. Da die rechtlichen Grundlagen für die
Schaffung von befristeten Richterstellen noch fehlen, beantragte die Rechtskommission des Nationalrats mit dem Einverständnis ihrer Schwesterkommission der kleinen Kammer, eine entsprechende Verordnung der Bundesversammlung und die Bewilligung von höchstens fünf zusätzlichen, auf zwei Jahre befristeten Richterstellen. Eine aus Mitgliedern der SVP gebildete Kommissionsminderheit bekämpfte diesen Vorschlag, der Bundesrat unterstützte ihn. Der Nationalrat nahm die befristete Erhöhung der Richterzahl und die zugrundeliegende Rechtsgrundlage gegen den Widerstand der SVP an. Nachdem auch die kleine Kammer oppositionslos damit einverstanden war, konnte die Vorlage noch in der Herbstsession verabschiedet werden
[22].
In der Differenzbereinigung bei der Vorlage zur Schaffung eines
eidgenössischen Patentgerichtes hielt der Ständerat daran fest, dass alle, also auch die nebenamtlichen Richter durch die Vereinigte Bundesversammlung und nicht durch ein Fachgremium zu wählen sind. Nachdem die grosse Kammer in einer ersten Runde auf ihrer auch vom Bundesrat unterstützten Lösung beharrt hatte, gab sie angesichts der klaren Stimmenverhältnisse im Ständerat nach
[23].
Die aus dem Vorjahr verbliebene Differenz beim
Patentanwaltsgesetz wurde rasch beigelegt, indem der Ständerat die Version der grossen Kammer übernahm. Der Nationalrat überwies mit dem Einverständnis des Bundesrats eine Motion seiner Rechtskommission für eine Vereinheitlichung der Bestimmungen des
anwaltlichen Berufsgeheimnisses in allen Verfahrensrechten des Bundes
[24].
Der Ständerat behandelte in der Sommersession die im Vorjahr vom Bundesrat vorgeschlagene Anpassung der Bestimmungen über die
Strafbehörden des Bundes an die neue schweizerische Strafprozessordnung. Er stellte sich dabei gegen die von der Regierung angestrebte Wahl und Überwachung der
Bundesanwaltschaft durch den Bundesrat. Damit dieser Bundesanwalt über eine unabhängige Stellung verfügt, sollen er und seine Ersatzleute vom Parlament gewählt und von einer Fachaufsichtskommission überwacht werden. Dieses Aufsichtsgremium soll sich aus je einem Richter des Bundesgerichts und des Bundesstrafgerichts, zwei praktizierenden Anwälten und drei Fachleuten, die weder Richter noch Anwälte sind, zusammensetzen. Die Rechtskommission des Nationalrats übernahm diese Regelung. Sie scheiterte in der Wintersession im Plenum aber am Widerstand der SVP, der CVP und der BDP, welche dagegen ins Feld führten, dass durch die Parlamentswahl des Bundesanwalts diese Funktion zu sehr von der Politik abhängig werde, und dass die Rolle und Stellung des Aufsichtsgremiums unklar sei. Der Nationalrat beschloss ferner die Schaffung einer vollwertigen Rekursinstanz für Urteile des Bundesstrafgerichts. Zuständig für diese nicht bloss formale, sondern auch materielle Überprüfung soll das Bundesgericht sein
[25].
[21]
BBl, 2009, S. 1365 ff. und 1377 ff. (BR);
AB SR, 2009, S. 203 ff. und 734;
AB NR, 2009, S. 921 ff. und 1312.
[22]
BBl, 2009, S. 6635 ff. und 6645 ff. (BR);
AB NR, 2009, S. 1692 ff. und 1829;
AB SR, 2009, S. 958 f. und 1004;
TA, 3.8.09. Zum Abkommen mit den USA siehe unten, Teil I, 4b (Banken).
[23]
AB SR, 2009, S. 93 f., 186 f. und 281;
AB NR, 2009, S. 273 f., 381 f. und 595;
BBl, 2009, S. 2023 ff. Siehe
SPJ 2008, S. 39.
[24] Gesetz:
AB SR, 2009, S. 98 f. und 281;
AB NR, 2009, S. 595;
BBl, 2009, S. 2013 ff. Siehe
SPJ 2008, S. 39. Motion:
AB NR, 2009, S. 1622.
[25]
AB SR, 2009, S. 587 ff.;
AB NR, 2009, S. 2252 ff. Zur Kritik an der vom SR vorgesehenen Aufsichtsbehörde siehe Martin Killias und Lorenz Meyer in
NZZ, 25.8. resp. 26.11.09. Siehe
SPJ 2008, S. 39 ff.
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