Année politique Suisse 2009 : Politique sociale / Assurances sociales / Invalidenversicherung
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Befristete Zusatzfinanzierung der IV
Die auf Mai angesetzte Volksabstimmung zur IV, bei der es darum ging, dass zur Sanierung der IV Geld aus dem Topf der Mehrwertsteuer hätte bezogen werden sollen, wurde aus konjunkturpolitischen Gründen vom Bundesrat verschoben. Der Bundesrat hatte befürchtet, dass das Volk die Mehrwertsteuererhöhung für die IV wegen der schlechten Wirtschaftslage ablehnen würde und gab daher dem Parlament die Möglichkeit, den verabschiedeten Bundesbeschluss abzuändern. Parteien und Verbände reagierten mehrheitlich mit Verständnis auf die Verschiebung der Abstimmung, kritisierten aber, dass der Bundesrat keinen konkreten Änderungsvorschlag gemacht hatte. Dieses Vorgehen des Bundesrates war ungewöhnlich und kam in der Vergangenheit höchst selten vor. Der Bundesrat begründete seinen Entscheid damit, dass die Unterstützung von Wirtschaft und Parteien für die Vorlage am Schwinden war [19].
Am 27. September 2009 fand die verschobene Abstimmung schliesslich statt und das Volk stimmte mit einer Mehrheit von 54,5% für die Annahme des Bundesbeschlusses über eine befristete Zusatzfinanzierung der IV durch Anhebung der Mehrwertsteuersätze. Unterstützung fand die Vorlage bei der Linken, bei den meisten bürgerlichen Parteien und auch bei den grossen Wirtschaftsverbänden. Für die Befürworter stand vor allem die Sanierung der IV im Zentrum. Viele von ihnen hielten die Zusatzfinanzierung für unvermeidbar und gaben als Hauptmotiv an, dass man, wolle man die IV sanieren, letztlich keine andere Wahl hätte als die Zusatzfinanzierung anzunehmen. Zu den Gegnern der Vorlage gehörten die SVP und die kleineren Rechtsparteien. Sie waren der Meinung, dass man einzig mit einer resoluten Missbrauchsbekämpfung den Schuldenberg der IV abtragen könne. Ausserdem bezweifelten viele, dass es bei einer befristeten Erhöhung der Mehrwertsteuer bleiben würde und befürchteten, dass diese einen permanenten Charakter erhalten könnte [20].
Zwar stimmte eine klare Mehrheit von 54,5% für die Vorlage. Das erforderliche Ständemehr wurde jedoch nur mit dem knappest möglichen Ergebnis (12 zu 11 Stände) erreicht. Dabei zeigte sich ein aus sozialpolitischen Abstimmungen bekannter Graben: Die Westschweiz und die urbanen Kantone der Deutschschweiz stimmten für den Bundesbeschluss, die ländlichen Kantone der Ostschweiz und der Innerschweiz hingegen verwarfen die Vorlage überwiegend. Am klarsten abgelehnt wurde die Zusatzfinanzierung der IV in Appenzell Innerrhoden, Thurgau und Schwyz. Die meisten Befürworter fanden sich in den Kantonen Genf, Jura und Neuenburg mit jeweils mehr als 60% Ja-Stimmen. Die VOX Analyse ergab, dass das Stimmverhalten insgesamt stark von politischen Variablen geprägt war. Gesellschaftliche Gruppenmerkmale spielten hingegen keine grosse Rolle. Entscheidend war insbesondere die Einordnung in das politische Spektrum. Wer sich Links oder in der Mitte einstufte nahm die Vorlage meist an, wer sich Rechtsaussen einstufte, lehnte die Vorlage mit grosser Wahrscheinlichkeit ab. Eindrucksvoll war die Parolenkonformität im Stimmverhalten der Parteianhänger [21].
Befristete Zusatzfinanzierung der IV durch Anhebung der MWSt
Abstimmung vom 27. September 2009

Beteiligung: 40,8%
Ja: 1 112 818 (54,6%) / Stände: 11 2/2
Nein: 926 730 (45,4%) / Stände: 9 4/2

Parolen:
Ja: FDP, CVP, SP, EVP, CSP, GP, GLP, BDP; eco, SGV, SBV, SGB, TravS.
Nein: SVP, SD, EDU, FP, Lega.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
 
[19] Presse vom 29.1.09.
[20] Presse vom 28.9.09.
[21] BBl, 2009, S. 8721 ff.; Milic, Thomas / Kuster, Stephan / Widmer, Thomas, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 27. September 2009, Zürich 2009.