Année politique Suisse 2009 : Politique sociale / Assurances sociales
Berufliche Vorsorge
Der Nationalrat behandelte die im Vorjahr im Ständerat angenommene Strukturreform der beruflichen Vorsorge. Das Eintreten auf die beiden Vorlagen war auch hier unbestritten. Die Kommission des Nationalrates hatte die meisten Bestimmungen entweder einhellig verabschiedet oder punktuell präzisiert, was eine Reihe von Kommissionsanträgen ergab, die von den Beschlüssen des Ständerates abwichen. Der Nationalrat folgte in den meisten Punkten den Anträgen seiner Kommission. Zu den vom Ständerat neu eingeführten Bestimmungen zur Regulierung der Anlagestiftungen schuf der Nationalrat zwei Differenzen im Bereich der Vermögensverwaltung. Ein Minderheitsantrag Stahl (svp, ZH) verlangte, dass Bestimmungen über die Anlage der Vermögen nicht nur durch die Anlegerversammlung, sondern unter der Voraussetzung der statutarischen Befugnis auch durch den Stiftungsrat erlassen werden können. Dieser wurde im Nationalrat mit 146 zu 2 Stimmen angenommen. Mit 86 zu 79 Stimmen wurde ein Minderheitsantrag Kleiner (fdp, AR) angenommen, welcher verlangte, dass sich eine Anlagegruppe nicht nur aus gleichen und nennwertlosen Ansprüchen mehrerer Anleger, sondern auch aus den entsprechenden Ansprüchen eines einzelnen Anlegers konstituieren kann. Ein Antrag Fluri (fdp, SO) präzisierte den Entwurf des Ständerates, indem der Bundesrat ein Anfangsvermögen und Garantieleistungen nicht für alle Sammel- und Gemeinschaftsstiftungen, sondern nur für entsprechende Neugründungen, festzulegen hat. Dieser wurde im Nationalrat deutlich, mit 154 zu 1 Stimme, angenommen. In der Gesamtabstimmung stimmte der Nationalrat der ersten Vorlage über die Strukturreform mit 151 zu 7 Stimmen zu.
In der zweiten Vorlage der Strukturreform des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge, welche die
Massnahmen zur Erleichterung der Arbeitsmarktbeteiligung älterer Arbeitsnehmer beinhaltete, schuf der Nationalrat nur eine einzige Differenz zum Ständerat. Er stimmte einem Antrag Triponez (fdp, BE) mit 94 zu 70 Stimmen zu, wonach eine Vorsorgeeinrichtung in ihrem Reglement vorsehen kann, dass für Versicherte, deren Lohn sich nach dem 58. Altersjahr um höchstens die Hälfte reduziert, auf Verlangen der versicherten Person, die Vorsorge für den bisherigen versicherten Verdienst weitergeführt wird. Die Vorlage wurde vom Nationalrat in der Gesamtabstimmung einstimmig angenommen
[22].
In der
Differenzbereinigung räumte der Ständerat die verbliebene Differenz in der zweiten Vorlage aus. Im Rahmen der Beratungen zur ersten Vorlage beseitigte der Ständerat nur wenige Differenzen und hielt an den meisten seiner Beschlüsse fest. So strich er mit 23 zu 12 Stimmen die vom Nationalrat eingeführte Regelung, wonach Experten, Anlageberater und Makler im Jahresbericht einer Vorsorgeeinrichtung mit Namen und Funktion kenntlich zu machen sind. Der Ständerat hielt zudem daran fest, die Bestimmung zu streichen, nach welcher Revisionsstellen zu prüfen haben, ob die Versicherer die vom Gesetz verlangten Angaben und Meldungen zuhanden der Aufsichtsbehörde vornehmen. Ein Minderheitsantrag Sommaruga (sp, BE), welcher verlangte, dass sich eine Anlegergruppe zwingend aus den Ansprüchen mehrerer Anleger konstituieren muss, wurde mit 23 zu 16 Stimmen abgelehnt. Damit verblieb das Geschäft im Berichtsjahr in der Differenzbereinigung
[23].
Die zweite Vorlage der Strukturreform der beruflichen Vorsorge, über die Massnahmen zur Erleichterung der Arbeitsmarktbeteiligung älterer Arbeitnehmer, wurde in der
Schlussabstimmung vom Ständerat einstimmig angenommen. Auch der Nationalrat nahm diese in der Schlussabstimmung mit 190 zu 2 Stimmen an
[24].
Eine Motion Rechsteiner (sp, BS) forderte, dass die
Sanierungsbestimmungen in der beruflichen Vorsorge bis zum Ende der laufenden Rezession für jene Vorsorgeeinrichtungen gelockert werden, welche aus konjunkturellen Gründen eine Unterdeckung aufweisen. Die Sanierungsmassnahmen seien auszusetzen, bis sich die Wirtschaft wieder erholt habe und die Börsenwerte zu einer durchschnittlichen Bewertung zurückgefunden hätten. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, weil er die konjunkturpolitischen Befürchtungen als unbegründet ansah. Dem folgte auch der Nationalrat, welcher die Motion mit 119 zu 67 Stimmen ablehnte. Auch eine ähnliche Motion Fetz (sp, BS) war im Ständerat chancenlos
[25].
Eine Motion Amacker-Amann (cvp, BL) wollte den Bundesrat beauftragen, die gesetzlichen Regelungen so anzupassen, dass die
Auszahlung von Altersleistungen bei Freizügigkeitspolicen und Freizügigkeitskonten in jedem Fall nur unter der Voraussetzung der schriftlichen Einwilligung des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners gewährt wird. Anders als beim Kapitalbezug von Altersleistungen ist für die Auszahlung der Leistungen einer Freizügigkeitseinrichtung infolge Erreichens der Altersgrenze die schriftliche Zustimmung des Ehegatten nicht vorausgesetzt. Entsprechend der Empfehlung des Bundesrates nahm der Nationalrat die Motion an
[26].
Ebenfalls angenommen wurde eine Motion Humbel Näf (cvp, AG), welche den Bundesrat beauftragte, in der beruflichen Vorsorge und im Freizügigkeitsgesetz die Grundlagen dafür zu schaffen, dass im
Scheidungsfall obligatorische und überobligatorische Altersguthaben je im gleichen Verhältnis aufgeteilt werden. Auch der Bundesrat hatte die Annahme der Motion beantragt
[27].
Eine parlamentarische Initiative Beck (lp, VD) forderte, dass die
Staffelung der Altersgutschriften abgeschafft und eine einheitliche und altersunabhängige jährliche Gutschrift auf dem Altersguthaben vorgesehen wird. Diese Abschaffung sei nötig, weil gemäss der Auffassung des Initianten ältere Arbeitnehmer mit der bisherigen Regelung auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden. Die Kommission des Nationalrates beantragte mit 17 zu 4 Stimmen die parlamentarische Initiative abzulehnen. Sie begründete dies unter anderem damit, dass eine Umstellung der Altersgutschriften mit sehr langen Übergangsfristen verbunden und die parallele Existenz von zwei unterschiedlichen BVG-Systemen kompliziert und teuer wäre. Der Nationalrat folgte seiner Kommission und gab der Initiative keine Folge. Eine weitere parlamentarische Initiative Robbiani (cvp, TI) forderte den Bundesrat ebenfalls dazu auf, die Staffelung der Altersgutschriften so zu ändern, dass den älteren Arbeitnehmern kein Nachteil mehr erwächst. Insbesondere forderte der Initiant, dass eine Lösung beschlossen wird, bei der sich der Ansatz der Altersgutschriften ab dem 45. Lebensjahr der versicherten Person nicht mehr verändert. Auch hier beantragte die Kommission des Nationalrates eine Ablehnung. Dem folgte der Nationalrat mit 116 zu 56 Stimmen
[28].
Eine Motion Sommaruga (sp, BE) wollte Lehren aus der Finanzmarktkrise ziehen und forderte den Bundesrat auf,
Risikominimierungen für die Pensionskassenanlagen vorzuschreiben. Dazu forderte die Motionärin unter anderem, dass auf strukturierte Produkte und Hedge-Fonds sowie auf Aktivfonds verzichtet wird, dass Fremdwährungsanlagen nur mit obligatorischer Wechselkursversicherung vorgenommen und dass die von den Pensionskassen beigezogenen Experten namentlich genannt werden. Der Bundesrat lehnte die Motion ab, da er die Auffassung vertrat, dass eine vollständige Minimierung der Anlagerisiken nicht mit der Langfristigkeit der beruflichen Vorsorge vereinbar sei. Während der Diskussion im Ständerat schlug Rolf Büttiker (fdp, SO) vor, lediglich die Ziffer 5 der Motion anzunehmen, welche besagt, dass von den Pensionskassen beigezogene Experten namentlich genannt werden sollten. Bundesrätin Doris Leuthard wies vergeblich darauf hin, dass eine Umsetzung dieses Punktes relativ schwer sein dürfte, da der Begriff des Beraters kaum definiert sei. Für die Annahme der gesamten Motion sprachen sich nur 9 Vertreter des Ständerates aus, was bei 18 Stimmen dagegen nicht ausreichte. Die Annahme der Ziffer 5 hingegen wurde mit 20 zu 6 Stimmen beschlossen. Dem folgte auch der Nationalrat und nahm die Ziffer 5 ebenfalls an
[29].
Der Ständerat nahm eine Motion seiner WBK an, welche den Bundesrat beauftragen will, für Berufe mit häufig wechselnden oder befristeten Anstellungen, wie sie bereits im Arbeitslosenversicherungsrecht definiert sind, bestehende Lücken in der sozialen Sicherheit gegenüber anderen Berufen so weit wie möglich zu schliessen. Der Kommissionssprecher Bürgi (svp, TG) wies in der Diskussion im Ständerat darauf hin, dass es bei dieser Motion vor allem um die
Verbesserung der sozialen Sicherheit von Kulturschaffenden gehe. Der Bundesrat lehnte die Motion ab, weil er der Ansicht war, dass Sozialpartner und Vorsorgeeinrichtungen besser über die bereits bestehenden Vorsorgemöglichkeiten informieren und insbesondere die Möglichkeit zu Branchenlösungen nutzen sollten. Der Ständerat schloss sich jedoch seiner Kommission an und nahm die Motion an
[30].
Eine parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL) wollte mit einer Gesetzesrevision sicherstellen, dass niemand bei
Auflösung des Arbeitsverhältnisses kurz vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters gegen seinen Willen zur vorzeitigen Pensionierung gezwungen werden kann. Damit der Anreiz bzw. die Möglichkeit geschaffen werden kann, ein neues Arbeitsverhältnis zu begründen, soll es möglich sein, eine Freizügigkeitsleistung zu erhalten. Die Vorlage wurde von beiden Parlamentskammern deutlich angenommen
[31].
[22]
AB NR, 2009, S. 1581 ff. Siehe
SPJ 2008, S. 218 f.
[23]
AB SR, 2009, S. 1230 ff.
[24]
AB SR, 2009, S. 1310;
AB NR, 2009, S. 2352.
[25]
AB NR, 2009, S. 1547;
AB SR, 2009, S. 161 ff.
[26]
AB NR, 2009, S. 573.
[27]
AB NR, 2009, S. 574.
[28]
AB NR, 2009, S. 1649 f. (Pa.Iv. Beck);
AB NR, 2009, S. 1649f. (Pa.Iv. Robbiani).
[29]
AB SR, 2009, S. 165 ff.;
AB NR, 2009, S. 1596.
[30]
AB SR, 2009, S. 504 f.
[31]
AB SR, 2009, S. 507 und 732;
AB NR, 2009, S. 516 ff. und 1309.
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