Année politique Suisse 2009 : Politique sociale / Assurances sociales / Krankenversicherung
Vor dem Hintergrund von Prämienerhöhungen gegen 15% hielt der Bundesrat rasch wirksame Massnahmen zur Kosteneindämmung für unabdingbar. Er legte dem Parlament daher eine Botschaft zur
Revision des Krankenversicherungsgesetzes mit Massnahmen zur Eindämmung der Kostenentwicklung vor. Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten sah er vor allem im ambulanten und spitalambulanten Bereich. Die vorgeschlagenen dringlichen Massnahmen beinhalteten, dass erstens die Kantone zusätzlich zur bereits bestehenden Pflicht zur Planung des stationären Spitalbereichs auch zur Steuerung der Versorgung im spitalambulanten Bereich verpflichtet werden. Zweitens sollte die Nachfrage verringert werden durch die Erhebung eines vom Versicherten zu entrichtenden Behandlungsbeitrag und durch die Schaffung der allen Versicherten zugänglichen Möglichkeit, sich vor einem allfälligen Arztbesuch telefonisch beraten zu lassen. Schliesslich wollte der Bundesrat die Kompetenz erhalten, die Preise (Tarife) zu senken, wenn in einem bestimmten Bereich ein überdurchschnittlicher Preisanstieg zu verzeichnen ist. Zudem sollten zur sozialen Entlastung zusätzliche Gelder für die Prämienverbilligung von 200 Mio Fr. für das Jahr 2010 zur Verfügung gestellt werden
[39].
Dieser Entwurf für eine Revision des Krankenversicherungsgesetzes wurde im
Nationalrat als erster behandelt. Seine Kommission hatte den Entwurf in vielen Punkten abgeändert und in der Gesamtabstimmung eher knapp, mit 14 zu 10 Stimmen, angenommen. Umstritten waren vor allem die Streichung der vorgesehenen 200 Mio Fr. für die Prämienverbilligung und die vorgesehene Einführung der Vertragsfreiheit. Auf die Vorlage wurde mit 175 zu einer Stimme eingetreten. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Praxisgebühr von 30 Fr., welche die Patienten bei den ersten sechs Arztbesuchen im Jahr entrichten sollten, hatte im Nationalrat keine Chance. Hingegen entschied sich der Rat für eine, von seiner Kommission vorgeschlagene, differenzierte Selbstbehaltsregelung. Die von einer Kommissionsmehrheit geforderte Einführung der Vertragsfreiheit zwischen Versicherern und Ärzten wurde im Nationalrat von den Linken und Grünen bekämpft und mit 87 zu 80 Stimmen abgelehnt. Der Vorschlag des Bundesrates zur Aufstockung der Prämienverbilligung um 200 Mio Fr. erhielt keine Mehrheit. Hier konnten sich die Bürgerlichen mit 105 zu 64 Stimmen durchsetzen. Ebenfalls gegen den Willen der links-grünen Minderheit dehnte der Nationalrat den bisher nur von Alleinstehenden erhobenen Beitrag an die Kosten des Spitalaufenthaltes auf alle Versicherte, mit Ausnahme der Kinder, aus. Ein Einzelantrag Ruey (fdp, VD) lehnte es ab, dass Kantone die Kompetenz erhalten, auch für den ambulanten Bereich der Spitäler Leistungsaufträge zu erteilen und diesen zu steuern. Der Antrag wurde mit 82 zu 74 Stimmen angenommen. Gemäss Antrag einer bürgerlichen Kommissionsminderheit beschloss der Nationalrat mit 117 zu 61 Stimmen, dass bei der Wahl einer höheren Franchise mit entsprechendem Prämienrabatt eine Vertragsdauer von drei Jahren zu gelten habe. Nach achtstündiger Debatte verabschiedete der Nationalrat die Vorlage in der Gesamtabstimmung mit 113 zu 58 Stimmen gegen den Widerstand des links-grünen Lagers, welches kritisierte, dass die Massnahmen eine einseitige Lastenverschiebung auf die Patienten und Versicherten darstellen
[40].
Im
Ständerat war das Eintreten auf die Vorlage unbestritten. Wie zuvor der Nationalrat strich auch der Ständerat ohne Diskussion die vom Bundesrat vorgeschlagene Praxisgebühr von 30 Fr. Mit der vom Nationalrat vorgeschlagenen differenzierten Selbstbehaltsregelung erklärte er sich grundsätzlich einverstanden. Analog zum Nationalrat wurde eine Erhöhung der Prämienverbilligung mit 23 zu 9 Stimmen abgelehnt. Der Ständerat beschloss ferner, dass die Krankenkassen in Zukunft nur noch Medikamente bezahlen müssen, die maximal 10% teurer sind als das jeweils günstigste Medikament. Nicht durchsetzen konnte sich eine Reduktion der Vertriebsmargen auf 8%. Bei der Vertragsdauer für Versicherte, welche eine höhere Franchise wählen, nahm der Ständerat eine Abschwächung vor und kürzte die Dauer auf zwei Jahre anstatt drei. Ausserdem setzte sich mit 20 zu 13 Stimmen ein Antrag durch, wonach Versicherte nach einem Jahr zwar nicht die Franchise, wohl aber die Kasse wechseln können, falls sich die Prämie erhöht. Analog zum Nationalrat lehnte es auch die kleine Kammer ab, den Kantonen Planungskompetenzen für den ambulanten Bereich der Spitäler zu erteilen. Den vom Nationalrat unterstützen bundesrätlichen Vorschlag für eine obligatorische flächendeckende Telefonberatung lehnte der Ständerat mit 23 zu 12 Stimmen ab. In der Gesamtabstimmung nahm die kleine Kammer die Vorlage einstimmig, mit 5 Enthaltungen, an
[41].
In der
Differenzbereinigung gab der Nationalrat bei der obligatorischen medizinischen Telefonberatung nach und strich den Passus. Die Bestimmung des Ständerates, dass Medikamente nur noch bezahlt werden müssen, wenn sie maximal 10% teurer sind als das günstigste Medikament, wurde vom Nationalrat gegen den Widerstand einer links-grünen Minderheit wieder gestrichen. Der Nationalrat folgte zudem einer Kommissionsminderheit, welche der Auffassung war, dass der differenzierte Selbstbehalt ohne Verzug eingeführt und nicht in die Managed-Care Vorlage ausgegliedert werden soll. Zudem forderte der Nationalrat, an der Dringlichkeit der Vorlage festzuhalten
[42].
[39]
BBl 2009, S. 5793 ff.
[40]
AB NR, 2009, S. 1376 ff. und 1409 ff.
[41]
AB SR, 2009, S. 1069 ff. und 1078 ff.
[42]
AB NR, 2009, S. 2077 ff. und 2147 ff.
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