Année politique Suisse 2009 : Politique sociale / Groupes sociaux
 
Frauen
Im Februar schickte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats einen Vorentwurf zur Einführung eines neuen, spezifischen Straftatbestandes der Verstümmelung weiblicher Genitalien in die Vernehmlassung und setzte damit eine parlamentarische Initiative Roth-Bernasconi (sp, GE) um. Mit den geplanten Bestimmungen sollen die mit dem geltenden, nicht für alle Formen von Genitalverstümmelung einheitlichen Recht verbundenen Abgrenzungs- und Beweisschwierigkeiten überwunden werden. Ausserdem könnte eine im Ausland begangene Verstümmelung weiblicher Genitalien in der Schweiz auch dann gerichtlich verfolgt werden, wenn sie am Tatort nicht strafbar ist  BBl, 2009, S. 1680..
Im Mai verabschiedete der Bundesrat einen Bericht zu Gewalt in Paarbeziehungen, der in Erfüllung eines Postulats Stump (sp, AG) erstellt wurde und auf einer Studie des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann basiert. Die Verfasser gehen davon aus, dass rund 10-20% der Frauen während ihres Erwachsenenlebens Opfer von häuslicher Gewalt werden. Allerdings gibt es zum genauen Ausmass der Partnerschaftsgewalt keine verlässlichen Angaben, da eine gesamtschweizerische Statistik bisher fehlt. Die Studie liefert erstmals auch eine Übersicht zu den Ursachen von Gewalt in Paarbeziehungen. Laut den Autoren spielen dabei immer zahlreiche individuelle und gesellschaftliche Risikofaktoren – wie beispielsweise Gewalterlebnisse in der Kindheit, erhöhter Alkoholkonsum und antisoziales oder kriminelles Verhalten – zusammen  BBl, 2009, S. 4087 ff.; BüZ, NZZ und SN, 15.5.09. Vgl. SPJ 2005, S. 211..
Der Nationalrat überwies in der Sommersession eine Motion Heim (sp, SO) zur Eindämmung von „häuslicher Gewalt“. Die kleine Kammer wandelte den Vorstoss in der Herbstsession in einen Prüfungsauftrag um. Der Bundesrat muss einen Bericht zur Einstellungspraxis beim Tatbestand der häuslichen Gewalt in den Kantonen erarbeiten. Dabei hat er unter anderem zu untersuchen, ob die provisorische Einstellung des Verfahrens auf Antrag vom Besuch eines Lernprogramms gegen Gewalt abhängig gemacht und von Amtes wegen wieder aufgenommen werden soll, wenn sich die Tatperson dem Programm entzöge  AB NR, 2009, S. 1012; AB SR, 2009, S. 1305 ff..
Eine Motion Geissbühler (svp, BE), mit der gefordert wurde, die häusliche Gewalt entweder als klares Offizialdelikt oder ansonsten wieder als Antragsdelikt auszugestalten, wurde vom Nationalrat in der Sommersession knapp mit 83 zu 78 Stimmen verworfen. Die Delikte im Bereich der häuslichen Gewalt waren 2003 von Antrags- in Offizialdelikte geändert worden. Allerdings sehen die neuen Bestimmungen vor, dass ein Verfahren auf Begehren des Opfers zunächst provisorisch eingestellt werden kann; verlangt das Opfer innert sechs Monaten keine Wiederaufnahme des Verfahrens, so erfolgt die definitive Einstellung  AB NR, 2009, S. 1013. Vgl. SPJ 2003, S. 27..
Frauen investieren nach wie vor deutlich mehr Zeit in die Haus- und Familienarbeit als Männer. Dies zeigt eine Langzeituntersuchung des Bundesamts für Statistik über die Veränderungen beim Zeitaufwand für Haus- und Familienarbeit, welche im August veröffentlicht wurde. Im Jahr 2007 wendeten die Frauen durchschnittlich 30 Stunden pro Woche auf, bei den Männern waren es gut 18 Stunden. Allerdings lassen die Zahlen bei den Männern einen positiven Trend erkennen, ihr Einsatz für Haus- und Familienarbeit ist zwischen 1997 und 2007 um 2,4 Stunden pro Woche gestiegen, während der Zeitaufwand der Frauen um durchschnittlich 1,4 Stunden abgenommen hat  NLZ, SZ und TA, 19.8.09..
In der Herbstsession überwies der Nationalrat mit 105 zu 78 Stimmen ein Postulat der Grünen Fraktion, mit welchem der Bundesrat beauftragt wurde, die Auswirkungen des Konjunkturprogramms aus Gender-Sicht zu untersuchen. In einem entsprechenden Bericht soll er unter anderem aufzeigen, wie sich die Stabilisierungsmassnahmen zur Stützung der Konjunktur in den Bereichen Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen, Entlassungen, Kurzarbeit, Umsetzung und Wirkung von Weiterbildungsmassnahmen auf Frauen und Männer auswirken  AB NR, 2009, S. 1547. Vgl. SPJ 2008, S. 232..
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Politische Vertretung
Im Berichtsjahr wurden Pascale Bruderer (sp, AG) zur Nationalratspräsidentin, Erika Foster (fdp, SG) zur Ständeratspräsidentin und Doris Leuthard zur Bundespräsidentin für das Jahr 2010 gewählt. Damit werden in der Schweiz erstmals alle drei Spitzenposten der Bundespolitik durch Frauen besetzt. Allerdings nähert sich die zahlenmässige Vertretung der Frauen nur schleppend derjenigen der Männer an. Im Nationalrat liegt der Frauenanteil bei 29,5%, im Ständerat sogar nur bei 21,7% und auch auf kantonaler und kommunaler Ebene sind die Frauen weiterhin klar in der Minderheit  AZ und BüZ, 21.11.09; Blick, 24.11.09; NZZ, 2.12.09..
Im Berichtsjahr verwarf der Nationalrat eine Motion Maury Pasquier (sp, GE), die eine Kampagne zur Sensibilisierung der Frauen für politische Fragen forderte. Ebenfalls abgelehnt wurde eine Motion Kiener Nellen (sp, BE), mit der gesetzliche Anpassungen verlangt wurden, um eine angemessene Vertretung der Geschlechter bei den Mitgliedern und Ersatzmitgliedern der eidgenössischen Gerichte zu gewährleisten  AB NR, 2009, S. 570 f. (Mo. Maury Pasquier) und 1020 (Mo. Kiener Nellen)..
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Arbeitswelt
Frauen verdienen immer noch deutlich weniger als Männer. Die Daten der Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik zeigen zwar, dass sich die Lohnunterschiede zwischen 1998 und 2006 verkleinert haben, die Diskriminierung besteht aber weiterhin. 2006 waren die Löhne der Frauen in der Privatwirtschaft im Schnitt 24% oder 1747 Fr. tiefer als diejenigen der Männer (1998 waren es 24,8%). 60% dieser Differenz lassen sich durch persönliche Qualifikationen sowie Arbeitsplatz- oder unternehmensspezifische Faktoren begründen, 40% können nicht erklärt werden und gelten damit als diskriminierend  NLZ, 13.6.09..
Im Herbst nahmen Bund und Sozialpartner einen neuen Anlauf, um die Lohndiskriminierung der Frauen zu verringern. Mit dem Instrument des „Lohngleichheitsdialogs“ setzen sie auf freiwillige Zusammenarbeit. Konkret geht es darum, Unternehmen dafür zu gewinnen, ihr Salärsystem zu überprüfen. Als Grundlage dient ein Programm des Eidgenössischen Büros für Gleichstellung von Frau und Mann, das sog. Logib. Zusätzlich wurden Merkblätter erarbeitet, die sich v.a. an kleinere Unternehmen wenden, für die das Logib nicht geeignet ist. Das Projekt soll während fünf Jahren geführt werden und wird von Bund und Sozialpartnern finanziell unterstützt  NZZ, 3.9.09..
Das Bundesamt für Statistik veröffentlichte im Berichtsjahr eine Studie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Schweiz und weiteren europäischen Ländern. Laut den publizierten Zahlen besteht in der Schweiz weiterhin in vielen Familien- und Paarhaushalten eine deutliche geschlechtsspezifische Rollenteilung, welche in Haushalten mit kleinen Kindern besonders ausgeprägt ist. In 45% der Familien mit Kindern unter 6 Jahren geht der Mann einer Vollzeit- und die Frau einer Teilzeitbeschäftigung nach. Mit 37% etwas weniger verbreitet ist das Erwerbsmodell, bei dem die Frau überhaupt nicht berufstätig ist. Deutlich seltener sind Haushalte mit Kindern unter 6 Jahren in denen entweder beide Partner Teilzeit arbeiten (10%) oder beide Vollzeit erwerbstätig sind (8%). Rund drei Viertel der nicht erwerbstätigen Frauen im Alter von 25 bis 49 Jahren begründen ihr Fernbleiben vom Arbeitsmarkt mit den Aufgaben im Bereich der Haus- und Familienarbeit  Medienmitteilung des BFS, 3.9.09; BaZ und SGT, 4.9.09..
Eine Motion Prelicz-Huber (gp, ZH), welche den Bundesrat beauftragt, die Teilzeitstellen und Jobsharing-Möglichkeiten in der Bundesverwaltung und den öffentlichen Betrieben auszubauen, wurde im Berichtsjahr von beiden Räten gutgeheissen. Während der Nationalrat die Motion in ihrer ursprünglichen Fassung – in der von einem raschen und massiven Ausbau die Rede ist – befürwortete, stimmte der Ständerat einer abgeschwächten Variante zu, mit der bloss ein Ausbau gefordert wird  AB NR, 2009, S. 1545; AB SR, 2009, S. 1067 ff..
Keine Folge gab der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Roth-Bernasconi (sp, GE), mit der eine Frauenquote von 30% in den Verwaltungsräten von den an der Schweizer Börse kotierten Gesellschaften und von Gesellschaften mit Bundesbeteiligung verlangt wurde  AB NR, 2009, S. 1751 ff..