Année politique Suisse 2010 : Eléments du système politique / Institutions et droits populaires / Gerichte
Bei der Organisation der
Strafbehörden des Bundes beharrte der Ständerat auf seinem Vorschlag betreffend Aufsicht der
Bundesanwaltschaft: der Bundesanwalt sei vom Parlament zu wählen. Ein ebenfalls vom Parlament zu wählendes Gremium, bestehend aus je einem Richter des Bundesgerichts und des Bundesstrafgerichts, zwei praktizierenden Anwälten und drei Fachpersonen, die weder Richter noch Anwälte sind, soll die Bundesanwaltschaft beaufsichtigen. Nachdem sich ein Minderheitsantrag im Nationalrate 2009 noch erfolgreich gegen diesen Vorschlag durchgesetzt hatte und die Aufsicht beim Bundesrat belassen wollte, übernahm die grosse Kammer den ständerätlichen Vorschlag in der zweiten Lesung knapp mit 88 zu 81 Stimmen. Auch die zweite Differenz wurde im Sinn des Ständerats ausgeräumt. Eine Minderheit im Nationalrat monierte, dass die Existenz nur einer Rechtsmittelinstanz nicht genüge. Die Mehrheit der grossen Kammer stellte sich jedoch hinter die Meinung des Ständerats, dass ein
Beschwerderecht genüge und ein Berufungsrecht nicht nötig sei. Der Auftrag zur Präzisierung dieses Beschwerderechtes wurde dem Bundesrat noch im Berichtsjahr von einer Motion Janiak (sp, BL) erteilt. Der entsprechende Beschluss fiel im Ständerat einstimmig. Im Nationalrat stimmte ihm nur die SVP-Fraktion nicht zu
[43].
Im Rahmen des Strafbehördenorganisationsgesetzes befand das Parlament zudem über zwei Verordnungen, die das Arbeitsverhältnis und die Besoldung des Bundesanwalts und der Stellvertreter sowie die Einzelheiten der Organisation und Aufgaben der Aufsichtsbehörde regeln sollten. Der Vorschlag der zuständigen Kommission für Rechtsfragen des Ständerats wurde praktisch diskussionslos von beiden Kammern übernommen. Für die Bundesanwaltschaft seien hinsichtlich Arbeitsverhältnis und Besoldung die gleichen Regelungen anzuwenden wie für Bundesrichter
[44].
Bereits in der Herbstsession wählte die vereinigte Bundesversammlung zum ersten Mal die besagte
Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft. Sechs der sieben Kandidaten waren unbestritten. Die Wahl von Hansjörg Seiler, Giorgio Bomio, Thomas Fingerhuth, Carla Wassmer, Thierry Béguin und Niklaus Oberholzer wurde von allen Fraktionen unterstützt. Die Ratslinke, unterstützt von Dick Marty (fdp, TI), wehrte sich erfolglos gegen den SVP-Kandidaten David Zollinger, der als Geschäftsleitungsmitglied einer Bank nicht in einem Gremium Einsitz nehmen solle, das auch über Banken urteilen müsse. Dieses Argument wurde jedoch von der Mehrheit der Bundesversammlung nicht geteilt und der von der grünen Fraktion vorgeschlagene Pascal Mahon hatte keine Chance gegen Zollinger
[45].
Nach siebenjähriger Untersuchung schloss die Bundesanwaltschaft die Ermittlungsakte gegen den Bankier Oskar
Holenweger und klagte ihn wegen Geldwäscherei an. Der Fall hatte sich zu einem eigentlichen „Politkrimi“ entwickelt, in dem der Rücktritt von Valentin
Roschacher und die mutmasslich damit verbundene Abwahl von Bundesrat Blocher die Höhepunkte darstellten. Der mit diesem Fall beklagte Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust löste im Parlament Vorstösse und Interpellationen vor allem seitens der SVP aus, die sich nach dem Fall Roschacher eingehend mit der Institution Bundesanwaltschaft auseinandergesetzt hatte. Allerdings scheiterte die Motion der SVP-Fraktion, die ein Verfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung einleiten wollte, im Nationalrat relativ deutlich
[46].
Auch der Nachfolger Roschachers,
Erwin Beyeler geriet mit dem Fall Holenweger in die Kritik. Darüber hinaus sorgte auch sein Vorschlag, drei Ausländer zu Staatsanwälten zu befördern, für Unmut. Doris Fiala (fdp, ZH) reichte in der Folge eine in den bürgerlichen Parteien breit abgestützte Motion ein, die verlangt, dass Kaderstellen in der Bundesanwaltschaft nur von Personen mit Schweizer Bürgerrecht besetzt werden. Noch weiter geht eine Motion Baumann (svp, TG), die verlangt, dass sämtliche Träger hoheitlicher Gewalt Schweizer sein müssen. Beide Vorstösse wurden im Berichtsjahr noch nicht behandelt. Noch im Sommer hatte das Parlament mit dem Strafbehördenorganisationsgesetz (siehe oben) bestimmt, dass der Schweizer Pass lediglich für den Bundesanwalt und seine Stellvertreter Bedingung ist. Das neue Bundesgesetz über die Organisation der Strafbehörden sieht zudem vor, dass nicht mehr der Bundesrat, sondern der Bundesanwalt selber für Beförderungen und Einstellungen zuständig ist
[47].
Die Kritik am Bundesanwalt ist auch deshalb brisant, weil befürchtet wird, dass die neu verfügte Wahl des Bundesanwalts durch das Parlament, stark politisch werde. Darüber hinaus hat die Wahl auf die neue Legislatur hin zu erfolgen, also voraussichtlich in den der Wahl von National- und Ständerat vorausgehenden Wochen
[48].
[43]
AB SR, 2010, S. 2 ff., S. 160 und S. 362;
AB NR, 2010, S. 116 ff., S. 333 ff. und S. 577;
BBl, 2010, S. 2031 ff.; siehe
SPJ 2009, S. 38; Mo. Janiak:
AB SR, 2010, S. 593;
AB NR, 2010, S. 2150 f. Presse vom 21.01, 02.03 und 04.03.10,
LT, 06.03.10.
[44]
BBl, 2010, S. 4101 ff. (Bericht RK-SR).
AB SR, 2010, S. 626 ff. und 1013 (Schlussabstimmung).
AB NR, 2010, S. 1361 ff. und 1678 (Schlussabstimmung).
[45]
AB NR, 2010, S. 1699 ff.; Presse vom 30.09.10.
[46] Zum Fall Holenweger und zur Anklage: Presse vom 07.05 bis 05.07.10; Politkrimi: TA, 7.5.10; Vertrauensverlust: TA, 4.5.10; Mo. SVP: AB NR, 2010, S. 106f.; als Beispiel einer Interpellation die Frage Schlüer: AB NR, 2010, S. 776.
[47] Presse vom 3.12. bis 17.12.10; Ausländische Staatsanwälte: Presse vom 3.12. bis 17.12.10; Mo. Baumann (10.4097); Mo. Fiala (10.3966).
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