Année politique Suisse 2010 : Eléments du système politique / Elections
Ersatzwahlen
In Neuenburg kündigte Frédéric Hainard (fdp) nach Vorwürfen von Amtsmissbrauch und Vetternwirtschaft per Ende Oktober seinen Rücktritt an, wurde aber von der Regierung bereits im August von seiner Funktion als Volkswirtschaftsdirektor entbunden. Hainard war erst eineinhalb Jahre zuvor im Alter von 34 Jahren in den Neuenburger Staatsrat gewählt worden. Das rot-grüne Lager witterte die Chance, den bei den letzten Wahlen an die FDP verlorenen Regierungssitz bereits wieder zurückzugewinnen. Es trat mit Patrick Erard (gp) an, der Präsident der Parlamentarischen Untersuchungskommission zur „Affäre Hainard“ war, was ihm – obwohl er in den Ausstand trat – von den Gegnern im Wahlkampf vorgeworfen wurde. Erard wurde von den Grünen und der SP unterstützt. Das bürgerliche Lager war weniger geschlossen. Die FDP selber hatte zuerst Mühe, Kandidaten zu finden, trat dann aber mit Grossrat Thierry Grosjean an. Die SVP verwehrte der FDP die Unterstützung und die BDP trat mit einem eigenen Kandidaten an (Pierre-Alain Storrer).
Beim ersten Wahlgang vom 31. Oktober (Wahlbeteiligung: 32.05%) erhielt Grosjean 209 Stimmen mehr als Erard. Storrer, der weit abgeschlagen immer noch die 5%-Hürde übersprungen hatte, trat nicht mehr zum zweiten Wahlgang vom 21. November an. Gewählt wurde schliesslich Thierry Grosjean mit 24 319 Stimmen, während Erard 21 816 Stimmen erhielt. Die etwas stärkere Mobilisierung (36.7%) fiel zu Ungunsten des links-grünen Lagers aus, das seine Wählerschaft zu wenig stark mobilisieren konnte. Die Affäre Hainard scheint der Neuenburger FDP damit nicht nachhaltig geschadet zu haben. Grosjean übernahm das Volkswirtschaftsdirektorium
[16].
In St. Gallen wurde eine Ersatzwahl nötig, weil CVP-Regierungsrat Joe Keller nach zehnjähriger Amtszeit per Ende März 2011 seinen Rücktritt angekündigt hatte. Die CVP versuchte ihren Regierungssitz mit Beni Würth, dem Stadtpräsidenten von Rapperswil-Jona zu verteidigen. Die SVP machte rasch ihren Anspruch auf den frei werdenden Regierungssitz geltend, da sie mit bisher einem Sitz als deutlich stärkste Kantonsratsfraktion untervertreten sei. Ihrem Kandidaten Herbert Huser stellte die SVP die Dienste des Werbers Alexander Segert – Erschaffer der aufsehenerregenden Schäfchen- und Minarett-Plakate – zur Verfügung. Obwohl die SVP angetreten war, um die Wirtschaft in der St. Galler Regierung besser zu vertreten, unterstützten zahlreiche Wirtschaftsverbände, darunter Travailsuisse und der Gewerbeverband die Kandidatur von Würth. Diese Unterstützung zusammen mit den positiven Empfehlungen der restlichen bürgerlichen Parteien BDP, FDP und EVP verhalfen Würth schliesslich zu einem relativ komfortablen Sieg. Er erhielt über 25 000 Stimmen mehr als Huser
[17].
Etwas überraschend kündigte SVP-Regierungspräsident Erhard Meister auf Ende 2010 seinen Rücktritt an. Die SVP wollte ihren zweiten Sitz, den sie erst 2004 nach über 30 Jahren zurückerobert hatte, mit Ernst Landolt verteidigen, dessen Kandidatur von der FDP, der EVP und der EDU sowie vom Gewerbeverband unterstützt wurde. Einen Angriff auf den Sitz lancierte die Alternative Liste, die Kantonsrat Matthias Frick ins Rennen schickte, der sich die Unterstützung von SP und Ökoliberalen sichern konnte.
Der als gemässigt und erfahren geltende Landolt siegte schliesslich deutlich und erhielt mit 12 619 Stimmen fast dreimal so viele Voten wie sein Gegenkandidat (4 636). Auffällig waren die zahlreichen Leerstimmen: fast 8 000 Wahlzettel trugen keinen Namen, was als Protest gegen die Classe Politique und als Unzufriedenheit mit der Kandidatenauswahl gewertet wurde. Auch die für Schaffhausen geringe Wahlbeteiligung von 56.6% wurde als Misstrauensvotum interpretiert
[18].
Mit Lorenz Bösch und Georg Hess traten gleich zwei Regierungsräte der CVP wegen beruflicher Veränderungen zurück. Der Umstand, dass die CVP als zweitstärkste Fraktion drei Regierungssitze, die SVP als stärkste Fraktion jedoch nur zwei innehatte, verlieh der Ausgangslage einige Brisanz. Die SVP griff denn auch einen der beiden Sitze mit ihrer Parteipräsidentin Judith Uebersax an. Auch die FDP wollte die Gunst der Stunde nutzen und schickte Kaspar Michel ins Rennen, der bei den letzten Gesamterneuerungswahlen 2008 nur knapp gegen den jetzt zurücktretenden Hess verloren hatte. Die CVP ihrerseits wollte die beiden Sitze mit Othmar Reichmuth und Bernadette Kündig halten. Ergänzt wurde das Kandidatenquartett durch Bruno Suter, einem parteilosen Wirt aus dem Muotatal, der als Elitenskeptiker bereits drei Mal erfolglos für den Regierungsrat kandidiert hatte.
Im ersten Wahlgang erreichte relativ überraschend kein Kandidat das absolute Mehr. Reichmuth erzielte, gefolgt von Michel und Kündig, das beste Resultat. Uebersax und Suter lagen beide mehr als 1500 Stimmen hinter dem dritten Rang zurück. Trotzdem traten auch sie noch einmal zum zweiten Wahlgang an, der so mit identischer Kandidatenauswahl stattfand. Identisch war im zweiten Wahlgang dann auch das Resultat. Othmar Reichmuth (cvp) und Kaspar Michel (fdp) erhielten die meisten Stimmen. Michel konnte somit den vor zwei Jahren an die CVP verlorenen Sitz für die FDP zurückgewinnen. Die als Hardlinerin geltende Uebersax hatte keine Chance, für die SVP eine dritte Regierungsvertretung zu gewinnen. Sie lag noch hinter Kündig auf Rang vier. Damit warten die Schwyzerinnen weiterhin vergeblich auf eine Frauenvertretung in der Exekutive, nachdem die bisher einzige Regierungsrätin, Margrit Weber-Röllin (cvp) 1996, nach achtjähriger Amtszeit aus der Regierung ausgeschieden war
[19].
Im Dezember 2009 hatte der parteilose Markus Stadler seinen Rücktritt als Urner Regierungsrat angekündigt. Er kandidierte in der Folge erfolgreich für den frei gewordenen Urner Ständeratssitz (siehe unten). Um seine Nachfolge stritten sich zwei Kantonsparlamentarier. Die Grünen portierten Landrätin Annalise Russi und die SVP schickte Landrat Beat Arnold ins Rennen. Die SVP machte als zweitstärkste Fraktion im Landrat ihren Anspruch auf einen Sitz in der Regierung geltend. Die Grünen – zusammen mit der SP lediglich halb so stark wie die SVP – argumentierten, dass in Uri Köpfe und nicht Parteien gewählt würden. Weder die CVP (drei Sitze), noch die FDP (zwei Sitze) noch die SP stellten Kandidaten auf, so dass es zu einer Premiere kommen sollte: zum ersten Mal würde entweder ein SVP-Mann oder eine Vertreterin der Grünen in der Urner Regierung sitzen.
Das Wahlduell ging schliesslich zu Gunsten der SVP aus: Arnold machte 5013 Stimmen und Russi konnte mit 4426 einen Achtungserfolg erzielen, der auch der Unterstützung grosser Teile der CVP zu verdanken war. Damit wurde die SVP auch in Uri in die Regierungsverantwortung eingebunden
[20].
[16] Zu den Vorwürfen gegen Hainard:
TG, 26.6.10;
NZZ, 26.8.10; Wahlen vom 31.10.10: Presse vom 1.11.10; Wahlkampf:
LT, 18.10 und 28.10.10;
NZZ, 29.10.10. 2. Wahlgang vom 21.11.10: Presse vom 22.11.10;
LT, 25.11.10.
[17] Wahlen vom 28.11.10 (1. Wahlgang): Presse vom 29.11.10; Wahlkampf: Presse vom 19.8.-19.11.10.
[18] Wahlen vom 29.8.10 (1. Wahlgang): Presse vom 30.8.10;
SN, 30.8.10. Wahlkampf: Presse vom 9.2.-26.8.10.
[19] Wahlen vom 25.4.10 (1. Wahlgang): Presse vom 26.4.10. Wahlkampf:
NLZ, 12.3. und 17.3.10; Presse vom 6.-21.4.10; Wahlen vom 13.6.10 (2. Wahlgang): Presse vom 14.6.10; Wahlkampf: Presse vom 29.4. bis 11.6;
SPJ 2008, S. 52 f.;
SPJ 1988, S. 56.
[20] Wahlen vom 25.4.10: Presse vom 26.4.10;
NLZ, 27.4.10; Wahlkampf: Presse vom 18.3.-21.4.10.
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