Année politique Suisse 2010 : Politique sociale / Assurances sociales / Krankenversicherung
Die im Vorjahr von National- und Ständerat behandelte parlamentarische Initiative der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates über die
Nichtbezahlung von fälligen Prämien und Kostenbeteiligungen hatte zwei Punkte übrig gelassen, welche es in der Differenzbereinigung im Nationalrat zu diskutieren gab. Einerseits handelte es sich dabei um die Verteilung der nachträglich eingetriebenen Gelder. Die Mehrheit der Kommission empfahl hier dem Ständerat zu folgen, wonach die Kassen die eingetriebenen Gelder mit den Kantonen zu teilen haben. Während die SP, die Grünen sowie CVP, EVP und GLP dies unterstützten, sprach sich eine rechts-bürgerliche Kommissionsminderheit dafür aus, an der Version des Nationalrates festzuhalten, wonach die Kassen die nachträglich eingetriebenen Prämien für sich behalten können. Die grosse Kammer folgte mit 87 zu 82 Stimmen knapp der Kommissionsminderheit und damit dem Festhalten an der eigenen Position. Andererseits musste der Nationalrat die Frage der Liste von säumigen Zahlern und dem möglichen Leistungsaufschub diskutieren. Eine Kommissionsmehrheit verlangte, auf die generelle Einführung des sogenannten Thurgauer-Modells zu verzichten. Dieses Modell sieht vor, dass Kantone eine Liste von Personen erstellen können, die trotz Mahnung und Betreibung ihre Prämien nicht bezahlen. Eine Kommissionsminderheit schlug vor, der Fassung des Ständerates zu folgen. Gegen den Willen der Ratslinken und des Bundesrates folgte der Nationalrat in dieser Sache dem Ständerat mit 107 zu 68 Stimmen. Damit stimmte auch die grosse Kammer einer allgemeinen Einführung der Thurgauer Praxis zu, allerdings mit der vom Ständerat zuvor festgelegten Einschränkung, dass bei den Listen der säumigen Zahler die Kantone alleine bestimmen können, welche Schuldner sie auf diese Liste nehmen
[59].
Bei der weiteren
Differenzbereingung im Ständerat gaben nochmals das Mahnverfahren und die Verteilung der nachträglich eingetriebenen Gelder zu reden. Entgegen der Kommissionsmehrheit folgte der Ständerat in der Frage des Mahnverfahrens mit 17 zu 15 Stimmen dem Nationalrat, der zwar einen weiteren Mahnschritt vorsah, aber der aktuellen in einer Verordnung formulierten Praxis entsprach. Ohne Diskussion hielt die kleine Kammer an ihrem Beschluss fest, dass die nachträglich eingetriebenen Gelder zu 50% an die Kantone gehen sollen. Dem schloss sich schliesslich der Nationalrat ohne weitere Diskussion an
[60].
In der
Schlussabstimmung nahmen beide Räte die parlamentarische Initiative und damit die Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung einstimmig an. Der Nationalrat tat dies mit 193 zu 0 Stimmen, der Ständerat mit 44 zu 0 Stimmen
[61].
Durch einen Ordnungsantrag war im Vorjahr eine Motion Stähelin (cvp, TG) an die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit zurückgewiesen worden. Die Motion forderte, dass Personen, welche aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation in der Lage sind, ihre Krankenkassenprämien zu bezahlen, dies aber trotzdem nicht tun, auf einer
Liste erfasst werden, welche nur den Leistungserbringern, Gemeinden und Kantonen zugänglich ist. Die Kommission des Ständerates beantragte einstimmig, die Motion abzulehnen. Auch der Motionär selbst forderte den Ständerat zur Ablehnung auf, denn das Anliegen wurde inzwischen bereits durch die oben genannte parlamentarische Initiative aufgegleist. In diesem Sinne lehnte der Ständerat die Motion ab
[62].
Eine im Vorjahr von der kleinen Kammer angenommene Motion Schwaller (cvp, FR), welche den
Leistungskatalog der Grundversicherung als Positivkatalog formulieren und eine strenge Überprüfung nach den Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit vornehmen wollte, lehnte der Nationalrat ab
[63].
Auch eine parlamentarische Initiative Steiert (sp, FR) lehnte die grosse Kammer mit 120 zu 62 Stimmen ab. Die Initiative hätte verlangt, dass Rechnungen von Versicherten, die ihre Grundversicherung und ihre Zusatzversicherungen bei zwei verschiedenen Versicherern abgeschlossen haben, über den Zusatzversicherer ausgeführt werden sollen. Der Initiant begründete seinen Vorstoss vor allem mit Abgrenzungsschwierigkeiten, welche entstünden, wenn Rechnungen über zwei Versicherer abgewickelt werden müssten. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates hatte mit 10 zu 8 Stimmen bei 3 Enthaltungen entschieden, der Initiative keine Folge zu geben. Eine links-grüne Minderheit hatte argumentiert, dass mit der Initiative die
Abrechnungen für Versicherte und Leistungserbringer vereinfacht würden. Die Mehrheit der Kommission sprach sich jedoch dagegen aus, die Krankenpflegeversicherung mit den Zusatzversicherungen zu vermischen
[64].
Der Ständerat nahm ein Postulat Berberat (sp, NE) an, welches eine Festlegung objektiver Kriterien für Behandlungen mit
zulassungsüberschreitendem Einsatz von Medikamenten, insbesondere für die Behandlung seltener Krankheiten fordert
[65].
[59]
AB NR, 2010, S. 44 ff. Siehe
SPJ 2009, S. 222 f.
[60]
AB SR, 2010, S. 169 f.;
AB NR, 2010, S. 382.
[61]
AB NR, 2010, S. 579;
AB SR, 2010, S. 363.
[62]
AB SR, 2010, S. 75. Siehe
SPJ 2009, S. 222.
[63]
AB NR, 2010, S. 53 ff.
[64]
AB NR, 2010, S. 668 ff.
[65]
AB SR, 2010, S. 842.
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