Année politique Suisse 2010 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Grundsätzliches
Eine komplette Übersicht zu den Revisionen der kantonalen Gesetze im Bildungsbereich befindet sich in Teil II, 6a-d.
Bund, Kantone und Bildungsforschung präsentierten im Februar einen Bildungsbericht. Die Untersuchung brachte erstmals einen Überblick über das komplexe Bildungssystem der Schweiz und soll eine Grundlage für künftige Entscheide über die Weiterentwicklung des Bildungswesens bieten. Insgesamt ergab sich aus der Studie, dass die kantonalen Unterschiede beim Bildungsangebot und bei der Finanzierung nach wie vor beträchtlich sind. Der Fokus wurde auf die Grundschulbildung gelegt, wo besonders die stark unterschiedliche Lektionenzahl zwischen den Kantonen auffällt. Während die Schülerinnen und Schüler in Basel-Stadt pro Jahr rund 600 Stunden Unterricht haben, sind es im Wallis etwa 1000 Stunden. Gegenstand des Berichts war zudem die Maturitätsquote; diese hat sich in den letzten drei Jahren bei 20% eingependelt. Allerdings bewegt sie sich je nach Kanton zwischen 11% (GL) und 29% (TI). Auf Tertiärstufe wird laut dem Bildungsbericht trotz der relativ tiefen Akademikerquote ein hohes Bildungsniveau erreicht. Nach wie vor wird der akademische Weg vor allem von Akademikerkindern gewählt, während Jugendliche aus Arbeiterfamilien eher eine Fachhochschule besuchen. Daher tragen die Fachhochschulen laut den Autoren zu mehr sozialer Mobilität bei als in Ländern mit einem hauptsächlich universitären Hochschulsystem. Weiter befasst sich der Bericht mit der höheren Berufsbildung. Diese werde trotz starker Beanspruchung von der Bildungspolitik vernachlässigt und erhalte nur bescheidene finanzielle Beiträge [1].
Im Februar unterzeichnete Bundesrat Burkhalter in Brüssel ein bilaterales Bildungsabkommen. Damit wird der Schweiz die offizielle Teilnahme an den Bildungs-, Berufsbildungs- und Jugendprogrammen der EU eröffnet. Die Projekte dienen dem Austausch von Jugendlichen, Lehrlingen, Studierenden, Dozenten und Fachpersonen, die in anderen Ländern kulturelle Erfahrungen sammeln sowie Sprach- und Fachkenntnisse erlangen können. In der Frühjahrssession wurden das Abkommen wie auch ein Kredit von 111 Mio Fr. für die Jahre 2011 bis 2013 vom Ständerat einstimmig gutgeheissen. Der Nationalrat hatte das Geschäft bereits im Dezember 2009 behandelt. In der Schlussabstimmung wurde die Vorlage im Ständerat einstimmig und im Nationalrat mit 132 zu 56 Stimmen gegen den Widerstand der SVP angenommen [2].
Der Bund beauftragte die in Solothurn domizilierte ch-Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit mit der Betreuung der Schweizer Teilnahme an den EU-Bildungsprogrammen. Eine entsprechende Leistungsvereinbarung wurde im Mai unterzeichnet. Eine in die ch-Stiftung integrierte aber eigenständige Agentur soll Institutionen der Berufsbildung und Unternehmen für die Programme gewinnen. Bis dato existiert kaum ein Mobilitätsaustausch für Berufsschüler. Die Stiftung arbeitet deshalb auch eng mit dem eidgenössischen Amt für Berufsbildung zusammen [3].
Der Nationalrat verwarf im Berichtsjahr mit 103 zu 79 Stimmen eine Motion Weber-Gobet (gp, FR), welche einkommensabhängige Bildungsgutscheine für Wiedereinsteigerinnen und -einsteiger einführen wollte. Ebenfalls abgelehnt hat er eine Motion Fehr (sp, ZH), die ein Recht auf eine bezahlte jährliche Weiterbildungszeit von fünf Tagen für alle Unselbständigerwerbenden forderte [4].
Im August präsentierte die CVP ein Positionspapier zum Thema Bildung. Damit wollte die Partei in die schulpolitische Debatte eingreifen, die vor allem von der SVP dominiert wurde. Anders als die SVP unterstützt die CVP das HarmoS-Konkordat und die integrative Schulung von lernbehinderten Kindern. Sie möchte aber den Volksschulunterricht wieder vermehrt auf die Grundkompetenzen (Lesen, Schreiben und Rechnen) ausrichten. Ausserdem will sie die „Akademisierung“ des Kindergärtner-Berufs stoppen. Als Alternative schlagen die CVP-Bildungsexperten eine praxisorientierte zwei- bis dreijährige Berufsausbildung vor, die nicht von der Matura abhängen, sondern breiteren Bildungsschichten zugänglich sein soll. Auf Stufe Gymnasium möchten die Christdemokraten die bestehenden Qualitätsunterschiede verringern und Standards einführen. Ausserdem wünschen sie mehr Langzeitgymnasien, die bessere Ergebnisse erzielten als kurze Maturitätsschulen. Bei den Hochschulen fordert die CVP eine massvolle Erhöhung der Studiengebühren für Studierende aus dem Ausland. Ausserdem möchte sie den Praxisbezug der Fachhochschulen verstärken und deren Verpflichtung, Forschung zu betreiben, überprüfen [5].
In der Wintersession überwies der Ständerat ein Postulat Fetz (sp, BS), das den Bundesrat verpflichtet, eine Gesamtschau für Bildung, Forschung und Innovation für die Jahre 2011 bis 2016 vorzunehmen. Er soll dabei insbesondere prüfen, wo ein allfälliger Nachholbedarf besteht und welche Massnahmen sich in den kommenden Jahren insbesondere aufgrund von steigenden Studierendenzahlen, des Bedarfs an exzellentem Forschungsnachwuchs, internationaler Wettbewerbsfähigkeit und der Auswirkungen der Hochschulreform aufdrängen [6].
Im Dezember verabschiedete der Bundesrat eine Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation für das Jahr 2012. Um nicht in Konflikt mit der nächsten Legislaturplanung zu kommen, hat er ausnahmsweise eine BFI-Botschaft für ein Jahr vorgelegt. Eine nächste wird dann für die Jahre 2013 bis 2016 folgen. Dabei hat er die Ziele und Massnahmen der BFI-Botschaft 2008 bis 2011 weitgehend übernommen. Er möchte Fördermittel im Umfang von 5,185 Mia Fr. einsetzen; 2,7% mehr als 2011. Eine besondere Bedeutung misst die neue BFI-Botschaft grossen Forschungsinfrastrukturen zu, so etwa dem Röntgenlaser am Paul-Scherrer-Institut [7].
 
[1] BZ, NZZ und TA, 5.2.10. Siehe auch Lit. Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung.
[2] Medienmitteilung des SBF vom 15.2.10; NZZ, 16.2. und 13.3.10; AB SR, 2010, S. 131 ff. und 363; AB NR, 2010, S. 578; BBl, 2010, S. 2105 f. Siehe auch SPJ 2009, S. 243.
[3] NZZ, 13.3. und 30.11.10; SZ, 1.5. und 30.11.10.
[4] AB NR, 2010, S. 278 (Mo. Weber-Gobet) und 279 (Mo. Fehr).
[5] TA, 22.3.10; Lib. und NZZ, 18.8.10. Siehe zur Position der SVP unten, Schulreformen und -modelle sowie auch SPJ 2009, S. 246 f.
[6] AB SR, 2010, S. 1091 ff.
[7] NZZ, 4.12.10; BBl, 2011, S. 757 ff.