Année politique Suisse 2010 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche / Grundschulen
print
Schulreformen und -modelle
Die EDK schickte in der ersten Jahreshälfte Vorschläge für nationale Bildungsziele in die Vernehmlassung. Diese beschreiben in erster Linie Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Grundkenntnisse in der Schulsprache, in zwei Fremdsprachen sowie in Mathematik und Naturwissenschaften. Rechtliche Basis für die Bildungsstandards, die vor allem in die Lehrplanarbeit und in die Qualitätsüberprüfung und -entwicklung einfliessen sollen, bildet die Interkantonale Vereinbarung für die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS). Die Bildungsziele stiessen in der Anhörung auf ein positives Echo: Alle 26 kantonalen Bildungsdepartemente und auch die Mehrheit der weiteren Anhörungsadressaten begrüssten die Vorschläge [18].
Im Berichtsjahr wurde auch das Beitrittsverfahren zum HarmoS-Konkordat fortgesetzt. Die Stimmbevölkerung des Kantons Freiburg sprach sich in der Volksabstimmung vom März mit 61,1% für den Beitritt zu HarmoS aus. Das Elternforum Schweiz hatte 2009 erfolgreich das fakultative Referendum ergriffen. In Basel-Landschaft und Solothurn wurde das Konkordat von den Kantonsparlamenten gutgeheissen. In den obligatorischen Volksabstimmungen vom 26. September stimmten beide Kantone dem HarmoS-Beitritt zu: Basel-Landschaft mit 56,3% und Solothurn mit 58,5% der Stimmen. In Appenzell Ausserrhoden wurde das HarmoS-Konkordat vom Kantonsrat ebenfalls gutgeheissen, an der Urne scheiterte der Beitritt allerdings mit einem Nein-Stimmenanteil von 56,4%. In den Abstimmungskämpfen stützten sich die Gegner – angeführt von der SVP – auf die bewährten Plakate mit weinenden Kindern und dem Slogan „Schulzwang für 4-Jährige?“ [19].
Im Kanton Schaffhausen wurde eine Volksinitiative für einen Austritt des Kantons aus dem HarmoS-Konkordat an der Urne knapp, mit 51,7% verworfen. Das Volksbegehren war 2008 von einem Initiativkomitee aus Elternvertretern und Politkern von SVP, EDU und Junger SVP lanciert worden [20].
Im Juni trat Basel-Stadt als zehnter Kanton der Interkantonalen Vereinbarung über die Zusammenarbeit im Bereich der Sonderpädagogik bei. Damit tritt das Konkordat für alle Kantone, die es bereits gutgeheissen haben (OW, SH, VS, GE, LU, VD, FR, TI, AR, BS), anfangs 2011 in Kraft. Im Rahmen des neuen Finanzausgleichs haben die Kantone die gesamte rechtliche, finanzielle und fachliche Verantwortung für die Schulung von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Bildungsbedarf übernommen. Mit dem Beitritt zum Sonderpädagogik-Konkordat verpflichten sie sich dazu, das in der Interkantonalen Vereinbarung beschriebene Grundangebot, welches die Bildung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Bildungsbedarf garantiert, zur Verfügung zu stellen und gemeinsame Instrumente anzuwenden. Das Konkordat hält die Kantone dazu an, die Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen in die Regelschule zu fördern [21].
Ebenfalls im Juni präsentierte die interkantonale Konferenz der Westschweizer Erziehungsdirektoren die Endfassung des neuen Lehrplans für die Romandie und das Tessin (plan d’études romandes – PER). Der gemeinsame Lehrplan umfasst die fünf Disziplinen Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Kunst und Sport sowie die Querschnittsthemen Zusammenarbeit, Kommunikation und Allgemeinbildung in den Bereichen Gesundheit, Gesellschaft und Staatskunde. Er gibt für die verschiedenen Fächer klare Zielsetzungen vor, welche die Schüler innerhalb der obligatorischen Schulzeit erreichen müssen. Noch kein Konsens wurde bei der Frage erzielt, ob die Zielerreichung mittels Leistungstests gemessen werden soll [22].
Auch in der Deutschschweiz soll es einen gemeinsamen Lehrplan (Lehrplan 21) geben. Alle 21 Kantone unterzeichneten im Berichtsjahr eine entsprechende Vereinbarung. Bis im Frühling 2014 werden Arbeitsgruppen aus Lehrern und Fachdidaktikern den Lehrplan ausarbeiten. Auch Vertreter der weiterführenden Schulen können ihre Wünsche einbringen. Der Lehrplan soll verbindliche Lernziele für Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik und Naturwissenschaften festlegen. Den Kantonen wird allerdings ein grosser Spielraum verbleiben, insbesondere können sie auch unter dem neuen Lehrplan die Stundentafeln selbst festlegen und sie werden auch weiterhin entscheiden können, wann mit welcher Fremdsprache begonnen wird [23].
Die SVP Schweiz bekämpfte den Lehrplan 21 – den die EDK bewusst von HarmoS abgekoppelt hat – vehement. Sie führte Ende Oktober einen Sonderparteitag zum Thema durch und präsentierte kurze Zeit später einen von einer parteiinternen Lehrergruppe erarbeiteten Gegenvorschlag zum Lehrplan 21. Laut dem 96-seitigen SVP-Vorschlag sollen die Fächer Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften mehr Gewicht erhalten. Mit dem Fremdsprachenunterricht möchte die Partei dagegen erst in der Oberstufe einsetzen. Einen höheren Stellenwert soll auch Schweizer Geschichte erhalten, allerdings möchte die SVP die Schüler vor „linker Geschichtsschreibung“ bewahren. Mit dem Lehrplan sollen für jede Klasse national bzw. sprachregional einheitliche Jahresziele definiert werden; die Wahl der Lehrmittel und -methoden will die Partei aber den Lehrern überlassen. Die Leistungen der Schüler sollen regelmässig mit Prüfungen gemessen und benotet werden. Schliesslich fordert die Partei wieder vermehrt Lehrer mit einem Vollzeit-Pensum, damit die Schüler einen Klassenlehrer und damit eine unbestrittene Autorität im Klassenzimmer erhalten [24].
In der Herbstsession überwies der Ständerat gegen den Willen des Bundesrats mit 22 zu 14 Stimmen eine Motion Schweiger (fdp, ZG), die im Lehrprogramm des Lehrplanes 21 einen "Medienführerschein" vorsehen möchte. Den Schülerinnen und Schüler sollen auf jeder Stufe altersgerechte Kenntnisse der digitalen Medien (Spiele, Internet und Fernsehen) vermittelt werden. Primär geht es darum, dass die Kinder und Jugendlichen lernen, zwischen gefährlichen und unschädlichen Inhalten zu unterscheiden. Die EDK äusserte sich kritisch zu diesem Anliegen. Einerseits bezweifelte sie die Notwendigkeit, weil im Rahmen der sprachregionalen Lehrpläne die Vermittlung von Medienkompetenz bereits vorgesehen ist. Anderseits machte sie geltend, dass der Bund keine Befugnis habe, den Inhalt des Lehrplanes mitzubestimmen [25].
Die Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau und Solothurn kündeten im Berichtsjahr an, dass sie ab 2013 einheitliche Leistungstests für alle Volksschüler des Bildungsraums Nordwestschweiz einführen wollen. Geprüft werden in der zweiten Klasse die Leistungen in Deutsch und Mathematik, in der sechsten, der achten und der neunten Klasse kommen Fremdsprachen und Naturwissenschaften hinzu [26].
 
[18] Medienmitteilungen der EDK vom 25.1. und 11.11.10.
[19] Lib., 8.3.10 (FR); SZ, 10.3., 11.3. und 27.9.10 (SO); BaZ, 18.6. und 27.9.10 (BL); SGT, 23.2.10; TA, 14.6.10 (AI). Siehe auch SPJ 2009, S. 246.
[20] SN, 26.10., 27.10. und 29.11.10; NZZ, 2.11.10. Siehe auch SPJ 2008, S. 297 und 2009, S. 311.
[21] BBl, 2010, S. 7396; Medienmitteilung der EDK vom 24.6.10.
[22] Express, Lib. und QJ, 8.6.10. Siehe auch SPJ 2009, S. 247.
[23] NLZ, 25.6. und 8.11.10; BZ und NZZ, 26.6.10. Siehe auch SPJ 2009, S. 247.
[24] TA, 19.10. und 3.11.10; TG, 20.10.10; NZZ und SZ, 3.11.10.
[25] AB SR, 2010, S. 823 ff.; NLZ, NZZ und SGT, 17.9.10.
[26] SZ, 6.7.10. Siehe zum Bildungsraum Nordwestschweiz auch SPJ 2008, S. 242 und 2009, S. 247.