Année politique Suisse 2010 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Berufsbildung
Nach Jahren des Lehrstellenmangels dürfte sich die Situation aus demografischen Gründen und wegen der Attraktivität des Gymnasiums bald umkehren und die Unternehmen werden um gute Lehrlinge kämpfen müssen. Die grössten Schwierigkeiten gibt es bei Berufen, mit hohem Qualifikationsniveau, wie Polymechaniker oder Konstrukteur. Hier wirkt sich besonders aus, dass gute Schülerinnen und Schüler häufiger den Weg über das Gymnasium wählen. Viele Branchen reagierten und lancierten im Berichtsjahr aufwändige Werbe- und Imagekampagnen. Gleichwohl wird es auch weiterhin Jugendliche geben, die Mühe haben, eine Lehrstelle zu finden – vor allem solche mit sozialen und schulischen Defiziten [29].
In der Frühjahrssession überwies der Nationalrat ein Postulat Hodgers (gp, GE), das den Bundesrat beauftragt, Steuererleichterungen für Unternehmen zu prüfen, die Lehrstellen anbieten oder Personen mit Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt beschäftigen. Ebenfalls gutgeheissen hat er ein Postulat Aubert (sp, VD), mit dem die Chancengleichheit für ausländische Jugendliche bei der Lehrstellensuche verbessert werden soll. Verworfen hat der Rat dagegen mehrere Motionen von SP und Grünen, welche darauf abzielten, die im Rahmen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vorgesehenen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu erweitern [30].
Der sich abzeichnende Mangel an Pflegepersonal schlug sich in einigen vom Parlament im Berichtsjahr behandelten Vorstössen nieder. Der Nationalrat überwies zwei Postulate Heim (sp, SO) zur Attraktivität der Krankenpflege-Ausbildung und zur Sicherung der Alterspflege. Der Bundesrat wird beauftragt zu prüfen, wie die Attraktivität der Ausbildungen im Betreuungs- und Pflegebereich erhöht und eine bedarfsgerechte Zahl an Ausbildungs- und Praktikumsplätzen in der beruflichen Grundbildung und auf Tertiärstufe bereitgestellt werden kann. Eine Motion der FDP-Liberale Fraktion für eine Weiterbildungs- und Ausbildungsoffensive im Pflegebereich wurde vom Nationalrat ebenfalls mit 99 zu 77 Stimmen gutgeheissen. Der Ständerat lehnte den Vorstoss in der Wintersession jedoch ab. Im März veröffentlichte das EVD einen Bericht zum bildungspolitischen Handlungsbedarf in den Pflegeberufen. Dieser geht davon aus, dass der Bedarf an Pflegepersonal massiv zunehmen wird und schlägt vor, die geplante Attestausbildung und weitere Berufs- und höhere Fachprüfungen zügig einzuführen sowie die Zahl der Abschlüsse in allen Pflegeberufen zu steigern. Zur Koordination und Umsetzung dieser Massnahme soll laut dem Bericht eine Steuergruppe mit allen beteiligten Partnern eingesetzt werden [31].
Im Mai schickte die EDK einen Entwurf für eine Interkantonale Vereinbarung über Beiträge an die Bildungsgänge der Höheren Fachschulen in die Vernehmlassung. Das Konkordat soll die Freizügigkeit für die Studierenden an höheren Fachschulen verbessern und mehr Kostentransparenz bringen. Zudem will der Entwurf den beteiligten Kantonen ermöglichen, Vorgaben für die Anbieter zu machen [32].
Auch die Lehrstellenkonferenz im Oktober widmete sich der höheren Berufsbildung. Das Hauptanliegen war eine bessere Vermarktung im Ausland. Denn viele Schweizer Abschlüsse der höheren Berufsbildung entsprechen akademischen Diplomen im Ausland – sind dort aber kaum bekannt. Daher soll für diese Abschlüsse ein nationaler Qualifikationsrahmen ausgearbeitet werden, der den Arbeitgebern in Europa erlaubt, die Fähigkeiten von Schweizer Stellenbewerbern zu beurteilen. Zudem will die Schweiz ihre Diplome mit einer englischen Erklärung ergänzen, welche über die erreichten Qualifikationen informiert. Schliesslich soll auch die Zusammenarbeit mit Deutschland, Österreich, Dänemark und Luxemburg verstärkt werden, die ebenfalls ein duales Berufsbildungssystem kennen [33].
Im November hat das EVD die Verordnung über die Mindestvorschriften für die Anerkennung von Bildungsgängen und Nachdiplomstudien der höheren Fachschulen angepasst. Mit der Revision werden neue Fachrichtungen für die verschiedenen Bildungsgänge sowie ein neuer Bereich „Verkehr und Transport“ eingeführt. Bestehende Bezeichnungen von Fachrichtungen oder Titeln werden teilweise geändert [34].
Die Denkfabrik Avenir Suisse präsentierte im Berichtsjahr einen Vorschlag für eine Reform des Schweizer Berufsbildungssystems. In ihrer Publikation schlug sie vor, dass sich Gymnasiasten nach der Matura einen Lehrbetrieb auswählen und während dieser praktischen Ausbildung statt einer Beruf- eine Fachhochschule besuchen sollen. Als Abschluss sei ein sog. „professional bachelor“ denkbar. Avenir Suisse möchte mit der Studentenlehre das duale Bildungssystem stärken. Auf Ablehnung stiess dieser Vorschlag beim Gewerbeverband. Er befürchtete eine Attraktivitätseinbusse für die Berufslehre, weil sich noch mehr Jugendliche für das Gymnasium entscheiden würden, wenn sie nach der Matura eine Lehre mit Fachhochschule absolvieren können [35].
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Berufsordnung
Der Ständerat befasste sich in der Sommersession mit der Vorlage für ein Psychologieberufegesetz. Mit dem Erlass sollen die Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung der Psychologinnen und Psychologen geregelt und damit der Patientenschutz sowie die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessert werden. Eintreten war in der Kleinen Kammer unbestritten und auch die generelle Stossrichtung der Vorlage wurde begrüsst. Diskussionslos stimmte der Rat einem Antrag der vorberatenden Kommission zu, die Weiterbildungstitel um das Fachgebiet Gesundheitspsychologie zu erweitern. Ebenfalls gutgeheissen wurde ein Einzelantrag von Philipp Stähelin (cvp, TG), der neben den Psychologen auch die Chiropraktiker auf die Liste der Berufe mit Berufsgeheimnis aufnahm. Umstritten war die Frage, mit welchem Studienabschluss man künftig den Titel „Psychologe“ verwenden darf. Nach Ansicht des Bundesrats und der Kommission soll dazu ein Masterabschluss erforderlich sein. Eugen David (cvp, SG) plädierte dafür, auch einen Bachelor-Abschluss nach dreijährigem Studium genügen zu lassen. Ein weiterer Diskussionspunkt bildete die im Entwurf des Bundesrats vorgesehene Beschränkung der Psychotherapieausbildung auf universitär ausgebildete Psychologen. Eugen David beantragte, dass weiterhin auch Geistes- und Humanwissenschafter zu den akkreditierten Weiterbildungsgängen für Psychotherapeuten zugelassen werden. Theo Maissen (cvp, GR) verteidigte den Vorschlag von Kommission und Bundesrat. Er argumentierte, Psychotherapeuten müssten psychisch kranke und beeinträchtigte Menschen behandeln und dafür brauche es wissenschaftlich fundierte psychologisch-psychotherapeutische Kenntnisse, welche nur im Rahmen eines Psychologiestudiums vermittelt würden. Nach der Debatte zog Eugen David beide Anträge zurück. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage ohne Gegenstimme bei einer Enthaltung gutgeheissen [36].
 
[29] BZ, 29.1.10; TA, 11.10.10; NZZ, 26.10.10. Siehe auch SPJ 2006, S. 244 und 2008, S. 231 f.
[30] AB NR, 2010, S. 84 (Po. Aubert) und 283 (Po. Hodgers). Für die verworfenen Vorstösse zur Verbesserung der Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten erwerbsloser Personen, siehe AB NR, 2010, S. 280 ff.
[31] AB NR, 2010, S. 279 (Mo. FDP-Liberale) und 1133 (Po. Heim); AB SR, 2010, S. 1070; Medienmitteilung des BBT vom 16.3.10. Siehe auch SPJ 2009, S. 249.
[32] Medienmitteilung der EDK vom 27.5.10; BZ und NZZ, 28.5.10.
[33] LT, NZZ und QJ, 26.10.10.
[34] Medienmitteilung des BBT vom 1.11.10.
[35] NLZ und SN, 25.11.10; Blick, 26.11.10.
[36] AB SR, 2010, S. 630 ff. Siehe auch SPJ 2009, S. 250.