Année politique Suisse 2010 : Enseignement, culture et médias / Enseignement et recherche
 
Forschung
In der Volksabstimmung vom 7. März wurde ein neuer Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen mit 77,2% der Stimmen gutgeheissen. Die Bestimmung gibt dem Bund die Kompetenz, Forschungsvorhaben gesamtschweizerisch zu regeln und verankert den Schutz von Würde und Persönlichkeit des Menschen sowie die Gewährleistung der wissenschaftlichen Freiheit in der Verfassung. Unterstützt wurde die Vorlage vom Bundesrat sowie von FDP, CVP, SP, BDP und GLP. Einzig die EDU und die SVP lehnten den Verfassungsartikel ab. Die SVP argumentierte, der neue Artikel setze der biologischen und medizinischen Forschung zu enge Grenzen und sei letztlich forschungsfeindlich. Die Forschenden selbst stellten sich allerdings klar hinter die Vorlage und unterstrichen die Bedeutung einheitlicher und transparenter Rahmenbedingungen für den Forschungsplatz Schweiz. Den Grünen wiederum ging der Schutz der Betroffenen zu wenig weit, weil mit der neuen Bestimmung Forschung an kleinen Kindern, geistig behinderten oder anderen nicht urteilsfähigen Menschen auch zugelassen wird, wenn diesen aus den Forschungsprojekten kein unmittelbarer Nutzen erwächst. Die Partei entschied sich schliesslich für die Stimmfreigabe [53].
Der Verfassungsartikel wurde in sämtlichen Kantonen angenommen. Am höchsten waren die Ja-Anteile in Genf (88%), Waadt (87,6%) und Neuenburg (82,4%). Die schwächste Ja-Mehrheit wiesen Schaffhausen (67,9%), Schwyz (67%) und Uri (66,7%) aus. Laut Vox-Analyse spielten bei dieser Abstimmung politische und soziodemografische Faktoren nur eine geringe Rolle für den Stimmentscheid. Die Nähe zu einer Partei wirkte sich leicht auf das Verhalten der Stimmenden aus: So war die Ablehnung bei der Anhängerschaft der SVP am grössten, während Personen, die sich mit der CVP oder der FDP identifizieren den Verfassungsartikel am stärksten unterstützten. Einen leicht positiven Einfluss auf den Stimmentscheid hatte auch das Vertrauen in die Regierung. Personen die den Verfassungsartikel guthiessen, betonten insbesondere die Bedeutung der biomedizinischen Forschung für den wissenschaftlichen Fortschritt und die Notwendigkeit, die Gesetzgebung auf eidgenössischer Ebene zu vereinheitlichen. Die Nein-Stimmenden begründeten ihren Entscheid vor allem mit ethischen Motiven [54].
Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen
Abstimmung vom 7. März 2010

Beteiligung: 43,9%
Ja: 1 707 549 (77,2%) / 20 6/2 Stände
Nein: 504 460 (22,8%) / 0 Stände

Parolen:
Ja: FDP, CVP, SP (1)*, EVP, CSP, GLP, BDP, SD, economiesuisse.
Nein: SVP (6)*, EDU.
– Stimmfreigabe: GP (5)*.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Der Nationalrat überwies im Berichtsjahr ein Postulat seiner Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Forschungskompetenz im Bereich Pflanzenbiotechnologie. Der Bundesrat muss Massnahmen aufzeigen, welche dazu beitragen, nach Ablauf des Nationalen Forschungsprogramms 59 die wissenschaftliche Kompetenz der Schweiz auf diesem Gebiet zu sichern. Ebenfalls angenommen hat die grosse Kammer ein Postulat Häberli-Koller (cvp, TG), mit dem vom Bundesrat gefordert wird, im Rahmen der nächsten Botschaft für Bildung, Forschung und Innovation 2013 bis 2016 eine Strategie für die Forschungsinfrastrukturen an den Hochschulen aufzuzeigen. Der Ständerat hiess in der Frühjahrssession ein Postulat Stadler (cvp, UR) gut, welches von der Regierung einen Bericht über den gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf dem Gebiet der Nanotechnologie verlangt [55].
Beide Räte befassten sich mit einer Motion der FDP-Liberale Fraktion, die steuerliche Fördermassnahmen zur Stärkung des Forschungsstandortes Schweiz verlangt. Während der Nationalrat den Vorstoss unverändert überwies, wandelte ihn der Ständerat in einen Prüfungsauftrag um. In der Wintersession stimmte der Nationalrat dieser Änderung zu. Ausserdem hiess er ein Postulat seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben gut, das vom Bundesrat Auskunft darüber verlangt, inwiefern solche steuerlichen Fördermassnahmen zu Wettbewerbsverzerrungen führen können, indem beispielsweise einzelne Branchen oder Unternehmen bestimmter Grösse bevorzugt oder benachteiligt würden [56].
Der Bundesrat überwies im April die Botschaft über die Genehmigung des völkerrechtlichen Abkommens zum Bau und Betrieb von XFEL (Europäische Freie-Elektronen-Röntgenlaseranlage) in Hamburg an die eidgenössischen Räte. Das Projekt „European XFEL“ ist eine internationale Zusammenarbeit zum Bau und Betrieb einer Forschungsinfrastruktur zur Untersuchung von naturwissenschaftlichen Phänomenen im Nano- bis Picometerbereich. Um die sofortige Mitbestimmung der Schweiz beim Aufbau des Projekts zu ermöglichen wurde das Abkommen seit November 2009 vorläufig angewendet. Der Ständerat hiess die Beteiligung der Schweiz an der Forschungsinfrastrukturanlage „European XFEL“ in der Herbstsession gut, in der Wintersession stimmte auch der Nationalrat zu. Die Vorlage wurde in der Schlussabstimmung im Ständerat einstimmig und im Nationalrat mit 180 zu 12 Stimmen angenommen [57].
Im November verabschiedete der Bundesrat die teilrevidierte Forschungsverordnung und genehmigte das Geschäftsreglement der Kommission für Technologie und Innovation (KTI). Mit der geänderten Verordnung werden die Vollzugsbestimmungen der Innovationsförderung erlassen. Sie berücksichtigt die neue Form der KTI, die anfangs 2011 zu einer ausserparlamentarischen Kommission mit Entscheidungskompetenz wird. Die neuen Bestimmungen definieren namentlich deren Fördertätigkeit. Das Geschäftsreglement, welches im Oktober von den Mitgliedern der Kommission erlassen wurde, legt die Detailorganisation des Gremiums fest [58].
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Forschungsprogramme und -gelder
Im Februar beauftragte der Bundesrat den Nationalfonds mit der Durchführung von zwei neuen Nationalen Forschungsprogrammen (NFP). Das eine Projekt soll naturwissenschaftliche und materialtechnische Grundlagen sowie praxisorientierte Lösungsansätze für eine verbesserte Ressourcenverfügbarkeit des Materials Holz schaffen. Das andere hat zum Ziel, neue Erkenntnisse über die Verläufe der letzten Lebensphase sowie die sozialen, ökonomischen, institutionellen, rechtlichen und kulturellen Bedingungen für das Sterben in der Schweiz zu gewinnen. Das Budget für die beiden Programme beträgt insgesamt 33 Mio Fr. [59].
Ausserdem fördert der Bund von 2010 bis 2013 acht neue Nationale Forschungsschwerpunkte. Der Fokus der Projekte liegt bei den Life Sciences: Fünf der acht Forschungsvorhaben sind im biologisch-medizinischen Bereich angesiedelt. Die Geistes- und Sozialwissenschaften, die schon bei der ersten Ausschreibung im Jahr 2002 leer ausgingen, sind nur mit einem Projekt vertreten. Die neuen Forschungsschwerpunkte – für die der Nationalfonds insgesamt 124 Mio Fr. einsetzt – werden an den Universitäten Bern, Genf, Lausanne, Zürich, ETH Lausanne (2) und ETH Zürich (2) installiert [60].
 
[53] BBl, 2010, S. 2625 ff.; SoS, 5.2.10; BaZ, 15.2.10; Presse vom 8.3.10. Siehe auch SPJ 2009, S. 254.
[54] Presse vom 8.3.10; Lloren, Anouk / Nai, Alessandro / Gavilans, Amanda, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 7. März 2010, Genf 2010.
[55] AB NR, 2010, S. 216 (Po. WBK-NR) und 2161 (Häberli-Koller); AB SR, 2010, S. 141 f.
[56] AB NR, 2010, S. 223 und 1946 ff.; AB SR, 2010, S. 804 ff.
[57] BBl, 2010, S. 3031 ff. und 9027 f.; AB SR, 2010, S. 968 f. und 1356; AB NR, 2010, S. 2007 ff. und 2185.
[58] Medienmitteilung des BBT vom 24.11.10. Siehe auch SPJ 2008, S. 250 und 2009, S. 254 f.
[59] Medienmitteilung des BBT vom 24.2.10.
[60] Presse vom 16.4.10.