Année politique Suisse 2011 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Grünliberale Partei (GLP)
Mit einem Budget von rund CHF 250 000.- wollte die GLP ihre Sitzzahl im Nationalrat von drei auf sechs bis acht erhöhen und die beiden Ständeratsmandate (ZH und UR) halten. Wahlziel sei eine eigene Fraktion, wobei die Zusammenarbeit mit der CVP und der EVP weitergeführt werden solle, gab Parteipräsident Bäumle im Januar bekannt. Mit Listenverbindungen wolle man zudem die Mitte insgesamt zu stärken versuchen. Ansprechen wolle man insbesondere eine urbane Wählerschaft [94].
Erst Mitte Juni gab die GLP den offiziellen Startschuss für ihren Wahlkampf. Ihren Wahlauftakt präsentierte die Partei in Bern. Ziel der Partei, die weder links noch rechts, sondern neu und anders sein will, sei es, grüne Anliegen mit liberalen Lösungsansätzen zu verknüpfen. Als thematische Schwerpunkte wurden der Atomausstieg, eine starke, verantwortungsbewusste Wirtschaft sowie die Förderung von Pluralität, Chancengleichheit und Eigenverantwortung genannt. Auch eine verbesserte, koordinierte Raumplanung und eine verursachergerechte Mobilität wurden als wichtige Parteianliegen erwähnt. Die GLP sei für Personenfreizügigkeit, stelle sich aber gegen einen EU-Beitritt [95].
Auch die GLP setzte für ihren Wahlkampf direktdemokratische Instrumente ein. Mit ihrer Initiative „Energie- statt Mehrwertsteuer“, die sie zum Wahlauftakt präsentierte, schlägt die Partei vor, anstelle des Konsums von Lebensmitteln oder Kleidern den Verbrauch nicht-erneuerbarer Energie zu besteuern. Mit der Initiative wolle man auch beweisen, dass die Partei initiativfähig sei, so Bäumle [96].
In 14 Kantonen traten rund 250 Kandidierende der GLP zu den Nationalratswahlen an. Das Durchschnittsalter der Kandidatinnen und Kandidaten lag bei 36 Jahren; 30% davon waren Frauen. Unter den Kandidierenden fanden sich zudem auffällig viele Akademiker, Unternehmer und Naturwissenschaftler. Das gesteckte Ziel wurde mehr als übertroffen: Die GLP konnte ihre Sitzzahl im Vergleich zu 2007 (3 Sitze) auf unerwartete zwölf Mandate vervierfachen. Freilich waren einige der Sitzgewinne auch auf die geschickten Listenverbindungen zurückzuführen. Damit erklärt sich auch, weshalb die GLP mit einem gesamtschweizerisch gleich grossen Wähleranteil wie die BDP (5,4%) drei Sitze mehr erobern konnte. In acht der vierzehn Kantone, in denen die GLP angetreten war, konnte sie sich über Sitzgewinne freuen: so in Luzern (6,1%), Graubünden (8,3%), Aargau (5,7%) und Thurgau (5,2%). In der Waadt (5,1%), wo die Grünliberalen zum ersten Mal angetreten waren, holten sie auf Anhieb einen Sitz. In Bern trat die GLP ebenfalls zum ersten Mal an und eroberte mit 5,4% der Wählerstimmen gleich zwei Sitze. In St. Gallen und in Zürich war die GLP bereits 2007 angetreten. In St. Gallen erhöhte sich der Wähleranteil um 2,8 Prozentpunkte auf 6,0%, was für den Gewinn eines Sitzes ausreichte. Im Gründungskanton der Partei schliesslich, konnte die GLP mehr als jeden zehnten Wahlberechtigten von ihrem Programm überzeugen (11,5%, +4,5 Prozentpunkte): Zürich schickte damit neu vier Grünliberale nach Bern. In den Kantonen Zug (6,8%), Freiburg (3,5%), Solothurn (5,0%), Basel-Stadt (5,8%), Basel-Landschaft (5,0%) und Genf (3,2%) reichte der erlangte Wähleranteil nicht für einen Sitzgewinn. Mit den total zwölf Nationalratsmandaten erreichte die GLP deutlich Fraktionsstärke. Die bereits 2007 gewählte Zürcherin Tiana Angelina Moser wurde Ende Oktober zur Fraktionspräsidentin bestimmt [97].
Für beide bisherigen Ständeratssitze in Zürich (Verena Diener) und in Uri (Markus Stadler) musste die GLP in den zweiten Wahlgang. Dabei wehrte sie sich letztlich relativ deutlich gegen die Angriffe der SVP. In zwei weiteren Kantonen hatte sich die GLP Chancen auf weitere Ständeratsmandate ausgerechnet. Im Kanton Aargau (Peter Schumacher) und im Kanton Waadt (Isabelle Chevalley) hatte die Partei jedoch keine Chance [98].
Erfolge konnte die GLP auch bei den kantonalen Wahlen feiern. Zürich, Geburtsstätte der Partei, erwies sich als besonders günstiges Pflaster. Die Sitzzahl wurde von zehn auf 19 fast verdoppelt und mit einem Wähleranteil von 10,3% (+5,8 Prozentpunkte) war man den Zürcher Grünen (19 Sitze, 10,6%) nun ebenbürtig. In drei weiteren Kantonen war die GLP erstmals zu kantonalen Gesamterneuerungswahlen angetreten und in allen konnten Mandate erobert werden. Einen Grosserfolg feierten die Grünliberalen dabei in Luzern, wo sie 5,9% der Wählerstimmen und sechs Sitze gewannen. Damit erreichten sie auf Anhieb Fraktionsstärke. Auch in den Kantonen Basel-Landschaft (3 Sitze, 4.5%) und Freiburg (2 Sitze, 4,3%) zog man in die kantonalen Parlamente ein. Nicht angetreten war die GLP in den Kantonen Tessin, Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden, wo 2011 ebenfalls Erneuerungswahlen stattfanden. Mit den 2011 zusätzlich eroberten 20 kantonalen Legislativmandaten verfügte die GLP am Ende des Berichtsjahrs – also gut vier Jahre nach der Gründung der nationalen Partei (2007) – über insgesamt 53 Sitze in kantonalen Parlamenten (AG: 5; BE: 4; BL: 3; BS: 5; FR: 2; GR: 2; LU: 6; SG: 1; SO: 2; TG: 2; ZG: 2; ZH: 19). Das gute Abschneiden der GLP wurde in den Medien unter anderem mit einem Fukushima-Effekt erklärt. Die Grünliberalen hätten davon stärker profitiert als die Grünen, weil sie einen pragmatischeren Kurs gewählt hätten, der bei der Wählerschaft besser angekommen sei. Die Erfolge würden allerdings auch verpflichten, so Präsident Bäumle. In der nächsten Zeit müsse viel Basisarbeit geleistet werden [99].
An ihrer Versammlung am 22. Januar in Lausanne, wo sie Gast der 2010 gegründeten Waadtländer Sektion waren, fassten die Delegierten der GLP die Ja-Parole für die Waffenschutzinitiative. Es gebe keine sicherheitsrelevanten Gründe mehr, die Dienstwaffe zu Hause aufzubewahren, wurde argumentiert [100].
Im Gegensatz zu den Grünen verfolgten die Grünliberalen eine weniger dogmatische und eher pragmatische Energiepolitik. Nach der Lancierung der Ausstiegsinitiative durch die Grünen warf der GLP-Präsident ihnen vor, lediglich Wahlkampfpropaganda zu betreiben. Ein sofortiger Ausstieg sei zu teuer und die Schweiz würde damit ihre Abhängigkeit von importiertem Strom verstärken. Um den erwünschten Ausstieg ohne zusätzliche Subventionen oder neue Regulierung zu erreichen, müsse zuerst das Angebot an alternativen Energieformen genügend gefestigt werden. Dies gelänge am ehesten über eine Besteuerung der nicht-erneuerbaren Energien, wie dies mit der eigenen Initiative geplant sei (siehe oben) [101].
Am Parteitag Mitte August in Basel kritisierte Präsident Bäumle die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen gegen den starken Franken. Das Frankenpaket über einen Betrag von zwei Milliarden sei unhaltbar und ungerecht. Es gäbe auch Gewinner der derzeitigen Wechselkurslage und gesamtwirtschaftlich betrachtet, seien Verluste und Gewinne ausgeglichen. Besser als Geld zu verteilen wäre es, Preise zu senken sowie Innovation, Forschung und Entwicklung durch steuerliche Entlastung zu stärken. Das Problem der Frankenstärke sei ein kurzfristiges, gab sich Bäumle überzeugt [102].
Der rasante Erfolg der GLP auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene war auch mit Problemen belastet. Vor allem die dünne Personaldecke bereitete der Partei Sorgen. Man müsse geduldig sein, pragmatisch weiterarbeiten und auf eine steile Lernkurve aller Beteiligten hoffen, gab die Parteispitze bekannt. Die Erfolge der Partei zogen allerdings auch „komische Käuze“ an. So wurden etwa zwei GLP-Gemeinderäte aus der Partei ausgeschlossen, nachdem sie in Strafverfahren verwickelt waren [103].
Im Berichtsjahr wies die GLP 14 Kantonalsektionen auf (ZH, BE, LU, ZG, FR, SO, BS, BL, SG, GR, AG, TG, VD, GE). Mitte April hatte sie rund 3000 Parteimitglieder. Die geringen finanziellen und personellen Kapazitäten – das Generalsekretariat der GLP wurde von Sandra Gurtner-Oesch mit Unterstützung eines Praktikanten geführt – zwang die Partei zu einem vorläufigen Expansionsstopp. Obwohl Angebote für die Gründung von kantonalen Sektionen etwa aus den Kantonen Schwyz und Tessin vorlagen, wurde beschlossen, 2011 keine weiteren Kantonalparteien mehr zu gründen [104].
Im Kanton Schaffhausen hatte die GLP in der seit 1990 bestehenden Ökoliberalen Bewegung Schaffhausen (ÖBS) Konkurrenz. Die ÖBS ist zwar seit 1996 Mitglied der Grünen Partei Schweiz, vertritt aber grünliberales Gedankengut. Die ÖBS trat mit ihrem Regierungsrat Herbert Bühl erfolglos bei den Ständeratswahlen an. Die GLP liebäugelte aufgrund des Potenzials kurze Zeit mit der Gründung einer Schaffhauser Kantonalsektion. Dabei hätte der parteilose Ständeratskandidat Thomas Minder die Führung der Sektion übernehmen sollen. Dieser liess sich aber nicht zum Parteieintritt bewegen. Die GLP ihrerseits war nicht bereit, den Vater der Abzockerinitiative nach dessen Wahl in die kleine Kammer ohne grünliberales Parteibuch in ihre Bundeshausfraktion zu integrieren. Minder wandte sich der SVP-Fraktion zu, die ihn ohne Bedingungen aufnahm [105].
Unter den 14 Kantonalsektionen finden sich lediglich deren drei in Westschweizer Kantonen, wo auch der Erfolg vergleichsweise bescheiden war. Es resultierten ein Nationalratssitz (Chevalley, VD), zwei Sitze im Freiburger Grossen Rat und ein lediglich mässiges Abschneiden bei den Kommunalwahlen in den Kantonen Genf und Waadt. Die Gründe für den geringeren Erfolg der GLP in der Romandie sind in den unterschiedlichen Parteiensystemen zu suchen: In der französischsprachigen Schweiz werden die Grünen traditionell weniger links wahrgenommen als in der Deutschschweiz und die dortigen Mitte-Rechts-Politiker sind für Umweltthemen generell offener als Deutschschweizer Kollegen. Die potenzielle Wählerschaft der GLP ist also in der Romandie tendenziell weniger gross als in der Deutschschweiz [106].
 
[94] BaZ, 8.1.11.
[95] NZZ, 11.4.11; Presse vom 17.6.11.
[96] BBl, 2011, S. 4645; TG, 11.4.11; BaZ, 17.6.11; vgl. SPJ 2010, S. 370.
[97] NZZ, 11.4., 17.6. und 22.8.11; NZZ, 31.10.11; 24h, 12.11.11; Presse vom 24.–26.10.11; Lit. BFS, vgl. oben Teil I, 1e (Eidgenössische Wahlen) und die detaillierten Resultate im Anhang.
[98] Vgl. oben Teil I, 1e (Eidgenössische Wahlen) und SPJ 2010, S. 370.
[99] SZ, 29.3.11; NZZ, 4.4.11 (Bäumle); SGT, 5.4.11; ZH: NZZ und TA, 4.4.11; Lib., 5.4.11; NLZ, 5.4.11; LU: NLZ, 5.4.11; SGT, 11.4.11; BaZ, 17.6.11; vgl. oben, Teil I, 1e (Wahlen in kantonale Parlamente) und den detaillierten Anhang.
[100] NZZ, 24.1.11.
[101] 24h, 11.4.11; NZZ, 22.8.11.
[102] NZZ, 22.8.11.
[103] TA, 29.3.11 (Komische Käuze); Blick, 5.4.11; TA, 6.4.11; vgl. SPJ 2010, S. 370.
[104] TA, 16.4.11 (Parteimitglieder); TA, 29.9.11.
[105] SN, 26.11.11; Mitte 2012 stellte die ÖBS einen Antrag auf Beobachterstatus in der GLP (Medienmitteilung GLP vom 5.5.12).
[106] LT, 8.2.11; Lib. und NZZ, 5.4.11; SGT, 5.4.11; TG, 8.4.11.