Année politique Suisse 2011 : Eléments du système politique / Elections / Eidgenössische Wahlen
print
Wahlkampf
Der Wahlkampf wurde in vielen Medien als lau bezeichnet. Dies sei unter anderem auch auf den wesentlich moderateren Ton der SVP im Vergleich zu vor vier Jahren zurückzuführen, der auch deshalb von der Volkspartei angeschlagen worden sei, weil sie ihren Angriff auf den Ständerat nicht zum Vornherein habe kompromittieren wollen. Darüber hinaus sei – anders als noch vor vier Jahren – kaum Empörung über den Wahlkampf der SVP laut geworden. Der gehässige und destruktive Ton, der vor vier Jahren angeschlagen worden sei, sei einer eher gesitteten, mit vielen Events gespickten Wahlshow gewichen. Nicht mehr Negativkampagnen, sondern oberflächliche Wahlfeste, an denen sich die Parteien selber in den Mittelpunkt stellten, seien im Zentrum gestanden. Dies hätte allerdings dazu geführt, dass klare und konkrete Profile nahezu fehlten. Profitiert hätten davon insbesondere die programmatisch unscharfen neuen kleinen Mitteparteien, die noch niemanden enttäuscht hätten. Die ehemals kantigen Parteien hätten es hingegen nicht mehr geschafft, breit zu mobilisieren [26].
Deutlich weniger präsent im Wahlkampf als vor vier Jahren waren die Bundesrätinnen und Bundesräte. Bei den Wahlen 2007 liessen sich Bundesrätin Leuthard (cvp) und Bundesrat Blocher (svp) von ihren Parteien noch als eigentliche Lokomotiven einsetzen. Bundesrat Maurer (svp) gab bereits im Januar des Berichtjahres bekannt, dass er diese Rolle nicht übernehmen werde. Das Exekutivgremium entschied sich in der Folge zwar gegen neue Regeln im geltenden Aide-Mémoire, das die Rolle der Regierung im Wahlkampf spezifiziert, mahnte aber für die einzelnen Mitglieder Zurückhaltung an. Zudem machte der Bundesrat seinen Entscheid von vor vier Jahren rückgängig, der es Regierungsmitgliedern erlaubt hatte, mit ihrem Konterfei auf Wahlplakaten für die eigene Partei Werbung zu machen. Auch die Bundesratswahlen waren im Vorfeld der Parlamentswahlen weit weniger prominentes Thema als noch vor vier Jahren [27].
Im ersten Halbjahr dominierte die Atomenergie den Wahlkampf. Die Atomkatastrophe in Fukushima und die Atomausstiegsdebatte in den Räten verhalfen dem Thema zu grosser Beachtung. In Vorwahlbefragungen profitierten die Grünen und die Grünliberalen von der Sensibilisierung der Wählerschaft hinsichtlich der Atomausstiegsfrage. Die eher atomfreundlichen SVP und FDP schnitten in diesen Umfragen entsprechend weniger gut ab. Allerdings schien das Thema in der zweiten Hälfte des Wahlkampfes, auch aufgrund der zunehmenden Negativschlagzeilen aus der Wirtschaft, eher wieder in den Hintergrund zu rücken. Hinzu kam, dass die weitgehende Einigkeit zwischen SP und CVP hinsichtlich der Zukunft der Atomenergie der Atomfrage Zündstoff entzog. Insbesondere die Grüne Partei schien mit Fortschreiten des Wahlkampfes keinen Nutzen aus dem Fukushima-Effekt mehr ziehen zu können. Daran änderte auch die in der Herbstsession im Ständerat gehaltene Sonderdebatte zum Atomausstieg nichts mehr [28].
Wie bereits vor vier Jahren schaffte es die SVP auch bei den Wahlen 2011 die Zuwanderung zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen zu machen. Das Vorgehen der Volkspartei war dabei sehr ähnlich wie vor vier Jahren. Wieder wurde eine Initiative als zentrales Wahlkampfinstrument eingesetzt für die mit markigen Slogans und Karikaturen geworben wurde. Im Gegensatz zu den Schäfchenplakaten von vor vier Jahren nahmen allerdings weder die Medien noch die Öffentlichkeit den Ball auf. Die SVP versuchte zwar geschickt, aktuelle Ereignisse in ihren Anti-Zuwanderungs-Wahlkampf einzubauen (z.B. Messerattacke, Schweizerkreuz-Debatte, Verhandlungen zur Ausschaffungsinitiative), sie vermochte dabei aber nicht mehr wie vor vier Jahren mediale Reaktionen zu provozieren, die ihr zusätzliche Aufmerksamkeit generiert hätten. Dennoch zeigten Medienanalysen, dass über das Thema „Zuwanderung“ in den Medien sehr häufig berichtet wurde. Die von der SVP geforderte Sondersession zum Thema Migration im Herbst verhalf dem Thema zudem kurz vor den Wahlen ebenfalls noch einmal zu Beachtung [29].
Mit dem Thema Zuwanderung verknüpft wurden die Beziehungen zur EU. Anders als vor vier Jahren war die Europäische Union allerdings nicht mehr derart beherrschendes Thema im Wahlkampf. Lediglich die SVP hob immer wieder hervor, dass sie sich gegen einen Beitritt wehren würde. Die schwache Einbindung des Themas „Europäische Union“ in den Wahlkampf war auch der Eurokrise geschuldet, die dazu geführt hatte, dass die früher eher positiv zur EU stehenden Parteien ebenfalls verhalten Kritik äusserten und sich des Themas nicht bedienten. In einzelnen Medien wurde gar eine allgemeine Euroskepsis festgestellt [30].
Ein weiteres aktuelles, aber von den Parteien nur wenig aufgenommenes Thema war der starke Franken. Aufgrund der Verwerfungen an den Devisenmärkten waren die Parteien gezwungen, Position zu beziehen, was sie allerdings aufgrund der wenig mobilisierenden Komplexität des Themas nur widerwillig taten. Zwar forderte etwa SP-Präsident Christian Levrat eine Anbindung des Frankens an den Euro und Christoph Blocher machte sich für ein Revitalisierungsprogramm stark, eine eigentliche Einbindung des aktuellen Themas in die Wahlagenda der Parteien fand aber nicht statt. Weil die Parteien lieber bei ihren Wahlkampf-Themen blieben, wurde die Frankenstärke trotz ihrer Bedeutung nicht zu einem Wahlkampfschlager [31].
Die Ankündigung des Rücktritts von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey am 7. September belebte den Wahlkampf. Die SP konnte den Rücktritt und die Diskussionen um mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger geschickt für verstärkte Medienaufmerksamkeit nutzen [32].
Der Entscheid des Parlaments, Militärkampfjets zu kaufen, wurde Ende August kurzfristig auch zu einem Thema des Wahlkampfs. Die SP-Delegierten beauftragten ihre Parteispitze Anfang Oktober dafür zu sorgen, dass der Kaufentscheid den Wahlberechtigten vorgelegt wird – sei es per Referendum oder per Initiative. Auch die Grünen bekundeten ihre Unterstützung für eine entsprechende Initiative, die von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) bereits ein paar Wochen zuvor angekündigt worden war [33].
Ein Novum stellte der starke Fokus auf die Ständeratswahlen dar. Wurden Ständeratswahlkämpfe bis anhin eher in den Kantonen ausgefochten, versuchte die SVP die Wahlen in die kleine Kammer zu einem nationalen Ereignis zu machen. An einer Medienkonferenz Anfang April kündigte die Volkspartei den Kampf gegen den „Linksrutsch der europhilen Dunkelkammer“ an. Wenn die Wählerschaft einen EU-Beitritt verhindern wolle, müsse sie die SVP im Ständerat stärken. Die SVP versuchte, auch den eigentlich vorwiegend personenbezogenen Wahlkampf um den Ständerat mit Themen zu besetzen. Sie bekräftigte ihr Vorhaben, indem sie mit dem ehemaligen Bundesrat Christoph Blocher (ZH), Parteipräsident Toni Brunner (SG), Fraktionspräsident Caspar Baader (BL), dem ehemaligen Bundesratskandidaten Jean-François Rime (FR), Nationalrat Oskar Freysinger (VS), Neo-Ständerat Adrian Amstutz (BE; im Ständerat seit Frühjahr 2011) und Nationalrat Ulrich Giezendanner (AG) eigentliche Schwergewichte in den Ständeratswahlkampf schickte. Die Medien nahmen die Vorlage dankbar auf und schrieben fortan von einem „Sturm aufs Stöckli“ [34].
Der Wahlkampf verlagerte sich auch in den virtuellen Raum. Soziale Medien (Social Media) wurden aber wenig systematisch genutzt. Vor allem junge und bereits bekannte Kandidierende setzten Facebook und Twitter für ihren Wahlkampf ein. Allerdings waren sich die meisten Parteien darin einig, dass die neuen sozialen Medien die traditionellen Wahlkampfinstrumente wie Standaktionen, Inserate und Plakate und vor allem die direkte Kommunikation auf der Strasse nicht ersetzen könnten. Die Selects-Befragung der Kandidierenden (siehe unten) brachte zu Tage, dass rund ein Drittel der Kandidierenden eine eigene Homepage eingerichtet hatte. 19% unterhielten einen Blog und 52% gaben an, ein Facebook-Profil für die Wahlen aufgeschaltet zu haben [35].
Eine Analyse von mehr als 60 Schweizer Online-Print-Medien und Social-Media-Plattformen zeigte drei hauptsächliche Strategien, welche die Parteien anwendeten, um in den Medien zu erscheinen: Parteiereignisse wie Delegiertenversammlungen oder Wahlfeste, Auftritte von Parteiexponenten (Parteipräsidenten, Bundesrätinnen und Bundesräte) oder das Erzeugen von Ereignissen, die Reaktionen anderer Akteure provozierten. Die Analyse zeigte auf, dass Online vor allem über die SVP berichtet wurde, die alle drei Strategien anwendete. Mit der Analyse der Online-Medien liess sich zudem der Konjunkturzyklus der online-medial vermittelten Wahlkampfthemen nachzeichnen. Insgesamt – also von Juni bis Oktober – am meisten Aufmerksamkeit erhielten die Themen Energie, Migration und EU [36].
Beobachter attestiertem dem Wahlkampf in der Schweiz eine zunehmende Professionalisierung. Die vermehrte Konzentration auf Personen statt auf Themen, die immer früher beginnenden Kampagnen, und der zunehmende Rückgriff auf Werbe- und Marktforschungsstrategien wurden als Zeichen dafür gedeutet. Im Gegensatz zu früheren Wahlen wurden die Kampagnen zudem stärker national organisiert. Alle Parteien hatten parteiinterne Wahlkampfteams, die eng mit den Kantonalsektionen zusammenarbeiteten und diese auf eine einheitliche Linie einschworen. Als besonders wichtig wurde die Medienarbeit der Parteien hervorgehoben, da mediale Beachtung Gratiswerbung darstelle [37].
Weil es vor vier Jahren aufgrund einer bewilligten Demonstration der SVP bzw. einer nicht bewilligten Gegendemonstration von linken Autonomen auf dem Bundesplatz zu heftigen Zwischenfällen und grossen Sachbeschädigungen gekommen war, wollte die Stadt Bern ein Demonstrations- und Veranstaltungsverbot auf dem Bundesplatz während des gesamten Monats Oktober verfügen. Dies nachdem im Januar sowohl die SVP als auch die SP Gesuche für die Nutzung des Bundesplatzes eingereicht hatten. Der Gemeinderat argumentierte, dass es im Sinne eines Nicht-Diskriminierungsgebots nicht seine Aufgabe sei festzulegen, welche Partei den Vorteil einer möglichst späten Kundgebung nutzen dürfe. Hatte sich die SVP zuerst gegen das Verbot gewehrt, gab sie in der Folge nach und wich auf den 10, September aus. Anstelle eines Umzuges plante sie lediglich ein „SVP-Familienfest“ auf dem Bundesplatz. Linke Aktivisten planten zeitgleich ein „Ganz Fest gegen Rassismus“ in der Reitschule. Die Polizeipräsenz war am entsprechenden Sonntag sehr hoch. Rund tausend Polizisten führten Personenkontrollen durch. Zu Ausschreitungen kam es zwar nicht, die Polizeikontrollen und die hohen Sicherheitskosten sorgten aber für viel Kritik [38].
Für die vom Schweizer Radio und Fernsehen durchgeführte Sendung „Treffpunkt Bundesplatz“ verlangte der Berner Gemeinderat keine Gebühren. Ziel der Sendung war es, mit diversen Sendungen die Parteien und Politiker, welche zu den National- und Ständeratswahlen antraten, zu präsentieren und ihnen auf den Zahn zu fühlen. Die Sendungen wurden zwischen dem 19. und dem 30. September live vom Bundesplatz ausgestrahlt. Die Einschaltquoten blieben allerdings unter den Erwartungen [39].
Für einige Diskussionen sorgte das von der Bundeskanzlei erstellte und an rund 5 Mio. Haushalte verschickte Wahlmagazin ‚In der Kürze liegt die Würze‘, das mit Vergleichen aus der Gastronomie das Wahlprozedere erklärte und die Parteien vorstellte. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Empörte Politiker, die sich verhöhnt fühlten, belustigte Kommentatoren, die den mobilisierenden Effekt der Appetitanregung hinterfragten, kritische Experten, die die Darstellungen und den Gehalt kritisierten sowie Kolumnisten, die den Mut der Bundeskanzlerin und die Idee der Hervorhebung der Gemeinsamkeiten von Politik und Kochkunst lobten, standen sich gegenüber [40].
Noch nie wurden im Vorfeld der Wahlen derart viele Initiativen lanciert, die als Schwungräder des Wahlkampfes dienen sollten. Ganz im Zentrum des Wahlkampfes der SVP stand deren Masseneinwanderungsinitiative. Darüber hinaus reichte die Volkspartei während der Wahlkampfphase ihre Initiative zur Volkswahl des Bundesrates ein. Schliesslich beschloss sie an ihrem Parteitag Anfang Oktober, eine neue Ausschaffungsinitiative („Durchsetzungsinitiative“) zu lancieren. Auch die anderen Parteien hatten Initiativen in ihrem Köcher. Die SP hatte noch 2010 ihre Cleantech-Initiative lanciert, die sie im September einreichte, was ihr zu einem wichtigen Zeitpunkt einige mediale Aufmerksamkeit bescherte. Anfang 2011 hatten die Sozialdemokraten zudem mit der Unterschriftensammlung zur Mindestlohn- und zur Krankenkasseninitiative (Einheitskrankenkasse) begonnen. Punkten wollte die SP auch mit der Ankündigung einer Kampfjetinitiative. Die CVP versuchte mit ihren beiden Familieninitiativen, die sie im Mai lancierte, zu mobilisieren und auch die FDP sammelte Unterschriften für ihre bereits Ende 2010 gestartete Bürokratiestopp-Initiative. Die Grünen versuchten mit zwei Initiativen (Grüne Wirtschaft und Atomausstieg) ihre Themenführerschaft in Umweltfragen zu festigen [41].
Wie schon 2007 weilte auch 2011 eine Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zwecks Beobachtung der Wahlen in der Schweiz. Die elf Beobachter, die vom 10. bis 28. Oktober in der Schweiz waren, stellten freie und aktive Kampagnen und professionelle und kompetente für die Wahlen zuständige Personen in den Kantonen fest. Kritisiert wurde die teilweise mangelhafte Sicherstellung des Wahlgeheimnisses, was allerdings aufgrund des hohen Vertrauens in die Behörden nicht gravierend sei. Zudem wurden die mangelnde Transparenz hinsichtlich Parteienfinanzierung sowie technische und rechtliche Mängel bei den elektronischen Wahlmöglichkeiten für Auslandschweizerinnen und -schweizer gerügt [42].
Bereits der Wahlkampf von 2007 galt als teuerster aller Zeiten: geschätzte CHF 50 Mio. wurden damals insgesamt ausgegeben. Entsprechend war die Finanzierung der Wahlwerbung im Jahr 2011 ein beliebtes Medienthema. Bereits Mitte September präsentierte die Firma Media Focus eine Auszählung von Presseinseraten, Plakaten und Kinowahlwerbung von Mai bis August. Die SVP hatte dieser Analyse zur Folge bereits CHF 3,4 Mio. ausgegeben. Für die FDP wurden CHF 1,7 Mio., für die CVP CHF 1,3 Mio. und für die weit abgeschlagene SP CHF 0,2 Mio. geschätzt. Die Grünen (CHF 78 531), die GLP (CHF 30 291) und die BDP (CHF 8 257) hatten bis dahin laut Media Focus relativ geringe Summen ausgegeben. Eine Analyse des Tages Anzeigers der Wahlinserate in 16 Tages- und Sonntagszeitungen kurz vor den Wahlen kam zu ähnlichen Befunden: die SVP war für rund ein Drittel der Inseratewerbung verantwortlich (CHF 1,2 Mio.), gefolgt von der FDP (CHF 0,75 Mio.) und der SP (CHF 449 000). Die CVP (CHF 195 000), die BDP (CHF 165 000), die Grünen (CHF 92 000), die GLP (CHF 58 000) und die EVP (CHF 26 000) gaben zusammen weniger als die Hälfte der SVP für Inserate aus. Laut einer weiteren Untersuchung von Media-Focus hatten die Parteien im Monat September insgesamt über CHF 10 Mio. für Wahlwerbung ausgegeben. Die SVP (CHF 3,7 Mio.) und die FDP (CHF 2,7 Mio.) schafften es gar unter die zehn in diesem Monat meist beworbenen Produkte. Im Oktober stiegen laut Media Focus die gesamten Ausgaben dann noch einmal auf CHF 36,6 Mio. Eine genaue Schätzung der Ausgaben ist jedoch aufgrund der nach wie vor fehlenden Transparenz der Parteienfinanzierung kaum möglich. So wurden denn im Nachgang der Wahlen sehr unterschiedliche Zahlen genannt, die von rund 40 Mio. CHF bis hin zu 100 Mio. CHF Wahlausgaben reichten. Die Selects-Befragung der Kandidierenden zeigte, dass die Kandidatinnen und Kandidaten durchschnittlich etwa CHF 8 700 für den Wahlkampf aufwendeten. Dabei zeigten sich jedoch grosse Unterschiede. Gewählte wendeten im Schnitt rund CHF 38 000 auf, Nicht-Gewählte durchschnittlich CHF 7 000. Männer gaben rund CHF 3 000 mehr aus als Frauen und Kandidierende der SVP wendeten im Schnitt wesentlich mehr Mittel auf (CHF 20 000) als Kandidierende der FDP (CHF 16 000), der SP, CVP und BDP (je CHF 9 000), der Grünen (CHF 6 000) oder der GLP (CHF 5 000). Die Kandidierenden der SVP, der BDP und der FDP warfen diese Summen zu einem grossen Teil privat auf. Im Rahmen des immer teurer werdenden Wahlkampfes wurden auch immer mehr Stimmen laut, die sich für mehr Transparenz einsetzten. Verlangt wurden die Offenlegung von Wahlkampfspenden und griffige Parteienfinanzgesetze. Die Schweiz ist nach wie vor eines der wenigen demokratischen Länder, das keine Parteifinanzierungsgesetzgebung kennt (siehe dazu auch oben Teil I, 3c Volksrechte und unten, Teil III, Parteien) [43].
Für Wirbel sorgte die Weigerung einiger Printmedien, die SVP-„Messerschlitzerinserate“ abzudrucken. Die SVP wollte mit dem Messerangriff eines Kosovaren auf einen Schweizer Werbung für ihre Masseneinwanderungsinitiative machen. Auch die SBB verweigerte der SVP zumindest teilweise die Plakatwerbung. Da die Volkspartei im August fast die gesamte Werbefläche des Hauptbahnhofes Zürich für ihre Wahlreklame gemietet hatte und sich Reisende ob der erdrückenden politischen Werbung beschwert hatten, entschloss die SBB, per Oktober eine neue Regelung einzuführen. Fortan sollten Parteien maximal die Hälfte der Werbefläche für sich beanspruchen dürfen. Die SBB revanchierte sich mit einer Einladung an alle Parteien, am 22. September die Bahnhofshalle als Wahlplattform zu nutzen [44].
Breit medial rezipiert wurden jeweils die Wahlumfragen. Die SRG führte ihr Wahlbarometer in sieben Wellen von Oktober 2010 bis Oktober 2011 durch. Grosse Veränderungen konnten jeweils kaum ausgemacht werden. Für die SP und die SVP wurden leichte Gewinne und für die FDP und die CVP Verluste prognostiziert. Für die neuen Mitteparteien wurde ein gutes Ergebnis erwartet. Die Veränderungen im Vergleich zu 2007 lagen aber in aller Regel innerhalb der Fehlerbereiche. Trotzdem stiess die Abweichung zwischen der letzten Wahlprognose zehn Tage vor den Wahlen und dem effektiven Wahlergebnis bei den Parteien auf Kritik. So wurde für die SVP Mitte Oktober ein Wähleranteil von 29,3% prognostiziert, also rund 3 Prozentpunkte zu hoch, was die SVP zu einer harschen Kritik veranlasste: Umfragen seien schädlich, weil einflussnehmend. Gfs Bern, welche die Umfragen durchgeführt hatte, führte die Unterschiede auf die schlechtere Mobilisierung der in der Umfrage noch unentschiedenen Wählenden durch die SVP zurück. Als präziser als die Umfragen erwiesen sich die so genannten Wahlbörsen bei denen statt mit Firmenaktien mit imaginären Parteiaktien gehandelt werden konnte [45].
Die Wahlhilfe „Smartvote“ spielte wie bereits 2007 eine prominente Rolle im Wahlkampf. Praktisch täglich waren in den Medien die bekannten Spiderdiagramme abgedruckt, mit denen die Positionierung von Parteien und Kandidierenden erfasst wurde. Allerdings war die Online-Wahlhilfe zunehmender Kritik ausgesetzt. Zu Beginn des Wahlkampfes monierten einige Parteien den finanziellen Beitrag den sie zu leisten hatten. Kritisiert wurde auch die „Smartvotisierung“ der Politik. Zudem schienen einige Parteien ihren Kandidierenden vorzuschreiben, wie sie den Smartvote-Fragebogen auszufüllen haben, der Grundlage für die Positionierungen von Parteien und Kandidierenden darstellte. Mit der Wahlplattform ‚Vimentis‘ erhielt ‚Smartvote‘ zudem Konkurrenz [46].
In die Kritik gerieten auch die zahlreichen Politexperten, die von den Medien zunehmend als „Denkprothesen“ verwendet und zu zahlreichen Begebenheiten befragt wurden. Einige Diskussionen verursachte zudem die Darstellung einer zweiachsigen politischen Landkarte, auf der die Nationalrätinnen und Nationalräte basierend auf Parlaments-Schlussabstimmungen auf einer Links-Rechts- und einer Liberal-Konservativ-Achse abgetragen waren. Eine ähnliche Abbildung fand sich auch in der Wahlbroschüre des Bundes (siehe auch oben). Zu reden gab dabei die Anordnung und die Messung der Achsen, welche einige Nationalrätinnen und Nationalräte der SP und der GP als konservativer abbildete als jene der SVP [47].
 
[26] BAZ, 19.9.11; LT, 21.9.11; NLZ, 24.9.11; NZZ und SGT, 1.10.11; SoBli, 2.10.11; BZ, 7.10.11; NZZ, 8.10.11; Lib., 13.10.11; TAM, 14.10.11; AZ, 15.10.11; zur ‚Eventisierung‘ vgl. SPJ 2007. S. 53.
[27] NZZ, 17.1. und 13.2.11; BZ, 23.2.11; TA, 24.2.11; vgl. SPJ 2007, S. 53.
[28] Presse vom 28.4. und 2.7.11; Grüne: SN, 19.8.11; Sondersession: NZZ, 12.9. und 17.10.11; siehe auch nachfolgend, Teil I, 6a (Energie nucléaire).
[29] TA, 29.8.11; NZZ, 12.9.11; LT, 27.9.11; vgl. SPJ 2007, S. 54.
[30] AZ, 15.10.11; LT, 20.10.11.
[31] TA, 6.8.11; NF, 10.8.11; AZ, 13.8.11.
[32] LT, 9.10.11; siehe oben, Teil I, 1c, Regierung.
[33] Presse vom 3.10.11; siehe dazu auch Teil I, 3 (Militärorganisation).
[34] Presse vom 9.4.11; SoZ 10.4.11.
[35] SoS, 21.4.11; BaZ, 2.5.11; TG, 8.7.11; NZZ, 15.7.11; SGT, 13.8. und 7.10.11; LT, 1.10.11; Lit. Lutz.
[36] AZ, 30.9.11; NZZ am Sonntag, 23.10.11; Presse vom 28.9.11.
[37] SN, 22.8.11.
[38] Presse vom 15.2., 2.3. und 14.4.11; Bund, 13.9.11.
[39] BZ, 16.9. und 4.10.11; NZZ, 22.10.11.
[40] AZ, 1.10.11; SoBli, 2.10.11; TA, 11.10.11; BZ, 13.10.11; WoZ, 13.10.11; SoS, 19.10.11; BaZ, 22.10.11; Bundeskanzlei: In der Kürze liegt die Würze.
[41] BZ, 3.10.11; siehe auch oben, Teil I, 1c, Volksrechte; zu den 2010 lancierten Initiativen vgl. auch SPJ 2010, S. 354 ff.
[42] Presse vom 7.10.11, 30.1.12 und 1.2.12; OSZE-Bericht vom 30.1.12.
[43] WoZ, 18.8.11; SGT, 16.9.11 ; TA, 15.10.11; NZZ, 19.10.11; TG, 22.10.11; Lit. Lutz; Schätzungen zu den Werbeausgaben: TA, 30.8.11; Lit Hermann; für 2007: vgl. SPJ 2007, S. 55.
[44] TA, 21.9. und 6.10.11; AZ, 22.9.11.
[45] Für eine Übersicht über alle sieben Befragungen vgl. Presse vom 13.10.11; TA, 18.10.11; SVP-Kritik: SGT, 26.10.11; Wahlbörsen: TA, 27.10.11.
[46] Kritik der Parteien: TA, 2.4.11; QJ, 16.8.11; TG, 29.8.11; SoS und AZ, 7.9.11; WW, 15.9.11; „Smartvotisierung“: WOZ, 13.1.11.
[47] Denkprothese: Die Zeit, 12.5.11; Landkarte: TA, 12.9.11; Kritik: WOZ, 22.9. und 29.9.11; WW, 29.9., 10.11. und 17.11.11.