Année politique Suisse 2011 : Eléments du système politique / Elections / Eidgenössische Wahlen
print
Wahlentscheid und Wahlverhalten (Selects)
Seit 1995 werden im Rahmen von Selects (Swiss Electoral Studies) Wahlnachbefragungen bei zufällig ausgewählten Personen durchgeführt. Dies war auch 2011 der Fall. Mit diesen Befragungen kann unter anderem das individuelle Wahlverhalten und der Wahlentscheid analysiert und erklärt werden.
Hinsichtlich der Wahlbeteiligung zeigten sich keine Überraschungen: das Geschlecht, das Alter, der Bildungsstand und das Einkommen waren nach wie vor entscheidend dafür, ob jemand sein Wahlrecht wahrnahm oder nicht. Vereinfacht und plakativ ausgedrückt gingen ältere, reiche und gebildete Männer eher an die Urne als jüngere, ärmere und weniger gebildete Frauen. Im Vergleich zu den Wahlen von 1999, 2003 und 2007 konnte lediglich eine Verringerung des so genannten Gender Gaps beobachtet werden: Der Unterschied in der Beteiligung von Männern und Frauen wurde kleiner und betrug 2011 laut Selects noch 5 Prozentpunkte (2007: 12 Prozentpunkte). Dies war laut der Studie auf den Rückgang der Beteiligung junger Männer zurückzuführen.
Die Wählerinnen und Wähler der verschiedenen Parteien unterschieden sich hinsichtlich soziodemografischer Merkmale: Die Wählerschaft der Grünen war eher weiblich, während die SVP eher von Männern gewählt wurde. In den anderen Parteien gab es keine statistisch signifikanten Geschlechterunterschiede. Hinsichtlich des Alters schien es der SVP erneut gelungen zu sein, einen Grossteil der 18 bis 25-jährigen und überdurchschnittlich viele über 75-jährige Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Die SP und die CVP waren in allen Altersgruppen durchschnittlich vertreten, allerdings nahm der Wähleranteil der SP bei den über 65-Jährigen ab. Diese Klientel war hingegen überdurchschnittlich in der Wählerschaft der FDP vertreten. Die Grünen waren bei der jüngsten Altersgruppe (unter 25 Jahre) besser vertreten als die GLP. Die Grünliberalen schienen aber die 25 bis 34-Jährigen etwas besser zu erreichen. Beide Parteien konnten die über 50-Jährige Wählerschaft praktisch nicht für sich gewinnen. Markant waren die Unterschiede auch hinsichtlich der Schulbildung. Die Wählerschaft der SVP besteht deutlich stärker aus Individuen ohne höhere Schulbildung. Die FDP, die SP, die Grünen und die GLP konnten hingegen vor allem Wählerinnen und Wähler mit höheren Bildungsabschlüssen für sich gewinnen. Der grösste Anteil der Wählerschaft mit hohem Einkommen fand sich bei der FDP. Wenig erstaunlich ist, dass die CVP vor allem von Katholiken gewählt wurde.
Die auf der Basis der Selects-Wahlnachbefragung berechneten Wählerverschiebungen zeigten, dass die BDP vor allem von ehemaligen SVP und FDP-Wählerinnen und Wählern gewählt wurde. Aber auch Personen, die angaben, 2007 SP gewählt zu haben, gaben ihre Stimme der BDP. Auch die GLP profitierte von ehemaligen SP- und FDP-Wählerinnen und Wählern. Zudem konnte sie Personen für sich gewinnen, die vormals die Grünen gewählt hatten. Ein hoher Anteil an Wechselwählerinnen war zudem von der SP hin zu den Grünen und umgekehrt zu beobachten. Besonders gut gelang es erneut der SVP, aber auch der CVP, ihre Wählerinnen und Wähler von 2007 wieder zu mobilisieren.
Im Rahmen der Selects-Nachwahlbefragung wurden die Befragten auch nach den brennendsten Problemen befragt. Es zeigte sich hier, dass die Konzentration der SVP-Kampagne auf das Thema Migration erneut Früchte trug. Wie bei jeden Wahlen seit 1999 wurde das Thema „Immigration und Ausländer“ als wichtigstes Problem bezeichnet, allerdings weniger deutlich als noch in den Vorjahren. Wenig überraschend wurde dieses Thema von den SVP-Wählerinnen und Wählern als dringendstes Problem betrachtet. Allerdings bezeichnet auch die CVP-Wählerschaft die Lösung von Ausländer- und Asylfragen als vordringlich. Insgesamt an zweiter Stelle folgte das in den vorhergehenden Wahlen unbedeutende Wirtschaftsthema, das von der FDP-, der SP- und der BDP-Anhängerschaft als wichtigstes Problem betrachtet wurde. Ein Fukushima-Effekt war insofern noch vorhanden, als dass das Thema Umwelt, Energie und Klima immerhin als drittwichtigstes Problem genannt wurde. Die Anhängerinnen und Anhänger der GLP und der Grünen sahen hier das dringendste Problem. Die Wählerschaft der GPS zeigte sich zudem auffallend stark besorgt um die Beziehungen zum Ausland. Uneins waren sich die Befragten darüber, wer sich am meisten um die entsprechenden Problemthemen kümmert und die besten Lösungen dafür anbietet. Um die Migrationsfrage kümmere sich laut den Befragten die SVP (52% der Befragten gaben dies an), gefolgt von der SP (30%) am stärksten. Etwas mehr Befragte (30%) waren allerdings der Meinung, dass die SP die besseren Lösungen anbiete als die SVP (28%). Die Themenführerschaft bei der Energiepolitik wurde bei den Grünen (74%) und der GLP (14%) verortet. Die besten Lösungen erwarteten die Befragten ebenfalls von den Grünen (31%) aber auch von der GLP (22%). Die Fragen zu den Wahlkampfthemen zeigten insgesamt auf, dass sich die SVP mit Migrationspolitik, die SP mit Sozialpolitik und die GLP und die Grünen mit Umweltpolitik profilieren konnten. Weniger deutlich wurden die Mitteparteien als Themenführerinnen wahrgenommen. Die FDP wurde als kompetent in der Steuerpolitik betrachtet und die CVP konnte hinsichtlich der Sozialpolitik punkten. Praktisch mit keinem Thema verbunden wurde hingegen die BDP.
Schliesslich liess sich anhand der Studie eruieren, dass der Anteil brieflich Wählender weiter angewachsen war. Lediglich rund 22% der Befragten gaben an, am Wahlsonntag persönlich ins Stimmlokal gegangen zu sein. 1995 hatte dieser Anteil noch 62% (2007: 27%) betragen. Etwa 58% der brieflich Wählenden brachten die Wahlunterlagen wenige Tage vor dem Wahlgang zur Post. Nur 13% reichten die Unterlagen sofort nach Erhalt des Wahlmaterials ein [48].
 
[48] Lit. Lutz.