Année politique Suisse 2011 : Chronique générale / Politique étrangère suisse / Europa: EU
Ein Postulat Fehr (svp, ZH), welches den Bundesrat verpflichtete, einen
Bericht zur Rechtsübernahme aus dem Abkommen seit dem Schengen-Beitritt vorzulegen, wurde vom Nationalrat mit einer knappen Mehrheit von 86 zu 82 Stimmen überwiesen. Detailliert dargelegt werden sollen darin die Anpassungen der Schweizer Gesetze und Verordnungen an den Schengen-Acquis sowie die Kosten dieser Übernahme. Zusätzlich soll der Bericht die Folgen der Übernahme des Schengener Abkommens für die direkte Demokratie und den Schweizer Föderalismus beleuchten. Dem Postulat stimmten Parlamentarier aus sämtlichen Fraktionen zu
[45].
Der Nationalrat lehnte eine Motion Geri Müller (gp, AG) ab, welche den
Ausstieg der Schweiz aus der europäischen Agentur Frontex forderte. Nach Ansicht des Motionärs gefährdet die Arbeit der Agentur zum Schutz der europäischen Aussengrenzen das Wohl der Flüchtlinge. Sein Anliegen erhielt in der grossen Kammer Unterstützung von der gesamten SVP-Fraktion sowie der Mehrheit der Grünen Fraktion. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat wurde die Motion jedoch mit 118 zu 66 Stimmen abgelehnt
[46].
Aufgrund der durch die Demokratiebestrebungen in Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens entstandenen Flüchtlingsströme beteiligte sich die Schweiz erstmals an Vorhaben der
EU-Grenzschutzagentur Frontex mit personellen Ressourcen im Umfang von drei Spezialisten
[47].
Laut Presseberichten kostet die Teilnahme der Schweiz
am Schengen/Dublin-Vertragswerk wesentlich mehr als vor der Volksabstimmung 2005 durch den Bund vorhergesagt wurde. Anstatt der prognostizierten CHF 7.4 Mio. belaufen sich
die tatsächlichen Kosten auf CHF 43 Mio. jährlich. Im Namen des Bundesrates verteidigte Justizministerin Sommaruga in einer Stellungnahme aber die Gesamtbilanz des Abkommens für die Schweiz und hob positive Aspekte wie die zusätzliche Sicherheit und die Reisefreiheit für Schweizer Bürger hervor
[48].
Im Rahmen der ausserordentlichen Session zur Europapolitik und den Bilateralen III stand im Nationalrat im Juni eine Motion der SVP zur Diskussion, mit welcher der Bundesrat zu einer
ausführlichen Analyse der Folgen des Schengen/Dublin-Beitritts für die Schweiz verpflichtet werden sollte. Darin hätten insbesondere die Konsequenzen in den Bereichen Finanzen und Personal dargelegt werden müssen. Bis zur Vorlage dieser Studie durch den Bundesrat sollte nach Ansicht der SVP-Nationalräte ein Moratorium für Weiterentwicklungen im Schengener Vertragsbereich gelten. Der Vorstoss wurde mit 95 zu 86 Stimmen knapp abgelehnt. Die unterlegenen Befürworter setzten sich sowohl aus SVP- und Mitte-Parlamentariern als auch aus der Mehrheit der Grünen Fraktion zusammen
[49].
Ebenfalls keine Mehrheit fand eine andere Motion der SVP-Fraktion, welche von der Landesregierung eine
rechtliche Anpassung im Bereich der Visumserteilung forderte, um die staatliche Souveränität wieder herzustellen. Bei Bedarf sollte nach Ansicht der Schweizer Volkspartei auch das Schengener Abkommen gekündigt werden. Der Partei gelang es aber nicht, über die Parteigrenze hinaus Parlamentarier für ihr Anliegen zu gewinnen, weshalb die Motion verworfen wurde
[50].
In der Herbstsession debattierte die grosse Kammer über eine Motion Philipp Müller (fdp, AG) zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, mit der Asylsuchende mit einem Vermerk im
Eurodac-System direkt ab dem Empfangszentrum in den für die Durchführung des Asylgesuches
zuständigen Dublin-Staat zurückgeführt werden können. Damit soll verhindert werden, dass die betreffenden Personen auf die Kantone verteilt werden, obwohl vonseiten der Schweiz keine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens besteht. In seiner Stellungnahme wies der Bundesrat darauf hin, dass die Kapazitäten in den vom Bund geführten Empfangs- und Verfahrenszentren dafür stark erhöht werden müssten, was die davon betroffenen Kantone so kaum hinnehmen würden. Trotz dieser Einwände wurde die Motion mit 120 zu 62 Stimmen an den Zweitrat überwiesen. Zustimmung erhielt der Motionär ausschliesslich aus dem bürgerlichen Lager, während die SP und die Grünen geschlossen dagegen votierten
[51].
Trotz der Empfehlung durch den Bundesrat wurde ein Postulat Humbel (cvp, AG) abgelehnt, dass die Regierung aufforderte, einen Bericht zur
Stärkung des Schengen/Dublin-Systems vorzulegen. . Aufgrund der Mehrbelastung durch die verstärkten Migrationsbewegungen aus Nordafrika und dem Nahen Osten sollte der Bericht verschiedene Verbesserungsmöglichkeiten und das Potenzial einer Effizienzsteigerung bei der Umsetzung der Abkommen des Schengen/Dublin-Systems aufzeigen. Erfolgreich bekämpft wurde das Postulat sowohl von linker als auch von rechter Seite
[52].
[45] Po. 10.3857:
AB NR,
2011, S. 1043.
[46] Mo. 11.3033:
AB NR,
2011, S. 1046;
AZ, 5.3.11.
[48]
NZZ, 7.5.11;
BZ, 21.5.11.
[49] Mo. 10.3557:
AB NR,
2011, S. 1042.
[50] Mo. 11.3005:
AB NR,
2011, S. 1046.
[51] Mo. 10.3174:
AB NR,
2011, S. 1726; vgl. dazu ausführlich Teil I, Kapitel 7d (Flüchtlingspolitik).
[52] Po. 11.3220:
AB NR, 2011, S. 1734.
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