Année politique Suisse 2011 : Economie / Politique économique générale
 
Wettbewerb
Im Berichtsjahr befand sich das Schweizerische Kartellrecht in einer Umbruchsphase. Neben der laufenden Revision des Kartellgesetzes, die eine grundlegende institutionelle Reform vorsah und welche der Bundesrat im Jahr 2010 in die Vernehmlassung geschickte hatte, eröffnete die Landesregierung zwei weitere Reformvorhaben. Im Frühling präsentierte die Regierung einen Vernehmlassungsvorschlag zum Kartellgesetz, der auf eine im Vorjahr überwiesene Motion Schweiger (fdp, ZG) zurückging. Im Sommer gab der Bundesrat zudem im Rahmen der Debatte über die Frankenstärke seine Absicht bekannt, ein grundsätzliches Verbot von harten Kartellen einzuführen. Durch das Grundsatzverbot für Preis-, Mengen- und Gebietsabsprachen fasste die Landesregierung einen kartellrechtlichen Paradigmenwechsel ins Auge. Im September wurde die entsprechende Revisionsvorlage in die Vernehmlassung geschickt.
Durch die Annahme der erwähnten Motion Schweiger (fdp, ZG) im Jahre 2010 hatte das Parlament den Bundesrat zu einer Teilrevision des Kartellgesetzes beauftragt. Die Motion beinhaltete zwei Anliegen. Zum einen verlangte sie, dass Unternehmen mit einer reduzierten Verwaltungssanktion belegt werden, sofern sie ein Programm zur Beachtung der kartellgesetzlichen Regelungen betreiben, das hohen Anforderungen genügt. Zum anderen forderte sie zur Stärkung der Compliance-Anstrengungen der Unternehmen Strafsanktionen auch gegen natürliche Personen im Fall ihrer aktiven Beteiligung an Kartellabsprachen mit Wettbewerbern. Ende März schickte der Bundesrat die aus diesen beiden Aspekten bestehende Vorlage in die Vernehmlassung. Die Sanktionsmilderung bei wirksamen Kontrollmechanismen stellte nach Ansicht der Landesregierung eine weitreichende Konzession an die Unternehmen dar, welche nur in wenigen Staaten praktiziert wurde. Der Bundesrat schlug vor, dieses Anliegen durch eine entsprechende Ergänzung von Artikel 49a des Kartellgesetzes umzusetzen. Bezüglich der Bestrafung von natürlichen Personen stellte der Bundesrat zwei Varianten zur Diskussion. Die mildere Variante A beinhaltete verwaltungsrechtliche Sanktionen. Diese umfassten Arbeitsverbote und den Einzug von Lohnbestandteilen, die aufgrund von Kartellabsprachen erzielt werden. Dagegen beinhaltete Variante B bei harten Kartellen strafrechtliche Sanktionen, welche Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vorsahen [25].
Auslöser für die im August durch den Bundesrat in Angriff genommene Anpassung des Kartellgesetzes war die weit verbreitete Kritik an den überhöhten Importpreisen, die im Sommer nicht zuletzt in den Medien mit grosser Heftigkeit vorgebracht wurde. Die aufgrund des starken Schweizer Frankens entstandenen Währungsgewinne wurden kaum an die inländischen Konsumenten weitergegeben. Der Bundesrat beabsichtigte horizontale Preis-, Mengen und Gebietsabreden sowie vertikale Preisbindungen und Gebietsabschottungen im Grundsatz zu verbieten. Dieser Vorschlag liess insofern aufhorchen, als sich der Bundesrat im Vorjahr bei vertikalen Abreden noch für eine Lockerung ausgesprochen hatte. Das Grundsatzverbot sah eine Rechtfertigungsmöglichkeit für jene Unternehmen vor, welche im Einzelfall nachweisen können, dass ihre Abreden die wirtschaftliche Effizienz nicht auf negative Weise beeinflussen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine bestimmte Abrede zu einer Kostensenkung oder einer Qualitätsverbesserung führt, aber gleichzeitig keine Möglichkeit zur Beseitigung wirksamen Wettbewerbs bietet. Das angestrebte Teilkartellverbot (d.h. Grundsatzverbot von Kartellen in Kombination mit der Umkehr der Beweislast zu Ungunsten der beteiligten Unternehmen) bezeichnete der Bundesrat denn auch als Paradigmenwechsel in der Kartellgesetzgebung. Für diese Verschärfung des Kartellgesetzes führte der Bundesrat eine Vernehmlassung im Eilverfahren durch, welche die Form einer Konferenz annahm. Skeptisch äusserten sich die Wirtschaftsverbände. Sie übten Kritik am vorgeschlagenen Tempo, welches fundierte Abklärungen verunmöglichen würde. Parteipolitisch stiess das sogenannte Teilkartellverbot mit Rechtfertigungsmöglichkeit jedoch auf breite Unterstützung. Von den grossen Parteien sprach sich lediglich die SVP energisch dagegen aus [26].
Im November legte der Bundesrat schliesslich die Eckwerte einer umfassenden Revision des Kartellgesetzes vor, welche die laufenden Reformvorhaben in eine Vorlage integrierte. Im Zentrum standen neben dem Teilkartellverbot, die verbesserte Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, wobei die in der Europäischen Union geltenden Bestimmungen als Vorbild dienten, Sanktionsminderungen bei Vorliegen von Compliance-Programmen sowie institutionelle Reformen (Mutation des Sekretariates der Wettbewerbskommission zu einer Anklagebehörde sowie die Schaffung einer neuen Kammer für Wettbewerbsrecht am Bundesverwaltungsgericht). Mit dieser Revision verfolgte die Landesregierung das Ziel, die Wettbewerbsentscheide rechtsstaatlich besser zu verankern und besonders schädliche Formen von Kartellabreden zu verbieten. Zudem bezweckte sie, Fusionen zu untersagen oder mit Auflagen und Bedingungen zu belegen, wenn Zusammenschlüsse zu einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs führen, sofern sie nicht durch Effizienzgewinne kompensiert werden. Der Bundesrat versprach dem Parlament bis Anfang 2012 die Botschaft zur Kartellgesetzrevision im Rahmen eines Gesamtpakets vorzulegen [27].
Wie bereits im Herbst 2010 die kleine Kammer trat auch der der Nationalrat auf die Teilrevision des Bundesgesetzes über den unlauteren Wettbewerb (UWG) ein. In der Detailberatung schuf der Nationalrat allerdings eine gewichtige Differenz zum Ständerat. Mit den verschärften Regelungen gegen missbräuchliche Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) von Firmen kippte die grosse Kammer das Herzstück der Revision aus der Vorlage. Nach geltendem Recht konnten allgemeine Geschäftsbedingungen inhaltlich nicht überprüft werden, da lediglich deren irreführende Verwendung verboten war. Um Missbräuche zu bekämpfen, erachtete es der Bundesrat als notwendig, treuwidrige oder ungewöhnliche Bestimmungen zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten zu verbieten. Während der Ständerat im vergangenen Jahr diesen Vorschlag einstimmig annahm, erteilte ihm im Nationalrat eine Mehrheit aus 100 gegen 72 Stimmen eine Abfuhr. Der Nationalrat folgte damit der Empfehlung seiner Rechtskommission. Die aus FDP, SVP und Teilen der CVP zusammengesetzte Gegnerschaft des bundesrätlichen Vorschlags führte ins Feld, dass dieser die Vertragsfreiheit zu stark einschränkte. Es sei Aufgabe der Konsumentinnen und Konsumenten, problematische Passagen der AGB zu streichen. Die Befürworter der strengeren Regelung hielten dieses Argument für realitätsfremd, da ihrer Ansicht die Konsumentinnen und Konsumenten bezüglich AGB nicht auf Augenhöhe mit den Anbietern verhandelten. Dagegen übernahm der Nationalrat die Vorschriften gegen nutzlose Registereinträge und Schneeballsysteme sowie die vom Ständerat eingebrachten Regeln gegen Gewinnversprechen, die an Werbefahrten oder einen Kaufzwang geknüpft sind. Erfolglos bekämpfte die SVP das Verbot von Lockvogelangeboten. Ebenfalls alleine war die Volkspartei in ihrem Widerstand gegen eine verstärkte Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden bei grenzüberschreitenden Betrügereien. Der Nationalrat nahm die Gesetzesrevision deutlich mit 148 zu 23 Stimmen an. Widerstand kam erneut aus den Reihen der SVP.
Der Ständerat erarbeitete daraufhin einen Kompromissvorschlag zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, der in etwa den in der Europäischen Union geltenden Bestimmungen entsprach. Dieser beschränkte die verschärfte Definition der Unlauterbarkeit von AGB auf Fälle mit benachteiligten Konsumentinnen und Konsumenten, wodurch die übrigen Handelsstufen – insbesondere Geschäfte zwischen Unternehmen - davon ausgenommen waren. Zudem strich der Ständerat den Begriff der erheblichen Abweichung von der gesetzlichen Ordnung aus der Vorlage. Der Nationalrat lehnte den ständerätlichen Kompromissvorschlag jedoch zwei Mal ab, womit die Differenz zwischen den beiden Räten bestehen blieb. Der Nationalrat selber hatte Mitte Juni eine leicht angepasste Formulierung beschlossen, welche allerdings keine abstrakte Normenkontrolle vorsah. In der einberufenden Einigungskonferenz setzte sich schliesslich die ständerätliche Version mit 15 zu 10 Stimmen durch. Im Nationalrat äusserten Vertreter von FDP und SVP zwar ihren Unmut, die Gegner stellten aber keinen Antrag auf Ablehnung, um die Gesamtvorlage nicht zu gefährden. Beide Kammern stimmten dem Antrag der Einigungskonferenz zu. In der Schlussabstimmung wurde die Gesetzesrevision vom Ständerat bei einer Enthaltung mit 41 zu 0 Stimmen und vom Nationalrat mit 158 zu 29 Stimmen angenommen [28].
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Importe
Internationale Markenartikelanbieter operierten seit Jahren in der Schweiz im Vergleich zum Ausland mit deutlich höheren Gewinnmargen und zementierten so die Hochpreisinsel Schweiz, weil gleichzeitig der Einkauf über ausländische Lieferanten verhindert wurde. In diesem Zusammenhang wurde im Nationalrat einer Motion Birrer-Heimo (sp, LU) mit 113 zu 74 Stimmen zugestimmt. Diese sah vor, das Kartellgesetz mit einem Artikel zu unzulässigen Preisdifferenzierungen durch ausländische Anbieter zu ergänzen. Der Entscheid des Ständerats zu dieser Motion stand noch aus [29].
Die Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben (WAK) der beiden eidgenössischen Räte stimmten im Laufe des Berichtsjahres einer Parlamentarischen Initiative Bourgeois (fdp, FR) zu, welche Lebensmittel vom Geltungsbereich des Cassis-de-Dijon-Prinzips ausnehmen wollte [30].
Im Dezember reichte der Kanton Bern eine parlamentarische Initiative ein, welche forderte, dass im Inland für den schweizerischen Markt produzierte Lebensmittel den in der Schweiz gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsnormen entsprechen mussten [31].
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Öffentliche Beschaffungen
Gegen die Empfehlung des Bundesrates nahm der Nationalrat eine Motion Flückiger-Bäni (svp, AG) an, welche gleich lange Spiesse für kleine und mittlere Unternehmungen (KMU) im öffentlichen Beschaffungswesen forderte. Insbesondere verfolgte sie das Ziel, dass Bietergemeinschaften und Subunternehmen nicht mehr von Submissionsverfahren ausgeschlossen werden konnten. Zudem verlangte die Motion, dass nicht mehr jedes einzelne Unternehmen, sondern die Bietergemeinschaft als Ganzes die Eignungskriterien zu erfüllen hatten. Der Entscheid zu diesem Vorstoss war beim Ständerat im Berichtsjahr noch hängig [32].
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Konsumentenschutz
Der Nationalrat beschloss auf Basis einer bereits im Jahre 2006 eingereichten parlamentarischen Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL) eine Gesetzesrevision, welche die minimale Garantiedauer im Kauf- und Werkvertragsrecht auf zwei Jahre verdoppelte. Damit orientierte sich die Schweiz an einer Uno-Konvention aus dem Jahre 1980 und einer EU-Richtlinie von 1999. Bisher galt im Schweizerischen Obligationenrecht (Art. 210) der Grundsatz einer einjährigen Frist, wobei die Garantiedauer vertraglich verlängert, aber auch verkürzt werden konnte. Zudem fanden je nach Kaufgegenstand und Verhalten des Verkäufers Sondervorschriften Anwendung. Nach dem Willen des Nationalrats durfte die zweijährige Frist nicht mehr verkürzt, jedoch in Kauf- und Werkverträgen freiwillig verlängert werden. Für Occasionen wurde die minimale Dauer – sofern überhaupt eine Garantie gewährt wird – auf ein Jahr angesetzt. Dieser Entscheid war wenig umstritten. Als einzige Partei bekämpfte die SVP die konsumentenfreundliche Stossrichtung. Ein Gegenantrag von Schwander (svp, SZ) scheiterte deutlich mit 39 zu 102 Stimmen. Ausserdem wurde im Sinne einer 2007 eingereichten und in der Zwischenzeit zurückgezogenen parlamentarischen Initiative Bürgi (svp, TG) die Verjährungsfrist für Produkte, die für Immobilien verwendet werden (z.B. Küchengeräte, Fensterstoren und Steinplatten) auf fünf Jahre heraufgesetzt, was jener Dauer entspricht, die bei Mängeln an Immobilien galt. Dadurch konnte verhindert werden, dass Bauunternehmer, Architekten und Ingenieure länger haften mussten als die Lieferanten dieser Produkte. Stillschweigend hiess der Ständerat die Verlängerung der Garantiedauer auf zwei Jahre gut. Anlass zu Diskussionen gab jedoch die fünfjährige Verjährungsfrist bezüglich der für Immobilien verwendeten Produkte. Der Ständerat nahm Korrekturen vor, um zu verhindern, dass die verlängerte Garantiefrist auch für Produkte galt, welche eine Immobilie nicht verwandeln. Ausserdem dehnte der Ständerat den Anwendungsbereich der verlängerten Fristen aus. Nicht nur private Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch professionelle Käufer sollen davon profitieren können. Dadurch wurde vor allem das Kleingewerbe besser geschützt. In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat die Vorlage einstimmig an, womit diese zurück an den Nationalrat ging [33].
 
[25] SPJ 2010, S. 113; BBl, 2011, S. 3082 ff.; NZZ 31.3.11.
[26] BBl, 2011, S. 3082; NZZ, 31.3. LT und NZZ, 24.9.11.
[27] BBl, 2011, S. 7289; Medienmitteilung Seco vom 16.11.11
[28] BRG 09.069: AB NR, 2011, S. 220 ff.; AB SR 2011, S. 304 ff.; BaZ und NZZ, 9.3.11; NZZ, 18.3., 1.6., 7.6., 15.6. und 16.6.11; vgl. SPJ 2010, S. 114.
[29] Mo. 11.3984: AB NR, 2011, S. 2222.
[30] Pa.Iv. 10.538.
[31] Pa.Iv. 11.321; ausführlich zu Cassis de Dijon berichten wir in Teil I, 4c (Produits alimentaires).
[32] Mo. 10.3382: AB NR, 2011, S. 1497.
[33] Pa.Iv. 06.490: AB NR, 2011, S. 1423 ff.; AB SR 2011, S. 1050ff.; BBl, 2011, S. 2899 f.; NZZ, 15.9. und 6.12.11.