Année politique Suisse 2011 : Economie / Politique économique générale / Gesellschaftsrecht
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Obligationenrecht
Das Parlament hatte auch im Jahre 2011 Mühe, sich inhaltlich und in der Form auf eine kohärente Gegenvorschlags-Strategie zur bereits 2008 eingereichten Abzocker-Initiative zu einigen. Dennoch nahm der indirekte Gegenvorschlag ohne Bonussteuer im Verlauf des Berichtjahres sukzessive Kontur an. Dieser beinhaltete eine Revision des Aktienrechts, der gewisse Forderungen der Initiative aufnahm.
Im Dezember 2010 hatte der Ständerat mit klarer Mehrheit einem indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesebene inklusive der der sogenannten Bonussteuer zugestimmt. Diese sah vor, dass Unternehmen Boni von über drei Millionen Franken versteuern müssen. Der Ständerat unterbreitete dem Nationalrat den indirekten Gegenvorschlag in zwei Varianten – mit oder ohne Bonussteuer. In der Märzsession 2011 beschloss die grosse Kammer, mit 97 zu 92 Stimmen nicht auf den indirekten Gegenverschlag mit Bonussteuer einzutreten. Dieser Entscheid kam durch eine geschlossene Allianz aus SVP, FDP und BDP zu Stande, die sich kategorisch gegen die Einführung einer neuen Unternehmenssteuer zur Wehr setzte. Die Vertreter der SP, der Grünen und der CVP (bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen) plädierten vergeblich dafür, der Initiative einen attraktiven Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Hingegen sprach sich eine Mehrheit von 100 zu 88 Stimmen für das Eintreten zum indirekten Gegenvorschlag ohne Bonussteuer aus. In der Detailberatung schuf der Nationalrat zahlreiche Differenzen zur kleinen Kammer, indem er auf strafrechtliche Bestimmungen verzichtete, keine Stimmbeteiligungspflicht von Personalvorsorgeeinrichtungen an Generalversammlungen beschloss und sich auf weniger einschränkende Regelung bei den Ausnahmen zum grundsätzlichen Verbot und Abgangsentschädigungen und Vorauszahlungen einigte. Der Nationalrat insistierte jedoch darauf, dass nicht nur die Bezüge des Verwaltungsrates, sondern auch jene der Geschäftsleitung zwingend einer Aktionärsabstimmung zu unterliegen haben. Zudem sah er eine Sonderregelung für Finanzdienstleister vor, die eine Abstimmung über den konzernweiten Bonuspool verlangte.
In der Herbstsession übernahm der Ständerat einige Punkte der nationalrätlichen Version. So beschloss die kleine Kammer, auf strafrechtliche Bestimmungen bei exzessiven Vergütungen zu verzichten. Auch liess der Ständerat die Stimmbeteiligungspflicht von Personalvorsorgeeinrichtungen bei Aktionärsversammlungen fallen. In anderen Bereichen blieben allerdings wichtige Differenzen bestehen. Im Gegensatz zum Nationalrat, der dafür eintrat, dass an der Generalversammlung jährlich zwingend nicht nur über die Vergütungen des Verwaltungsrates, sondern auch über jene der Geschäftsleitung abzustimmen wäre, beharrte der Ständerat darauf, dass die Statuten davon abweichen könnten. Der Ständerat lehnte auch eine zwingende Abstimmung über den konzernweiten Bonuspool für Finanzdienstleister ab. Was das Grundsatzverbot von Abgangsentschädigungen und Vorauszahlungen betraf, waren sich beide Räte darin einig, dass die Generalversammlung Ausnahmen beschliessen konnte. Während der Nationalrat der Meinung war, dass eine einfache Mehrheit dazu genügte, erachtete der Ständerat jedoch eine Zweidrittelmehrheit als erforderlich. Schliesslich blieb die Bonussteuer umstritten, da der Ständerat diesbezüglich an seinem Eintretensentscheid festhielt.
In der Wintersession näherte sich der Nationalrat dem Ständerat etwas an. Zum einen verzichtete eine Mehrheit der grossen Kammer auf die Bestimmung, dass Finanzdienstleister zwingend eine jährliche Aktionärsabstimmung über ihren gesamten Bonuspool durchführen mussten. Somit schloss sich der Nationalrat dem Ständerat an, welcher sich einer Sonderbehandlung dieser Branche im Aktienrecht widersetzte. Zum anderen setzte sich bezüglich der Vergütungen der Geschäftsleitung ein Kompromissvorschlag durch. Der erfolgreiche Einzelantrag von Martin Bäumle (glp, ZH) sah zwar eine zwingende Aktionärsabstimmung über die Bezüge der Geschäftsleitung vor, doch die Statuten sollten festlegen, ob solche Beschlüsse bindende oder konsultative Wirkung hätten. Die Ratslinke setzte sich vergebens gegen diese weniger einschränkende Bestimmung ein. In Bezug auf die Bonussteuer beschloss der Nationalrat zum zweiten Mal Nichteintreten. Somit stand fest, dass die Bonussteuer definitiv nicht Bestandteil des indirekten Gegenvorschlags war [34].
Am 21. März 2011 reichten die JungsozialistInnen Schweiz (Juso) ihre Volksinitiative «1:12 - Für gerechte Löhne» mit 113 005 gültigen Unterschriften ein. Diese forderte, dass der höchste Lohn in einem Unternehmen den tiefsten nicht um das Zwölffache übersteigen darf. Somit war abzusehen, dass die Frage der Managergehälter die Bundespolitik auch in den folgenden Jahren beschäftigen würde [35].
Im Rahmen der Änderung des Aktien- und Rechnungslegungsrechts beschäftigte sich das Parlament mit dem Rechnungslegungsrecht (Vorlage 2) und dem Revisionsrecht (Vorlage 3) und schloss beide ab. Wie in den vorangehenden Jahren wurde die Aktienrechtsrevision im Bereich der Corporate Governance (Vorlage 1) zurückgestellt, da noch kein Entscheid zur Abzocker-Initiative getroffen wurde. Die Vorlage zum Rechnungslegungsrecht beabsichtigte eine Modernisierung von veralteten Bestimmungen. Das Hauptziel der Vorlage bestand darin, allgemeine Kriterien festzulegen, die unabhängig von der Rechtsform der Unternehmungen gelten soll. Nach Ansicht von Experten blieb das Parlament dabei auf halbem Weg stehen. Aus Rücksicht auf die KMUs weichten die Räte viele der vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen auf. Die beiden Parlamentskammern konnten sich nicht in allen Fragen einigen. Insgesamt blieben vier Differenzen bestehen, sodass eine Einigungskonferenz eingesetzt werden musste. Schliesslich setzte sich in allen Punkten die Version des Ständerats durch. Es wurde beschlossen, dass Verbindlichkeiten in der Buchhaltung zum Nennwert bilanziert werden mussten. Weiter einigten sich die Räte darauf, dass zehn Prozent der Aktionäre einen Geschäftsbericht nach internationalen Standards anfordern konnten. Ausserdem sah die Revision vor, dass zehn Prozent der GenossenschafterInnen oder 20 Prozent der Vereinsmitglieder eine Konzernrechnung nach anerkannten Standards verlangen durften, wenn eine Genossenschaft oder ein Verein eine Firmengruppe kontrollierte. Letztlich wurde dem Bundesrat die Kompetenz zugesprochen, auch für börsenkotierte Firmen die Rechnungslegungsstandards zu bestimmen. Der Nationalrat wollte diese Befugnis ursprünglich der Börse übertragen. In der Schlussabstimmung wurde die Revision im Nationalrat mit 129 zu 62 und im Ständerat mit 44 zu 0 Stimmen angenommen. Im Nationalrat wurde sie von SVP-Fraktion geschlossen abgelehnt [36].
In Bezug auf das Revisionsrecht trat der Ständerat im Gegensatz zum Vorjahr und gegen die Empfehlung des Bundesrats auf die Vorlage gemäss Antrag Ineichen (fdp, LU) ein. Dieser Entscheid kam in der Frühjahrssession mit 21 zu 19 Stimmen allerdings nur knapp zu Stande. Der Nationalrat hatte im Dezember 2010 an seinem Eintretensentscheid festgehalten, um die Revisionspflicht für kleine und mittlere Unternehmen zu lockern. In der Detailberatung erhöhte der Ständerat in Übereinstimmung mit dem Nationalrat die Schwellenwerte, wobei dazu der Stichentscheid des Ratspräsidenten erforderlich war. Allerdings schuf der Ständerat eine Differenz zum Nationalrat, indem er den Bundesrat damit beauftragte, den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu bestimmen. Nachdem der Nationalrat noch in der Frühjahrssession beschloss, die Vorlage per 1. Januar 2012 in Kraft treten zu lassen, beugte er sich letztlich in der Sommersession dem Entscheid des Ständerates. Widerstand regte sich vor allem aus den Reihen der SVP. In der Schlussabstimmung wurde die Vorlage im Nationalrat mit 147 zu 34 Stimmen und im Ständerat mit 34 zu 5 Stimmen angenommen. Damit mussten Gesellschaften ihre Jahresrechnung und gegebenenfalls ihre Konzernrechnung neu durch eine Revisionsstelle prüfen lassen, sofern sie in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren zwei der folgenden drei Schwellenwerte überschritten: Bilanzsumme von 20 Millionen Franken, Umsatzerlös von 40 Millionen Franken oder 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt [37].
 
[34] Pa.Iv. 10.044: AB NR, 2011, S. 253 ff.; AB SR, 2011, S. 725 ff.; NZZ, 10.3., 13.9. und 8.12.11.
[35] BBl, 2011, S. 3725 f.
[36] BRG 08.011: AB SR, 2011, S. 256 ff.; AB NR, 2011, S. 876 ff.; NZZ, 8.12.11; sda, 15.12.11.
[37] BRG 08.011: AB SR, 2011, S. 5 ff.; AB NR, 2011, S. 252 ff.; SPJ 2010, S. 119; BBl, 2011, S. 4843 f.; NZZ, 1.3.11.