Année politique Suisse 2011 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications / Eisenbahnverkehr
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SBB
Nach dem GAU im japanischen Kernkraftwerk Fukushima sahen sich die SBB, die Anteile an französischen Kernkraftwerken und am Meiler Leibstadt halten, zu einer öffentlichen Stellungnahme in der Energiefrage gedrängt. CEO Andreas Meyer wies darauf hin, dass eine allfällige Verpflichtung der Bundesbahnen, auf den Bezug von Atomstrom zu verzichten, eine Verteuerung der Fahrpreise nach sich ziehen würde. Angesichts der Tatsache, dass die SBB ein Viertel ihres Energiebedarfs aus Atomstrom decken, wäre ein solcher Verzicht nicht einfach zu bewerkstelligen [43].
Im März des Berichtsjahrs wurden die Pläne der SBB bekannt, im Fernverkehr den Billettverkauf durch Zugbegleiter einstellen zu wollen. Man könne so dem potenziellen Schwarz- bzw. dem Graufahren (mit Fahrkarten zweiter in der ersten Klasse), durch das den Bundesbahnen Einkünfte in zweistelliger Millionenhöhe entgingen, besser entgegentreten. Die Billettpflicht im Fernverkehr wurde zusammen mit dem neuen Tarifsystem 2012 mit dem Fahrplanwechsel per 11.12.2011 umgesetzt [44].
Im Oktober blockierte die Gewerkschaft Unia die Baustelle der Durchmesserlinie im Zürcher Hauptbahnhof. Die Gewerkschaft warf den SBB vor, die Arbeitenden der Arbeitsgemeinschaft Bahnhof Löwenstrasse nicht genügend vor den Fäkalienabwässern zu schützen, die aus den Zügen mit offenen Toiletten in den Baustellenbereich unter den Gleisen des Hauptbahnhofs sickerten. Nachdem die Gewerkschaft, die Arbeitsgemeinschaft Löwenstrasse und die SBB sich in einer schriftlichen Vereinbarung auf Abhilfemassnahmen geeinigt hatten, wurden die Arbeiten nach einem Unterbruch von drei Tagen wieder aufgenommen [45].
Seit Anfang Dezember 2011 operiert eine vertrauliche Meldestelle für Lokführer, an die sie sich im Anschluss an Beinaheunfälle oder bei anderen Unsicherheiten wenden können, ohne den Vorgesetzten informieren zu müssen [46].
Nachdem der Ständerat die bundesrätliche Vorlage zur Sanierung der SBB-Pensionskasse im Vorjahr einstimmig angenommen hatte, beschäftigte sich im März der Nationalrat mit der Vorlage. Der Nichteintretensantrag einer Kommissionsminderheit aus SVP-Vertretern und einem CVP-Mitglied, die argumentierte, dass der Bund mit der Ausfinanzierung der Pensionskasse 1999 seiner Pflicht abschliessend nachgekommen sei, wurde deutlich abgelehnt. Mit einer parteipolitisch ähnlichen Verteilung (132 zu 42 Stimmen bei 7 Enthaltungen) entschied der Rat auch die Gesamtabstimmung. Die Schlussabstimmung passierte die Vorlage im Ständerat mit 42 Stimmen bei 2 Enthaltungen, jene im Nationalrat mit 137 zu 46 Stimmen der SVP bei 8 Enthaltungen [47].
Im Zusammenhang mit den Beratungen über die Sanierungsvorlage für die SBB-Pensionskasse reichte die nationalrätliche Finanzkommission (FK-NR) eine Motion ein. Darin verlangte sie die Schaffung von gesetzlichen Grundlagen, die ähnlich gelagerte Sanierungsfälle bundesnaher Betriebe künftig verhindern sollen. Der Bundesrat lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass bei allfälligen neuen Anträgen auf Bundeshilfen an Pensionskassen anderer bundesnaher Betriebe in jedem Fall eine formell-gesetzliche Grundlage nötig und die Mitsprache des Parlaments dadurch gesichert sei. Der Nationalrat überwies die Motion allerdings gegen die geschlossen stimmenden Grünen und Sozialdemokraten mit 115 zu 63 Stimmen. Die Kleine Kammer folgte jedoch im Herbst ihrer FK, welche die Motion einstimmig bei einer Enthaltung zur Ablehnung empfohlen hatte [48].
Im April des Berichtsjahrs verabschiedete der Bundesrat eine Zusatzvereinbarung mit den SBB, nach der nur 62 Mio. CHF des erweiterten Infrastrukturkredits von insgesamt 140 Mio. CHF (bis 2012), den das Parlament zusätzlich gesprochen hatte, in Infrastrukturerweiterungen investiert werden dürfen und der Restbetrag in den unterfinanzierten Unterhalt fliessen muss [49].
Anfang 2011 nahm die aus den SBB Cargo ausgelagerte SBB Cargo International den Betrieb im internationalen Kombi-Güterverkehr auf der Nord–Süd-Achse auf. Mitte des Berichtsjahres wies sie bereits einen Mehrverkehr von 17% aus. Da SBB Cargo noch immer stark defizitär war, kündigten die SBB im Oktober an, bis 2013 mit Umstrukturierungen in der Administration und der IT gegen 200 Stellen (statt der 157 bisher angekündigten) abbauen zu wollen. Damit soll SBB Cargo mittelfristig die Eigenwirtschaftlichkeit erreichen [50].
Der Bundesrat wählte neu den Finanzexperten Hans-Jürg Spillmann und den Gewerkschaftssekretär Daniel Trolliet in den Verwaltungsrat der SBB. Im April übernahm Jeannine Pilloud die operative Leitung der Division Personenverkehr. Diese war nach dem Rücktritt von Jürg Schmid im Mai 2010 interimistisch geleitet worden. Mit Pilloud wurde erstmals eine Frau in die Konzernleitung der SBB gewählt [51].
Ende März 2012 legten die SBB die Betriebszahlen für 2011 vor. Insgesamt beförderten sie im Berichtsjahr 356,6 Mio. Passagiere (2010: 347,1 Mio.), durchschnittlich 977 000 pro Tag. Die Anzahl Personenkilometer konnte ebenfalls leicht gesteigert werden (2010: 17,513 Mia. km, 2011: 17,749 Mia.), die zurückgelegten Nettotonnenkilometer sanken um beinahe 6% von 13,111 Mia. auf 12,346 Mia. Ihren Gewinn vermochten die Bundesbahnen erneut zu steigern. Der Konzernreingewinn betrug 338,7 Mio. CHF, das sind 13,5% mehr als im Vorjahr (298,3 Mio. CHF). Beim Personenverkehr ging der Gewinn wegen der ansteigenden Trassenpreise (siehe oben, Abschnitt Finanzierung) und einer Abflachung der Nachfrage nach Transportleistungen trotz steigender Billettpreise um mehr als ein Viertel zurück. Er betrug noch 213,9 Mio. CHF (2010: 292.6 Mio. CHF). Im Immobiliensegment wurde das Ergebnis vor Abzug der Ausgleichszahlungen gesteigert (182,5 Mio. CHF, 2010: 173,5 Mio. CHF). Von diesem Betrag flossen 150 Mio. CHF. in die Infrastruktur und rund 30 Mio. CHF als Zins- und Amortisationsleistungen an die Sanierung der SBB-Pensionskasse. Daraus resultierte ein Segmentgewinn von 2,4 Mio. CHF. Das Defizit im Güterverkehr konnte trotz des starken Frankens und rückläufiger Nachfrage im Binnengütermarkt um ein gutes Viertel (2010: -64,0 Mio. CHF) gedrückt werden, blieb mit 45,9 Mio. CHF allerdings beträchtlich. Der markante Gewinnsprung im Infrastruktursegment von 4,8 Mio. CHF 2010 auf 72,4 Mio. CHF 2011 ist auf den 2010 gesprochenen ausserordentlichen Infrastrukturkredit für dringende Unterhaltsarbeiten zurückzuführen (siehe oben). Während die Schuldenlast inklusive die zinslosen Darlehen der öffentlichen Hand um 2,7% auf 18,682 Mia. CHF zunahm (bei einem Eigenkapital von 10,344 Mia. CHF), bewegte sich die verzinsliche Verschuldung mit 7,965 Mia. CHF im Rahmen des Vorjahrs (8,052 Mia. CHF). In Anbetracht der hohen Investitionskosten, die mit den nötigen Kapazitätserweiterungen und dem Infrastrukturausbau auf die SBB zukommen, sowie der wachsenden Zinslast für den Schuldendienst und der steigenden Trassenpreise wird der Produktivitäts- und Effizienzdruck auf die Bundesbahnen in den nächsten Jahren beträchtlich sein [52].
 
[43] SGT 22.3. und 24.3.11; über Fukushima und die Auswirkungen auf die Schweiz berichten wir ausführlich unter Teil I, 6a (Kernenergie).
[44] NF und Lib., 24.3.11; Presse vom 17.6.und 13.9.11.
[45] Medienmitteilung SBB vom 17.10.11; TA 20.10.11; NZZ, 21.10.11.
[46] BZ, 22.11.11.
[47] BRG 10.036: AB NR, 2011, S. 183 ff., 557; AB SR, 2011, S. 339; BBl, 2011, S. 2741; NZZ, 7.3. und 8.3.11; SPJ 2010, S. 189 f.
[48] Mo. 11.3002: AB NR 2011, S. 183 ff., 194; AB SR, 2011, S. 933.
[49] NZZ und TA, 7.4.11; SPJ 2010, S. 186.
[50] Medienmitteilung SBB vom 12.10.11; TA, 6.7.11; NZZ, 12.10.11; SPJ 2010, S. 188.
[51] NZZ, 19.5.11; AZ, 22.8.11; BaZ, 29.11.11; SPJ 2010, S. 189.
[52] Medienmitteilung SBB vom 29.3.12.; Presse vom 30.3.12.