Année politique Suisse 2011 : Infrastructure, aménagement, environnement / Transports et communications
Luftfahrt
Im Januar des Berichtsjahrs erklärte das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) den Nationalpark im Engadin, das Gebiet Adula/Greina, das Binntal sowie die Landschaft Weissmies zu sogenannten
Landschaftsruhezonen und rief die Piloten dazu auf, diese soweit wie möglich zu meiden
[77].
Anfang April trat das revidierte
Luftfahrtgesetz mit geänderten Bestimmungen zur Finanzierung von Skyguide und neuen Kompetenzen für das BAZL in Kraft
[78].
Diskussionslos und einstimmig nahm der Ständerat das teilrevidierte Bundesgesetz über die Verwendung der zweckgebundenen Mineralölsteuer an, wie es der Nationalrat im Vorjahr verabschiedet hatte. In der Schlussabstimmung verabschiedeten beide Räte die Vorlage einstimmig, nach der die
Verbrauchssteuer auf Flugtreibstoffen nicht mehr in die Finanzierung des Strassenverkehrs fliesst, sondern zweckgebunden für den Flugverkehr eingesetzt werden soll. Die jährlich 40 bis 50 Mio. Fr. werden hälftig für die technische Sicherheit und zu je einem Viertel in die Sicherheit vor Anschlägen sowie in Umweltmassnahmen investiert
[79].
Als Mitglied des
Einheitlichen Europäischen Luftraums
Single European Sky (SES) übernahm die Schweiz im August des Berichtsjahrs die Verordnungen der EU für den funktionalen Luftraumblock für Zentraleuropa (
Functional Airspace Block Europe Central, FABEC). Der Block soll künftig die Flugsicherung der Benelux-Staaten, Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz zusammenfassen. Zum Mandatsentwurf zwecks Aufnahme von Verhandlungen mit der EU über Inlandflüge (Kabotage-Recht) siehe Teil I, 2 (Europa: EU)
[80].
Die durch den
zivilen Flugverkehr verursachten
Lärmimmissionen beschäftigten 2011 zahlreiche Bürgerinitiativen. Im Januar wurden in beiden Basel zwei von insgesamt rund 8 500 Personen unterschriebene Petitionen eingereicht, die eine Erweiterung der Nachtruhe beim Flughafen Basel-Mülhausen (Euroairport Basel) fordern. Die Nachtruhesperrung sollte dabei in Basel mindestens gleich lang erfolgen wie in Zürich-Kloten (23h00–6h00). Im Zusammenhang mit dem Fluglärm wurde auch der Distriktsrat des Trinationalen Eurodistricts aktiv. Er forderte gegen den Willen der Flughafenbetreiber einen runden Tisch, der sich neben der Lärmfrage mit dem geplanten Bahnanschluss des Flughafens auseinandersetzen soll. Stimmen für eine Ausdehnung der verbindlichen Nachtruhe wurden auch in Genf und Bern laut. Anlässlich einer Rede vor dem Forum der Luftfahrt sprach sich Verkehrsministerin Leuthard für eine gesamtschweizerisch gültige Nachtruheregelung für die zivilen Flughäfen aus. Der Fluglärmstreit mit Deutschland wird unten im Abschnitt Flughäfen abgehandelt
[81].
Anfang des Berichtsjahrs vermeldete der Flughafen Zürich-Kloten für 2010 ein Rekordergebnis bezüglich
Flugverkehr. Die Zahl der abgefertigten Passagiere erfuhr im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 4,3 % auf 22,9 Mio. Das Frachtvolumen nahm um 19,3% zu und die Flugbewegungen um 2,5% auf 416 111. Ebenfalls grösser als im Vorjahr war das Passagieraufkommen am Flughafen Genf-Cointrin (+5% auf knapp 12 Mio. Fluggäste) und am Euroairport Basel-Mülhausen (+7% auf 4,1 Mio.). Bern-Belp hingegen verlor 6% seiner Passagiere (101 285). Insgesamt verzeichneten die vier Regionalflughäfen Bern, Lugano-Agno, Sitten und St.-Gallen-Altenrhein zusammen 11 190 Starts und Landungen, was rund 3% des gesamten Flugverkehrs im Land ausmachte
[82].
Zusammenhängend mit der höheren Passagierfrequenz an den grossen Schweizer Flughäfen, meldete auch die
Swiss einen Anstieg bei der Personenbeförderung um 2,8% auf gut 14 Mio. Passagiere. Bei einer hohen Sitzauslastung, insbesondere bei Interkontinentalflügen und hohem innereuropäischem Wettbewerbsdruck erreichte sie 2010 einen Betriebsgewinn von 368 Mio. CHF
[83].
Nach dem Bekanntwerden des guten Betriebsergebnisses der Swiss, drohte die Pilotengewerkschaft Aeropers, unzufrieden mit dem Verlauf der Verhandlungen für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV), mit dem Verhandlungsabbruch. Die Gewerkschaft ERWOG mit Hinweis auf die besseren Anstellungsbedingungen für Piloten bei Lufthansa und British Airways einen Streik. Die Unternehmensleitung der Swiss liess gleichzeitig verlauten, dass die Verhandlungen aus ihrer Perspektive nicht gescheitert wären. Anfang Juli einigten sich die Sozialpartner dann in letzter Minute auf bessere Arbeitsbedingungen, planbarere Erholungszeiten und branchengerechtere Saläre, was bei der Swiss zu einer Erhöhung des Personalaufwands zugunsten der Aeropers-Piloten um rund 20% führte
[84].
Gegen den Willen des Bundesrats nahm der Ständerat ein Postulat Lombardi (cvp, TI) an, das aus regionalpolitischen Überlegungen die Prüfung einer Anschubfinanzierung für die von Privaten geplante Wiederaufnahme der
Fluglinie Lugano–Belp verlangte. Diese von Crossair bediente Strecke war nach dem Swissairgrounding eingestellt worden. Der Bundesrat hatte vergeblich argumentiert, dass er in der Sicherstellung eines Tessiner Anschlusses an einen regionalen Hub für europäische Destinationen keine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung sähe
[85].
Stillschweigend lehnte der Nationalrat ein Postulat Fiala (fdp, ZH) ab, das die Ratifizierung des Änderungsprotokolls zum Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Deutschland (siehe Teil I, 2 Bilaterale Beziehungen) von einer Lösung des
deutsch-schweizerischen Fluglärmstreits abhängig machen wollte. Die Grosse Kammer teilte die Befürchtung der Regierung, dass zusätzliche Bedingungen das DBA gefährden und Neuverhandlungen notwendig machen könnten
[86].
Ende 2010 hatte das Bundesgericht in wesentlichen Teilen einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts von 2009 zum vorläufigen Betriebsreglement des Flughafens Zürich-Kloten gestützt. Die obersten Richter bestätigten die Zulässigkeit des neuen
Süd- und Ostanflugregimes, das 2003 mit der durch Deutschland einseitig verfügten Beschränkung der Überflüge über süddeutsches Gebiet eingeführt worden war, um die Kapazität des Flughafens zu erhalten. Gleichzeitig wurde die Flughafenbetreiberin verpflichtet, weitere Lärmschutzmassnahmen zu ergreifen, indem sie lenkungswirksamere Lärmschutzgebühren erhebt und binnen Jahresfrist ein Konzept für passive Schallschutzmassnahmen zur Lärmreduktion bei den morgendlichen Südanflügen vorlegt
[87].
Im November lehnte die Zürcher Stimmbevölkerung mit 58.8% Nein-Stimmen eine von 42 Gemeinden eingereichte Behördeninitiative ab, die den
Pistenneubau bzw. deren Ausbau am Flughafen Zürich-Kloten künftig untersagen wollte. Noch deutlicher, mit 68,2% Nein, verwarf der Souverän einen Gegenvorschlag des Vereins „Flugschneise Süd – Nein“, der neben dem Ausbauverbot unter anderem auch einen Verzicht auf sogenannte Schnellabrollwege und eine Aufhebung der Südanflüge forderte
[88].
Der Fronten im
Fluglärmstreit zwischen der Schweiz und Deutschland verhärteten sich im Berichtsjahr deutlich. Zwar gab die deutsch-schweizerische Arbeitsgruppe zum Fluglärmstreit im März bekannt, sich bis Ende 2011 in allen offenen Punkten des Streits verbindlich einigen zu wollen. Klären liess sich dann allerdings nur die Frage gleichberechtigter Mitwirkung der deutschen Bevölkerung (analog zur schweizerischen) an „für sie relevante Massnahmen“. Zu einigen vermochten sich die Verhandlungspartner auch darauf, bis Gesprächsabschluss keine einseitigen Massnahmen zu ergreifen. Offen blieb hingegen einstweilen die grundlegende Frage, ob die Einigung auf der Basis von Flugbewegungen (Deutschland) oder Lärmgrenzwerten (Schweiz) zu suchen sei
[89].
Im Mai des Berichtsjahrs wählte Baden-Württemberg den Grünen Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten und es zeichnete sich ab, dass die Verhandlungen im Fluglärmdossier für die Schweizer Seite schwieriger werden dürften. So hielt die baden-württembergische Regierungskoalition aus Grünen und SP in ihrer Regierungserklärung denn auch fest, an der durch Deutschland einseitig verordneten Flugraumsperrung festhalten zu wollen. Später stellte sich die neue baden-württembergische Regierung auf Druck der deutschen Fluglärmgegner auch hinter die Forderungen der Stuttgarter Erklärung von 2009, die zusätzlich zur Flugraumsperrung eine Begrenzung der Anflüge über Süddeutschland auf 80 000 im Jahr fordert. Hinter die Stuttgarter Erklärung stellten sich auch der deutsche Bundestag mit der Unterstützung einer entsprechenden Petition sowie der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer nach einem Treffen mit süddeutschen Bürgerinitiativen. Im August sorgte Bundesrätin Leuthard für weitere Verstimmung, als sie die süddeutschen Fluglärmgegner ihrer fehlenden Kompromissbereitschaft wegen mit Taliban verglich. Die Wogen vermochten sich erst nach einer öffentlichen Entschuldigung Leuthards sowie einem Gesprächsangebot aus Baden-Württemberg Anfang September wieder zu glätten. Unzufrieden mit den schleppenden Verhandlungen des Fluglärmdossiers formierten sich Anfang Oktober Politiker aus den Kantonen Zürich, Aargau, Thurgau und Schaffhausen zum parlamentarischen „Arbeitskreis Flugverkehr“. Mit dem ähnlichen Ziel, den Streit endlich einer einvernehmlichen, konstruktiven Lösung zuzuführen, schloss sich zur gleichen Zeit das Netzwerk „Wirtschaft am Hochrhein“ zusammen. Die darin vereinten 19 Wirtschaftsverbände riefen die Schweizer Verkehrsministerin und ihren deutschen Amtskollegen in einem öffentlichen Brief dazu auf, das Dossier endlich einer nachhaltigen Lösung zuzuführen. Anfang Dezember legten die Verkehrsminister beider Länder das weitere Vorgehen fest, indem sie darüber informierten, bis Jahresende die Grundlagen zur Ausarbeitung einer einvernehmlichen Lösung präsentieren zu wollen
[90].
[78] Medienmitteilung BAZL, 4.3.2011;
SPJ 2010, S. 198 f.
[79] BRG 10.083: AB SR, 2011, S. 156 f., 340; AB NR, 2011; S. 559; BBl, 2011; S. 2755; NZZ, 30.6.11; SPJ 2010, S. 199.
[80]
NZZ, 14.4., 5.7. und 16.11.11; Medienmitteilung BAZL vom 22.6.11;
SPJ 2006, S. 157;
SPJ 2010, S. 199.
[81] Presse vom 24.1.11;
BaZ, 27.1. und 28.1.11;
TdG, 2.2.11;
BaZ, 17.10.11
[82]
NLZ und
BaZ, 13.1.11;
NZZ, 26.2. und 24.3.11.
[83] Presse vom 18.3. und 22.3.11;
WW, 24.3.11;
LT, 19.4.11.
[85] Po. 11.3658:
AB SR, 2011, S. 1886;
SN, 8.11.11.
[86] Po. 10.3893:
AB NR, 2011, S. 1267;
SoZ, 13.3.11.
[87] BGE-Entscheid 1_C58/2010:
NZZ, 19.12.2009; Presse vom 8.1.11.
[88]
NZZ, 3.11. und 17.11.11;
AZ, 8.11.11;
LT, 21.11.11;
Lib., 25.11.11; Presse vom 28.11.11.
[89]
TA und
NZZ, 16.3.11;
SPJ 2010, S. 200 f.
[90]
SoZ, 1.5.11;
NZZ, 13.7. und 27.8.11;
TA, 30.7. und 25.8.11;
SoZ, 31.7.11; Presse vom 1.9.11;
NZZ, 3.10. und 2.12.11;
Swissinfo, 15.10.11.
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