Année politique Suisse 2011 : Politique sociale / Groupes sociaux
 
Flüchtlingspolitik
Die Zahl der Asylgesuche nahm im Zuge der politischen Umstürze in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens stark zu. Während sich die Zahlen im Januar und Februar um jeweils rund 1 200 Gesuche pro Monat bewegten, stieg die Anzahl der Gesuche im März auf 1 874. Ende des ersten Quartals war die Zahl von total 4 371 Gesuchen rund 18 Prozent höher als im ersten Quartal 2010. Trotz der von Parteien und der Öffentlichkeit gefürchteten Welle nordafrikanischer Gesuche kam die grösste Gruppe an Antragsstellern aus Eritrea (724 Personen). Aus Furcht vor einer starken Zunahme der Gesuche aus Tunesien reiste eine Schweizer Delegation im April nach Tunis, um vor Ort Möglichkeiten zur Hilfeleistung und gleichzeitig zur Reduktion von Flüchtlingsbewegungen auszuloten. Die Befürchtungen bestätigten sich vorerst nicht, da die Zahl der Asylgesuche im April im Vergleich zum Vormonat wieder um 20 Prozent abnahm. Während im Folgemonat die Asylgesuche auf 2 245 anstiegen, sanken sie aber bereits im Juni wieder auf 1 675 und somit auf ein ähnliches Niveau wie vor Ausbruch der Unruhen in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens. In den Sommermonaten stagnierte die Anzahl der Gesuche, bevor sie im September erneut auf über 2 000 stieg und im November über 2 500 erreichte. Die grösste Gruppe Antragssteller stammte im Herbst aus Tunesien, gefolgt von Eritrea und Serbien. Insgesamt wurden im Berichtsjahr 22 551 Asylgesuche gestellt, was gegenüber dem Vorjahr einer Zunahme von 45 Prozent und der höchsten Zahl an Gesuchen seit 2002 entsprach [17].
Aufgrund der Demokratisierungsbewegungen im nordafrikanischen Raum und in Ländern des Nahen Ostens wurde eine Flüchtlingswelle erwartet. Um sich auf diese vorzubereiten, führte das Bundesamt für Migration bereits im Februar einen Krisengipfel mit Vertretern der Kantone und der involvierten Departemente sowie der Grenzwacht durch. Zudem nahm Justizministerin Sommaruga im Februar an einer EU-Konferenz der zuständigen Innenminister teil, welche auf Drängen der südeuropäischen Länder Italien, Malta und Spanien einberufen worden war und die innereuropäische Koordination der Staaten verbessern sollte. Bereits vor dem ersten grossen Anstieg an Asylgesuchen kritisierten die Kantone und verschiedene Parteien die ihrer Ansicht nach mangelhafte Funktionsweise des Dublin-Abkommens. Auch das Bundesamt für Migration räumte ein, dass Italien trotz der Dublin-Verpflichtungen nur eine geringe Anzahl von Rücknahmen erlaube. Das Vertragswerk gesteht es den Staaten zu, sowohl das Verkehrsmittel als auch den Ort für den Empfang rückzunehmender Asylsuchender festzulegen. Italien wählte einen sehr restriktiven Ansatz und akzeptierte nur eine kleine Anzahl Personen pro Tag, welche in Rom auf dem Luftweg anzukommen hatten. Aufgrund dieser engen Auslegung des Dublin-Abkommens durch Italien konnte auch die Schweiz im Frühjahr nur eine begrenzte Anzahl Rückführungen nach Rom durchführen. Um die bilaterale Kooperation zu vertiefen, besuchte Bundesrätin Sommaruga im September den italienischen Innenminister Maroni. Man einigte sich darauf, dass eine Schweizer Verbindungsperson zukünftig in Rom vor Ort für eine bessere Rückführung von abgewiesenen Asylsuchenden nach Italien sorgen solle [18].
Zu den politischen Unruhen in Nordafrika und den arabischen Ländern des Nahen Ostens führte der Nationalrat im März eine dringliche Debatte, welche die Parteien in erster Linie für Schuldzuweisungen nutzten. Während die Linke die bürgerliche Parteien der jahrelangen Billigung der Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Autokraten beschuldigte, so beispielsweise im Bereich von Waffenlieferungen, warfen CVP, FDP und SVP dem Bund und den linken Parteien migrationspolitisches Versagen vor. Da die dringliche Debatte primär aus Interpellationen bestand, wurden keine verbindlichen Beschlüsse gefasst. Bereits Mitte März begann der Bund, sich auf einen möglichen massiven Anstieg der Asylgesuche vorzubereiten, indem die Möglichkeiten zur Unterbringung der Asylsuchenden in Zusammenarbeit mit dem VBS und den Kantonen eruiert wurden. Um in Zukunft auf ausserordentliche Situationen wie diejenige in Nordafrika besser vorbereitet zu sein, beschloss die Vorsteherin des EJPD im Mai, einen Sonderstab Asyl zu schaffen sowie ein Notfallkonzept erstellen zu lassen [19].
Zwischen 2006 und 2008, während sich die politische Lage im Irak sehr instabil zeigte, wurden rund 7 000 bis 10 000 irakische Asylgesuche per Entscheid durch das BFM und die zuständigen Botschaften in Damaskus und in Kairo und mit Wissen des damaligen Bundesrats Blocher unbearbeitet schubladisiert. Dies geschah Presseberichten zufolge aufgrund der überaus grossen Anzahl Gesuche und einer gewissen Überforderung der zuständigen Stellen. Unklar blieb, ob sich das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) damals einverstanden erklärt hatte, sich dieser Menschen anzunehmen. Diese Meldung veröffentlichte Bundesrätin Sommaruga im Herbst. Ob dieses Vorgehen rechtskonform war, untersuchte Alt-Bundesrichter Michel Féraud im Rahmen eines externen Gutachtens. Der anfangs Dezember veröffentlichte Zwischenbericht zeigte auf, dass sich die Asylbewerber unter dem Schutz des UNHCR befanden und deshalb nicht direkt gefährdet waren. Dennoch blieb offen, inwieweit die nach der Abwahl Christoph Blochers für das BFM zuständige Bundesrätin Widmer-Schlumpf von diesen Gesuchen wusste [20].
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Gesetzgebung
Im Berichtsjahr gab es zwei Vorhaben zur Revision des Asylgesetzes. Zum einen schlug Justizministerin Sommaruga im Frühjahr vor, die Gesetzgebung dahingehend abzuändern, dass die Mehrheit der Asylverfahren bereits in den Bundeszentren abgewickelt und die Asylsuchenden so gar nicht erst auf die Kantone verteilt werden sollen. Die durchschnittliche Bearbeitungsfrist der Gesuche könnte damit auf rund 120 Tage gesenkt werden. Lediglich geschätzte 20 Prozent aller Personen im Asylprozess, bei welchen weitergehende Abklärungen nötig sind, sollten weiterhin kantonalen Zentren zugewiesen werden. Die Vorschläge wurden sowohl von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe als auch von der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats begrüsst. Letztere erteilte der Bundesrätin im Mai den Auftrag, den Entwurf weiterzuverfolgen und in Form einer Zusatzbotschaft zu präsentieren. Zum anderen soll das bestehende Asylgesetz von 1999 grundsätzlich revidiert werden. Im Mai hiess es, ein Entwurf zur umfassenden Restrukturierung des Asylbereichs solle nach Ansicht der Bundesrätin dem Parlament bis Ende 2012 vorliegen; die kurzfristig realisierbaren Massnahmen sollen den Räten in Form einer Zusatzbotschaft zur laufenden Asylgesetzrevision hingegen bereits bis Ende September des Berichtsjahres vorgelegt werden. Laut Regierung dürfte das komplette Revisionsvorhaben insgesamt fünf bis sechs Jahre in Anspruch nehmen. In der darauffolgenden Anhörung kritisierten zahlreiche Akteure die Vorschläge von Justizministerin Sommaruga. So meinte die FDP, eine konsequentere Anwendung des bestehenden Gesetzes sei ausreichend, während die SVP die kostspieligen Massnahmen kritisierte. Letztere war der Ansicht, dass stattdessen einzig eine Beschleunigung der Verfahren notwendig sei. Anregungen für eine Verbesserung des Asylwesens holte sich Bundesrätin Sommaruga im Rahmen eines Arbeitsbesuchs in den Niederlanden im Herbst, wo sie sich die Funktionsweise des niederländischen Systems erklären liess. Die Zusatzbotschaft zur laufenden Asylgesetzesrevision verabschiedete der Bundesrat im September. Die umfassende Revision des Asylgesetzes wurde im November von der Staatspolitischen Kommission des Ständerates begrüsst [21].
Die kleine Kammer befasste sich anschliessend im Dezember als Erstrat mit der Revision des Asylgesetzes. Dabei standen zwei Entwürfe zur Debatte. Einerseits wurde der ursprüngliche Entwurf des Bundesrates von 2010 diskutiert. Andererseits diskutierte der Ständerat über den von der zuständigen Staatspolitischen Kommission des Ständerates (SPK-SR) angepassten Entwurf des Bundesrates, welcher die in der Zusatzbotschaft enthaltenen, weitergehenden Massnahmen zur Beschleunigung des Asylverfahrens einschloss. Die wichtigsten Punkte im abgeänderten Gesetzesentwurf betrafen die Reduktion der Anzahl an Nichteintretensgründen und das Wegfallen von Dienstverweigerung und Desertion als Asylgrund. Des Weiteren sollte durch die Gesetzesrevision die Möglichkeit, auf einer Schweizer Botschaft im Ausland einen Asylantrag zu stellen, abgeschafft werden. Zudem dürften die geplanten Änderungen eine strafrechtliche Sanktionierung von politischen Aktivitäten Asylsuchender erlauben, wenn sie diese ausschliesslich zur Begründung ihrer Flüchtlingseigenschaft einsetzten. In der Schlussabstimmung wurde die Vorlage des Bundesrates an denselben mit dem Auftrag zurückgewiesen, rasch möglichst, respektive wie von Bundesrätin Sommaruga angekündigt bis Ende 2012, eine neue Vorlage zur umfassenden Revision des Gesetzes auszuarbeiten. Bezüglich der zweiten Vorlage, des durch die SPK-SR angepassten Entwurfs sowie der in der Zusatzbotschaft enthaltenen Massnahmen, zögerte eine Ratshälfte mit einem klaren Votum und verabschiedete ihn bei 16 Enthaltungen mit lediglich 14 zu 4 Stimmen. Zusätzlich dazu wurden im Dezember des Berichtsjahres weitere Sofortmassnahmen zur Effizienzsteigerung im Asylwesen vom Ständerat diskutiert und angenommen, so sind dies ein verbesserter Informationsaustausch zwischen dem Bundesamt für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht sowie die zur Entlastung des Beschwerdeverfahrens für mittellose Asylbewerber kostenlos zu Verfügung gestellten Rechtsvertreter [22].
Der Nationalrat gab der parlamentarischen Initiative Müller (fdp, AG) Folge, welche bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung eine Gleichstellung für Personen, die ein Asylverfahren durchlaufen haben, gegenüber Personen aus Drittstaaten, die nicht über ein Asylverfahren eingewandert sind, anstrebt. Der Motionär kritisierte, dass Personen im Asylprozess bereits nach fünf Jahren einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Niederlassungsbewilligung haben, die übrigen Personen aus Drittstaaten, die nicht in den Asylbereich fallen, hingegen erst nach zehn Jahren eine Niederlassungsbewilligung erhalten können [23].
Der Nationalrat überwies in der Sommersession ein Postulat Haller (bdp, BE) zur Reisetätigkeit von vorläufig Aufgenommenen. Vorläufig aufgenommene Personen sind solche, die einen negativen Asylentscheid erhalten haben, deren Rückkehr in den Herkunftsstaat aber nicht zumutbar oder unzulässig ist. Diese Personen gelangten bisher meist problemlos zu einer Genehmigung für die Reise ins Heimatland mit anschliessender Rückkehr. Die Motion forderte nun vom Bundesrat, zu überprüfen, ob dies auch in Zukunft möglich sein soll und wie diese Reisetätigkeit eingeschränkt werden könnte, beispielsweise durch eine ausschliessliche Gewährung einer Reise bei besonders wichtigen Gründen [24].
Eine Motion mit gleichem Begehren nahm der Nationalrat in der ausserordentlichen Session zur Zuwanderung und der Migrationspolitik an. Die Motionärin Flückiger-Bäni (svp, AG) forderte eine Neuregelung des Reisebewilligungsverfahrens für Flüchtlinge mit dem Status F, also vorläufig Aufgenommene. Trotz Opposition von mehrheitlich links-grüner Seite wurde die Motion mit 114 zu 68 Stimmen an den Zweitrat überwiesen [25].
Das BFM gab daraufhin im November bekannt, die Reisefreiheit von vorläufig Aufgenommenen wieder einschränken zu wollen. Die Reiseverordnung war erst 2010 angepasst worden und erlaubte vorläufig Aufgenommenen, ein Reisegesuch ohne Angabe von Gründen einzureichen. Es wurden dann allerdings verschiedene Fälle bekannt, in welchen gewisse Personen Ferienreisen in ihr Heimatland unternommen hatten, obwohl der Status der vorläufigen Aufnahme gerade aufgrund einer unzulässigen oder unzumutbaren Wegweisung in dieses Land erfolgte. Zukünftig sollten, wie bereits vor der Anpassung der Verordnung, Reisen nur noch aufgrund dringender Angelegenheiten, familiärer Notlagen oder zwecks Ausbildung unternommen werden dürfen [26].
Zudem überwies der Nationalrat in dieser ausserordentlichen Session eine Motion der CVP/EVP/glp-Fraktion zur effektiveren Bekämpfung der Ausländerkriminalität. Das Begehren umfasste insgesamt acht Forderungen zur Anpassung des Asylgesetzes und bezog sich auch auf die Zusammenarbeit zwischen Kantonen und dem Bund. So sollen erstere die Kosten für sämtliche Inhaftierungsfälle vom Bund erstattet erhalten – also sowohl für die Vorbereitungs-, Durchsetzungs- und Ausschaffungshaft als auch für Haftfälle im Dublin-Bereich. Im Gegensatz dazu soll der kantonale Vollzug vereinheitlicht und durch den Bund verstärkt kontrolliert werden. Ebenfalls enthielt die Motion die Forderungen nach verkürzten Rekursverfahren im Asylprozess, verstärkten Personalkontrollen im Grenzbereich und der Förderung des Haftvollzugs im Herkunftsstaat. Der Bundesrat empfahl die Motion zur Ablehnung, insbesondere könnten die Probleme im Vollzugsbereich nicht durch eine Erhöhung der Fallpauschalen durch den Bund gelöst werden. Der Nationalrat nahm die Motion dennoch mit 97 zu 85 Stimmen an. Nebst der für die Motion verantwortlichen Fraktion stimmten die BDP- und die SVP-Fraktion sowie einige FDP-Nationalräte dem Anliegen zu [27].
Vom Nationalrat ebenfalls diskutiert wurde im Herbst die Motion Müller (fdp, AG) mit der Forderung nach einer schnelleren Umsetzung der Beschleunigungsmassnahmen im Asylbereich. Konkret forderte der Motionär vom Bundesrat einen Vernehmlassungsentwurf für die Neustrukturierung des Asylwesens bis im Herbst des Berichtsjahres. Trotz dieser offensichtlich unmöglichen Forderung – der geforderte Zeitpunkt für den bundesrätlichen Bericht ging mit demjenigen der Debatte im Erstrat einher – nahm der Nationalrat die Vorlage mit 112 zu 68 Stimmen an [28].
Im Dezember votierte der Ständerat für ein Postulat Schwaller (cvp, FR) mit der Forderung nach einer bundesrätlichen Analyse, ob ein spezielles Verfahrensrecht im Asylbereich einzurichten sei. Hintergrund des Begehrens war die zähe Behandlung von Asylgesuchen, die vor allem durch die langandauernden Verfahren vor den Beschwerdeinstanzen geprägt sind. Der durch das Postulat zu erstellende Bericht soll insbesondere abklären, ob ein spezielles Verfahrensrecht die Beschwerdefristen unter Wahrung der rechtsstaatlichen Grundsätze verkürzen könnte. Der Bundesrat empfahl die Annahme des Postulats, da dieser Bericht im Rahmen des Ende 2012 stattfindenden Vernehmlassungsverfahrens über die Beschleunigungsmassnahmen im Asylbereich behandelt werden könne [29].
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Vollzug
Aufgrund der politischen Unruhen wurden zu Jahresbeginn die Rückschaffungen von abgewiesenen Asylbewerbern in die Elfenbeinküste vorläufig ausgesetzt. Ebenfalls im Januar wurde die Rückschaffung von Asylsuchenden nach Griechenland nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vorläufig eingestellt. Der EGMR kam zum Schluss, dass die Behandlung der Asylsuchenden in den griechischen Lagern menschenunwürdig sei. Somit muss die Schweiz zukünftig Gesuche, für die laut Dublin-Vertragswerk Griechenland zuständig wäre, selbst prüfen. Das Bundesverwaltungsgericht untersagte im Juni in einem Urteil zudem die Rückschaffung von abgewiesenen Asylsuchenden in weiteste Teile Afghanistans aufgrund der humanitären Lage vor Ort. Konkret gewährte das Gericht einem jungen Afghanen die vorläufige Aufnahme in der Schweiz. Gestattet bleiben unter gewissen Umständen einzig Rückführungen nach Kabul [30].
Die Rückschaffungen nach Nigeria wurden hingegen im Januar nach einer zehnmonatigen Pause erstmals wieder aufgenommen. Sie waren im Frühling des Vorjahres eingestellt worden, nachdem ein Mann bei einem Ausschaffungsflug verstorben war – wie sich später herausstellte aufgrund einer Herzkrankheit. Im Februar wurde beim Besuch des nigerianischen Aussenministers in Bern die im Herbst 2010 abgeschlossene Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria unterzeichnet [31].
Verschärft wurde die Praxis gegenüber Personen im Asylprozess aus Sri Lanka. Abgewiesene Asylbewerber sollten nicht mehr vorläufig aufgenommen, sondern nach Sri Lanka zurückgeschafft werden können, da sich nach Ansicht des Bundesamts für Migration (BFM) die Lage dort entspannt hatte. Von dieser Praxisänderung ausgenommen waren Tamilen aus bestimmten Gegenden des Landes, welche früher strikt von den Tamil Tigers kontrolliert worden waren [32].
Aufgrund der grossen Anzahl an Asylbewerbern und den Kapazitätsengpässen in den bestehenden Empfangszentren des Bundes beschloss das BFM im April, in Basel, Kreuzlingen und im Tessin drei weitere Aufnahmezentren zu eröffnen [33].
Die Wirksamkeit der Schweizerischen Rückkehrhilfe ist Gegenstand eines Berichtes, welchen der Bundesrat aufgrund eines vom Nationalrat in der Sommersession überwiesenen Postulates Müller (fdp, AG) zu erstellen hat. Dabei sollen unter anderem die Kosten nach Herkunftsstaaten sowie im internationalen Vergleich zu anderen europäischen Ländern mit ähnlichen Programmen dargestellt werden. Ebenfalls sollen die Anreizstrukturen des Programms, sowohl zur Einwanderung als auch zum tatsächlichen Verlassen der Schweiz, beleuchtet werden [34].
Die Zunahme der Asylgesuche aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens war Gegenstand des vom Nationalrat überwiesenen Postulats Hiltpold (fdp, GE). Dieses fordert vom Bundesrat einen Bericht über die Anzahl der Personen nordafrikanischer Herkunft, die in die Schweiz eingewandert sind, ihre Verteilung auf die Kantone sowie die verursachten Kosten im Asylbereich. Ebenfalls soll die Landesregierung darlegen, wie diese Menschen möglichst rasch in ihr Herkunftsland zurückkehren können und in Verbindung damit solle das zuständige Departement auch eine Evaluation der Rückkehr- und Hilfsprogramme der Schweiz vor Ort in Nordafrika vornehmen [35].
Ebenfalls von Nationalrat Hiltpold (fdp, GE) stammte eine Motion zum Bürokratieabbau im Asylbereich. Nach Vorbild des niederländischen Asylwesens sollen das Bundesamt für Migration (BFM) und das Asylverfahren so reorganisiert werden, dass die Befragungen zur Person des Asylsuchenden und zu seinen Asylgründen zusammengelegt und diese von einem Sachbearbeiter durchgeführt werden können. Der Bundesrat verwies auf die laufende Revision des Asylgesetzes und begrüsste den Vorschlag des Motionärs. Der Nationalrat nahm die Motion in der Wintersession an. Das Geschäft ist per Ende des Berichtjahres zur Beratung im Ständerat pendent [36].
Sowohl das EJPD als auch das VBS gerieten im Berichtsjahr unter Druck, da es den beiden Departementen nicht gelang, genügend vom Bund geführte Plätze für Asylbewerber zu schaffen. Das Bundesamt für Migration hatte im Frühjahr erklärt, bis Ende des Berichtsjahres zusätzliche Asylunterkünfte für 2 000 Asylsuchende zu eröffnen, währenddessen das VBS im Frühling 1 000 Plätze in Armeeunterkünften bereitzustellen versprach. Bis im Herbst konnte lediglich je eine Unterkunft vorgewiesen werden. Die auch in der Öffentlichkeit und den Medien thematisierten Unterbringungsschwierigkeiten der vielen Asylsuchenden war Inhalt einer von Nationalrat Müller (fdp, AG) eingereichten und in der Wintersession von der grossen Kammer überwiesenen Motion. Er forderte darin eine engere Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure und Bundesstellen, darunter das EJPD, das VBS und die Kantone, und eine rasche Behebung der bestehenden Unklarheiten bezüglich der Zuständigkeiten und technischen Fragen wie dem Bewilligungsverfahren für Unterkünfte. Der Bundesrat sprach sich aufgrund der bestehenden Probleme im Asylbereich ebenfalls für die Annahme der Motion aus [37].
Der Nutzen und die Nachteile der Aufenthaltskategorie der vorläufigen Aufnahme und die Möglichkeiten der Beschränkung der Erteilung dieses Status sollten in einem Bericht des Bundesrats evaluiert werden. Dies fordert ein Postulat Hodgers (gp, GE), welches der Nationalrat im Winter diskutierte. Während die vorläufige Aufnahme für die betroffenen Personen im Asylbereich – pro Jahr erhalten rund 20 000 Personen diesen Status zugesprochen – eine grosse Unsicherheit bezüglich ihres Verbleibs in der Schweiz darstelle, sei diese für die Kantone und den Bund mit einem erheblichen administrativen Aufwand verbunden. Sowohl der Bundesrat als auch der Nationalrat sprachen sich für dieses Begehren aus, welches damit überwiesen wurde [38].
Im Berichtsjahr unterzeichnete die Schweiz Rückübernahmeabkommen mit Montenegro und Dänemark sowie ein Migrationsabkommen mit Guinea. Erstere schreiben die Rückübernahme von Staatsangehörigen und Angehörigen von Drittstaaten unter gewissen Bedingungen vor, während letzteres die Migrationsflüsse zwischen den beiden Staaten im breiteren Sinn regelt [39].
Im Rahmen der ausserordentlichen Session zur Zuwanderung und dem Asylwesen nahm der Nationalrat eine von der SVP-Fraktion eingereichte Motion zur Kopplung der Entwicklungshilfe an die Kooperation der Empfängerstaaten im Asylbereich an [40].
An den Zweitrat überwiesen wurde vom Nationalrat eine Motion der FDP-Liberalen-Fraktion zur Kopplung der Finanzhilfe für Nordafrika an die Kooperation der betreffenden Staaten bei der Rückübernahme von abgewiesenen Asylsuchenden. Detaillierter erläutert sind beide Begehren in Teil I, Kapitel 2 (Entwicklungsländer) [41].
Zudem hiess der Nationalrat eine Motion Müller (fdp, AG) gut, welche vom Bund die Schaffung rechtlicher Grundlagen forderte, so dass Asylsuchende, die aufgrund des Dublin-Vertrags in einem anderen Staat einen Anspruch auf ein Asylverfahren haben, direkt von den Empfangszentren des Bundes in den betreffenden Staat zurückgeführt werden könnten. Ausführlicher behandeln wir diesen Vorstoss in Teil I, Kapitel 2 (Schengen/Dublin) [42].
 
[17] NZZ, 3.3. und 13.4.11; LT, 19.4.11; AZ, 5.5.11; BZ, 14.7.11; LT, 21.10. und 10.12.11; Medienmitteilung BFM vom 19.1.12.
[18] TA, 23.2.11; Blick, 25.2.11; BZ, 1.3.11; NZZ, 5.3. und 21.9.11.
[19] SZ, 17.3.11; BZ, 4.3. und 12.5.11; Blick, 3.7.11.
[20] TA, 2.9. und 2.12.11; BZ, 3.9.11.
[21] Presse vom 10.5.11; BZ, 3.8.11; NZZ, 24.9., 9.11. und 26.11.11.
[22] BRG 10.052: BBl, 2010, S. 4455 ff.; BBl, 2011, S. 7325 ff.; TA und NZZ, 13.12.11; vgl. SPJ 2010, S. 263 f.
[23] Pa.Iv. 10.484: AB NR, 2011, S. 1335 f.
[24] Po. 11.3047: AB NR, 2011, S. 1267.
[25] Mo. 11.3383: AB NR, 2011, S. 1735.
[26] SoS, 19.11.11.
[27] Mo. 10.3066: AB NR, 2011, S. 1725.
[28] Mo. 11.3732: AB NR, 2011, S. 1738.
[29] Po. 11.3928: AB SR, 2011, S. 1135 f.
[30] NZZ, 5.1.11 (Elfenbeinküste); TA, 27.1.11; 24H, 27.1.11 (Griechenland); LT, 24.3.11 (Afghanistan).
[31] NZZ, 21.1.11; Medienmitteilung BFM vom 14.2.11; vgl. SPJ 2010, S. 264.
[32] SN, 27.1.11.
[33] NZZ, 21.4.11.
[34] Po. 11.3062: AB NR, 2011, S. 1267.
[35] Po. 11.3689: AB NR, 2011, S. 1737.
[36] Mo. 11.3809: AB NR, 2011, S. 2264.
[37] Mo. 11.3868: AB NR, 2011, S. 2264; SoS, 8.11.11; NLZ, 24.11.11; Presse vom 1.12.11.
[38] Po. 11.3954: AB NR, 2011, S. 2266.
[39] Medienmitteilungen BFM vom 4.3. (Montenegro), 23.6. (Dänemark) und 14.10.11 (Guinea).
[40] Mo. 10.3558: AB NR, 2011, S. 1729.
[41] Mo. 11.3510: AB NR, 2011, S. 1736.
[42] Mo. 10.3174: AB NR, 2011, S. 1726.