Année politique Suisse 2011 : Politique sociale / Groupes sociaux / Familienpolitik
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Ehe- und Scheidungsrecht
Im Januar kommunizierte das Justiz- und Polizeidepartement, dass sich die Revision des Gesetzes über das Sorgerecht im Scheidungsfall um ein Jahr verzögere. Grund dafür war das Konfliktpotential der Vorlage, welches während der Vernehmlassung sichtbar wurde. Nebst Fragen des Sorgerechts, wo sich insbesondere Väterorganisationen für eine ausgeglichenere Lösung einsetzten, wurden auch unterhaltsrechtliche Aspekte kontrovers diskutiert und von Frauenorganisationen und juristischen Verbänden kritisiert. Auf Einladung von Bundesrätin Sommaruga diskutierten im April an einem Runden Tisch Vertreter von Mütter- und Väterorganisationen über die geplante Vorlage. Aufgrund der grossen Kontroversen um die Verknüpfung der Sorgerechts- und Unterhaltsfragen beschloss der Bundesrat im Mai, die beiden Probleme unabhängig voneinander zu behandeln. Daraufhin beriet der Nationalrat im September eine Motion seiner Kommission für Rechtsfragen mit der Forderung nach einem gemeinsamen Sorgerecht als Regel im Scheidungsfall. Zudem sah die Vorlage in einem zweiten Schritt eine Revision des Unterhalts- und Betreuungsrechts von Eltern vor, die nicht oder nicht mehr in einem Eheverhältnis leben. Der Nationalrat folgte seiner Kommission und überwies die Motion an den Ständerat, welcher sie ebenfalls annahm [76].
Der Bundesrat möchte Zwangsehen effektiver bekämpfen und präsentierte daher im Februar seine Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten. Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem vor, das Strafgesetzbuch um einen eigenständigen Tatbestand zu ergänzen, so dass Zwangsehen konsequent bestraft werden können. Siehe dazu auch die Ausführungen in Teil I, Kapitel 1b (Zivilrecht). [77].
Die parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL) zur Neuregelung des ehelichen Namensrechts stand im Berichtsjahr im Ständerat zur Debatte. Das Vorhaben hatte zum Ziel, die Gleichstellung der Ehegatten zu gewährleisten. Zudem sollte die Wahl des Familiennamens für die Kinder den Eltern überlassen werden; eine gesetzliche Regelung sollte nur bei Uneinigkeit zum Tragen kommen. Der Nationalrat hatte die parlamentarische Initiative bereits 2009 behandelt und mit einer Rückweisung an die RK-NR auf eine umfassende Neuregelung des Namensrechts verzichtet. Die RK-SR entschied jedoch, den ersten, umfassenden Entwurf der RK-NR zu beraten. Der Ständerat beschloss im Juni ohne Gegenstimme, auf die Vorlage einzutreten. Die RK-SR brachte verschiedene Anträge ein, welchen der Rat geschlossen folgte. Der Ständerat sprach sich dafür aus, dass beide Ehegatten ihren jeweiligen Namen behalten können. Falls gewünscht, könnten sie aber auch einen gemeinsamen Familiennamen wählen – denjenigen der Frau oder des Mannes. Für die Kinder soll ein Familienname von den Brautleuten gewählt werden, der bis ein Jahr nach der Geburt des ersten Kindes noch geändert werden könnte. Im Gegensatz zum Nationalrat war die Beratung in der kleinen Kammer von grosser Einigkeit und Sachlichkeit geprägt. Der Ständerat nahm den Entwurf mit 38 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen an. Dieser ständerätliche Entwurf ging im Herbst zurück an den Nationalrat, wo wiederum eine ausführliche Debatte stattfand. Eine Minderheit Nidegger (svp, GE) verlangte, am nationalrätlichen Minimalentwurf festzuhalten, weil ein gemeinsamer Familienname die Identität festige und der progressive Entwurf des Ständerates einer ‚à la carte‘-Namenslösung gleichkomme. Gefordert wurde zudem in zwei Minderheitsanträgen eine Regelung im Falle von Uneinigkeit: Familien sollten bei Dissens über den Familiennamen ihren Kindern zwingend den Namen des Bräutigams geben müssen. Sämtliche Minderheitsanträge wurden jedoch von einer Mitte-Links Mehrheit abgelehnt. In der Schlussabstimmung wurde die neue Gesetzgebung im Nationalrat mit 117 zu 72 Stimmen und im Ständerat mit 32 zu 6 Stimmen angenommen [78].
Der Nationalrat schrieb in der Herbstsession eine parlamentarische Initiative Hubmann (sp, ZH) zur Änderung der Rentenzahlungen nach Eintritt eines Vorsorgefalls für Geschiedene ab. Dieser Entscheid erfolgte auf Anraten der nationalrätlichen Rechtskommission, welche zu bedenken gab, dass der Bundesrat bereits einen Vorentwurf zur Anpassung des Gesetzes in die Vernehmlassung gegeben habe und dieser danach vom EJPD angepasst und voraussichtlich 2012 dem Bundesrat unterbreitet werden würde [79].
In der Wintersession behandelte der Nationalrat ein Postulat der BDP-Fraktion, welches vom Bundesrat Lösungsvorschläge zur künftigen zivilstandsunabhängigen Bemessung von Renten und Steuern forderte. Konkret solle die Landesregierung damit die Gleichbehandlung von unverheirateten Paaren mit Ehepaaren sowohl im Steuerbereich als auch bei der der 1. und 2. Säule und den Sozialversicherung sicherstellen. Während die SVP-Fraktion geschlossen gegen das Postulat stimmte, nahmen sämtliche anderen Parteien das Postulat an und überwiesen es mit 132 zu 51 Stimmen [80].
Die Motion Bischof (cvp, SO) zur Beseitigung der Heiratsstrafe – also der Behebung der steuerlichen Benachteiligung von Verheirateten gegenüber Konkubinatspaaren und Alleinstehenden – wurde im Sommer vom Nationalrat angenommen. Die Vorlage wird detailliert bei den Steuern in Teil I, Kapitel 5 (Impôts directs) behandelt [81].
 
[76] Mo. 11.3316: AB NR, 2011, S. 1824 ff.; AB SR, 2011, S. 1054; NZZ, 13.1., 16.4. und 26.5.11., NLZ, 27.1.11.
[77] BBl, 2011, S. 2185 ff.; BaZ, 24.2.11.
[78] Pa.Iv. 03.428: AB SR, 2011, S. 477 ff. und 1035; AB NR, 2011, S. 1756 ff. und 1865; Presse vom 7.6., 8.6. und 29.9.11; 24H, 11.10.11; vgl. SPJ 2009, S. 238.
[79] Pa.Iv. 07.454: AB NR, 2011, S. 1837 f.
[80] Po. 11.3545: AB NR, 2011, S. 2262.
[81] Mo. 10.4127: AB NR, 2011, S. 1263; SGT, 26.2.11.