Année politique Suisse 2012 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Im Berichtjahr feierte die CVP ihr 100-jähriges Bestehen. Im Bundeshaus gab es bereits seit 1882 eine katholisch-konservative Fraktion, die nationale Partei wurde aber erst am 22. April 1912 gegründet. In der Presse wurde der Niedergang der Partei in den letzten rund 30 Jahren beschrieben, aber auch die Bedeutung der Partei als Allianzpartnerin im Parlament hervorgehoben. Zudem habe die Partei zahlreiche wichtige Politikerinnen und Politiker hervorgebracht, welche die Politik der Schweiz stark beeinflusst hätten. Diskutiert wurde zudem die heutige Bedeutung des C, welches 1971 zur Klammer der Partei werden sollte. Während es auf der einen Seite als Bestandteil des Logos akzeptiert werde, wurde auf der anderen Seite befürchtet, dass es die Partei auf eine zu enge katholische Ausrichtung reduziere. Die Feier fand nicht im April, sondern im Oktober statt und zwar im Hotel Union Luzern, wo vor 100 Jahren die Partei auch gegründet wurde. Zum Jubiläum erschien eine Spezialausgabe der Parteizeitung, in der verschiedene CVP-Persönlichkeiten eine Auslegeordnung von die Partei umtreibenden Fragen vornahmen. Die Parteispitze kündigte an, in Zukunft wieder stärker die Nähe zur Bevölkerung suchen zu wollen, wenn immer nötig Referenden zu ergreifen, um sich zu profilieren und einen Wähleranteil bei den nächsten Nationalratswahlen von 15% anzustreben. Aktuell hält die CVP 12,3% – Tiefstand in ihrer 100-jährigen Geschichte [47].
Zwar schwang die CVP-Bundesrätin in Beliebtheitsumfragen im Vergleich mit ihren Kolleginnen und Kollegen immer wieder oben aus, dies schien sich für die CVP aber bei den in acht Kantonen stattfindenden kantonalen Gesamterneuerungswahlen nur bedingt auszuzahlen. In vier der acht Kantone musste die CVP nämlich Sitzverluste hinnehmen: Herb waren diese im Kanton St. Gallen, wo die Christdemokraten nicht nur vier Mandate sondern auch über 6 Prozentpunkte an Wähleranteil verloren. Mit den zwei Sitzverlusten im Kanton Aargau verkam die einst stärkste Partei zur viertstärksten Kraft im Kanton. In den Kantonen Thurgau und Uri hielten sich die Verluste mit je einem Mandat in Grenzen. Im Urkanton konnte sich die CVP als stärkste Partei behaupten. Auch im Kanton Schwyz konnte die CVP zwar von den massiven Verlusten der SVP nicht profitieren, aber ihre Sitzzahl wenigstens halten. Dies gelang ihr trotz Wählerverlusten auch in den Kanton Basel-Stadt und Schaffhausen. Die einzige Erfolgsmeldung gab es aus dem Kanton Waadt. Die CVP profitierte dort von der gemeinsam mit GLP, BDP, EVP und EDU gebildeten Liste „Alliance du Centre“ und stellt neu vier satt drei Vertreter im Grand Conseil. Per Saldo musste die Partei damit also sieben Sitzverluste verkraften. Mit total 469 kantonalen Parlamentsmandaten blieb die CVP Ende Berichtsjahr noch knapp vor der SP, die 460 der insgesamt 2608 Sitze aller kantonalen Parlamente hielt. Die SVP (544 Mandate) und die FDP (524 Mandate) lagen hingegen vor der CVP, die diese Rangliste bis Ende der 1980er Jahre angeführt hatte [48].
Die Gesamterneuerungswahlen für die kantonalen Exekutiven, die im Berichtjahr in acht Kantonen abgehalten wurden, standen für die CVP im Zeichen der Stabilität. In vier der sechs Kantone, in denen die CVP 2012 an der Regierung beteiligt war (AG, BS, SG, TG) traten ihre bisherigen Regierungsräte wieder an und wurden bestätigt. Im Kanton Uri konnten zwei vakante Sitze wieder besetzt werden und der dritte Sitz wurde bestätigt. Allerdings scheiterte der Angriff auf ein viertes Regierungsmandat im Urkanton. Auch im Kanton Schwyz scheiterte die Rückeroberung des von der FDP vor zwei Jahren eroberten dritten Sitzes. Die beiden Bisherigen wurden aber auch hier problemlos bestätigt. Im Kanton Waadt trat die CVP mit dem ehemaligen Post-Chef Claude Béglé an, um ein Regierungsmandat zu erobern. Béglé blieb aber mit einem Achtungserfolg letztlich chancenlos. In Schaffhausen – wo die Christdemokraten nur schwach vertreten sind – kandidierte die CVP nicht für die Regierung. Insgesamt konnte die CVP damit Ende Berichtjahr ihre total 39 kantonalen Regierungssitze halten (von insgesamt 156). Damit besetzte sie genau ein Viertel aller kantonalen Exekutivmandate. Nur die FDP hatte Ende Berichtjahr einen noch grösseren kantonalen Regierungsanteil (28,8%) [49].
Ende April wurde Christoph Darbellay als CVP-Präsident bestätigt. An der Delegiertenversammlung in Colombier erhielt er als einziger Kandidat 166 von 175 Stimmen. Allerdings kündigte Darbellay an, im Verlaufe der Legislatur zurücktreten zu wollen. Mit ein Grund dafür dürfte die Amtszeitbeschränkung sein, die die CVP Wallis kennt. Darbellay dürfte entsprechend 2015 nicht mehr als Nationalrat kandidieren. Seine frühe Rücktrittsankündigung solle der Partei die Suche nach einem Nachfolger erleichtern, so Darbellay. Als mögliche Nachfolger wurden in der Presse der Zuger Nationalrat Gerhard Pfister oder der Solothurner Ständerat Pirmin Bischof gehandelt. In Colombier ebenfalls bestätigt wurden die Vizepräsidenten Dominique de Buman (FR) und Ida Glanzmann-Hunkeler (LU). Neu ins elfköpfige Präsidium wurden Martin Candidas (GR) und Filippo Lombardi (TI) gewählt. An der Delegiertenversammlung Ende August in Basel präzisierte Darbellay das Datum seines Rücktritts. Er werde nicht im Verlauf der Legislatur zurücktreten, sondern bis 2015 Parteipräsident bleiben [50].
Auch Urs Schwaller (FR) kündigte an, sein Amt als Fraktionspräsident in den nächsten Jahren aufgeben zu wollen. Als Kronfavoritin wurde in der Presse bereits Brigitte Häberli-Koller (TG) gehandelt [51].
Per Ende Juni trat Generalsekretär Tim Frey nach drei Jahren im Amt zurück. Frey wurde interimistisch von Fraktionssekretärin Alexandra Perina-Werz abgelöst. Ein Grund für den relativ raschen Rücktritt sei der fehlende nötige Rückhalt Freys in der Bundesfraktion. Ende Oktober wählte das Parteipräsidium Béatrice Wertli zur neuen Generalsekretärin. Die Co-Fraktionspräsidentin der BDP/CVP-Fraktion im Berner Stadtrat und ehemalige Kommunikationschefin der CVP trat ihr Amt per 1. Dezember an [52].
Parteiinterne Gräben zeigten sich bei den Parolenfassungen zu den nationalen Abstimmungen. Für die Bausparinitiative fasste der CVP-Vorstand lediglich knapp mit 15:13 Stimmen die Ja-Parole. Gleich zwölf Kantonalsektionen wichen allerdings von dieser Empfehlung, die den Delegierten nicht zur Abstimmung vorgelegt wurde, ab. Mit 93 zu 81 Stimmen empfahlen die Delegierten Ende Februar die Buchpreisbindung. Auch hier wichen nicht weniger als 13 Kantonalsektionen ab. Eindeutig fielen hingegen das Nein der Delegierten für die Zweitwohnungsinitiative und das Ja zum Gegenvorschlag für die Geldspiel-Initiative aus. Auch bei der Krankenversicherungsrevision (Managed Care), für die sich die Delegierten Ende April mit 106:47 Stimmen aussprachen, kam es zu acht abweichenden Empfehlungen der Kantonalsektionen. Vier kantonale Sektionen widersetzten sich zudem der gleichentags mit 103:27 Stimmen gefassten Nein-Parole zur Initiative „Eigene vier Wände dank Bausparen“. Das einstimmig gefasste Nein zur Initiative „Staatsverträge vors Volk“ wurde hingegen von allen Kantonalsektionen mitgetragen. Auch für die Abstimmungen im September kam es noch einmal zu parteiinternen Abweichungen. Zwar folgten alle Kantone der Ende August in Basel gefassten Ja-Empfehlung zum Bundesbeschluss über die Jugendmusikförderung, das Nein zur Volksinitiative „Sicheres Wohnen im Alter“ wurde jedoch von drei und das Nein zur Initiative „Schutz vor Passivrauchen“ von zwei Kantonalsektionen überstimmt. Das Ende Oktober ohne Gegenstimmen gefasste Ja zum Tierseuchengesetz fand schliesslich keinerlei kantonale Opposition [53].
Rechtzeitig auf die 100-Jahr-Feier Ende Oktober reichte die CVP die nötigen Unterschriften für ihre beiden Familien-Initiativen ein. Will das erste Begehren Kinder- und Ausbildungszulagen von den Steuern befreien, soll die zweite Initiative die Heiratsstrafe, also die Benachteiligung von Ehepaaren bei Steuern und Sozialversicherungen, beseitigen. Zwar wurde es letztlich auch für die CVP knapp – Ende September wurde gar per SMS für Unterschriften geworben – anders als die Bürokratie-Stopp-Initiative der FDP schafften aber beide Begehren das Unterschriftenquorum. Das Steuerbefreiungsbegehren wurde mit 118 425 gültigen Unterschriften und die Initiative gegen die Heiratsstrafe mit 120 161 gültigen Unterschriften eingereicht. Die Themen Familie und Mittelstand sollen laut CVP auch zukünftig mit Volksbegehren bearbeitet werden [54].
In einem Anfang Jahr veröffentlichten Positionspapier „Bilaterale plus+“ bekräftigte die CVP ihre Haltung zum bilateralen Weg bei der Zusammenarbeit der Schweiz mit Europa. Allerdings müssten die blockierten Verhandlungen durch die Akzeptanz neuer Institutionen wieder in Schwung gebracht werden. Die Übernahme von EU-Recht im Rahmen dieser Verhandlungen sei dabei notwendig, müsse aber unter gestalterischer Mitsprachemöglichkeit der Schweiz geschehen. Die Überwachung der Umsetzung von EU-Recht – ein wichtiger Verhandlungspunkt – könne laut der CVP durchaus von einer Institution ähnlich dem EWR/Efta-Gerichtshof wahrgenommen werden. Ein solcher könne dabei auch in Brüssel angesiedelt sein. Allerdings würde die Partei dabei eine Vertretung durch Schweizer Richter zur Bedingung machen [55].
Nach der überraschenden Annahme der Zweitwohnungsinitiative machte die CVP mit einem Forderungskatalog von sich reden. Das Ende März präsentierte Papier forderte unter anderem eine staatliche Kompensation für Verdienstausfälle in den betroffenen Tourismusregionen. Definiert wurde auch der Begriff der Zweitwohnung: Für die CVP ist ein Feriendomizil dann eine „Zweitwohnung“, wenn es nicht mindestens acht Wochen pro Jahr belegt ist [56].
Gespalten war die CVP bei der Asylpolitik. Vor der Asyldebatte in der Sommersession hatten sich einige CVP-Nationalräte unter Führung des Zugers Gerhard Pfister für eine Streichung der Sozialhilfe für Asylbewerber ausgesprochen. Nur noch Nothilfe soll gewährt werden. Präsident Darbellay befand, dies sei mit der humanitären Tradition der Partei nicht kompatibel. Letztlich verhalfen aber die CVP-Parlamentarier der verschärften Asylgesetzrevision zum Durchbruch. Nicht nur der Idee von Not- statt Sozialhilfe, sondern auch den gesonderten Zentren für renitente Asylsuchende, der Abschaffung von Dienstverweigerung als Asylgrund und der Streichung der Möglichkeit, bei Botschaften Asylgesuche zu stellen, verschafften die CVP-Räte zu einer knappen Mehrheit. Damit wurde die Parteispitze – auch Fraktionspräsident Schwaller sprach sich gegen die Neuerung aus – in der Asylpolitik desavouiert [57].
Ein Papier zur Energiepolitik verabschiedete die CVP an ihrer Delegiertenversammlung Ende August in Basel. Die Opposition gegen den geplanten Atomausstieg, die beim Beschluss vor einem Jahr noch deutlich war, war in der Zwischenzeit praktisch verstummt. Die Energiewende müsse auf kantonaler Ebene vorgenommen werden. Nötig sei eine langfristige Planung im Rahmen von Energieregionen, die Standorte für erneuerbare Energien umfassen. Die kantonale Hoheit über die Wasserrechte soll aber explizit beibehalten werden. Über das Thema ökologische Steuerreform schwieg sich das neue Programm aus. Kritik aus den eigenen Reihen wurde an der Vernachlässigung des Aspekts der fossilen Energien angebracht [58].
Zur Verkehrspolitik äusserte sich die CVP im Rahmen der Diskussion um den Bau einer zweiten Gotthardröhre, dem die Fraktion nach kontroversen Diskussionen und gegen die Opposition aus der Innerschweiz zustimmte. In ihrem Verkehrskonzept fordern die Christdemokraten zudem mehr Geld für Schiene und Strasse und eine Aufstockung des Fabi-Paketes (Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur). Diese soll mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Benzinsteuer und der Schwerverkehrsabgabe bezahlt werden. Neben dem Bahninfrastrukturfonds soll überdies ein Strassenfonds geschaffen werden, um die Planungssicherheit im gesamten Verkehr zu erhöhen. Schliesslich skizzierte die CVP die Idee eines Staatssekretärs für Verkehr, der Chef über die bisher getrennten drei Bundesämter für Bahn-, Strassen- und Luftverkehr wäre [59].
Einer eigentlichen Zerreissprobe musste sich die Partei aufgrund der Revision des Raumplanungsgesetzes aussetzen. Die CVP verhalf im Sommer dem revidierten Gesetz im Parlament zum Durchbruch. Dies allerdings zum grossen Ärger der Walliser Kantonalsektion, deren Kanton aufgrund der Ausscheidung von besonders grossen Bauzonen am meisten vom neuen Gesetz zu befürchten hatte. Die Sektion Unterwallis – nota bene Herkunft des Parteipräsidenten – drohte gar mit dem Austritt aus der CVP Schweiz, sollte die nationale Partei das geplante Referendum nicht unterstützen. Darbellay war in der Zwickmühle, da er nach seiner Rücktrittsankündigung im April (siehe oben) offen mit einem Regierungssitz im Wallis liebäugelte. Wollte er sich die Chancen für die Wahlen 2017 (wohl noch nicht 2013) wahren, durfte er sich in seinem Kanton nicht zu viele Feinde machen. Prompt wurde ihm innerhalb der nationalen Partei vorgeworfen, die Interessen des eigenen Kantons über die Parteiinteressen zu stellen. Mitte November entschied der Unterwalliser CVP-Präsident Michel Rothen dann aber, nicht über einen Austritt abstimmen zu lassen. Man müsse die Probleme am Verhandlungstisch lösen. Die Mutterpartei habe zudem einige positive Signale ins Wallis geschickt [60].
Nachdem die CVP und die BDP nach den Nationalratswahlen und vor den Bundesratswahlen laut über eine mögliche Fusion nachgedacht hatten, wurde Ende 2011 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Ende Mai 2012 zum Schluss kam, dass eine Fusion nicht geeignet sei. Allerdings werde ein Kooperationsmodell angestrebt, in dessen Rahmen Koordinationstreffen zwischen den Parteispitzen und den Fraktionen stattfinden sollen. Darüber hinaus sollen Listenverbindungen und gemeinsame Wahlplattformen bei nationalen Wahlen sowie gemeinsame Aktivitäten bei Abstimmungen angestrebt werden. Ein Zusammenschluss sei zwar in der Arbeitsgruppe als theoretische Option ebenfalls diskutiert worden, es hätte sich aber gezeigt, dass eine Fusion von der Basis beider Parteien nicht goutiert würde [61].
 
[47] NZZ, 5.4.12; NLZ, 17.4.12; BaZ, 18.4.12; SGT, 20.4.12; Presse vom 21.4.12; 24h, 26.4.12; Presse vom 24 bis 29.10.12; Lit. Altermatt; Lit. Die Politik; zur Diskussion um das C vgl. SPJ 2011, S. 436.
[48] AZ, 23.10.12; vgl. Teil 1, 1e (Wahlen in kantonale Parlamente).
[49] Vgl. Teil I, 1e (Wahlen in kantonale Regierungen).
[50] SGT und NLZ, 1.3.12; TA, 2.3.12; NZZ, 3.3.12; Presse vom 23.4.12.
[51] SGT und NLZ, 1.3.12; Blick, 13.7.12.
[52] NZZ und TA, 23.6.12; BZ und NZZ, 1.9.12; TA, 27.11.12.
[53] TA, 21.1.12; SoBli, 22.2.12; NZZ, 23.2.12; Presse vom 23.4.12; NZZ, 27.8. und 29.10.12; zu den Abstimmungen vgl. auch die jeweiligen Kapitel und die Tabelle im Anhang.
[54] NLZ, 10.9.12; TA, 22.9.12; NZZ, 27.10. und 6.11.12; BBl, 2013, S. 243 (Familien stärken) BBl, 2013, S. 245 (Heiratsstrafe); zur Familienpolitik vgl. SPJ 2011, S. 437.
[55] NZZ, 19.1.12.
[56] AZ, 24.3.12.
[57] TA, 8.6.12; SGT, 14.6.12; 24h, 23.6.12; AZ, 26.6.12; TA, 30.6.12.
[58] NZZ, 27.8.12; vgl. SPJ 2011, S. 437.
[59] NZZ, 10.10.12.
[60] AZ, 26.6.12; NLZ und NZZ, 27.6.12; Blick und LT, 29.6.12; NZZ, 23.8.12; BZ, 25.8.12; NZZ, 9.11.12; TA, 10.11.12; AZ, 13.11.12; TA, 14.11.12; Presse vom 15.11.12.
[61] Presse vom 1.6.12; NLZ, 5.10.12; BZ, 6.10.12.