Année politique Suisse 2012 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
Grüne Partei (GP)
Bei den 2012 in acht Kantonen durchgeführten
kantonalen Parlamentswahlen setzte sich der negative Trend der nationalen Wahlen von 2011 für die Grüne Partei fort. Per Saldo verlor die GP 2012 bei Gesamterneuerungswahlen elf kantonale Parlamentssitze, ganze fünf alleine im Kanton Waadt. Überall dort, wo die GLP als Konkurrenz der Grünen antrat, büsste die GP Mandate ein. Einzig in den Kantonen St. Gallen und Schwyz konnte ein Sitzgewinn bejubelt werden, allerdings sind die Grünen in diesen beiden Kantonen relativ schwach. Im Kanton Basel-Stadt konnten die 13 Sitze trotz Rückgang der Wählerstärke verteidigt werden. Die GP hielt Ende Berichtjahr als fünftstärkste Partei rund 7% der total 2 608 kantonalen Parlamentssitze (191 Mandate)
[91].
Fünftstärkste Kraft ist die GP auch hinsichtlich der kantonalen Regierungsbeteiligung. Zehn der total 156 Exekutivsitze sind in der Hand der Grünen. Im Berichtjahr konnte die GP ihre insgesamt drei Sitze in den Kantonen Aargau, Basel-Stadt und Waadt bei den
Gesamterneuerungswahlen für die Exekutive halten. Dies war insbesondere im Kanton Waadt, wo Béatrice Métraux erst Ende 2011 einen Sitz von der SVP erobert hatte, nicht selbstverständlich
[92].
Am 21. April besetzten die Grünen in Carouge ihr
Präsidium neu. Ueli Leuenberger (GE) – seit 2008 im Amt – hatte bereits früher seinen Rücktritt angekündigt. Nach den nationalen Wahlen 2011, die für die GP mit fünf Sitzverlusten zu einem eigentlichen Debakel geworden waren, wurde eine Neuausrichtung gefordert, die auch dank einer Verjüngung des Präsidiums und mit einer Frau an der Spitze erfolgen und zu alter Stärke zurückführen sollte. Verschiedene Szenarien wurden in Erwägung gezogen: ein Einerpräsidium mit einem mehrköpfigen Vizepräsidium oder ein Co-Präsidium aus einer Frau und einem Mann bzw. mit je einer Person aus der französisch- und deutschsprachigen Schweiz. Mit einer Statutenänderung wurde zudem die Möglichkeit geschaffen, mehr als zwei Vizepräsidien zu schaffen. Ende Januar hatten nicht weniger als 10 Personen ihre Ambitionen angemeldet: Als mögliche Nachfolgerinnen Leuenbergers wurden früh die Nationalrätinnen Adèle Thorens (VD) und Regula Rytz (BE) gehandelt. Vizepräsidentin Franziska Teuscher (BE), welche mit einem Sitz in der Berner Stadtregierung liebäugelte, sagte hingegen früh ab. Ihr Interesse an einer Mitarbeit im Präsidium kündigten hingegen die Nationalräte Bastien Girod (ZH) und Geri Müller (AG) an. Auch die frühere Baselbieter Landrätin Esther Maag reichte ihre Bewerbung für das Präsidium ein. Ausschliesslich für ein Vizepräsidium kandidierten Markus Kunz (ZH), ehemaliger Kantonalpräsident der Grünen des Kantons Zürich, Ständerat Robert Cramer (GE), der ehemalige Nationalrat Jo Lang (ZG) sowie Claudio Zanini (TI). Auch Aline Trede (BE) anerbot sich, im Präsidium mitzuhelfen, allerdings nur, wenn sie in den Nationalrat nachrutsche, also bei einer allfälligen Wahl Franziska Teuschers in die Berner Stadtregierung. Der scheidende Präsident Leuenberger warnte an der Delegiertenversammlung im Januar in Kriens vor einer Annäherung an die Mitte und einem Co-Präsidium. Die in den Medien dem rechten grünen Flügel zugeordneten Girod und Thorens würden den Richtungsstreit innerhalb der Partei nicht beenden und ein Co-Präsidium – Leuenberger hatte sich bei seiner Wahl dezidiert gegen ein solches zusammen mit Franziska Teuscher ausgesprochen – würde verhindern, dass die Partei mit einer Stimme spreche. Die Ende April in Carouge anwesenden Delegierten waren jedoch anderer Meinung und wählten mit Adèle Thorens und Regula Rytz zwei Frauen in ein Co-Präsidium. Bereits im ersten Wahlgang setzten sich die beiden mit 183 (Thorens) bzw. 127 Stimmen (Rytz) durch. Der drittplatzierte Girod erhielt 68 Stimmen. Mit Thorens und Rytz seien sowohl der junge, pragmatische wie auch der linke, etatistische Flügel der Partei abgedeckt, so die Einschätzung der Presse. Das Vizepräsidium wurde – um die Sprachregionen und die Geschlechter adäquat zu vertreten – neu mit Bastien Girod (ZH), Jo Lang (ZG), Robert Cramer (GE) und der Jungen Grünen Irène Kälin (AG) besetzt. Die Delegierten hatten zuvor entschieden, dass die Jungpartei ebenfalls im Vizepräsidium vertreten sein soll und wählten Kälin in stiller Wahl
[93].
Formsache war die Wiederwahl des
Fraktionspräsidenten der GP. Der Genfer Nationalrat Antonio Hodgers, der das Amt 2010 von Maya Graf (BL) übernommen hatte, wurde Ende Februar im Amt bestätigt. Auch das Vizefraktionspräsidium, bestehend aus dem Ständerat Luc Recordon (VD) und der Nationalrätin Yvonne Gilli (SG) wurde wiedergewählt
[94].
Mit Ausnahme der Stimmfreigabe, welche die Grünen für die Managed Care-Abstimmung beschlossen, entsprachen alle
Parolenfassungen zu den eidgenössischen Abstimmungen der GP jenen der SP (siehe oben). Mit anderen Worten: Im Gegensatz zu den Bürgerlichen – auch FDP und CVP fassten nur in neun von zwölf Fällen die gleiche Parole – trat links-grün auch hinsichtlich der nationalen, direktdemokratisch ausgefochtenen Sachpolitik relativ geschlossen auf. Am 22. Januar fassten die Delegierten in Kriens die Ja-Parole für die Buchpreisbindung, die Zweitwohnungs- und Ferieninitiative sowie für den Bundebeschluss zur Regelung von Geldspielen. Zur Ablehnung empfohlen wurde hingegen die Bauspar-Initiative. Leise Kritik war gegen die Zweitwohnungs- und die Ferieninitiative angemeldet worden, da beide zu weit gingen. Der Antrag auf Stimmfreigabe unterlag aber bei beiden. Uneins war sich die Parteileitung der Grünen bei der für Juni vorliegenden Managed Care-Vorlage, bei der sich positive und negative Aspekte die Waage hielten. Die Empfehlung auf Stimmfreigabe wurde von den Delegierten Ende März mit 66 zu 63 Stimmen bei 8 Enthaltungen dann knapp bestätigt. Die Initiative zur Steuerbefreiung des Bausparens und die Staatsvertragsinitiative wurden hingegen deutlich abgelehnt. Ende August empfahlen die Delegierten an ihrer Versammlung in Aarau die Initiative „Sicheres Wohnen im Alter“ einstimmig bei zwei Enthaltungen abzulehnen. Ebenfalls einstimmig (bei 6 Enthaltungen) wurde der Bundesbeschluss über die Jugendmusikförderung zur Annahme empfohlen. Der Antrag, für die Initiative „Schutz vor Passivrauchen“ Stimmfreigabe zu beschliessen, wurde abgelehnt. Für das Volksbegehren wurde schliesslich mit 94 zu 45 Stimmen die Ja-Parole gefasst. Für die Abstimmung zum Tierseuchengesetz empfahlen die Delegierten der GP in Bümpliz mit 73 zu 50 Stimmen ein Ja
[95].
Die Grünen waren – ähnlich wie die SP – gespalten in der Frage, ob sie
Parteispenden von Firmen und Banken annehmen sollten. Die Raiffeisenbank, die Crédit Suisse und die UBS hatten Spenden in Aussicht gestellt (vgl. oben). Die 60 000 Franken von der CS hätten immerhin 6% des Budgets der GP entsprochen. Noch im November 2011 hatten die Grünen zwar 17 000 CHF von der Raiffeisenbank angenommen, spätestens mit der Übernahme der Bank Wegelin durch die Raiffeisen sei diese Quelle aber infrage zu stellen, forderten einige Parteivertreter. Mitte November entschied die Parteileitung dann, keine Spenden der Grossbanken, wohl aber der Raiffeisenbank anzunehmen, wofür sie von den Jungen Grünen kritisiert wurden. In einem Parteispenden-Reglement schuf die GP zudem die Grundlagen für künftige Diskussionen über Parteifinanzierung. In diesem Reglement wurden drei Bedingungen an Spenden geknüpft: die Gewährleistung von Transparenz, das Verbot einer Tangierung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Partei und die Aufrechterhaltung der Glaubwürdigkeit der Partei. Die UBS-Spende wurde abgelehnt, weil sie an Bedingungen geknüpft war (Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft) und bei Annahme der CS-Gelder hätte die Glaubwürdigkeit der Partei gelitten. Die Raiffeisenbank sei hingegen nie in den Strudel der Finanzkrise geraten, lokal verankert und genossenschaftlich organisiert
[96].
In der
Umweltpolitik waren die Grünen lange Zeit Themenführer und die zunehmende Konkurrenz aller etablierten Parteien in diesem Bereich könnte eigentlich als Erfolg der GP gewertet werden. Allerdings müsse man darauf achten, dass die GP in ihren Kernthemen weiterhin als relevant und glaubwürdig wahrgenommen werde. Man wolle in Policies wie grüne Wirtschaft, Atomausstieg, Raumplanung und Verkehr die führende Partei bleiben, gaben die neuen Parteipräsidentinnen an der Delegiertenversammlung Anfang November in Bümpliz zu Protokoll
[97].
Mitte August präsentierten die Grünen ihre
Energiestrategie. Um möglichst ohne Bau von Kombi-Gaswerken den vom Bundesrat auf 2034 terminierten Atomausstieg zu schaffen, müssten weitere Massnahmen getroffen werden. Energieproduzierende statt -verbrauchende Neubauten, eine Senkung der CO2-Emissionen bei Personenwagen und eine Entdeckelung der kostendeckenden Einspeisevergütung seien nötig. Bis 2020 müsse eine ökologische Steuerreform umgesetzt sein. Kein Tabu dürfe zudem der Landschaftsschutz sein. Speicherseen, Windparks und Solaranlagen auf freiem Feld seien für einen klimafreundlichen Atomausstieg nötig. Prompt kritisierten Umweltverbände die Forderungen der GP als zu weitgehend
[98].
Als erste der grösseren, im nationalen Parlament vertretenen Parteien präsentierten die Grünen ein Grundsatzpapier zu
netzpolitischen Fragen. Unter dem Titel „Grüne Netzpolitik“ wurden ein universaler Zugang zum Internet, Netzneutralität ohne Filter, Datenschutz und Urheberrechte zum Schutz der Privatsphäre, die Förderung der Medienkompetenz in den Schulen, Open Data sowie ein grünes Internet gefordert. Endgeräte dürften nicht mehr so viel Energie verbrauchen. Auf Freude stiess das Papier bei der Piratenpartei. Die anderen Parteien erklärten in der Folge, sich in Arbeitsgruppen des Themas ebenfalls anzunehmen
[99].
Vor allem „auf der Strasse“ müsse die GP ihre Anliegen durchsetzen, mahnte die scheidende Vizepräsidentin Franziska Teuscher an der Delegiertenversammlung in Kriens Ende Januar. Die Grünen hatten im Berichtsjahr denn auch zwei
Volksbegehren im Köcher: Neben der Atomausstiegsinitiative, die eine maximale Laufzeit der bestehenden AKWs von 45 Jahren fordert, sammelte die GP auch Unterschriften für die Initiative „Für eine nachhaltige und ressourceneffiziente Wirtschaft (Grüne Wirtschaft)“, die den ökologischen Fussabdruck der Schweiz ab 2050 auf ein nachhaltiges Niveau reduzieren will. Beide Begehren wurden Ende Berichtsjahr eingereicht: die „Grüne Wirtschaft“ kam offiziell im Oktober mit 112 098 Unterschriften zustande, und die Mitte November eingereichte Atomausstiegsinitiative wurde von der Bundeskanzlei im Januar 2013 als mit 107 533 Unterschriften zustande gekommen verfügt
[100].
Formelle Unterstützung sprachen die Grünen der GLP für deren Idee zu, via Volksbegehren die Mehrwertsteuer durch eine Energiesteuer zu ersetzen. Die
ökologische Steuerreform sei ein urgrünes Anliegen und passe gut zur eigenen Initiative für eine grüne Wirtschaft
[101].
Anfang November wurde die GP des Kantons Schwyz nach fünfjährigem Beobachterstatus als Vollmitglied der Grünen Partei Schweiz aufgenommen. Damit endete ein in den 1980er Jahren begonnener Prozess der
Konsolidierung. Verschiedene Splittergruppen wurden im Verlauf der Jahre unter das Grüne Dach aufgenommen: etwa die verschiedenen Grünen Bündnisse in Luzern, St. Gallen und Bern, das Demokratische Nidwalden, die Grüne Freie Liste in Bern, die Alternativen Listen in Zug oder Basels starke Alternative (BastA) und die Parti écologiste Valaisan wurden in den letzten Jahren Vollmitglieder der GP
[102].
[91] Vgl. Teil I, 1e (Wahlen in kantonale Parlamente).
[92] Vgl. Teil I, 1e (Wahlen in kantonale Regierungen); Métraux
24h, 3.1. und 12.1.12.
[93]
LT, 9.1.12;
TA, 11.1.12;
24h und
Bund, 12.1.12;
NZZ, 13.1.12;
BaZ, 19.1.12;
SoZ, 22.1.12;
LT, 23.1.12;
NZZ, 30.1. und 22.3.12;
Lib. 17.4.12;
BaZ, 19.4.12;
SGT, 20.4.12; Presse vom 21.4. und 23.4.12;
WW, 26.4.12; zur Diskussion über eine Neuausrichtung vgl.
SPJ 2011, S. 448.
[95] Presse vom 23.1.12;
NZZ, 26.3., 23.4. und 5.11.12; Beschlussprotokoll der Delegiertenversammlung der GP vom 25. August 2012 in Aarau (www.gruene.ch).
[96]
NZZ, 24.3. und 13.6.12;
So-Bli, 15.4.12;
TA und
NZZ, 19.11.12.
[97]
NZZ, 5.11.12;
BZ, 15.12.12.
[98]
Blick, 15.8.12;
TA, 17.8.12;
Bund, 22.8.12.
[100]
BBl, 2012, S. 8405 (Grüne Wirtschaft);
BBl, 2013, S. 615;
NZZ, 23.1.12; vgl. SPJ 2011, S. 445 f.
[101] Presse vom 23.1.12.
[102]
NZZ, 2.11. und 5.11.12.
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