Année politique Suisse 2012 : Eléments du système politique / Structures fédéralistes
 
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen
Die Kantone versuchten vermehrt, Einfluss auf die nationale Politik zu nehmen. Auf der einen Seite wurden im Berichtjahr 26 Standesinitiativen eingereicht, auf der anderen Seite hatte das Parlament noch Ende 2011 beschlossen, jedem Kanton einen Lobbyistenpass für einen Interessenvertreter zuzusprechen. Die Kantone Genf, Jura, Wallis, Tessin und Basel-Stadt machten rasch davon Gebrauch und schufen eine entsprechende Stelle. Verschiedene Kantone überdachten in der Folge ihre Strategie der Einflussnahme auf Bundesebene. Die Beantwortung von Vernehmlassungen oder die mehr oder weniger regelmässigen und institutionalisierten Austauschgespräche mit den Kantonsvertretern im nationalen Parlament wurden vielerorts als zu wenig effizient betrachtet. Kritiker bezeichneten die Idee eines Kantonslobbying als unsinnig und systemwidrig [1].
Auch auf die Aussenpolitik wollen die Kantone mehr Einfluss nehmen. Insbesondere die Verhandlungen mit der EU würden immer häufiger auch die Kantonshoheit betreffen. Die Europakommission der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) platzierte deshalb bei der Aussenpolitischen Kommission des Ständerates (APK-S) Mitte Oktober die Forderung, früher über Erörterungsgespräche mit der EU informiert und einbezogen zu werden. Für Kritik hatte insbesondere gesorgt, dass die Kantonsvertreter erst im Februar aus den Medien von der Roadmap des Bundesrates für die EU-Abkommen erfahren hatten. Im Bundesgesetz über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik (BGMK) müsse eine Stärkung der Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten der Kantone verankert werden. Ein Postulat der APK-S, das einen Bericht über Möglichkeiten für ein verbessertes Zusammenwirken von Bund und Kantonen in der Aussenpolitik gefordert hatte, wurde allerdings in der Frühjahressession von der kleinen Kammer abgelehnt [2].
Mit der Diskussion um eine Energiewende wurde auch die Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle virulenter. Mit dem Ziel, ein Mitspracherecht der Kantone bei der Frage nach der geologischen Tiefenlagerung wieder einzuführen, reichte die GP-Fraktion eine parlamentarische Initiative ein. Mit der Einführung des Kernenergiegesetzes (KEG) von 2005, so die Begründung, sei den möglichen Standort- und Nachbarkantonen ein Mitentscheidungsrecht entzogen worden. Nur mit einem solchen könne aber die Unterstützung der Bevölkerung gewonnen werden. Ein mögliches nationales Referendum würde eine Standortminderheit schaffen, die von einer Mehrheit überstimmt werden könnte. Der Nationalrat behandelte den Vorstoss gleichzeitig mit einer parlamentarischen Initiative Hans-Jürg Fehr (sp, SH), die die gleiche Stossrichtung verfolgte. Die grosse Kammer entschied, beiden Vorstössen keine Folge zu geben, da die Standortsuche eine Bundesaufgabe bleiben solle und sich das jetzige Verfahren als geeignet herausstelle. Im Sachplan sei die intensive Mitwirkung der betroffenen Regionen gewährleistet. Letztlich sei aber die Sicherheit eines geeigneten Standortes oberstes Ziel. Zudem sei ein Vetorecht bei der Diskussion über das KEG von den Räten damals abgelehnt worden. Beide Initiativen wurden letztlich knapp mit 93 zu 83 bzw. 95 zu 83 Stimmen abgelehnt. Während die GP, die SP und die GLP geschlossen für und die FDP und die BDP geschlossen gegen ein Mitspracherecht stimmten, war die CVP in der Frage gespalten. Zudem fanden sich auch sechs SVP-Mitglieder aus möglichen Standortkantonen bei der Minderheit [3].
In Form eines einfachen Bundesbeschlusses haben die Räte jeweils die aufgrund von kantonalen Volksabstimmungen geänderten kantonalen Verfassungen zu gewährleisten. Bedingung ist dabei, dass die kantonalen Änderungen bundesrechtskonform sind. In der Regel geben diese Gewährleistungen kaum Anlass zu grösseren Ratsdebatten. Ausnahme dieser Regel stellte im Berichtjahr die mit der kantonalen Abstimmung vom 15.5.2011 angenommene totalrevidierte Verfassung des Kantons Schwyz dar. Als problematisch im Sinne der Bundesrechtskonformität erwies sich dabei die Neuregelung für die Wahlen in den Kantonsrat. Diese sieht vor, dass jede Gemeinde einen Wahlkreis bildet und Anspruch auf mindestens einen Sitz haben soll. Die Wahlen werden neu im Proporzsystem durchgeführt. In seiner Botschaft beantragte der Bundesrat, die neue Schwyzer Verfassung in diesem Punkt nicht zu gewährleisten, da die Idee von Verhältniswahlen – die möglichst unverfälschte Übersetzung des Wählerwillens in Sitzanteile – aufgrund des hohen natürlichen Quorums in den kleinen Wahlkreisen nicht umgesetzt sei. Wegen der unterschiedlichen Grösse der Wahlkreise komme nicht jeder Wählerstimme das gleiche politische Gewicht zu. Die Regierung stützte sich dabei auf einen Bundesgerichtsentscheid, der natürliche Quoren von über 10% als unvereinbar mit einem Proporzwahlverfahren betrachtete. Dies sei in 27 der 30 Schwyzer Gemeinden der Fall, wobei in den 13 Gemeinden mit nur einem Sitz faktisch gar nicht nach Verhältniswahl gewählt werden könne. Im Ständerat löste der Antrag des Bundesrats in der Wintersession eine engagierte Debatte aus. Die eine Seite gewichtete den demokratisch gefällten Entscheid der Schwyzer Stimmbevölkerung als höher. Die Schwyzerinnen und Schwyzer hätten sich mit der Annahme der Verfassung für die Sitzgarantie der kleinen Gemeinden und das – explizit in der Verfassung erlaubte – Mischverfahren zwischen Majorz- und Proporzsystem entschieden. Weder das Bundesgericht noch das Parlament dürfe sich in die kantonale, direktdemokratisch legitimierte Autonomie einmischen. Auf der anderen Seite wurde argumentiert, dass das Parlament seine Verantwortung und seinen in der Verfassung verankerten Auftrag wahrnehmen müsse und nicht bundesrechtskonforme Verfassungen nicht gewährleisten dürfe. Mit 24 zu 20 Stimmen obsiegte in der kleinen Kammer schliesslich der Antrag der Kommissionsminderheit, die Schwyzer Verfassung integral zu gewährleisten. Damit ging das Geschäft an den Nationalrat, bei dem es für das Jahr 2013 traktandiert war. Der Schwyzer Kantonsrat wollte jedoch nicht auf den Entscheid des nationalen Parlaments warten und setzte die Verfassung auf den 1.1.2013 provisorisch in Kraft [4].
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Aufgabenverteilung und Finanzausgleich (NFA)
Die im Juli von der Eidgenössischen Finanzverwaltung veröffentlichten Zahlen zum Finanzausgleich 2012 und 2013 wiesen neun Kantone (ZH, ZG, GE, BS, SZ, VD, NW, BL und SH) als Nettozahler aus. Im Vergleich zu 2012 war der Kanton Schaffhausen für 2013 neu als ressourcenstarker Kanton eingestuft worden. Grösster Geberkanton blieb Zürich, obwohl er um 4 Indexpunkte schwächer eingestuft wurde als noch im Vorjahr. Trotz den 45,7 Mio. CHF weniger zahlte der wirtschaftsstarke Kanton noch 382 Mio. CHF ein. Von den Nettoempfängern war hinsichtlich der Gesamtsumme der Kanton Bern der grösste Profiteur. Der Hauptstadtkanton erhielt mit rund 1,1 Mrd. CHF 101 Mio. CHF mehr als noch im Vorjahr. Damit erntete Bern Kritik von den Innerschweizer Kantonen. In der NLZ wurde gar die Frage gestellt, ob die Berner die Griechen der Schweiz seien. Der Kanton Schwyz hatte noch Ende 2011 eine Standesinitiative zur Anpassung des Finanzausgleichs eingereicht. Dagegen wehrte sich allerdings der Präsident der Finanzdirektorenkonferenz Christian Wanner (SO, fdp). Das 2008 eingeführte System habe 15 Jahre für seine Entstehung gebraucht und müsse nun zuerst einmal ein paar Jahre funktionieren. Erst dann könne man eine saubere Analyse machen und allenfalls Korrekturen anbringen. Gleicher Meinung war der Ständerat, der den Schwyzer Vorstoss ablehnte. Die Idee aus Schwyz ist, neben Geber- und Nehmerkantonen eine neutrale dritte Gruppe von mittelstarken Kantonen zu schaffen, die kein Geld mehr erhalten würden. Dafür würden die schwachen Kantone etwas stärker profitieren und die Geberkantone weniger bezahlen müssen. Die vorbereitende Finanzkommission des Nationalrates empfahl den Vorstoss noch im Berichtsjahr ebenfalls zur Ablehnung. Der Bundesrat solle aber die Anliegen im Rahmen des zweiten Wirksamkeitsberichtes, der auf 2015 angesetzt ist, prüfen. Die Zuger Regierung kommentierte die Finanzausgleichszahlen mit dem scharfen Hinweis, dass die Solidarität zwischen den Kantonen langsam aber sicher überstrapaziert sei und forderte, dass Steuersenkungen nicht mit NFA-Geldern finanziert werden dürften. Gleichzeitig wurden Forderungen der von der Zweitwohnungsinitiative betroffenen Berggebiete nach Bundeshilfe laut (siehe unten) und die urbanen Kantone forderten eine bessere Berücksichtigung ihrer Sonderlasten für die Berechnung des Finanzausgleichs. Auch Genf und Zürich mischten sich in die Diskussionen ein. Die beiden Kantone planten eine deutliche Senkung der Unternehmensgewinnsteuern und eine Kompensation via Finanzausgleich. Der Streit zwischen den Kantonen und das Bild der reichen Kantone, welche die armen Miteidgenossen alimentieren, überdeckten allerdings den Umstand, dass die meisten Ausgangsgelder nicht vertikal, sondern horizontal flossen. Sollten die Kantone für 2013 insgesamt 1,6 Mrd. CHF in die NFA-Töpfe einbezahlen, steuerte der Bund insgesamt 3,2 Mrd. CHF bei [5].
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Städte, Regionen, Gemeinden
Auch im Berichtjahr gab es eine Reihe von Gemeindefusionen. Im Jahr 2012 nahm die Anzahl der Gemeinden in der Schweiz durch Eingemeindungen und Fusionen von 2495 auf 2408 erneut ab (2011 gab es ein Minus von 56 Gemeinden). In ihrem Kantonsmonitoring bezeichnete Avenir Suisse Gemeindefusionen als ideale Lösung um kommunale Aufgaben und Strukturen wieder deckungsgleich zu machen ohne die Grundpfeiler Milizprinzip und Bürgerbeteiligung aufzugeben. Weil der Gewinn an kommunalem Handlungsspielraum aber mit einer grösseren Distanz zwischen Bürgerschaft und Behörden einhergehe, müsse Überzeugungsarbeit geleistet werden. Die Studie zeigte auf, dass 19 der 26 Kantone Instrumente der Fusionsförderung kennen. In Bern wurde etwa in einer Volksabstimmung ein Fusionszwang für jene Gemeinden eingeführt, die ihre Aufgaben nicht mehr selbständig erfüllen können, aber nicht von sich aus Fusionsdiskussionen aufnehmen wollen. Allerdings gab es auch Kritik an Gemeindezusammenschlüssen. So scheiterte etwa Ende März eine Grossfusion im Kanton Jura an der Urne. Mindestens neun der 13 Gemeinden hätten zustimmen müssen, aber elf Gemeinden erteilten dem Vorhaben eine teilweise massive Abfuhr. Angst vor Identitätsverlust, mangelnde Kommunikation und zu hohes Tempo wurden als Gründe für die Ablehnung vermutet. Im Nationalrat wurde ein Postulat Lehmann (cvp, BS) eingereicht, das von der Regierung einen Bericht über mögliche Abläufe von Gemeindefusionen über Kantonsgrenzen hinweg verlangt. Der Vorstoss wurde 2012 noch nicht behandelt. Lehmann gilt als grosser Befürworteter eines vereinigten Kantons Basel [6].
In der Sommersession nahm auch der Nationalrat die Motion Maissen (cvp, GR) an. Der im Vorjahr bereits vom Ständerat gutgeheissene Vorstoss, verlangt von der Regierung eine kohärente Strategie für Berggebiete und ländliche Räume. Der Bundesrat hatte die Motion zur Ablehnung empfohlen, weil er einer scharfen Abgrenzung zwischen Stadt und Land das Denken und Planen in funktionalen Raumeinheiten vorgezogen hätte. Vor dem Hintergrund der angenommenen Zweitwohnungsinitiative stimmte der Nationalrat der Motion aber einstimmig zu. Er erhofft sich – gestützt auf die Ausführungen seiner Kommission – dass damit auch Zukunftschancen für die Berggebiete aufgezeigt werden können. Die Zweitwohnungsinitiative evozierte auch Diskussionen um einen besseren Schutz der kleinen Kantone. Gerhard Pfister (cvp, ZG) dachte laut über seine Idee einer fallweisen Ausserkraftsetzung des Ständemehrs nach, zum Beispiel wenn sechs Kantone eine Vorlage mit mehr als 66% der Stimmen ablehnen. Die Idee stiess jedoch auch in der Presse auf Skepsis [7].
Häufig werden die urbanen Zentren als eigentliche Opfer des Föderalismus bezeichnet. Zwar erbrächten sie mit etwa 80% aller Erwerbstätigen rund 85% der Wirtschaftsleistungen, ihre Interessen würden aber in der nationalen Politik zu wenig berücksichtigt. Die Zahlen wurden Ende August am Tag der Städte in Bern präsentiert. Die Städte hätten keinen institutionalisierte Form der Mitsprache und keinen direkten Ansprechpartner beim Bund, monierte der Präsident des Schweizerischen Städteverbandes, Marcel Guignard. Der Verband forderte vom Bund einen stärkeren Einbezug der urbanen Zentren und eine gesetzliche Verankerung der Agglomerationspolitik. Der Bund müsse sich zudem auch finanziell stärker für die Städte einsetzen. Ein Problem stelle darüber hinaus auch die schwache Städte-Lobby im Parlament dar. Die Städte hätten zu wenig Vertreter im Parlament und die Vertreter der ländlichen Gebiete seien besser vernetzt [8].
 
[1] NLZ, 9.2.12; CdT, 5.4. und 6.4.12; NLZ, 28.4.12; BaZ, 31.5.12; NF, 20.9.12; vgl. Teil I, 1c (Parlament); SPJ 2011, S. 64.
[2] Po. 11.4044: AB SR, 2012, S. 154 ff.; BaZ, 16.10.12; zu den Verhandlungen mit der EU vgl. Teil I, 2 (Europe).
[3] Pa.Iv. 10.514 (Fehr) und Pa.Iv. 10.530 (GP-Fraktion): AB NR, 2012, S. 1399 ff.
[4] Im Berichtsjahr getätigte Gewährleistungen kantonaler Verfassungen: BRG 11.064; Schwyz: BRG 12.070: BBl, 2012, S. 7913 ff.; AB SR, 2012, S 957 ff.; Bundesgerichtsentscheid: 136 I 376; NZZ, 13.12.12.
[5] St.Iv. 11.320 (Schwyz): AB SR, 2012, S. 728 ff.; zum Einbezug der Städte vgl. auch die Mo. 11.3504; Presse vom 4.7.12; NLZ, 9.7., 20.7., 3.8. und 4.8.12; NZZ, 17.8. und 24.8.12; WW, 4.10.12; TG, 20.9.12; NZZ, 16.10., 18.10. und 20.10.12; LT, 23.10.12; BZ, 26.10.12; vgl. auch Teil I, 5 (Finanzausgleich).
[6] Po 12.3203; BZ, 8.2.12; BaZ und AZ, 26.3.12; NZZ, 31.3.12; SGT, 2.4.12; Lit. Rühli.
[7] Mo. 11.3927: AB NR, 2012, S. 1024 ff.; Pfister: NLZ, 19.3.12; vgl. SPJ 2011, S. 65.
[8] CdT, 7.8.12; 24h und NLZ, 31.8.12.