Année politique Suisse 2012 : Economie / Crédit et monnaie / Banken, Börsen und Versicherungen
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Volkswirtschaftliches Systemrisiko durch die Grossbanken („Too-big-to-fail“)
Im Nachgang zur globalen Finanzkrise und der Rettung der UBS durch den Staat im Herbst 2008 hatte der Gesetzgeber 2011 die Grossbankregulierung („Too-big-to-fail“-Vorlage) erarbeitet. Die damals verabschiedeten Änderungen des Bankengesetzes hatten unter anderem vorgesehen, die zugehörigen Verordnungsentwürfe zur erstmaligen Genehmigung dem Parlament vorzulegen. Im Berichtsjahr gelangte der Bundesrat mit diesem Vorhaben an die Räte, wenn auch vorerst unter Ausschluss der Liquiditätsverordnung (siehe unten, Geschäft 12.096). Zur Beurteilung standen die Änderungen in der Eigenmittelverordnung (ERV) und der Bankenverordnung (BankV). Formal betrachtet besassen die Räte nur die Möglichkeit, die Verordnungen in ihrer Gesamtheit anzunehmen oder abzulehnen, faktisch nahmen sie sich jedoch das Recht, auf die Ausgestaltung der Detailregeln Einfluss zu nehmen. Vor allem die Bestimmungen zur Höhe der Eigenkapitalanforderungen und zur Umsetzung und Aktivierung des Notfallplans gaben erneut, nicht zuletzt auf vorparlamentarischer Ebene, zu Diskussionen Anlass. Die bundesrätlichen Entwürfe wurden jedoch nicht mehr substanziell angepasst. Konkretisiert wurde die Höhe der Eigenmittelanforderungen und die Regelung, wonach diese sowohl auf Stufe Finanzgruppe (Konzernebene) als auch auf Stufe Einzelinstitut gelten sollte. Der Bundesrat versicherte in dieser Hinsicht, dass die Finma angehalten sei, auf Stufe Finanzgruppe Rabatte zu gewähren, so dass diese nicht übermässig belastet würde. Erleichterungen waren im Zusammenhang mit dem Grad der gruppeninternen (organisatorischen, rechtlichen und finanziellen) Entflechtungen vorgesehen. Ebenfalls präzisiert wurde die Bestimmung, wonach der gesetzlich vorgesehene Notfallplan (Plan zur Abspaltung systemrelevanter Funktionen) im Krisenfall (anrechenbares, hartes Kernkapital unterschreitet 5% der risikogewichteten Positionen) nicht automatisch ausgelöst werden musste. Bundesrat und Parlament stimmten überein, dass die Auslösung des Notfallplans im Prinzip vorgesehen sein sollte, die Finma jedoch davon absehen könne, wenn eine bessere Alternative vorläge. In der Herbstsession nahmen sowohl der Ständerat einstimmig und der Nationalrat mit 128 zu 40 Stimmen die Vorlage an. Paul Rechsteiner (sp, SG) zog nach der Verabschiedung der neuen Grossbankenregeln eine „ernüchterte“ Bilanz. Die Eigenkapitalvorschriften der neuen Regulierung gingen ihm zu wenig weit. Ähnlich äusserte sich Thomas Minder (parteilos, SH), der monierte, dass das Ziel, wonach die Schweizer Volkswirtschaft nie mehr durch die Grossbanken in Mitleidenschaft gezogen werden sollte, nicht erreicht wurde. Deutlich positiver beurteilte Hannes Germann (svp, SH) die Fortschritte. Er betonte, dass die Schweiz mit den beschlossenen Änderungen eines der strengsten Regime punkto Eigenmittel hätte. Damit könne man gut leben. Ruedi Noser (fdp, ZH) sah in der Verabschiedung der Vorlage ein klares Bekenntnis zum internationalen Finanzplatz. Auch Markus Ritter (cvp, SG) zeigte sich „sehr erfreut“ über die Ausgestaltung der Regelungen [23].
Die Kontroverse um die von den Banken zu haltenden Eigenmittel war nach der Verabschiedung der Revision des Bankengesetzes (2011) sowie der Genehmigung der zugehörigen Verordnungen (2012) allerdings noch nicht beendet. Bürgerliche Politiker, angeführt von ZKB-Bankrat Hans Kaufmann (svp, ZH), bemängelten, dass unter dem neuen Regime die systemrelevanten Grossbanken aufgrund der ihnen möglicherweise gewährten Eigenmittelrabatten weniger Eigenkapital halten müssten als die nicht systemrelevanten Banken zweiter Kategorie (ZKB und Raiffeisen Gruppe). Eigenmittelrabatte waren unter anderem für interne Risikomodelle vorgesehen, die allerdings fast ausschliesslich von den Grossbanken unterhalten wurden. Eine Motion der WAK-NR verlangte deshalb, dass die Eigenmittelanforderungen an systemrelevante Banken und an die übrigen Banken in einem korrekten Verhältnis stehen müssten. Der Bundesrat lehnte die Motion ab. Er argumentierte, dass die Eigenmittelrabatte, die den systemrelevanten Banken möglicherweise gewährt würden, praktisch nicht dazu führen könnten, dass diese weniger Eigenkapitel halten müssten als andere Banken. Der Nationalrat folgte der bundesrätlichen und von der Ratslinken unterstützten Argumentation jedoch nicht und nahm die Motion mit 114 zu 50 Stimmen an [24].
Die Verordnung über die Liquidität der Banken, die ebenfalls im Nachgang zu den Änderungen im Bankengesetz 2011 erarbeitet wurde und deren viertes Kapitel zur Liquidität von Grossbanken vom Parlament genehmigt werden musste, kam Ende 2012 in die Räte. Die übrigen Kapitel machten qualitative Vorgaben zum Liquiditätsmanagement aller Schweizer Banken und wurden auf Anfang 2013 durch den Bundesrat in Kraft gesetzt. Quantitative Vorgaben verschob die Regierung im Zusammenhang mit der Verzögerung in der internationalen Liquiditätsregulierung („Basel III“) auf später. Das genehmigungspflichtige Kapitel vier überführt die am 30.6.10 zwischen der Finma und den Grossbanken getroffene Vereinbarung („Liquiditätsregime“) in Verordnungstext. Die Räte berieten die Vorlage allerdings im Berichtsjahr nicht [25].
 
[23] BBl, 2012, S. 6669 ff.; AB SR, 2012, S. 721 ff.; AB NR, 2012, S. 1476 ff.; BBl, 2012, S. 8395 f.; NZZ, 26.5., 6.6. und 14.9.12.; vgl. SPJ 2011, S. 197 ff.; Präzisierung Krisenfall: Art. 25, 2 BaG, Art. 21c BankV und Art. 130, 2 ERV.
[24] Mo. 12.3656: AB NR, 2012, S. 1481; NZZ, 18.12.12.
[25] BRG 12.096: BBl, 2012, S. 9455 ff.; NZZ, 29.8.12; vgl. SPJ 2011, S. 197 ff.