Année politique Suisse 2012 : Economie / Agriculture / Tierische Produktion
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Milch
Auch das vorliegende Berichtsjahr zeichnete sich durch starke Spannungen auf dem Milchmarkt aus. An der Delegiertenversammlung der Branchenorganisation Milch (BOM) im Frühling wurde die im vorigen Jahr eingeführte Abgabe auf Milch zum Abbau des Butterbergs wieder abgeschafft. Die Massnahme war auf passiven Widerstand gestossen: Einzelne Verteilorganisationen hatten sich geweigert, die zur Abgabenberechnung benötigten Daten zu publizieren, was die Ausführung faktisch verunmöglichte. Experten befürchteten, dass der Butterberg nun wieder ansteigen und der Milchpreis weiter unter Druck geraten werde. Tatsächlich sank der Preis pro Kilo Milch im Mai auf 58,11 Rappen, was dem tiefsten Wert seit Beginn der Preisbeobachtung 1999 durch das BLW entspricht. Für den tiefen Preis wurden hauptsächlich zwei Gründe angeführt: Erstens hätten nach Aufhebung der Milchkontingentierung zu viele Bauern ihr Heil in einer Mehrproduktion gesucht und so den Markt buchstäblich mit Milch überschwemmt. Zweitens funktioniere das Selbstregulierungssystem der Branchenorganisation nur bedingt: Da die 2009 eingeführte Segmentierung von Milch in drei Preisklassen nicht auf der Qualität der gehandelten Milch, sondern allein auf deren Verwendungszweck beruhe, bestünden für Händler und Weiterverarbeiter grosse Anreize zum Missbrauch. Dadurch würden die Bauern zu den Hauptleidtragenden. Aus Protest gegen dieses „Milchpreis-Dumping“ drohte die Organisation Schweizer Milchproduzenten (SMP) im November mit einem Austritt aus der BOM. Um dies zu verhindern, wurde beschlossen, dass ein Kontrollsystem zur Unterbindung jener Betrügereien errichtet werden soll. Der SMP wurde ausserdem ein dritter Vorstandssitz gewährt [22].
Im Rahmen der Delegiertenversammlung im November erklärte der BOM-Präsident und alt-Nationalrat Markus Zemp, dass der Butterberg mit Hilfe des Marktentlastungsfonds von 10 000 auf 2 000 t reduziert werden konnte. Die Milchschwemme sei zudem nicht mehr so dramatisch, weil die Milcheinlieferungen seit Juni kontinuierlich gesunken seien. Zemp machte hauptsächlich den heissen Sommer sowie das teure Kraftfutter dafür verantwortlich und hoffte, dass sich der Milchpreis nun bald erholen werde [23].
Der Nationalrat bekräftigte mit Annahme der Motion Büttiker (fdp, SO) in der Frühlingssession, dass die Milchproduktion in der Schweiz grundsätzlich an die betriebseigenen Raufutterflächen gebunden werden soll. Damit sollen die Anreize für eine Überproduktion und die damit verbundenen Importe von Kraftfutter eingedämmt werden. Eine Mitte-Rechts-Minderheit, welche in der Abstimmung immerhin 40% des Rates hinter sich zu scharen vermochte, hatte zu Bedenken gegeben, dass bereits heute der Grossteil der Milchproduktion auf Raufutter basiere und dass Markenprogramme existierten, welche die KonsumentInnen auf Produkte aus solcher Produktion hinweisen würden. Weder diese Argumente noch der Hinweis auf den zusätzlichen administrativen Aufwand für die Landwirte vermochte die Räte umzustimmen. Das Anliegen fand in Form der Versorgungssicherheitsbeiträge auch Eingang in die Revision des Agrargesetzes (vgl. oben) [24].
Die grosse Kammer überreichte im Mai eine Motion Bourgeois (fdp, FR) an den Ständerat, welche die Exekutive zur Stärkung und Ausweitung der im Gesetz festgeschriebenen Milchverträge auffordert. Die 2009 gegründete Branchenorganisation Milch (BOM) sei mit ihren derzeitigen Instrumenten nicht in der Lage, den Markt im Gleichgewicht zu halten und die grösstmögliche Wertschöpfung für Milch zu gewährleisten. Die Verträge zwischen Produzenten und Abnehmer müssten deswegen mit Mindeststandards bezüglich Vertragsdauer, Milchmenge und Art der Preisfestsetzung versehen werden. Des Weiteren solle ein Mindestanteil von Milch, welche den höchsten Qualitätskriterien der BOM entspricht, in den Verträgen festgelegt werden, um Preisstabilität und gerechte Bedingungen für die Vertragspartner zu garantieren. Bei der Abstimmung garantierten die geschlossenen BDP- und SVP-Fraktionen sowie Mehrheiten der FDP und CVP die Annahme der Motion mit 93 zu 68 Stimmen [25].
Die grosse Kammer überwies ein Postulat Bourgeois (fdp, FR) im Zusammenhang mit der für 2015 beschlossenen Aufhebung der Milchkontingentierung in der EU. Der Bundesrat wurde beauftragt, einen Bericht zu verfassen, in dem er die Entwicklung der zukünftigen europäischen Milchproduktion und der dadurch beeinflussten Handelsbeziehungen mit der Schweiz einschätzt, Risiken und Chancen für die einheimische Branche auflistet und mögliche Massnahmen zur Sicherung oder gar zum Ausbau der Schweizer Marktanteile darstellt [26].
Mit der Annahme einer Motion seiner WAK bestätigte der Nationalrat, dass er einen Bericht des Bundesrats über die Folgen einer möglichen sektoriellen Marktöffnung für Milchprodukte hin zur EU wünscht. Darin sollen Einschätzungen über die Vereinbarkeit einer solchen Öffnung mit den bilateralen Abkommen und Darstellungen hierzu notwendiger interner Marktstützungs- und Begleitmassnahmen enthalten sein. Schliesslich soll auch die Beurteilung der Milchbranche in den Bericht einfliessen. Die SVP-Fraktion hatte sich in der Abstimmung geschlossen gegen die Motion gestellt, zusammen mit einer Mehrheit der BDP und beinahe der Hälfte der Christdemokraten. Dank dem geschlossenen Abstimmen von Grünen, SP und Grünliberalen sowie einer Mehrheit der FDP und der anderen Hälfte der CVP fand sich aber eine Mehrheit für das Anliegen [27].
 
[22] NZZ, 5.5.12; SGT, 19.5.12; BaZ, 8.8.12; TA, 14.8.12; LM, 28.8.12; SGT, 12.11.12; BZ, 13.11.12.; vgl. SPJ 2011, S. 211.
[23] BZ, 13.11.12.
[24] Mo. 11.3066: AB NR, 2012, S. 387 ff.
[25] Mo. 10.3813: AB NR, 2012, S. 659 f.
[26] Po. 12.3344: AB NR, 2012, S. 1796.
[27] Mo. 12.3665: AB NR, 2012, S.1715 ff.