Année politique Suisse 2012 : Infrastructure, aménagement, environnement / Sol et logement
Raumplanung
Zwischen 2006 und 2011 erarbeitete der Bund in Zusammenarbeit mit Kantonen, Städten und Gemeinden das
Raumkonzept Schweiz. Das erste ebenenübergreifende Konzept seiner Art, welches sich eine nachhaltige Raumentwicklung zum Ziel setzt, war zu Beginn des Vorjahres in Konsultation geschickt worden. Die Auswertungen der um die 200 eingegangenen Stellungnahmen wurden im April des Berichtsjahres vorgelegt. Die überwiegende Mehrheit der konsultierten Kreise begrüsste das Konzept. Von den im Parlament vertretenen Parteien unterstützten SP, CVP, FDP, die Grünen und die GLP den Entwurf; von der SVP und der BDP gingen keine Stellungnahmen ein. Mit Ausnahme der unklaren bis ablehnenden Haltung der Kantone St. Gallen und Freiburg stiess das Konzept bei den verbleibenden 24 Kantonen auf Anklang. Mit dem Schweizerischen Bauernverband (SBV), dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV), Gastrosuisse und Hotelleriesuisse, lehnten hingegen vier gewichtige nationale Wirtschaftsorganisationen das Raumkonzept klar ab. Economiesuisse stand dem Konzept ambivalent bis ablehnend gegenüber. Mit Ausnahme von Aqua Viva äusserten sich alle stellungnehmenden nationalen Umweltorganisationen positiv zum Vorhaben. Während die Befürworterseite explizit die tripartiten Bemühungen zur Erarbeitung einer gemeinsamen Raumentwicklungsstrategie hervorhob, resultierte die Kritik der ablehnenden Stellungnehmer aus den Befürchtungen, dass das Konzept die Bergregionen, den Tourismus und wirtschaftliche Aspekte im Allgemeinen vernachlässige. Der Bundesrat genehmigte das Konzept im Herbst des Berichtsjahres nach Publikation des Anhörungsberichtes. Das Raumkonzept dient seit seiner Übergabe an die zuständigen Behörden als Orientierungshilfe, wobei ihm rechtlich keine bindende Wirkung zukommt. Es hält Behörden und Private lediglich zur freiwilligen Zusammenarbeit an
[1].
Der Nationalrat folgte dem im Vorjahr gefällten positiven Entscheid des Ständerates und überwies die Motion Maissen (cvp, GR), die
eine eidgenössische Strategie für die Berggebiete und den ländlichen Raum fordert, mit 143 Stimmen einstimmig an den Bundesrat. Damit stellte sich das Parlament gegen den Bundesrat, welcher die Ansicht vertrat, die Erarbeitung einer eigenständigen Strategie sei wegen bestehenden Regelungen und laufenden Bestrebungen nicht erforderlich. Die Grünliberalen enthielten sich als einzige Fraktion der Stimme
[2].
In der Frühjahrssession ging die
Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG), welche der
Volksinitiative „Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)“ als indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt werden sollte, im Nationalrat in die zweite Runde der Differenzbereinigung. Die neu gewählte grosse Kammer zeigte sich in verschiedenster Hinsicht kompromissbereit, so auch beim Kernstück des Gegenvorschlags. Seiner Kommissionsmehrheit folgend nahm der Nationalrat den ständerätlichen Vorschlag zum Mehrwertausgleich von Planungsvorteilen an und lehnte dabei zwei Minderheitsanträge ab. Grossmehrheitlich gegen diesen Beschluss opponierten die Fraktionen der FDP und der SVP. Auf der anderen Seite unterstützte die BDP-Fraktion, die sich in der Erstberatung mit dem damaligen Vorschlag zur Mehrwertabgabe noch schwergetan hatte, nun das von Mitte-Links vorgebrachte Anliegen. Dem ständerätlichen Vorschlag angefügt wurde jedoch der Zusatz, dass ein Mehrwertausgleich nur dann zu entrichten sei, wenn das Land neu und dauerhaft einer Bauzone zugewiesen wird. Zusammen mit den Mehrheitsanträgen wurden zwei Einzelanträge Hausammann (svp, TG) angenommen, welche verhindern wollen, dass der Mehrwertausgleich zur „Fiskalmassnahme“ gegen den bäuerlichen Berufsstand wird: Zum einen wird mit Annahme der Anträge die Umzonung von unbebauten Industrie- und Gewerbezonen in Zonen zu Wohnzwecken ebenfalls dem Mehrwertausgleich unterstellt, um so eine Schlechterstellung der Besitzer von umzuzonenden Landwirtschaftszonen zu verhindern. Zum anderen soll die Mehrwertabschöpfung um den Betrag gekürzt werden können, der bei Erwerb oder Bau einer selbstgenutzten landwirtschaftlichen, gewerblichen oder industriellen Ersatzliegenschaft anfällt. Der Antragsteller begründete sein Anliegen mit der zunehmenden Verdrängung kleinerer gewerblicher und landwirtschaftlicher Betriebe aus wachsenden Siedlungsgebieten. Solche Betriebe würden bei Ein- oder Umzonung oftmals keine hohen Gewinne erzielen, was in krassem Gegensatz stehe zu den horrenden Summen, die sie zur Investition in Ersatzliegenschaften aufbringen müssen. Ohne Änderungen folgte der Nationalrat dem Ständerat in weiteren Differenzen: So beschloss er einer starken Kommissionsminderheit folgend und entgegen den geschlossenen Fraktionen der BDP, FDP und SVP, dass im Kampf gegen die Zersiedelung Wohn- und Arbeitsgebiete schwergewichtig an Orten geplant werden sollten, die durch den öffentlichen Verkehr bereits angemessen erschlossen sind. Nach der ursprünglichen Fassung des Nationalrates hätte der alleinige Anschluss an das öffentliche Strassennetz ausgereicht. Weiter beschloss der Nationalrat unter Opposition der SVP Zustimmung zu einer Fassung des Ständerates, welche für die Realisierung von Vorhaben mit gewichtigen Auswirkungen auf Raum und Umwelt eine Verankerung im Richtplan fordert. Gespalten zeigte sich der Nationalrat in der Frage, ob überdimensionierte Bauzonen, resp. Bauzonen, die den Baubedarf für die nächsten 15 Jahre übersteigen, zwingend zu reduzieren seien. Hier setzten sich Grüne, SP und GLP mit Unterstützung einer starken CVP-Minderheit sowie einzelner BDP- und SVP-Mitglieder schliesslich durch: Mit 95 zu 83 Stimmen folgte die grosse Kammer dem Ständerat und beschloss eine Rückzonungspflicht im Falle von überdimensionierten Bauzonen. Zum Kurswechsel beigetragen haben nicht zuletzt die SVP-Bauern, welche sich mit ihrem Umschwenken für die Stärkung des bäuerlichen Kulturlandes stark machten. Unter Verblieb kleinerer Differenzen, so zum Beispiel betreffend Formulierung der Bestimmungen zur korrekten Installation von Solaranlagen, schickte der Nationalrat den stark verschärften Gesetzesentwurf in die dritte und letzte Runde der Differenzbereinigung. Dort stellte sich der Ständerat in fast allen verbleibenden Differenzen hinter den Nationalrat. Anstoss zu längerer Diskussion gab einzig die von Nationalrat Hausammann (svp, TG) erfolgreich eingebrachten Ausnahmen zum Mehrwertausgleich. Im Ständerat obsiegte schliesslich ein Kompromissantrag Eberle (svp, TG) welcher einzig landwirtschaftliche Eigentümer bei Einzonung zum Abzug berechtigen will, sofern die zu erwerbende Ersatzliegenschaft der Selbstbewirtschaftung dient. Mit diesem Zugeständnis an die Bauern schien das von Seiten der Bauernvertreter um Hausammann (svp, TG) angedrohte Referendum vom Tisch. Die daraufhin verbleibende Differenz bereinigte der Nationalrat, indem er dem vom Ständerat erfolgreich eingebrachten Antrag Eberle (svp, TG) diskussionslos zustimmte. In der Schlussabstimmung wurde die Teilrevision im Ständerat mit 30 zu 10 Stimmen und im Nationalrat mit 108 zu 77 Stimmen bei 10 Enthaltungen verabschiedet. Auf Ablehnung plädierte eine Grossmehrheit der FDP- und der SVP-Fraktion mit Unterstützung eines Drittels der CVP/EVP-Fraktion, darunter insbesondere die Walliser Vertreter der CVP. So stimmte auch der CVP-Präsident Christophe Darbellay (cvp, VS) gegen das revidierte RPG. Grüne, Grünliberale, BDP und SP standen geschlossen für die Gesetzesrevision ein
[3].
Laut einer Schätzung des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) müsste der Kanton Wallis mit Einführung der Rückzonungsplicht bei Weitem am meisten Bauzonenfläche reduzieren. Dementsprechend laut waren nach Verabschiedung der Revision auch die Proteststimmen aus dem Bergkanton. Allen voran kritisierte die CVP Unterwallis die unterstützende Haltung der CPV Schweiz, wobei sie sogar eine Abspaltung von der Mutterpartei in Betracht zog. Ende Juni
lancierte der Gewerbeverband (SGV) das Referendum zum RPG. Unterstützung erhielt er zu Beginn einzig von der CVP des Kantons Wallis. Etwas später gesellten sich ebenfalls die FDP des Kantons Wallis, die Junge CVP Schweiz und die SVP Schweiz dazu. Der Hauseigentümerverband (HEV), welcher im Vorfeld als möglicher Referendums-träger gehandelt worden war, distanzierte sich bereits kurz vor Lancierung explizit vom Referendum und gab bekannt, er wolle sich ganz und gar auf seine verbleibende und im September zur Abstimmung kommende Initiative konzentrieren (siehe unten). Gleichzeitig zur Lancierung des Referendums durch den SGV unternahm der Kanton Wallis Bestrebungen zur Einreichung eines Kantonsreferendums. Während letzteres aufgrund fehlender Unterstützung durch die restlichen Kantone nicht zu Stande kam, reichte das Komitee um den SGV im Oktober das Referendum mit 69 277 gültigen Unterschriften ein, wovon rund 30 000 alleine aus dem Kanton Walis stammten. Die Volksabstimmung wurde auf den 3. März 2013 angesetzt
[4].
Nachdem der Ständerat bereits im Jahre 2010 mit starker Zweidrittelmehrheit die Ablehnung der
Volksinitiative „Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)“ beschlossen hatte, folgte im Berichtsjahr nun auch der Nationalrat diesem Votum mit 114 bürgerlichen gegen 72 Stimmen aus den geschlossenen Reihen der SP, Grünen und der Grünliberalen, mit Unterstützung vereinzelter Mitglieder der CVP/EVP-Fraktion. Die Befürworter des Volksanliegens, das eine nachhaltige Raumplanung mit verstärkter Koordinationsfunktion des Bundes anstrebt, begründeten ihre Unterstützung mit dem unklaren Ausgang der RPG-Teilrevision. Sollte die Revision des Raumplanungsgesetzes aufgrund erfolgreichen Referendums nicht zu Stande kommen, sei es zwingend, an der Initiative festzuhalten, um den unzumutbaren Status quo zu beenden und endlich einen haushälterischen Umgang mit der Ressource Boden zu ermöglichen. Als Hauptgrund für die ablehnende Haltung des bürgerlichen Lagers galt das in den Übergangsbestimmungen festgehaltene 20-jährige Bauzonenmoratorium. Diese starre Regelung führe nicht nur zum Anstieg der Bodenpreise, es bestrafe auch all jene Kantone und Gemeinden, welche bis anhin einen haushälterischen Umgang mit dem Boden gepflegt hatten und in Folge dessen aktuell über wenig Bauland verfügen. In der parlamentarischen Schlussabstimmung wurde die Initiative von den Räten denn auch zur Ablehnung empfohlen. Während im Nationalrat ähnliche Kräfteverhältnisse wie bei der Detailberatung zu einem relativ deutlichen Votum führten, fiel der ablehnende Entscheid im Ständerat mit 21 zu 16 Stimmen bei 3 Enthaltungen eher knapp aus. Am 26. Juni 2012 gab das Initiativkomitee den bedingten Rückzug der Initiative bekannt
[5].
Als neuer Akteur in der Raumplanung positionierte sich die SVP. Ende August publizierte die Partei das
Positionspapier „Raumplanung aus Sicht der SVP“, in welchem sie sich insbesondere gegen die Zentralisierung der Raumplanung und für eine Lockerung des Waldrodungsverbotes aussprach. Eine flexiblere Waldpolitik, insbesondere in Gebieten, wo sich der Wald ausdehnt, soll dem Erhalt und der Rehabilitation des landwirtschaftlichen Kulturlandes dienen. Als Hauptgrund der Zersiedelung ortete die Partei die Zuwanderung, womit sie die Raumplanung mit einem ihrer populärsten Themen in Verbindung brachte. Ein ähnliches Motiv verfolgt auch die Ecopop-Initiative, welche zum Schutz der Umwelt die Zuwanderung stark begrenzen will (siehe unten, Teil I, 7a (Evolution de la population))
[6].
[2] Mo. 11.3927:
AB NR, 2012, S. 1023 ff., vgl.
SPJ 2011, S. 268.
[3] BRG 10.019:
AB NR, 2012, S. 120 ff., 781 und 1238,
AB SR, 2012, S. 304 ff. und 638,
BBl, 2012, S. 5987 ff.,
TA, 2.3.12,
SGT, 30.5.12, vgl.
SPJ 2011, S. 268 ff.
[4] BRG 10.019:
BBl, 2012, S. 8527 f.,
LM, 16.6.,
NF, 16.6., 20.6. und 22.6.12,
NZZ, 23.6., 9.7., 21.8. und 4.10.12,
TA, 27.6.12,
NLZ, 21.8.12.
[5] BRG 10.018:
AB NR, 2012, S. 945 ff. und 1237,
AB SR, 2012, S. 638,
BBl, 2012, S. 5925 f. und 7377, vgl.
SPJ 2010, S. 202 f.
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