Année politique Suisse 2012 : Politique sociale / Assurances sociales / Krankenversicherung
Nach langjährigen Verhandlungen war im Vorjahr die Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (Managed Care) von beiden Räten mit deutlicher Mehrheit angenommen worden. Eine Gruppierung von Spezialärzten, unterstützt vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund, hatte bereits vor dem Ratsbeschluss ein
Referendum angekündigt. Das eigentliche Referendumskomitee bildete schliesslich eine Vereinigung von Praktikern aus dem Gesundheitswesen, unterstützt von einem Fachärzteverband und einem Verband medizinischen Personals. Am Tag des Ablaufs der Referendumsfrist, dem 19. Januar 2012, wurde das Referendum mit über 130 000 gültigen Unterschriften eingereicht
[35].
Die Abstimmung über das
fakultative Referendum gegen die Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (Managed Care) wurde auf den 17. Juni angesetzt. Im Vorfeld der Abstimmung wurde die Vorlage heiss diskutiert. Die SP stellte sich mehrheitlich gegen ihren Bundesrat Berset, der bekannt gab, Managed Care auch aus persönlicher Überzeugung zu unterstützen. Die Gewerkschaften folgten der SP. Auch die SVP und die BDP beschlossen die Nein-Parole, obwohl sich beide Parteien im Parlament noch für die Revision ausgesprochen hatten. Das Nein-Komitee argumentierte primär, die Vorlage schränke die freie Arztwahl ein. Dazu fördere sie eine Zweiklassenmedizin, bringe Qualitätseinbussen mit sich und führe, entgegen den Versprechen, nicht zu Kosteneinsparungen. Das Ja-Komitee setzte sich aus Vertretern der CVP, der FDP-Liberalen, der Grünliberalen, der EVP sowie des Konsumentenschutzes zusammen. Die Befürworter versprachen sich von Managed Care eine kostengünstigere und besser koordinierte Gesundheitsversorgung. Die Grünen beschlossen Stimmfreigabe. Die Ärzteschaft zeigte sich gespalten: Während die FMH in einer durch die Spezialärzte dominierten Urabstimmung beschloss, das Referendum zu unterstützen, sprach sich der Verband Hausärzte Schweiz für die Vorlage aus. Annahme empfahl auch die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren. Ebenso uneinig waren sich die verschiedenen Patientenschutzorganisationen. Die Fronten im Abstimmungskampf waren denn auch unübersichtlich. Viele Kantonalparteien wichen von den Positionen ihrer eidgenössischen Mutterparteien ab und verschiedene Akteure wechselten während des Kampagnenverlaufs gar die Seite. Im Verlaufe der Abstimmungskampagne wurde immer deutlicher, dass die Unterstützung für Managed Care schwand. Nachdem auch ein Teil der bürgerlichen Parteien, welche die Revision im Parlament noch begrüsst hatten, sich nun dagegen aussprachen, zeichnete sich in diversen Umfragen ein deutliches Nein ab
[36].
Die 38.7% der Stimmbürgerinnen und -bürger, die von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten, lehnten die Vorlage dann am 17. Juni tatsächlich wuchtig mit einer Mehrheit von 76% ab; kein einziger Kanton sprach sich dafür aus. Die VOX-Analyse ergab wenig überraschend, dass sich die Stimmenden bei dieser Abstimmung kaum an Parteiparolen orientiert hatten. Allgemein wurde die Vorlage als äusserst komplex empfunden. SVP- und SP-Sympathisanten folgten ihren Parteien mehrheitlich und legten ein Nein ein, Sympathisanten der befürwortenden Mitteparteien dagegen stellten sich gegen ihre Parteien und lehnten die Vorlage nicht weniger wuchtig ab. Frauen lehnten die Vorlage deutlich stärker ab als Männer, Angehörige eines Ärztenetzwerks weniger stark als Personen, welche keinem Ärztenetzwerk angehören, obwohl auch bei diesen die Ablehnung noch deutlich ausfiel. Als wichtigstes Argument für ein Nein wurde von den befragten Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern die Angst vor dem Verlust der freien Arztwahl genannt
[37].
Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (Managed Care)
Abstimmung vom 17. Juni 2012
Beteiligung: 38,7%
Ja: 466 993 (24,0%) / Stände: 0
Nein: 1 482 536 (76,0%) / Stände: 20 6/2
Parolen:
– Ja: FDP (3*), CVP (8*), EVP, GLP; eco.
– Nein: SP, SVP (3*), CSP, BDP (2*); SGB, TravS.
– Stimmfreigabe: GPS
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
[35] Medienmitteilung BK vom 16.2.12;
NZZ, 20.1.12; vgl.
SPJ 2011, S. 312 ff.
[36]
NZZ, 20.1., 31.3., 2.4. und 5.6.12;
24h, 23.3.12;
LT, 7.5.12;
TA, 8.5. und 18.6.2012;
AZ, 12.5.12;
NLZ, 24.5.12.
[37] Milic, Thomas / Vatter, Adrian,
Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 17. Juni 2012, Bern 2012.
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