Année politique Suisse 2013 : Partis, associations et groupes d'interêt / Partis
 
Christlichdemokratische Volkspartei (CVP)
Im Berichtjahr musste die CVP im Kanton Wallis historische Verluste hinnehmen. Nach 150 Jahren war die Vormachtstellung der katholischen Kräfte auch in der letzten Bastion gefallen. Die Niederlage wurde dabei auch der Unterstützung der nationalen Partei für das im Wallis umstrittene Raumplanungsgesetz zugeschrieben. Freilich blieb die CVP im Wallis die mit Abstand stärkste Partei, auch wenn sie ihre absolute Mehrheit preisgeben musste. Die CVP konnte auch in Solothurn, wo im Berichtjahr ebenfalls Gesamterneuerungswahlen für kantonale Parlamente anstanden, ihren Krebsgang nicht aufhalten. Hier mussten die Christdemokraten drei Sitzverluste hinnehmen. Die Strategie der nationalen Partei, die grünen und sozialdemokratischen Themen zum Durchbruch verhelfe und die CVP lediglich zur Mehrheitsbeschafferin mache, komme bei der Stammwählerschaft nicht gut an, analysierte die Presse. Die Debatten innerhalb der Partei über die Parolen zu nationalen Abstimmungen (siehe unten) und die Ablehnung des Familienartikels in den katholischen Stammlanden können tatsächlich als Indizien für die Unzufriedenheit des konservativen Teils in der Partei betrachtet werden. Wenn die CVP wieder Erfolg haben wolle, müsse sie klare Positionen einnehmen, wurde etwa in der NZZ empfohlen. Besser erging es der Partei im Berichtjahr in der Westschweiz. Im Kanton Genf konnten die elf Sitze gehalten und der Wähleranteil leicht ausgebaut werden. Eine Überraschung gelang der CVP zudem im Kanton Neuenburg. Die hier praktisch unbedeutende Partei konnte auch dank der Listenverbindung mit FDP, BDP und GLP erstmals einen Sitz erobern. Dies hatte zur Folge, dass die CVP erstmals in allen kantonalen Parlamenten der Schweiz vertreten ist. Mit 460 von total 2 559 kantonalen Legislativmandaten (exklusive AI) war die CVP über alle Kantone hinweg betrachtet hinter der SVP und der FDP drittstärkste Partei [52].
Erfolge konnte die CVP bei den Erneuerungs- und Ersatzwahlen für die kantonalen Exekutiven feiern. Zwar musste man sowohl im Kanton Wallis als auch im Kanton Solothurn in einen zweiten Wahlgang, die drei (VS) bzw. zwei (SO) kantonalen Exekutivsitze konnten aber letztlich relativ komfortabel verteidigt werden. Noch besser lief es im Kanton Genf, wo die CVP dank einer wiederbelebten Entente mit der FDP sogar einen zweiten Regierungssitz erobern konnte. Bei Ersatzwahlen in den Kantonen Basel-Landschaft und Freiburg verteidigte die CVP ihren jeweiligen Sitz gegen starke Konkurrenz. Mit den Erfolgen konnte die CVP auch ihre Stellung als wichtige Regierungspartnerin festigen. Mit 39 der total 156 kantonalen Exekutivmandaten blieb die CVP zweitstärkste Regierungskraft hinter der FDP (42 Sitze), aber noch vor der SP (33 Sitze) und deutlich vor der SVP (21 Sitze) [53].
2014 wird die CVP mit Ruedi Lustenberger (LU) den Nationalratspräsidenten stellen. Der dem konservativen Flügel zugeordnete, seit 1999 im Nationalrat sitzende Entlebucher wurde Ende November mit 175 von 183 gültigen Stimmen gewählt [54].
Im Spätjahr trat eine Findungskommission unter der Leitung von Peter Bieri (ZG) in Aktion, um einen Nachfolger für den Ende Berichtjahr zurücktretenden Fraktionspräsident Urs Schwaller zu suchen. Schwaller hatte bereits 2012 angekündigt, das Amt nicht mehr weiterführen zu wollen. Der ehemalige Freiburger Finanzdirektor Schwaller, 2003 in den Ständerat gewählt, war seit Dezember 2007 Präsident der Bundeshausfraktion. Lange wurden keine Namen von potentiellen Nachfolgern genannt. Bekannt wurde lediglich, dass sich einige von der Presse als Kronfavoriten gehandelte Parlamentarier selber aus dem Spiel nahmen, so etwa Gerhard Pfister (ZG), Elisabeth Schneider-Schneiter (BL) oder Viola Amherd (VS). Es wurde zudem gemutmasst, dass sich einige CVP-Schwergewichte – kolportiert wurden etwa auch die Namen Pirmin Bischof (SO) oder Konrad Graber (LU) – nicht zur Verfügung stellten, weil sie sich die Chance für mögliche Bundesratsweihen nicht verbauen lassen wollten, wurde doch gemunkelt, dass sich die amtierende Bundesrätin Doris Leuthard nach Ende der Legislatur eine neue Herausforderung suchen könnte. In die Offensive wagte sich Mitte Dezember schliesslich Filippo Lombardi (TI), der sich als einziger Kandidat für ein Hearing des KMU-Klubs, also des Wirtschaftsflügels der CVP-Fraktion, anmeldete. Lombardi war zwar in der Vergangenheit vor allem wegen Strassenverkehrsdelikten aufgefallen, konnte sich im Berichtsjahr als Ständeratspräsident aber rehabilitieren. Zudem durfte er auch aufgrund seiner perfekten Dreisprachigkeit auf einigen Zuspruch in der Fraktion hoffen. Die Fraktion wollte sich im Januar 2014 an ihrer Fraktionsklausur entscheiden [55].
Im Oktober des Berichtjahres kündigte der CVP-Präsident Christoph Darbellay seinen Rücktritt als Nationalrat und Parteipräsident auf 2015 an. Gleichzeitig bekundete er seine Absicht, 2017 einen Walliser Regierungssitz zu gewinnen. Diese Bekanntgabe stiess nicht bei allen Parteikollegen auf Gehör. Zwar ist Darbellay der amtsälteste Parteipräsident – seit 2006 hat er dieses Amt inne – es wurde ihm aber aus den eigenen Reihen vorgeworfen, dass er nicht mehr immer ganz bei der Sache sei, und dass er im Zweifel für Walliser Interessen votiere. Die Amtszeitbeschränkung der CVP-Unterwallis zwingt Darbellay nach drei Legislaturperioden zu einem Ausscheiden aus dem Nationalrat. Als Präsident wäre er aber bis 2016 gewählt. Bereits 2009 wollte Darbellay für die Walliser Regierung kandidieren, wurde jedoch damals von seiner Partei nicht nominiert. Trotz wachsender parteiinterner Kritik stand eine mögliche Neubesetzung ausser Diskussion, da eine solche im Hinblick auf die Wahlen 2015 zu spät käme. Der Präsident war zudem Anfang Jahr in die Schlagzeilen geraten, weil er zwei Bankiers im Rahmen der Wegelin-Affäre (siehe Teil I, 4b) als Verräter bezeichnet hatte [56].
Im Parteisekretariat kam es im Berichtjahr zu einigen personellen Wechseln. Thomas Jauch wurde Mitte September vom Parteipräsidium als neuer Kommunikationschef und in diesem Amt als Nachfolger von Marianne Binder-Keller gewählt, die im Juni ihren Rücktritt erklärt hatte, weil sie sich auf ihr Kantonsparlamentsmandat im Kanton Aargau konzentrieren wolle. Jauch hat sich um alle Kommunikationsbelange der Partei zu kümmern. Mitte August kündigte zudem Alexandra Perina-Werz nach 12-jähriger Tätigkeit ihren Rücktritt an. Perina-Werz war zweimal für kurze Zeit Generalsekretärin ad interim. Gegen Ende des Jahres gab die CVP zudem bekannt, dass die operative Leitung der künftigen Wahlen vom Generalsekretariat unter Béatrice Wertli in Zusammenarbeit mit den bestehenden Gremien übernommen werde [57].
Die Christdemokraten bekundeten nach eigenen Aussagen zunehmend Mühe, finanzielle Unterstützung aus Wirtschaftskreisen zu finden. Die CVP sei zwar finanziell und organisatorisch auf Kurs, aufgrund mangelnder Finanzierung musste aber das CVP-Parteiblatt „Die Politik“ sistiert werden. Das Magazin war ursprünglich als Wahlkampfvehikel lanciert worden und seit 2009 als Zeitschrift erschienen. Ein Ersatz in Form einer Parteizeitung sei aber in Planung [58].
Auffallend häufig legten sich im Berichtjahr die CVP-Frauen mit der nationalen Mutterpartei an. Nachdem die Fraktion und die Partei die Unterstützung der Asylreform beschlossen hatten, empfahl die Frauensektion ein Nein, und auch hinsichtlich der SVP-Familieninitiative erreichten die Frauen einen Umschwung; das Begehren wurde zur Ablehnung empfohlen. Die CVP-Frauen kündigten zudem ihren Widerstand gegen die Pläne ihrer Bundesrätin Doris Leuthard für eine zweite Gotthardröhre an. Die Differenzen wurden auf der einen Seite als innerdemokratische Meinungsvielfalt begrüsst, auf der anderen Seite auf die zu starke Unabhängigkeit der CVP-Frauen zurückgeführt – Präsidentin und Vizepräsidentin der Frauensektion gehören weder der Bundeshausfraktion an, noch sind sie Mitglieder des Präsidiums [59].
Die CVP gehörte im Berichtjahr zusammen mit der GLP, der FDP und der BDP zu den Gewinnerinnen was die Übereinstimmung ihrer Parolenfassung mit dem tatsächlichen Abstimmungsresultat betrifft. Bei acht der elf Vorlagen stimmte die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wie von der CVP empfohlen. Bei den Christdemokraten fallen dabei zwei Dinge besonders ins Auge: erstens die deckungsgleiche Parolengebung mit der BDP und zweitens die relative parteiinterne Umstrittenheit bei verschiedenen Themen. Die Kongruenz der Parolenfassung von CVP und BDP bei allen elf Abstimmungsvorlagen im Berichtjahr kann auch als Indiz für die ideologische Nähe der beiden Parteien interpretiert werden (zur Fusionsdiskussion vgl. unten). Mit der GLP wies die CVP eine (Autobahnvignette) und mit der FDP zwei unterschiedliche Parolenfassungen (Familienartikel und RPG) auf. Bei fünf der elf Vorlagen kam es zu abweichenden Parolen in den Kantonen – ein Zeichen für parteiinterne Uneinigkeit. Am stärksten hatte die Partei dabei mit der Revision zum Raumplanungsgesetz zu ringen (siehe unten). An der Delegiertenversammlung Ende Januar in Olten wurde zwar mit 170 zu 89 Stimmen bei drei Enthaltungen ein Ja empfohlen, alle nicht-deutschsprachigen Kantonalsektionen (FR, GE, JU, NE, TI) und dabei insbesondere die Sektion Wallis wichen aber von der Parole der Mutterpartei ab. Fünf Kantonalparteien (FR, LU, GR, VS, VD) beschlossen in ihrer jeweiligen Parolenfassung bei der SVP-Familieninitiative vom Nein der nationalen Partei Abstand zu nehmen, das Ende Oktober in Tenero mit 114 zu 87 allerdings relativ knapp ergriffen worden war. Zum Familienartikel, für den Anfang Jahr an der Delegiertenversammlung in Olten ein deutliches Ja empfohlen wurde (243:1 Stimmen bei 1 Enthaltung) gab es wiederum keine kantonalen Abweichungen. Solche zeigten sich hingegen bei der Asylgesetzrevision, die Anfang Juni in Heiden zwar von den nationalen Delegierten mit 146 zu 28 Stimmen zur Annahme empfohlen wurde, gegen die sich aber die Sektionen Genf, Glarus und Waadt mit ihrer Nein-Parole wehrten. Schliesslich wichen die Sektionen Jura und St. Gallen bei der vom Parteivorstand zur Annahme empfohlenen Revision des Arbeitsgesetzes ab, und die CVP Waadt empfahl die Abzockerinitiative zur Annahme, obwohl für diese Anfang Jahr bei der Delegiertenversammlung in Olten noch mit 207 zu 30 Stimmen (4 Enthaltungen) national ein Nein empfohlen worden war. Weniger umstritten und ohne kantonale Abweichungen blieben die Nein-Empfehlungen zu den Initiativen zur Volkswahl des Bundesrates (172 zu 2 Stimmen für ein Nein) und für faire Löhne im Verhältnis 1:12 (160: 14 Stimmen für ein Nein). Das Nein zur Wehrpflicht und das Ja zum Epidemiengesetz – beide Parolen wurden Ende August vom Parteivorstand einstimmig gefällt – waren ebenfalls nicht umstritten. Entsprechend dem Antrag ihrer Verkehrsministerin Doris Leuthard unterstützte die CVP an der Delegiertenversammlung Ende Oktober in Tenero ziemlich deutlich die Erhöhung der Gebühren für die Autobahnvignette (mit 162 zu 19 Stimmen) und beschloss gar noch deutlicher die Ja-Parole zur Fabi-Vorlage, die 2014 zur Abstimmung kommen wird (169 zu 6 Stimmen) [60].
Die Familienpolitik sollte auch im Berichtjahr für die CVP ein wichtiges Thema sein. Das relativ deutliche Volksmehr für den am Ständemehr gescheiterten Familienartikel, bei dem die CVP Pate gestanden hatte, wurde als Ermunterung aufgefasst, am Thema dran zu bleiben. Dies obwohl die befürwortenden Parteien der CVP vorwarfen, sich zu wenig für den Verfassungsartikel eingesetzt zu haben. Gesellschaftspolitische Themen würden stets mehrere Anläufe brauchen, erwiderte die CVP die Vorwürfe. Die Christdemokraten selber hatten 2012 für ihre beiden Familien-Initiativen die nötigen Unterschriften eingereicht. Der Bundesrat legte Ende Oktober seine Botschaft dazu vor. Die Initiative „Für Ehe und Familie“, mit der die „Heiratsstrafe“ bei Steuern und AHV-Renten abgeschafft werden soll, empfahl die Bundesregierung zur Annahme – erst zum sechsten Mal in der Geschichte empfahl der Bundesrat ein Ja für ein Volksbegehren. Das zweite Begehren (Familien stärken), das Kinder- und Ausbildungszulagen von den Steuern befreien will, lehnte der Bundesrat hingegen ohne Gegenvorschlag ab. Gegen die Initiative gegen die Heiratsstrafe regte sich Mitte November allerdings Widerstand: Die Lesbenorganisation Schweiz und die Schwulenorganisation Pink Cross demonstrierten auf dem Bundesplatz gegen das Ansinnen, weil es die Ehe in der Verfassung explizit auf heterosexuelle Paare beschränke. Zu einem parteiinternen Konflikt führte Ende Jahr zudem die Familieninitiative der SVP. Zwar hatte die Bundeshausfraktion und das Parteipräsidium die Ja-Parole ausgegeben, Ende Oktober beschlossen die Delegierten jedoch, ein Nein zu empfehlen und folgten damit den CVP-Frauen. 19 der 25 Kantonalsektionen folgten dem Nein, in den Stammlanden Freiburg, Luzern und Wallis, wie auch in Graubünden und Waadt wurde jedoch trotzdem ein Ja empfohlen. Weil einige Exponenten der CVP sich in der Abstimmungskampagne als Befürworter einspannen liessen – Präsident Darbellay (VS) warb auf einem SVP-Flyer und auf einer Webseite mit seinem Konterfei für die Initiative und Marco Romano (TI) trat in der Arena gegen die offizielle Meinung seiner Partei an – wurde vor allem von einigen CVP-Frauen mediale Kritik geübt. Babette Sigg (ZH), die Präsidentin der CVP-Frauen, warf dem Präsidenten „mangelndes Demokratieverständnis“ vor und Nationalrätin Barbara Schmid-Federer (ZH) fand, dass Darbellay zu weit gegangen sei [61].
Mitte Januar zog sich die CVP zu einer Retraite nach Flüeli (OW) zurück, wo über die Europapolitik debattiert wurde. Präsident Darbellay hatte Ende 2012 laut über einen Beitritt zum EWR nachgedacht. Erst Ende Februar kündigten die Christdemokraten dann an, sich in der Europafrage klarer positionieren zu wollen. Ein EWR-Beitritt wurde jedoch nicht als Option in Erwägung gezogen. Ein Einbezug von Efta-Institutionen (z.B. Gerichtshof oder Überwachungsbehörde) könnte aber sehr wohl Bestandteil eines neuen institutionellen Arrangements mit der EU sein. Auch ein internationales Gericht für die Auslegung der zukünftigen bilateralen Verträge sei denkbar, falls die Schweiz darin mit einem Richter vertreten wäre. Die CVP rief den Bundesrat zudem auf, die Ventilklausel zu aktivieren, um ein Zeichen in der Diskussion um die Zuwanderung zu setzen. An der Delegiertenversammlung Mitte April in Heiden forderte Darbellay gar eine zeitlich unbefristete Möglichkeit für die Anrufung einer Ventilklausel, also eine dauerhafte Möglichkeit der Einschränkung der Zuwanderung aus der EU. Der Parteichef sprach von einem dauerhaften „Ventilklausel-Gesetz“, das allerdings Nachverhandlungen mit der EU hinsichtlich der Personenfreizügigkeit bedingen würde. Die Forderung weckte parteiintern Skepsis – Lucrezia Meier-Schatz (SG) sprach von einer Entfernung von den CVP-Grundwerten. Bei der SVP rief die Forderung hingegen Befriedigung hervor und wurde sogleich als Unterstützung der Masseneinwanderungsinitiative interpretiert, was von der CVP allerdings dementiert wurde, da die Personenfreizügigkeit nicht – wie mit der SVP-Initiative – abgeschafft, sondern fallweise und flexibel ausgesetzt werden solle. Bei der SP und der FDP stiess die Idee auf Unwillen [62].
Ein potentieller Spaltpilz erwuchs der Partei in Form des revidierten Raumplanungsgesetzes (RPG). Die Walliser Sektion hatte bereits im Vorjahr mit dem Austritt aus der Mutterpartei gedroht, falls sie die Revision unterstützen sollte. Weil Angebot (eingezontes Bauland) und Nachfrage stark auseinanderklaffen, käme es mit dem neuen Gesetz vor allem im Kanton Wallis zu bedeutenden Rückzonungen. Die Bedeutung der CVP im Wallis, die allerdings bei den kantonalen Wahlen Schaden nahm (siehe oben), der Umstand, dass der Parteipräsident Darbellay aus diesem Kanton stammt und die Vorgeschichte der Gesetzesrevision aus dem Departement Leuthard (cvp) – die CVP hatte dem Anliegen im Parlament zum Durchbruch verholfen – machten die Delegiertenversammlung Anfang Jahr in Olten, an der die Parolenfassung anstand, spannend. Die Parteileitung hatte sich mit Stichentscheid des Präsidenten kurz vor der Versammlung gegen das RPG ausgesprochen. Das zugunsten der das Dossier vertretenden CVP-Bundesrätin Doris Leuthard erwünschte Ja stellte sich mit 170 zu 89 bei drei Enthaltungen trotzdem ein. Allerdings war es nicht wie erhofft so knapp, dass es dem Parteifrieden gedient hätte. Zuvor war ein Antrag auf Stimmfreigabe mit 155 zu 89 Stimmen abgelehnt worden. Die Walliser Delegierten zeigten sich verärgert über die „Verachtung“, die ihnen entgegenschlage. Die Junge CVP lehnte das revidierte Raumplanungsgesetz an ihrer eigenen Versammlung entgegen der Parole der Mutterpartei ab, weil es zu viele Unsicherheiten aufweise [63].
Wie bereits im Vorjahr war die Asylpolitik auch im Berichtjahr Anlass für parteiinterne Differenzen. Für die am 9. Juni zur Abstimmung stehende Revision des Asylgesetzes hatten die Delegierten mit 146 zu 28 Stimmen zwar die Ja-Parole gefasst, die CVP-Frauen empfahlen allerdings ein Nein. Zudem engagierten sich einige CVP-Exponentinnen und Exponenten – darunter etwa die Ständerätin Anne Seydoux (JU) und die Nationalräte Jacques Neirynck (VD) und Barbara Schmid-Federer (ZH) – in einem „Grundwerte-Apell“ für mehr Augenmass und Fairness im Asylbereich. In der Zeitung „Blick“ war von der „CVP-Linken“ die Rede, die „Darbellays Rechtsdrall stoppen“ wolle. Die CVP Waadt drohte gar mit einem Austritt aus der Mutterpartei, sollte der Rechtsrutsch innerhalb der Partei noch weiter gehen. Nur kurz nach dem Urnengang im Juni, an dem die Revision angenommen wurde, präsentierte die CVP ein aktualisiertes Positionspapier, in dem neben der Gleichbehandlung der Flüchtlinge bei der Arbeitsvermittlung, weiteren Bundeszentren und unentgeltlichem Rechtsschutz für Asylsuchende auch eine Erteilung ordentlicher, jährlich zu prüfender Aufenthaltsbewilligungen gefordert wurden. Mit der Schaffung von 3 000 Stellen bei den Kantonalpolizeien und weniger Hürden für bedingte Strafen solle der Kriminaltourismus besser bekämpft werden. Die in Vorgängerpapieren geforderte DNA-Datenbank oder die Eingrenzung der Aufenthaltsorte für Personen mit negativem Asylentscheid fanden sich im neuen Papier nicht mehr [64].
In einem Mitte August veröffentlichten Positionspapier zur Sicherheitspolitik empfahl die CVP vier konkrete Massnahmen, die teilweise bereits im Rahmen der Asylpolitik gefordert worden waren (siehe oben). Das Strafrecht müsse durch eine Senkung der Hürden für unbedingte Strafen und die Einführung von Schnellverfahren wieder eine abschreckende Wirkung bekommen. Gewahrsamshaft soll nicht nur für 24, sondern für 72 Stunden möglich sein. Darüber hinaus sollen eine gesetzlich gestützte Ausweitung der Abhör- und Überwachungsmöglichkeiten und eine Vereinfachung der Internetfahndung gegen die Cyberkriminalität eingesetzt werden. Kriminaltourismus soll mit besserer Videoüberwachung an der Grenze eingedämmt und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung durch sichtbarere Polizeipräsenz erhöht werden. Die CVP forderte deshalb die personelle Aufstockung von Polizei und Grenzschutz um mindestens 3 000 Personen. Der schleichenden Privatisierung der Sicherheit in der Schweiz müsse hingegen ein Riegel geschoben werden [65].
An einer als Landsgemeinde in Sempach organisierten Delegiertenversammlung verabschiedete die CVP eine Resolution mit zahlreichen Massnahmen zur Entlastung des Mittelstandes. Der Erlass der Krankenkassenprämien für Kinder, die Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus oder die Senkung der Steuern werden gefordert. Ein Abbau der Bürokratie bei den KMU, Betreuungsgutscheine oder Steuergutschriften für Kinder sollen ebenfalls helfen, jene Gesellschaftsschichten zu entlasten, die ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Hilfe meistern würden, sich aber nur knapp über Wasser halten könnten. Eine Erhöhung der AHV oder eine Verschiebung bei der Altersvorsorge von der ersten zur zweiten Säule lehnten die Christdemokraten hingegen ab [66].
Die CVP beteiligte sich im Berichtjahr aktiv an der Diskussion zur Rentenreform und präsentierte Anfang Oktober vier zentrale Vorschläge: ein technisch – also z.B. mittels Bevölkerungsstatistik auszurechnender – statt gesetzlich-politisch festzulegender Umwandlungssatz, der frühere Beginn für die Ansparung von Alterskapital, das primär der Altersvorsorge zu dienen hat und nicht mehr so einfach für Immobilien oder Unternehmensgründungen gebraucht werden kann, und eine erhöhte Transparenz der Pensionskassen bei den Vermögensverwaltungskosten. Skeptisch zeigte sich die CVP gegenüber einer Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre. Gefordert wurde eine Gesamtvorlage, die spätestens 2019 an die Urne gelangen müsse [67].
Im Zuge der Lex USA klärte die CVP in einem Positionspapier ihre Haltung zu Bankgeheimnis, Finanzplatz und Weissgeldstrategie. Die Christdemokraten sprachen sich gegen den automatischen Informationsaustausch mit einzelnen Staaten oder der EU aus. Es sei eine globale Lösung im Rahmen der OECD abzuwarten. Das Bankgeheimnis im Inland sei zu bewahren. Allerdings lehnte die CVP die zu diesem Zweck von SVP-nahen Kreisen lancierte Volksinitiative „Ja zum Schutz der Privatsphäre“ ab, weil diese den falschen Weg gehe. Bereits Mitte März hatte sich das Präsidium gegen die von ihrem Zuger Nationalrat Gerhard Pfister mitgetragene Initiative gestellt. Begrüsst wurde die Verschärfung des Vorgehens gegen Steuerhinterziehung durch arglistige Täuschung. Einer Weissgeldstrategie erteilte die Partei eine Absage, wenn diese den Schweizer Finanzplatz gegenüber konkurrierenden Finanzplätzen benachteilige [68].
Einen Solidaritätspakt zwischen Wirtschaft und Gesellschaft forderte die CVP in einem Positionspapier zur Wirtschaftspolitik. Die Partei wünscht sich weniger Egoismus und mehr Solidarität. Statt Gewinnorientierung müssten wieder echte Patrons das Steuer in der Wirtschaft übernehmen. Reiche Mitbürgerinnen und Mitbürger sollten mehr Gemeinsinn und Wohltätigkeit zeigen. Damit die Schweiz ein Erfolgsmodell bleibe, sei mehr Eigenverantwortung und Selbstverantwortung erforderlich [69].
Ende August sorgte ein kantonaler Vorstoss der Aargauer CVP für Wirbel. Die CVP-Fraktion im Grossen Rat forderte ein Kopftuchverbot an Volksschulen. Kleidungsstücke, die den pädagogischen Lernzielen der Volksschule widersprächen, sollten generell verboten werden. In der Sonntagspresse wurde kolportiert, dass das Anliegen von der nationalen Parteileitung mit Mustervorstössen gefördert werde. Hintergrund des Aargauer Vorstosses war ein Bundesgerichtsurteil, welches ein an einer Thurgauer Schule ausgesprochenes Verbot des Tragens eines Kopftuches wegen Fehlens einer gesetzlichen Grundlage für ungültig erklärt hatte. Mit dem von der CVP Aargau vorgeschlagenen Verbot sollen die offenen und progressiven Muslime unterstützt und Mädchen vor rigiden Kleidervorschriften geschützt werden. In anderen Kantonen wurde ein Verbot zwar diskutiert, ausser im Kanton Aargau wurde aber von keiner anderen CVP-Sektion ein Vorstoss unternommen. Verbote seien für das Ziel der Integration kontraproduktiv – so die Mehrheitsmeinungen in den meisten Kantonen [70].
Die Zusammenarbeit zwischen CVP und BDP war auch im Berichtjahr Diskussionsgegenstand. Von einer Fusion war zwar 2013 explizit nicht mehr die Rede, anhand institutionalisierter Treffen der Bundeshausfraktionen und gemeinsam geführter Abstimmungskampagnen sollte aber eine schrittweise Annäherung vorgenommen werden. So wurden in der Presse etwa der gemeinsame Auftritt in der Abstimmungskampagne für den Preisaufschlag der Autobahnvignette oder ein gemeinsam verfasstes Diskussionspapier zu Migration und Personenfreizügigkeit als Zeichen einer weiteren Annäherung der beiden Parteien gewertet. Die Zusammenarbeit sollte aber nicht nur inhaltlich, sondern auch praktisch intensiviert werden. BDP-Präsident Landolt (GL) kündigte an, dass eine gemeinsame Wahlkampagne, die komplementär zu den je eigenständigen Kampagnen geführt werden solle, sowie möglichst flächendeckende Listenverbindungen geplant seien [71].
Mit einer „CVP-Landsgemeinde“ statt einer Delegiertenversammlung versuchte die CVP Ende August in Sempach (LU) ein Experiment, mit dem mehr Volksnähe demonstriert werden sollte. Die Meinungen darüber, ob das Experiment gelungen war, gingen auseinander. Während Parteipräsident Darbellay die Landsgemeinde wiederholen möchte, wurde in der Presse gefrotzelt, dass auch das Rahmenprogramm – Schwyzerörgeli, Wurst und Kartoffelsalat sowie ein Jassturnier – zeitweise Züge eines SVP-Volksfestes angenommen habe. Das Mittelstandspapier (siehe oben) wurde zwar präsentiert aber trotz, insbesondere wegen der Art der Vorberatung des Papiers, kritischer Stimmen aus den Kantonen nicht debattiert. Die Parteispitze habe ein störungsfreies Fest gewollt und deshalb undemokratische SVP-ähnliche Methoden benutzt, liess sich ein Anwesender deshalb zitieren [72].
 
[52] AZ und NZZ, 5.3.13 (Positionen); NZZ, 6.3.13; vgl. Teil 1, 1e (Wahlen in kantonale Parlamente).
[53] BaZ, 9.10.13; vgl. Teil 1, 1e (Wahlen in kantonale Regierungen).
[54] NZZ, 22.11.13 (vgl. Teil I, 1c).
[55] NZZ, 15.5.13; BaZ, 27.8.13; AZ, 14.9.13; NZZ, 1.10.13; Blick, 7.10.13; TA, 16.11.13; AZ und NZZ, 12.12.13; NZZ, 13.12.13.
[56] NZZ, 12.1.13; So-Bli, 13.1.13; AZ, 15.1.13; SGT, 25.1.13; NZZS und So-Bli, 6.10.13; AZ und NZZ, 7.10.13; BaZ und Lib, 13.12.13; NZZ, 19.12.13; vgl. SPJ 2012, S. 407 f.
[57] NZZ, 19.6.13; TA, 20.6.13; NZZ, 15.8., 11.9. und 12.12.13; vgl. SPJ 2012, S. 407 f.
[58] NZZS, 18.8.13; NZZ, 19.8.13; AZ, 20.8.13.
[59] NZZ, 26.3.13; Blick, 31.3.13; TA, 5.4.13; NZZ, 19.4.13; Blick, 19.7. und 14.10.13; NZZ, 16.10., 28.10. und 14.11.13.
[60] NZZ, 21.1.13; NZZS, 21.4.13; NZZ, 22.4. und 24.8.13; Blick und NZZ, 28.10.13; www.cvp.ch.
[61] Blick, 25.2.13; NZZ, 4.3.13; Blick, 17.4.13; NZZ, 24.10.13; Sonntagspresse vom 27.10.13; Presse vom 28.10.13; BaZ, 13.11.13; NZZ, 14.11.13; NZZS und SoZ, 17.11.13; NZZ, 18.11.13; vgl. SPJ 2012, S. 408; BBl, 2013, S. 243 (Familien stärken); BBl, 2013, S. 245 (Heiratsstrafe).
[62] Blick, 10.1.13; NZZ, 11.1., 23.2. und 22.4.13; AZ und NZZ, 23.4.13; BaZ und SGT, 24.4.13.
[63] TA, 12.1.13; NZZ, 16.1.13; AZ, 19.1.13; NZZS und SO, 20.1.13; Presse vom 21.1.13; NZZ, 6.2.13; vgl. SPJ 2012, S. 409 f.
[64] LM und NZZ, 24.4.13; Blick, 7.5.13 (Rechtsdrall); BaZ und NZZ, 8.5. und 14.6.13; vgl. SPJ 2012, S. 409.
[65] Presse vom 21.8.13.
[66] SO, 25.8.13; BaZ und NZZ, 26.8.13.
[67] NZZ, 5.10.13.
[68] So-Bli, 10.2.13; NZZ, 22.3., 23.3. und 7.6.13.
[69] NZZ, 29.8.13.
[70] SZ, 11.8.13; NZZ, 20.8.13; AZ, 21.8.13; BaZ, 19.9.13.
[71] NZZ, 15.6., 13.7. und 11.9.13; LT, 14.9.13; SO, 29.9.13; WW, 24.10.13.
[72] BaZ, 24.8.13 (SVP-Methoden); BaZ und NZZ, 26.8.13; AZ, 26.8.13 (Rahmenprogramm).