Année politique Suisse 2013 : Eléments du système politique / Droits, ordre public et juridique / Strafrecht
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Strafprozessordnung
Um die Ermittlung im Strafverfahren auch bei technologischem Fortschritt in den Kommunikationstechnologien sicherzustellen, beauftragte der Bundesrat das EJPD mit der Totalrevision des Bundesgesetzes über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf). Das Gesetz regelt die Überwachung von Personen, gegen die ein dringender Verdacht auf Begehung einer schweren Straftat besteht. In diesen Fällen sollte neu unter strengen Voraussetzungen der Einsatz von sogenannten Staatstrojanern erlaubt sein. Laut Botschaft gehe es jedoch ausschliesslich um die Überwachung verschlüsselter Internetkommunikation und nicht um das Ausspionieren privater Räume via Webkameras und Mikrofone. Ausserhalb des Strafverfahrens soll nur dann eine Überwachung durchgeführt werden, wenn eine vermisste Person gesucht oder nach einer geflohenen Person gefahndet werden soll. Die Rechtskommission des Ständerates hat im Berichtjahr mit der Diskussion der Vorlage begonnen [44].
Die Erfahrungen der Strafverfolgungsbehörden nach der Kundgebung „Tanz dich frei“ in Bern warf die Frage auf, ob es spezifische Vorschriften für die zivilrechtliche Verantwortung von Social-Media-Plattformen braucht. Am 25. Mai kam es im Kontext der illegalen Demonstration in Bern zu Ausschreitungen und zu beachtlichem Sachschaden. Da die Kundgebung via Facebook organisiert worden war, war es der Polizeibehörde nicht möglich, den gewaltbereiten Kern der 13 000 Teilnehmer zu identifizieren. Eine Anfrage bei Facebook betreffend die Identität von Kontoinhabern blieb unbeantwortet. Im Anschluss an die Kooperationsverweigerung der Social-Media-Plattform beauftragte der Bundesrat das EJPD, die Notwendigkeit eingehender Regelungen abzuklären [45].
Die beiden überwiesenen, inhaltlich identischen und auf das Grounding der Swissair zurückgehenden Motionen Jositsch (sp, ZH) und Janiak (sp, BL) verlangten eine Verlängerung der Verjährungsfristen bei Wirtschaftsdelikten. Weil in den Vorstössen „Wirtschaftsdelikte“ nicht genauer definiert wurde, schlug der Bundesrat eine allgemeine Verlängerung der Verjährungsfristen von sieben auf zehn Jahre bei schwersten Vergehen, für die im Gesetz die Höchststrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe verhängt werden kann, vor. Dadurch sollte die Strafbehörde mehr Zeit bei der Strafverfolgung erhalten. Im Ständerat wurden die vorgeschlagenen Änderungen im StGB und im Militärstrafgesetz ohne Gegenstimme angenommen. Im Sommer stimmte auch der Nationalrat mit 102 zu 78 Stimmen der Verlängerung der Verfolgungsverjährung zu, wobei die Vorlage von der SVP und der FDP, die keinen Handlungsbedarf sahen, bekämpft wurde [46].
Ebenfalls die Verjährung zum Gegenstand hatte eine Revision des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) und des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG). Nachdem 2001 die Verjährungsordnung im Strafrecht neu geregelt worden war, mussten nun auch die Bestimmungen im Nebenstrafrecht angepasst werden. Der Ständerat hatte in der Sommersession nur einige formale Änderungen vorgenommen und das Geschäft einstimmig an den Nationalrat überwiesen  [47] .
Opfer häuslicher Gewalt sollen künftig besser geschützt werden. Beide Kammern beauftragten den Bundesrat mittels Überweisung einer Motion Keller-Sutter (fdp, SG) mit einer Anpassung des Strafgesetzbuches, wonach vor der definitiven Einstellung eines Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft das Opfer nochmals anzuhören ist [48].
Eine weitere Möglichkeit, den Opferschutz zu verbessern, besteht darin, dass Opfer oder Angehörige auf Gesuch hin über die Flucht, die Freilassung oder den Hafturlaub von Straftätern informiert werden. Dies war durch eine parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL) gefordert worden. Der Bundesrat hatte 2012 einen Entwurf in die Vernehmlassung gegeben. Einen besseren Opferschutz im weitesten Sinn hatte auch eine von beiden Kammern überwiesene Motion der FDP-Liberalen-Fraktion zum Ziel. Der 2012 eingereichte Vorstoss beabsichtigte die Strafprozessordnung dahingehend zu ändern, dass eine beschuldigte Person auch ohne effektiven Rückfall in Untersuchungs- oder Sicherheitshaft gehalten werden kann. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Anliegens, welches er im Rahmen einer umfassenden Revision der Strafprozessordnung behandeln will [49].
Um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, überwies der Nationalrat zudem zwei ähnlich gelagerte Motionen an den Ständerat. Zum einen handelte es sich um eine Motion Amherd (cvp, VS), die dasselbe forderte wie die Motion der FDP-Fraktion. Zum anderen wollte eine Motion Tschümperlin (sp, SZ), dass den Opfern von Straftaten eine Beschwerdemöglichkeit gegen Haftrichterentscheide eingeräumt wird, wenn Wiederholungs- und Ausführungsgefahr Gründe für die Untersuchungshaft sind. Der Bundesrat sah keine Notwendigkeit für die beiden Anliegen, weil zum einen laut Rechtsprechung des Bundesgerichts eine Untersuchungshaft auch ohne Vorliegen früherer Straftaten möglich sei und zum anderen die genannte Motion der FDP das Problem bereits abdecke [50].
Einen expliziten Schutz für Kinder als Opfer von Gewalttaten forderte ein überwiesenes Postulat Fehr (sp, ZH). Der Bundesrat soll in einem Bericht darlegen, mit welchen Anpassungen des Bundesgesetzes über Opferhilfe und der Strafprozessordnung den spezifischen Bedürfnissen der Minderjährigen Rechnung getragen werden kann [51].
Der Nationalrat will, dass der kollektive Rechtsschutz ausgebaut wird. In diesem Sinne überwies er eine Motion Birrer-Heimo (sp, LU) diskussionslos an den Ständerat. Der Vorstoss forderte den Ausbau der bestehenden sowie die Schaffung neuer Instrumente, mit welchen eine grosse Anzahl gleichartig Geschädigter ihre Ansprüche gemeinsam vor Gericht geltend machen können. Dabei sieht die Motionärin aufgrund des Opt-In-Konzepts insbesondere in der Gruppenklage ein effizientes Mittel, das es neu einzuführen gelte. Die Gruppenklage sollte jedoch „ent-amerikanisiert“ werden, d.h. die Kläger müssten explizit erklären, dass sie an der Sammelklage teilnehmen wollten, und der Schadenersatz würde sich auf den effektiv entstandenen Schaden begrenzen. Der Bundesrat beantragte zwar die Annahme der Motion, war jedoch gegen die Schaffung eines eigenständigen Sammelklagengesetzes. Er präferierte punktuelle Änderungen in den bestehenden Gesetzen [52].
Keinen Erfolg hatte eine auf eine Erhöhung des Rechtsschutzes abzielende parlamentarische Initiative Jositsch (sp, ZH). Der Vorstoss forderte, dass die Erfordernis der Arglist beim Betrugstand, welche dem Opfer eine Eigenverantwortung auferlegt, eingeschränkt wird. Damit sollten schwächere Personen besser vor Betrügern geschützt werden. Der Nationalrat sah jedoch mit Ausnahme der SP keinen Handlungsbedarf und gab der Initiative keine Folge [53].
Um das 2011 geschaffene Zwangsmassnahmengericht zu entlasten, forderte eine parlamentarische Initiative Poggia (mcr, GE), dass der von der Staatsanwaltschaft erlassene Strafbefehl für eine unbedingte Freiheitsstrafe der Anordnung einer einmonatigen Untersuchungshaft gleichkomme. Nach der geltenden Regelung steht es der Staatsanwaltschaft nicht zu, selbst eine Untersuchungshaft anzuordnen. Der Nationalrat wollte die Untersuchungshaft aber auch weiterhin von dem Strafbefehl getrennt wissen und lehnte daher das Begehren mit 126 zu 58 Stimmen ab [54].
Das abgekürzte Verfahren, bei dem sich die Staatsanwaltschaft und der Beschuldigte auf einen Urteilsvorschlag einigen können, bleibt bestehen. Der Nationalrat sprach sich mit der Ablehnung einer parlamentarischen Initiative Jositsch (sp, ZH) gegen die Abschaffung des 2011 eingeführten Verfahrens aus. Zwar sei es möglich, dass das Verfahren mehr zur Anwendung komme, als der Gesetzgeber beabsichtigt hatte. Dennoch würden die Vorteile die Nachteile überwiegen [55].
Die Bestimmungen betreffend die ausländerrechtliche Administrativhaft im Ausländergesetz werden nicht vereinfacht. Die Mehrheit im Nationalrat sah keinen Harmonisierungsbedarf und gab einer entsprechenden Initiative Amarelle (sp, VD) keine Folge. Der Vorstoss forderte, dass in Anlehnung an die EU-Rückführungslinien nur noch bei bestehender Fluchtgefahr oder wenn die betreffende Person das Abschiebungsverfahren behindert eine kurzfristige Festhaltung angeordnet wird [56].
 
[44] BRG 13.025: NZZ, 28.2.13.
[45] NZZ, 27.5., 3.9. und 10.10.13; TA, 27.12.13.
[46] BRG 12.082; Mo. 08.3806 (Jositsch); Mo. 08.3930 (Janiak): AB SR, 2013, S. 185 ff. und 648; AB NR, 2013, S. 898 ff. und 1211.
[47] BRG 12.036: AB SR, 2013, S. 631 f.
[48] Mo. 12.4025: AB SR, 2013, S. 188 f.; AB NR, 2013, S. 1568 ff.
[49] Mo. 12.4077: AB NR, 2013, S. 508; AB SR, 2013, S. 704 f.; NZZ, 15.1.13.
[50] Mo. 11.3911 (Amherd): AB NR, 2013, S. 1577 ff.; Mo. 11.3945 (Tschümperlin): AB NR, 2013, S. 1578.
[51] Po. 13.3881: AB NR, 2013, S. 2208.
[52] Mo. 13.3931: AB NR, 2013, S. 2204; LZ, 30.9. und 3.12.13.
[53] Pa.Iv. 12.438: AB NR, 2013, S. 1372 ff.
[54] Pa.Iv. 12.465: AB SR, 2013, S. 1978 ff.
[55] Pa.Iv. 12.496: AB NR, 2013, S. 2197 ff.
[56] Pa.Iv. 12.475: AB NR, 2013, S. 2163 ff.