Zu einem grossen Schlagabtausch regionaler Interessen kam es im Ständerat bei der Frage des Standorts der beiden neuen Gerichte. Die Kommissionsmehrheit unterstützte den Vorschlag des Bundesrates (Aarau und Freiburg); eine aus Marty (fdp, TI), Dettling (fdp, SZ), Schweiger (fdp, ZG) und Slongo (cvp, NW) gebildete Minderheit war für Bellinzona und St. Gallen. (Zu dieser Minderheit gehörten bezüglich Bellinzona auch noch Stadler (cvp, UR) und bezüglich St. Gallen Bürgi (svp, TG)). Die Befürworter dieser Standorte versuchten einerseits darzulegen, dass bezüglich der vom Bundesrat angeführten sachlichen Kriterien für die Standortwahl (vor allem Distanz zu den Bevölkerungszentren und Personalrekrutierung) auch Bellinzona und St. Gallen geeignet seien. Viel stärker berücksichtigt werden müsse aber das staatspolitische Element einer Dezentralisierung der eidgenössischen Institutionen, und dieses spreche eindeutig für Gerichtssitze in der italienischsprachigen Schweiz und der Ostschweiz. Mit jeweils 26:15 Stimmen beschloss der Ständerat, das Bundesstrafgericht in Bellinzona und das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen anzusiedeln. Im Nationalrat empfahl die Kommission ebenfalls, allerdings mit nur knapper Mehrheit, die Standorte Aarau und Freiburg. Nachdem sich nahezu alle Abgeordnete aus den betroffenen vier Kantonen für ihre Region eingesetzt hatten, beschloss der Rat mit 123:61 Stimmen, Bellinzona den Vorzug vor Aarau zu geben. Knapper war der Entscheid beim wesentlich personalreicheren Bundesverwaltungsgericht. Nachdem Freiburg und St. Gallen je 92 Stimmen auf sich vereinigt hatten, gab die Ratspräsidentin Maury-Pasquier (sp, GE) den Ausschlag für Freiburg. Da aber der Ständerat auf seinem Entscheid für St. Gallen beharrte, gab die grosse Kammer mit 95:84 Stimmen nach. Der Ständerat verabschiedete anschliessend eine Empfehlung Lombardi (cvp, TI) (02.3377), welche den Bundesrat auffordert, die Bundesverwaltung zu dezentralisieren und dabei vor allem Freiburg und Aarau zu berücksichtigen.
BRG Totalrevision der Bundesrechtspflege (01.023)- Schlagworte
- Datum
- 19. September 2002
- Prozesstyp
- Bundesratsgeschäft
- Geschäftsnr.
- 01.023
- Akteure
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- Aargau
- Freiburg
- St. Gallen
- Tessin
- Marty, Dick (fdp/plr, TI) SR/CE
- Dettling, Toni (fdp/plr, SZ) SR/CN
- Schweiger, Rolf (fdp/plr, ZG) SR/CE
- Slongo, Marianne (cvp/pdc, NW) SR/CE
- Stadler, Hansruedi (cvp/pdc, UR) SR/CE
- Bürgi, Hermann (svp/udc, TG) SR/CE
- Maury Pasquier, Liliane (sp/ps, GE) NR/CN
- Lombardi, Filippo (cvp/pdc, TI) SR/CE
- Quellen
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anzeigen
- AB SR, 2002, S. 209 ff., 483 ff. und 552; AB NR, 2002, S. 888 ff., 1089 ff. und 1138; BBl, 2002, S. 4456 f.; Presse vom 14.6.02. Vgl. auch AB NR, 2002, V, Beilagen, S. 60 ff. und 76 f. (zur Bauplanung in St. Gallen und Bellinzona) sowie NZZ, 6.6.02; AB SR, 2002, S. 677 ff.
von Hans Hirter
Aktualisiert am 04.04.2017
Aktualisiert am 04.04.2017