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  • Semadeni, Silva (sp/ps, GR) NR/CN

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Wie in vielen anderen Kantonen, kandidierten auch im Kanton Graubünden deutlich mehr Personen bei den Nationalratswahlen 2019 als noch vier Jahre zuvor. 100 Kandidierende auf 20 Listen bewarben sich dieses Jahr auf einen der fünf zu vergebenden Bündner Sitze. Der Frauenanteil unter den Kandidierenden betrug 35 Prozent.

Bei den Wahlen 2015 hatte die SVP auf Kosten der GLP einen zweiten Sitz gewonnen. EMS-Chefin Magdalena Martullo-Blocher schaffte damals neben dem kantonalen SVP-Parteipräsident Heinz Brand den Einzug in den Nationalrat. Die SP, die CVP und die BDP hatten je einen Sitz einnehmen können. Im Vorfeld der Wahlen 2019 war die spannendste Frage, ob die SVP ihre beiden Sitze verteidigen könne. Um dies zu schaffen, trat die Partei mit 5 Listen – darunter eine Liste Blocher und eine Liste Brand – jedoch ohne Listenverbindung mit anderen Parteien an. Die im Kanton Zürich wohnhafte Martullo-Blocher kandidierte somit erneut in Graubünden. Im Vorfeld war darüber spekuliert worden, ob sie womöglich in Zürich antreten würde. Dort hätte sie einen Sitz praktisch auf sicher gehabt, während sie im Kanton Graubünden um die Wiederwahl bangen musste. Die SVP schaffte ausserdem eine interne Sonderregelung ab, die besagt hatte, dass in allen Fällen die kandidierende Person mit den meisten Kandidatenstimmen gewählt sei, unabhängig von der Verteilung der Listenstimmen. Neu galt auch bei der SVP, dass die Person mit den meisten Kandidatenstimmen auf der Liste mit den meisten Listenstimmen gewählt wird. Wie schon vor vier Jahren, schlossen sich die FDP, CVP und BDP in einer Listenverbindung der Mitte-Parteien zusammen. Die FDP zielte nach ihrer historischen Schlappe vor acht Jahren auf die Rückeroberung eines Bündner Nationalratssitzes, den sie zwischen 1919 und 2011 ununterbrochen gehalten hatte. Dafür präsentierte die FDP eine Hauptliste ohne expliziten Spitzenkandidaten und bekam Unterstützung von der Jungparteienliste und zwei «Supporterlisten» mit bekannten Vertretern aus den Gemeinden und dem Gewerbe. Eine ganz andere Ausgangslage zeigte sich derweil bei der BDP: Nachdem sie schon 2015 rund sechs Prozentpunkte Wähleranteil verloren hatte, ruhten die Hoffnungen dieses Jahr fast ausschliesslich auf ihrem Spitzenkandidaten und bisherigen Nationalrat Duri Campell. Wie die BDP hatte auch die dritte Mitte-Partei im Bunde, die CVP, in Martin Candinas einen klaren Spitzenkandidaten. Die Christdemokraten sorgten im Wahlkampf mit ihrer Online-Kampagne für einen Aufreger. Auf einer Website wurden Politiker anderer Parteien für ihre Positionen und ihren Leistungsausweis kritisiert, darunter auch namhafte Politiker aus Parteien mit denen die CVP eine Listenverbindung eingegangen war, was der CVP einiges an Kritik einbrachte. Die GLP war erneut nicht in der Listenverbindung der Mitte-Parteien vertreten. Stattdessen entschied sie sich mit der SP und den Bündner Grünen (Verda), die nach ihrer Absenz bei den letzten eidgenössischen Wahlen wieder mit einer eigenen Liste antraten, zusammenzuspannen. Die GLP erhoffte sich dadurch, zum zweiten Mal nach 2011 einen Nationalrat stellen zu können. Der damals gewählte Josias Gasser trat dabei selber zur Wiederwahl an. Neu konnte auch die GLP auf die Unterstützung einer Jungparteienliste zählen. Die SP war die einzige Partei, welche einen Rücktritt zu verkraften hatte: die bisherige Nationalrätin Silva Semadeni zog sich nach drei Legislaturen im Nationalrat aus der nationalen Politik zurück. Dass der Bündner SP-Sitz trotzdem nie gefährdet schien, hing einerseits mit den guten Resultaten bei den kantonalen Wahlen im vergangenen Jahr zusammen. Andererseits hatte die SP auf ihrer mehrheitlich weiblichen Hauptliste mit Jon Pult, der auch für den Ständerat kandidierte, ein Zugpferd, so dass die Partei schon leise von einem zusätzlichen Sitz zu träumen anfing.

Der Wahlsonntag entwickelte sich zu einem Triumph für die Sozialdemokraten. Zwar büsste die SP leicht Wähleranteile ein (-0.5 Prozentpunkte; neu: 17.1%), doch vor allem dank dem guten Resultat der Verda, die aus dem Stand heraus 5.5 Prozent erzielte, eroberte die SP einen zweiten Sitz. Jon Pult und Sandra Locher Benguerel schafften so den Einzug in die grosse Kammer. Ebenfalls triumphieren konnten die Freisinnigen. Mit Anna Giacometti schaffte eine Vertreterin der FDP den erstrebten Wiedereinzug in den Nationalrat. Auf der überaus ausgeglichenen FDP-Hauptliste setzte sich Giacometti gut 100 Stimmen vor Andreas Züllig an die Spitze. Die CVP verteidigte ihren Sitz souverän. Martin Candinas wurde wiedergewählt und schrammte dank zahlreichen Panaschierstimmen nur knapp am besten Wahlresultat aller Kandidaten vorbei. Als einzige noch mehr Kandidatenstimmen bekam Magdalena Martullo-Blocher, die sogar ein noch besseres Resultat erzielte als vor vier Jahren. Für sie persönlich war es ein grosser Erfolg, nachdem im Vorfeld häufig ihre Abwahl prophezeit wurde. Ihre Partei, die SVP konnte ihren Wähleranteil zudem gar leicht ausbauen und ist mit 29.9 Prozent der Wählerstimmen weiterhin klar die stärkste Partei im Kanton. Trotzdem ging die SVP insgesamt eher mit negativen Gefühlen aus diesen Wahlen hervor, verlor sie doch ihren zweiten Sitz. Der Alleingang bei den Listenverbindungen trug entscheidend dazu bei, dass die SVP es nicht schaffte, den Sitz in den eigenen Reihen zu halten. Heinz Brand, der im Falle einer Wiederwahl Nationalratspräsident 2021 geworden wäre, verlor sein Nationalratsmandat und kündigte daraufhin seinen baldigen Rückzug aus der Politik an. Ein eigentliches Desaster erlebte die BDP. Sie verlor 5.4 Prozentpunkte und wies neu nur noch einen Wähleranteil von 9.1 Prozent auf. Zudem verlor sie den Sitz von Duri Campell und war somit nicht mehr in Bern vertreten. Dies war auch ein herber Schlag für die BDP Schweiz, da die Kantonalsektion Graubünden aufgrund der BDP-Gründungsgeschichte als wichtiges Standbein galt. Auch für die GLP war der Wahlsonntag eher enttäuschend. Sie schaffte es ganz knapp nicht von der guten Ausgangslage der «Klimawahl» zu profitieren und verpasste den angestrebten Sitzgewinn. Nur knapp über 60 Stimmen fehlten am Schluss um, anstelle der SP, den zweiten Sitz der «Klima-Allianz» einzufahren. Da half es auch nicht dass GLP-Spitzenkandidat Josias Gasser von allen Kandidaten am drittmeisten Panaschierstimmen erhalten hatte. Somit waren drei der fünf Gewählten das erste Mal Teil der Bundesversammlung. Der Frauenanteil steigerte sich auf 60 Prozent. Die Zusammensetzung der Bündner Nationalräte lautete neu: 2 SP, 1 FDP, 1 CVP, 1 SVP. Die Stimmbeteiligung fiel gegenüber 2015 um 3.1 Prozentpunkte auf 42.9 Prozent.

Nationalratswahlen 2019 – Graubünden
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2019 - Überblick

Im Frühjahr 2019 veröffentlichte das Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) die Ergebnisse einer 2018 vom BAK in Auftrag gegebenen Studie zur Wirkung der Bundesfinanzhilfen an den Kanton Graubünden hinsichtlich der Erhaltung und Förderung der rätoromanischen und italienischen Sprache und Kultur im Kanton. Der Evaluationsbericht sollte zum einen als Entscheidungsgrundlage für die Förderperiode 2021–2024 und zum anderen zur Beantwortung des Postulats Semadeni (sp, GR; Po. 15.4117) beigezogen werden. Im Bericht wurde die aktuelle Situation des Rätoromanischen und des Italienischen sowohl für das angestammte als auch das erweiterte Sprachgebiet aufgezeigt und Hand zu Verbesserungsmöglichkeiten für das Förderinstrumentarium geboten. Für die Studie waren zunächst 54 Angehörige der rätoromanischen und italienischen Zivilgesellschaft sowohl im Kanton Graubünden als auch in der restlichen Schweiz mittels eines Fragebogens zur Nützlichkeit und Angemessenheit der ergriffenen Massnahmen befragt worden. Im Anschluss waren elf Interviews mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft, der Politik und den involvierten Institutionen durchgeführt worden.
Die Untersuchungsergebnisse liessen auf deutliche Unterschiede zwischen den beiden Sprachminderheiten schliessen: Während das Italienische im angestammten Sprachgebiet als Amts-, Arbeits- und Alltagssprache weiterhin unangefochten sei, stelle das Verhältnis der Italienischsprechenden zu den behördlichen Instanzen und den staatsnahen Betrieben eine grosse Herausforderung dar. Dadurch werde die Gleichwertigkeit des Italienischen als Amtssprache innerhalb des kantonalen Staatswesens bisweilen erheblich beeinträchtigt. Das Rätoromanische hingegen werde bereits mittelfristig mit der Gefahr einer Zurück- bzw. Verdrängung konfrontiert sein, da es schon heute teilweise in seinen traditionellen Verbreitungsgebieten als Amts-, Arbeits- und Alltagssprache vom Deutschen abgelöst werde.
Eine wesentliche Schwäche deckte die Studie in der Umsetzung des im Grundsatz minderheitenfreundlichen kantonalen Sprachengesetzes auf. Die Hauptverantwortlichkeit zur Erhaltung und Förderung der beiden Minderheitensprachen im Kanton Graubünden werde vom Kanton selbst nur zögerlich wahrgenommen. Damit zusammenhängend offenbarte sich ein weiterer Schwachpunkt im für die Sprachförderung relevanten Bereich des Sprachunterrichts: Von verschiedener Seite sei moniert worden, dass die Lehrmittel für die beiden Minderheitensprachen qualitativ den deutschsprachigen Lehrmitteln nachstünden und oft auch erst mit Verspätung erschienen. Fehlende finanzielle Mittel führten zudem zu einer Kürzung bzw. Streichung des Romanisch- und Italienischunterrichts an Mittelschulen, wodurch das Bildungsangebot auf verschiedenen Stufen unterbrochen oder zumindest ausgedünnt werde. In der Folge bestehe eine reale Gefahr, dass insbesondere die Romanischkenntnisse weiter sänken, weniger Lehrpersonal ausgebildet werde und die Sprache auszusterben drohe.
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, gaben die Studienverantwortlichen vier Hauptempfehlungen ab: Erstens erfordere es einen konzentrierten Einsatz finanzieller Mittel im Bildungssektor, besonders hinsichtlich der kritischen Situation des Rätoromanischen. Dadurch solle ein durchgängiges Angebot an Romanischunterricht von der Krippe bis zur Hochschule gewährleistet werden und auch das Modell der zweisprachigen Kindergärten und Primarschulen auf mehr deutschsprachige Gemeinden ausgeweitet werden. Zweitens müssten Massnahmen auch über die Kantonsgrenze hinaus ergriffen werden, indem die Förderung von Bildungsangeboten, insbesondere zweisprachiger Schulen (Rätoromanisch/Deutsch), nicht nur in den deutschsprachigen Gebieten innerhalb des Kantons, sondern auch in anderen Kantonen anvisiert werde. Drittens müsse man die Mehrsprachigkeit in der kantonalen Verwaltung stärken, insbesondere hinsichtlich des Italienischen. Die deutschsprachigen Mitarbeitenden sollten bessere Italienischkenntnisse erlangen und italienischsprachige Bewerbungen nicht wegen fehlender Deutschkenntnisse benachteiligt werden. Als letzte Empfehlung wurden sowohl der Kanton Graubünden als auch der Bund dazu angehalten, ihre Governance in diesem Bereich zu überdenken. Auch wenn sich die Leistungsvereinbarung als Sprachförderungsmittel bewährt habe, müsse man diese in ihrer Ausgestaltung konkretisieren, einzelne Massnahmen und Zuständigkeiten präzisieren sowie ein stärkeres Monitoring vorsehen, um die strategischen und operativen Verantwortungen nicht zu verwischen.

Massnahmen zur Erhaltung und Förderung der rätoromanischen und der italienischen Sprache und Kultur im Kanton Graubünden

Zwischen der Behandlung der Initiative im Parlament im September 2017 und der Volksabstimmung im März 2018 riss die Berichterstattung und die Debatte über die Initiative zur Abschaffung der Billag-Gebühren nicht mehr ab. Insbesondere nachdem Medienministerin Doris Leuthard im Oktober 2017 die neue Radio- und Fernsehabgabe von 365 Franken pro Jahr präsentiert hatte, gab es für die Medien kein Halten mehr. Diskutiert wurden in der Folge alle möglichen Aspekte der Vorlage. Relativ schnell beschrieben war der Inhalt der Initiative: Die Empfangsgebühr für Radio und Fernsehen soll abgeschafft werden und der Bund soll in Friedenszeiten keine Radio- und Fernsehstationen betreiben oder subventionieren dürfen. Stattdessen soll er entsprechende Konzessionen versteigern. Welche Auswirkungen eine solche Änderung hätte, wer sie befürwortete oder bekämpfte und wer wie davon betroffen wäre, sorgte in der Folge in Medien und Gesellschaft für viel Gesprächsstoff und wurde in über 7'000 Presseartikeln und 68'000 Tweets, Letztere gemäss (Fög) alleine zwischen anfangs Januar und Mitte Februar 2018, diskutiert.

Zu Beginn des Abstimmungskampfes besonders interessant war die Frage nach den Initianten und Befürwortern der Vorlage. Diese stellten gemäss Le Temps eine «alliance de circonstance» zwischen verschiedenen Akteuren vor allem aus der Deutschschweiz dar: neoliberale Rechte insbesondere aus der Zürcher SVP; junge Libertäre, die dadurch ihre Vision einer ultraliberalen Welt verbreiten wollten, sowie private Verleger, die sich Vorteile aus der Initiative erhofften. Die Hauptakteure der No-Billag-Komitees kamen folglich mit Olivier Kessler, Co-Initiator der Initiative und einstigem Präsidenten der Jungen SVP Schwyz, mit Thomas Juch, No-Billag-Co-Präsident und Vizepräsident der Jungfreisinnigen, mit Andreas Kleeb, Kommunikationsstratege und ehemaligem Parteipräsidenten der FDP Zug, und mit den Präsidenten der Unterstützerkomitees der Romandie, dem Jungfreisinnigen Nicolas Jutzet, und des Tessins, dem SVP-Gemeinderat von Lugano, Alain Bühler, aus dem Umfeld junger Libertärer. Deren Bewegung erlangte in der Folge durch Zeitungsinterviews und Auftritte in Diskussionsrunden einige mediale Aufmerksamkeit.
Anfangs sprach sich neben den Initianten kaum jemand für die Initiative aus; unterstützt wurde sie lediglich von der Zürcher SVP und vom Gewerbeverband, die beide relativ früh die Ja-Parole beschlossen hatten. Auch die Aktion Medienfreiheit, eine Gruppe privater Verleger präsidiert von Natalie Rickli (svp, ZH), sprach sich für die Vorlage aus, da ihr die Aktivitäten der SRG zu weit gingen. Lange fragten sich die Medien, was die SVP machen werde: Es seien bei ihr zwar schon immer Sympathien für die Initiative zu spüren gewesen, aber die Partei sei diesbezüglich gespalten. Eine Halbierung der Gebühr, wie es ihr Gegenvorschlag vorgesehen hatte, wäre von den meisten Exponentinnen und Exponenten bevorzugt worden, war zu lesen. Ebendiese Forderung anstelle der radikaleren Nullforderung hatte Nationalrätin Rickli den Initianten bereits vor Lancierung des Volksbegehrens nahegelegt. Die Medien erklärten die Zurückhaltung der SVP damit, dass es sich beim Thema der Initiative nicht um ein Kernanliegen der SVP handle und die im Januar 2018 lancierte Begrenzungsinitiative viele Ressourcen binde. Im Laufe der Kampagne sprachen sich jedoch immer mehr Mitglieder der SVP für die Initiative aus, unter ihnen auch alt-Bundesrat Christoph Blocher und Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR). Kurz vor der Abstimmung empfahl die SVP schliesslich mit 242 zu 17 Stimmen ein Ja zur Initiative. Zudem fassten die EDU und die Unabhängigkeitspartei up! die Ja-Parole.
Da zu Beginn der Kampagne noch unklar war, ob sich die SVP oder der Gewerbeverband finanziell beteiligen würden, setzten die Befürworter der Initiative auf Crowdfunding. Dieses sorgte für Aufmerksamkeit, nachdem der Betreiber der Crowdfunding-Seite erklärt hatte, die Sammelaktion für die Initiative zu stoppen und die bereits erhaltenen Gelder zurückzubezahlen. Die No-Billag-Initiative sei schlecht für die Kohäsion der Schweiz und als privates Unternehmen habe man das Recht, den Auftrag zu verweigern, erklärte die Geschäftsleitung. Olivier Kessler wertete dies als Sabotage und Affront gegen die Leute, die bereits insgesamt CHF 11‘500 für die Initiative gespendet hätten. Knapp 24 Stunden später startete das Crowdfunding auf einer privaten Seite erneut und erzielte nun – aufgrund von Solidaritätsbekundungen oder Gratiswerbung – mehr Spendengelder als zuvor: In den ersten 48 Stunden erhielten die Befürworter Spenden über CHF 22‘000, bis Ende Dezember 2017 nahmen sie insgesamt CHF 86‘000 mittels Crowdfunding ein.

Das Lager der Initiativgegner war relativ breit aufgestellt. Von den Parteien gaben die SP, die Grünen, die CVP, die BDP, die GLP, die EVP und die CSP die Nein-Parole heraus, genauso wie zum Beispiel Operation Libero, die Schweizerische Bischofskonferenz, die KdK und die Westschweizer Regierungskonferenz. Zögerlicher zeigten sich Economiesuisse und FDP. Die Freisinnigen fassten zwar mit 204 zu 82 Stimmen klar die Nein-Parole, machten aber an der Delegiertenversammlung ihrem Unmut gegenüber der SRG Luft. FDP-Präsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) fasste die Position der Partei entsprechend zusammen: «Es braucht Anpassungen, aber keine Revolution.» Auf deutliche Ablehnung stiess die Initiative hingegen bei der CVP, von den Medien häufig als «SRG-Partei» bezeichnet. Mit 50 zu 0 Stimmen beschloss der Parteivorstand die Nein-Parole entsprechend deutlich; die CVP übernahm zudem die Leitung der Kampagne. Trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Volksbegehren geizten zahlreiche Initiativgegner nicht mit Kritik an der SRG und betonten, dass sie für den Gegenvorschlag gestimmt hätten, wenn dieser zustande gekommen wäre.
In Übereinstimmung mit der breiten Gegnerschaft der Initiative entstanden zahlreiche verschiedene Contra-Komitees. Dazu gehörten ein überparteiliches Komitee «Nein zu No Billag», dem sich über 140 nationale Parlamentarierinnen und Parlamentarier anschlossen, der Verein «Nein zum Sendeschluss», dem verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure, darunter der Schriftsteller Pedro Lenz, der Direktor der Schweizer Journalistenschule und ehemalige SRF-Chefredaktor Diego Yanez sowie die Co-Präsidentin von Operation Libero Laura Zimmermann, angehörten. Operation Libero engagierte sich auch in einer eigenen Kampagne und erhoffte sich, mit Crowdfunding CHF 280‘000 zu erhalten, was dem Betrag entspricht, den die Bewegung bereits für ihre Kampagne gegen die Durchsetzungsinitiative auf dieselbe Weise erzielen konnte. Dieses Ziel erreichte Operation Libero im Dezember 2017 nach lediglich einer Woche Sammelaktion: Nachdem eine Vorumfrage der Sonntagszeitung einen deutlichen Vorsprung der Befürworter gezeigt hatte, schossen die Spenden durch die Decke. Zudem setzten sich das Komitee «NEIN zu No-Billag», bestehend aus engagierten Personen aus der Zivilgesellschaft, das Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) mit der Kampagne «Made in Switzerland», Kulturschaffende mit dem «Aufruf der Kulturschaffenden gegen No-Billag» und der «Verein für die Rettung meiner Lieblingssendung», der eigens für diese Kampagne ins Leben gerufen worden war, gegen die Initiative ein. Zudem entstanden verschiedene Regionalkomitees in der Romandie, dem Tessin und im Bündnerland.

Breit diskutiert wurden in den Medien auch die Argumente der Befürworter und Gegner der Initiative. Die Initianten argumentierten, durch die Abschaffung der sogenannten «Zwangsgebühren» könne die Bevormundung der Bürger durch den Staat zumindest im Medienbereich gestoppt werden. Die Bürger sollten die Freiheit haben, zu wählen, was sie sehen und bezahlen wollen, erklärte Nicolas Jutzet. Dies betreffe insbesondere die jüngere Generation, die kaum noch lineares Fernsehen nutze: Untersuchungen des Fög sowie von Mediapulse und Vimentis verdeutlichten, dass nur noch 14 Prozent der 18- bis 24-Jährigen Fernsehen als Hauptinformationsquelle nutzen, die Marktanteile insbesondere von SRF 1 in dieser Altersgruppe deutlich niedriger liegen als für ältere Gruppen und Junge unzufriedener sind mit der SRG als ältere Personen.
Überdies würden die Gebühren einen fairen Wettbewerb und damit die Entstehung eines «vielseitigen und qualitativ hochstehenden Fernsehmarktes in der Schweiz» verhindern, argumentierte Mitinitiant Sebastian Frehner (svp, BS). Eines der prominentesten Argumente der Befürworter bezog sich demnach auf die Rolle der SRG. Die Befürworter der Initiative erachteten die No-Billag-Initiative als Möglichkeit, die Übermachtstellung der SRG zu brechen und dadurch die privaten Medienunternehmen zu stärken. Die SRG ruiniere mit ihren Gebührenmilliarden und einer aggressiven Wettbewerbsstrategie die privaten Medienhäuser, da sie durch den Startvorteil der Gebührenfinanzierung die Privaten am Werbemarkt unter Preisdruck setze und einfacher in neue Geschäftsfelder vorstossen könne, wurde argumentiert. Mit dieser Meinung standen die Initiativbefürworter nicht alleine da. Bis weit ins gegnerische Lager pflichtete man den Initianten bei, dass die SRG die Presse und die privaten Sender konkurriere, obwohl sie dies rechtlich nicht dürfe. Eine finanzielle Unterstützung der SRG sei nötig, erklärten hingegen die übrigen Initiativgegner. Dass bei den Medien der freie Markt, den die Initianten forderten, nicht spiele, könne man am Beispiel der Zeitungen sehen, erklärte Martin Candinas (cvp, GR). Daher bedürfe es bei Produktion und Verteilung von politischen und kulturellen Inhalten eines staatlichen Eingriffs, war in Le Temps zu lesen. Ohne staatliche Unterstützung könnten die Kosten zur Bereitstellung dieser Informationen nicht gedeckt werden. Da es sich für die grossen Medienunternehmen nicht lohnen würde, sich an der Versteigerung der Konzessionen zu beteiligen, käme eine Ersteigerung einzig für Milliardäre in Frage, betonte Roger Nordmann (sp, VD) zudem. Folglich käme es bei Annahme der Initiative zu einer sogenannten «Berlusconisierung» der Medienlandschaft: Einzelne finanzstarke Personen oder Unternehmen würden zukünftig den Medienmarkt und damit die Meinungsbildung dominieren.
Welche direkten Folgen eine Annahme der Initiative für die SRG hätte, war sehr umstritten und entwickelte sich immer mehr zur Glaubensfrage. Während Medienministerin Leuthard sowie mehrere Exponenten der SRG betonten, dass eine Annahme der Initiative das Ende der SRG bedeuten würde, bezweifelten dies die Initianten. Leuthard erklärte, dass die Initiative so klar formuliert sei, dass der Bundesrat sie per Verordnung umsetzen würde – das entsprechende Gesetz könne wohl kaum rechtzeitig erarbeitet werden. Man würde daher die Gebühren innerhalb eines Jahres zurückfahren. Auch SRG-Präsident Jean-Michel Cina, SRG-Generaldirektor Gilles Marchand sowie SRF-Direktor Ruedi Matter betonten, dass es bei einer Annahme zu einem Lichterlöschen bei der SRG und zu einer sukzessiven Entlassung der 6'000 Mitarbeitenden kommen würde. Insbesondere da bei Annahme der Initiative ein Grossteil der Bürger sofort aufhören würde, Gebühren zu bezahlen, wodurch die SRG in kürzester Zeit Liquidationsprobleme bekäme. Danach gäbe es in der Schweiz nur noch hoch kommerzielles Fernsehen mit viel Werbung. Dieser Darstellung widersprachen die Initianten: Sendungen mit hohen Einschaltquoten liessen sich über den Werbemarkt weiterhin finanzieren, betonte zum Beispiel Andreas Kleeb. Die SRG würde durch die Initiative zu einem gewöhnlichen Medienunternehmen, das sich am Markt bewähren müsste, erklärte auch Christoph J. Walther, Fachjournalist für Medien. Die Weltwoche rechnete aus, dass die SRG CHF 310 Mio. einnehmen könnte, wenn nur ein Viertel aller heutigen SRG-Nutzerinnen und -Nutzer die SRG-Programme zukünftig abonnieren würde. Da man bezüglich Werbung freier wäre, könnte man den Zuschauerrückgang durch längere Werbefenster sowie Werbung in Internet und Radio kompensieren. Auch der emeritierte Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer hielt die Darstellung eines abrupten Endes der SRG für übertrieben. Er erklärte, die SRG würde vorläufig ihren Programmauftrag behalten und könnte weiter existieren, bis das Parlament das RTVG angepasst habe, weil dieses eine stärkere rechtliche Wirkung habe als die Ausführungsbestimmungen der Initiative. Um die Diskussionen zur Zukunft der SRG bei Annahme der Initiative auf eine solidere Basis zu stellen, hatte die KVF-NR bereits im April 2017 einen Bericht des BAKOM zu zwei Budgetvarianten der SRG gefordert, der im Juni 2017 erschien.
Nicht nur die SRG, auch die 21 respektive 13 regionalen Radio- und Fernsehstationen würde eine Annahme der Initiative vor grosse Probleme stellen, gaben Letztere zu bedenken. Diese erhalten ebenfalls CHF 68 Mio., zukünftig sogar CHF 81 Mio., aus dem Gebührentopf und sind zu etwa 50 Prozent gebührenfinanziert. Ohne diese Unterstützung könnten sie somit kaum überleben. Silvio Lebrument, Geschäftsführer der Somedia, erklärte, auch für den Radio- und Fernsehsender Südostschweiz würde eine Annahme der Initiative das Aus bedeuten. Folglich kritisierte auch der Verband der Schweizer Regionalfernseher Telesuisse die Initiative stark.
Eine Annahme der Initiative hätte schliesslich gemäss den Initiativgegnern auch negative Konsequenzen für die (Sprach-)Minderheiten. So erklärte Medienministerin Leuthard im Dezember, dass die Initiative diese deutlich stärker treffen würde als die Deutschschweiz. Heute fände eine Quersubventionierung der französisch- und italienischsprachigen Sender durch die Deutschschweizer Gebührenzahlenden statt: RSI zum Beispiel erhält 20.5 Prozent der Gebühreneinnahmen für 8.1 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner. Ohne diese Umverteilung könnten Radio- und Fernsehsender in anderen Sprachregionen kaum produziert werden, da die Märkte zu klein seien, erklärte Pascal Crittin, Direktor von RTS. Ausschliesslich werbefinanziert liesse sich hochwertiges Fernsehen nicht produzieren, bei einem Ja müsse RTS daher schliessen. Entsprechend kritisch zeigten sich die Medien und Akteure in der Romandie bezüglich der Initiative. Relativ lange war die Diskussion zur Initiative in den Westschweizer Medien deutlich weniger virulent als in der Deutschschweiz, die Initiative galt als chancenlos. Zudem sei das Westschweizer Fernsehen gemäss Peter Rothenbühler, langjährigem Chefredaktor von Le Matin, dank verschiedener hervorragender Informationssendungen in der Bevölkerung fest verankert. Aufgrund ausgewogener Informationsveranstaltungen und kontroverser Diskussionen sei auch der Vorwurf, die Sender seien politisiert, nie aufgekommen. Diese positive Einstellung zur SRG zeigte sich auch in der von Année Politique Suisse untersuchten Inseratekampagne: Im Vergleich zu früheren Vorlagen wurden in den französischsprachigen oder zweisprachigen Kantonen überdurchschnittlich viele Contra-Inserate publiziert, jedoch beinahe keine Pro-Inserate.
Speziell war die Lage für den Kanton Tessin, wo RSI mit 1100 Stellen, 500 Stellen bei Zulieferern und einer Wertschöpfung von CHF 213 Mio. gemäss einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Basel einer der grössten Arbeitgeber des Kantons ist. RSI-Direktor Maurizio Canetta betonte entsprechend die Gefahr der Vorlage für den Südkanton. Da das Tessin aktuell dreimal mehr Geld aus dem Gebührentopf erhalte, als es einzahle, würden bei Annahme der Initiative nur noch kommerzielle Gewinne zählen, die Regionalität ginge verloren. Mittelfristig müsse RSI schliessen, dann könnten nur noch italienische Sender empfangen werden. Trotz oder gerade wegen der starken Lage von RSI entwickelte sich im Tessin eine überaus starke Befürworterkampagne zur Initiative. Mit fast 60 Inseraten im untersuchten Zeitraum und den untersuchten Zeitungen – von denen jedoch mehr als die Hälfte in der Lega-nahen Zeitung «Il Mattino della Domenica» erschienen waren – legten sich die Befürworter mächtig ins Zeug, wie die Auswertung von Année Politique Suisse zeigte. Hauptsächlich kritisierten sie darin die Grösse der SRG und die staatliche Kontrolle des Fernsehens.
Ebenfalls besonders stark betroffen war der Kanton Graubünden als einziger dreisprachiger Kanton. Martin Candinas erklärte, die Vorlage sei ein Frontalangriff auf das rätoromanische Radio- und Fernsehangebot und ein Kahlschlag für den Medienplatz Schweiz. Der Kanton Graubünden würde bei einer Annahme der Initiative aus den Medien verschwinden, berichtet werden würde nur noch über Naturkatastrophen, ergänzte Nationalrätin Silva Semadeni (sp, GR). Die Initiative müsse klar abgelehnt werden, damit ein deutliches Signal für eine starke SRG gesendet werden könne, die in der Lage wäre, Minderheitensprachen, Berggebiete und periphere Regionen zu berücksichtigen. Im Laufe der Kampagne wurden die Initiativgegner immer deutlicher, Ständerat Stefan Engler (cvp, GR) etwa sprach vom Verlust eines Stückes Identität der Rätoromanen und von «einer Katastrophe für den Kanton Graubünden». Entsprechend aktiv zeigten sich die Bündner Initiativgegner auch in der Kampagnenphase – in keinem anderen Kanton zählte Année Politique Suisse mehr Contra-Inserate.
Das Argument der Sprachminderheiten war jedoch auch in der Deutschschweiz relevant. Hier sahen die Initiativgegner nicht nur die Schweizer Medienlandschaft, sondern mit ihr gar die nationale Kohäsion gefährdet. Diese beruhe nämlich gemäss NZZ unter anderem auf der Bereitschaft, die kleineren Sprachregionen mit Nachrichten und Unterhaltung zu bedienen und die kulturelle Vielfalt zu fördern. Durch die Initiative würde «einer der letzten Stützpfeiler unseres gemeinsamen Schweizer Dachs» verloren gehen, erklärte Nationalrat Christoph Eymann (lpd, BS).
Gegen eine solche «Überhöhung» der SRG wehrten sich wiederum die Befürworter der No-Billag-Initiative: Die Initiativgegner würden die SRG zur Rettung der vierten Gewalt und die No-Billag-Abstimmung zur Schicksalsfrage für die Schweiz hochstilisieren, kritisierte Nationalrat Lukas Reimann. Dabei hätten Umfragen gezeigt, dass selbst von den Initiativgegnern eine Mehrheit nicht glaube, dass die SRG mit Annahme der Initiative untergehen würde. Schliesslich bestritten die Befürworter der Initiative nicht nur die Darstellung der Medienministerin und der SRG-Verantwortlichen, wonach die SRG bei Annahme der Initiative nicht überleben könne, sie kritisierten insbesondere auch deren Weigerung, einen Plan B vorzulegen. Die SRG-Führung habe die Pflicht, den Fortbestand des Unternehmens sowie die Fortbeschäftigung der Mitarbeitenden unter allen Umständen zu sichern, erklärte unter anderem Nationalrat Gregor Rutz (svp, ZH). Dies veranlasste Andreas Kleeb, aber auch den Verleger der AZ Medien, Peter Wanner, zu Spekulationen, wonach die SRG über einen Plan B verfüge, diesen aber aus taktischen Gründen nicht kommuniziere.

Die Kampagnen zur No-Billag-Initiative konzentrierten sich stark auf Onlinekommentare und soziale Medien. Die Twitter-Aktivitäten zu No-Billag starteten anfangs Oktober und stiegen bis Ende Februar stetig an. Das Fög zählte von Januar bis Mitte Februar 2018 insgesamt 68'000 Tweets. Die Untersuchung des Fög bestätigte auch die oftmals geäusserte Vermutung, dass es bei den Twitter-Aktivitäten zu einer Bildung von Informations-Filterblasen komme: Grösstenteils bekamen die Nutzer nur Inhalte zu Gesicht, die mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmten. Ausserordentlich stark tobte der Abstimmungskampf auch in den Medien. Das Fög bezeichnete die No-Billag-Initiative als «Sonderfall», da die Initiative über die ganze Kampagnendauer überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit in den Medien erzielt hatte. Das Fög zählte in den 14 Wochen vor der Abstimmung in den untersuchten Zeitungen 1049 inhaltliche Artikel zur Vorlage – insgesamt war die Rede von über 7000 Artikeln –, deutlich mehr als bei anderen vielbeachteten Vorlagen wie der Unternehmenssteuerreform III, der Durchsetzungsinitiative, der Masseneinwanderungsinitiative oder gar beim RTVG. Die Tonalität bezüglich der Initiative war in beinahe allen untersuchten Medien negativ, einzig die Weltwoche berichtete mehrheitlich positiv darüber. Vergleichsweise gut schnitt die Initiative auch bei der Aargauer Zeitung, 20 Minuten, der BaZ und der Sonntagszeitung ab. Überdurchschnittlich viel Resonanz erhielten gemäss dem Fög die Pro-Akteure jedoch neben der Weltwoche auch in den untersuchten Programmen der SRG. Während die Kampagne somit im inhaltlichen Teil der Zeitungen überdurchschnittlich stark vertreten war, zeigte sich in den Inseratespalten kein auffälliges Bild: Die Komitees schalteten im Vergleich mit Abstimmungen der vergangenen vier Jahre nur durchschnittlich viele Zeitungsinserate.

Am häufigsten porträtiert wurde die Position von Vertretern der Zivilgesellschaft, wie die Studie des Fög zeigte. Diese gehörten gemäss Fög überdies zu den grössten Kritikern der Initiative. So meldeten sich im Laufe der Kampagne zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen zu Wort; Diego Yanez, Vorstandsmitglied des Komitees «Nein zum Sendeschluss», sprach von einem «Ruck, der durch die Zivilgesellschaft» ging. Bekämpft wurde die Vorlage von vielen Seiten: Der Gehörlosenbund zum Beispiel sprach sich gegen die Initiative aus, da man auf Sendungen mit Untertiteln oder in Gebärdensprache angewiesen sei. Bereits das heutige Angebot sei ungenügend, eine Annahme der Initiative würde aber die Situation noch verschlechtern, erklärte Corinne Parrat, die gehörlose Miss-Handicap 2009. Auch die Sportfans und -organisatoren meldeten sich zu Wort. Sie sorgten sich, dass nach Annahme der Initiative kaum noch Sportübertragungen im Free TV zu sehen sein würden. Seit Beginn der Erhebung 2013 waren die zehn meistgeschauten Sendungen im SRF Sportübertragungen, von den Top 100 beinhaltete fast jede zweite Sendung Sport. Insbesondere Anhänger von Nischensportarten waren besorgt: Private würden wohl kaum Berichte zu über 100 verschiedenen Sportarten ausstrahlen, wie es die SRG tue, war zu vernehmen. Auch Swiss Olympic beteiligte sich an der Diskussion: Die SRG sei einer «der wichtigsten Sportförderer der Schweiz», sowohl für Elite- als auch für Breitensport. Ein Ja wäre daher das Ende von mehr als nur der SRG.
Auch von kultureller Seite wurde Kritik an der Initiative laut. Die Interessengemeinschaft Volkskultur, der 33 Verbände und 400‘000 Aktivmitglieder angehören, fasste einstimmig die Nein-Parole. Präsident Albert Vitali (fdp, LU) erklärte, bei Annahme der Initiative sei zum Beispiel die Übertragung von Schwing- und Jodelfesten in Gefahr, weil Private die Kosten der Übertragung nicht stemmen könnten. Die Nein-Parole erliessen auch der Blasmusikerverband sowie der Eidgenössische Jodelverband. «Für die Freunde der Volkskultur ist die Initiative ein Affront», betonte die Präsidentin des Jodelverbands Kathrin Niederberger. Für Brauchtumsfeste sei die SRG ein unverzichtbarer Partner.
Anders sah es hingegen lange Zeit bei der Schweizer Musikbranche aus. Noch im November 2017 kritisierte die Sonntagszeitung, dass sich diese nicht zur Vorlage äusserte, obwohl die SRG die Karrieren der Schweizer Musiker entscheidend gefördert habe. So würden jährlich CHF 300 Mio. von der SRG zu den Künstlern fliessen, was für einige mehr als 40 Prozent des Einkommens ausmache. Da Privatradios einen deutlich niedrigeren Anteil an Schweizer Musik spielten als die SRG-Kanäle, seien die Musiker auf Letztere angewiesen. Ähnlich sehe es bei der Filmbranche aus, betonten die Medien. Die SRG habe in den letzten 30 Jahren CHF 300 Mio. in die Filmförderung investiert und unterstütze zudem jährlich Schweizer Filme mit CHF 30 Mio. bis 40 Mio. Dieser Aufruf zeigte Ende 2017 Wirkung, als unter dem Motto «Nein zum Blackout – Nein zu No Billag» Werbespots mit zahlreichen verschiedenen Schauspielerinnen und Schauspieler ausgestrahlt wurden. Finanziert wurden diese vom Dachverband der Schweizer Film- und Audiovisionsbranche Cinésuisse, der darauf hinweisen wollte, dass zahlreiche Filme wie «Die Schweizermacher» oder «Heidi» ohne die enge Partnerschaft mit der SRG nicht hätten realisiert werden können.
Diese Solidaritätsbekundungen lösten jedoch nicht nur Begeisterung aus. Die Weltwoche sah sich in ihrer Kritik bestätigt: Durch die Initiative würden die Verflechtungen der SRG sichtbar; diese mache sich die Abhängigkeiten zahlreicher Akteure für ihre Zwecke zu Nutze. Dabei kritisierte die Weltwoche insbesondere die Printmedien, welche die SRG über die Jahre abhängig gemacht habe. Zum Beispiel zahle sie jährlich mehrere Millionen Schweizerfranken an die Somedia, die NZZ-Gruppe sowie die AZ-Medien und insgesamt flössen jährlich CHF 67.5 Mio. an private Radio- und Fernsehstationen. Das erkläre auch, warum von dieser Seite nur leichte Kritik an der SRG geäussert würde. Diejenigen, die auf diese Weise von der SRG profitierten, hätten sich nun auch gegen die Initiative ausgesprochen, erklärte die Weltwoche. Allgemein blieb die Haltung der Zeitungen zur Initiative jedoch unklar. Der Verlegerverband (VSM) mochte anfangs keine klare Ja- oder Nein-Parole fassen, empfahl schliesslich aber trotz bestehender Differenzen die Ablehnung der Initiative. Zwar sei man für die Gebührenfinanzierung, mache aber die Stärke des Engagements von den Zugeständnissen der SRG abhängig, erklärte Geschäftsführer Andreas Häuptli. Die SRG solle demnach langfristig ohne Werbung und Sponsoring auskommen und die Kommerzialisierung des Angebots reduzieren, wurde gefordert. Auch der Westschweizer Verband Médias Suisses sprach sich gegen die Initiative aus, wollte aber die Contra-Kampagne nur unterstützen, wenn die SRG auf zielgerichtete Werbung verzichte und aus der Admeira austrete.

Unter besonderer Beobachtung standen auch während der Kampagnenphase die SRG und ihre Mitarbeitenden: Vielfach wurde befürchtet, dass sie aufgrund der für sie weitreichenden Konsequenzen der Initiative nicht würden neutral bleiben können. Mitte Oktober definierte die SRG interne Leitlinien, die es ihren Mitarbeitenden erlaubten, ihre Position über soziale Netzwerke zu vertreten und das Programmangebot und die Werte der SRG proaktiv zu betonen. Die Mitarbeitenden durften hingegen keine direkten Abstimmungsempfehlungen abgeben. In ihren Sendungen nahm die SRG gemäss Fög eine klar kritische Haltung zu der Initiative ein, die negative Tonalität von SRF und RTS entsprachen jedoch der durchschnittlichen Haltung der Medien, erklärte das Fög weiter. Überdurchschnittlich grosse Resonanz erhielten jedoch die Statements der Befürworter bei der SRG. Diese zeigten sich jedoch mit dem Verhalten der SRG und ihrer Mitarbeitenden im Rahmen des Abstimmungskampfes nicht zufrieden und kritisierten deren «breit angelegte Informationskampagne», wie es der Bote der Urschweiz formulierte. Insbesondere Sendungen zur Initiative selbst, vor allem die Arena respektive ihr Moderator Jonas Projer wurden kritisiert. Olivier Kessler beschuldigte Projer als SRG-Angestellten und «Zwangsgebühren-Profiteur» zu wenig unabhängig zu sein, um die Sendung zur No-Billag-Initiative fair zu leiten. Er habe die Sendung einseitig moderiert und die Initiativbefürworter deutlich häufiger unterbrochen als die Gegner, ergänzte Kessler auf seinem Blog. Auf diese Anschuldigungen entgegnete Projer, dass die wichtigsten Themen beider Seiten angesprochen worden seien und die Redezeit ausgeglichen gewesen sei – man habe dies absichtlich gemessen. Unterstützung erhielt Projer im Nachhinein von SRG-Ombudsmann Roger Blum, der die Sendung aufgrund zahlreicher Beschwerden überprüfte. Demnach habe Projer Kessler deutlich weniger kritische und mehr unkritische Fragen gestellt als Bundesrätin Leuthard, habe diese aber nie, Kessler sowie Joachim Eder als Vertreter der Initiativgegner aber gleich häufig unterbrochen. Insgesamt seien die Befürworter zwar deutlich häufiger unterbrochen worden, eine «förmliche Diskriminierung» habe der Ombudsmann aber nicht festgestellt. Das hatten einige Zuschauer freilich anders wahrgenommen, in den sozialen Medien gingen die Wogen hoch. In einer Twitter-Nachricht wurden Projer und seine Kinder gar mit dem Tod bedroht, worauf dieser Strafanzeige einreichte.
Die SRG wurde jedoch nicht nur wegen dem Inhalt ihrer Sendungen, sondern auch wegen deren Kampagnenfinanzierung kritisiert. Die Initiativbefürworter befürchteten, die SRG setze Gebührengelder für den Abstimmungskampf ein, was zum Beispiel Stefan Ammann, Präsident der Jungfreisinnigen, als Beeinflussung wertete. Entsprechende Anfragen von Sylvia Flückiger-Bäni (A. 17.5446) und Lukas Reimann (A. 17.5455) im Parlament ergaben, dass die SRG zwar nicht über ein Budget für die Abstimmungsdebatte verfügte, wohl aber Geld für Medienanfragen aus dem Budgetposten «Public Affairs» bereitgestellt hatte. Dieser betrug fürs Jahr 2016 CHF 400‘000. Der Bundesrat erklärte diesbezüglich, die Trägerschaft der SRG habe das Recht und die Pflicht, Diskussionen über den Service public zu führen, jedoch müssten die Auftritte sachlich und transparent sein. Gemäss den Initiativ-Befürwortern war hingegen auch das äusserst heikel, da dadurch Arbeitszeit von Personen mit gebührenfinanzierten Löhnen in Anspruch genommen werde. Ferner brauche die SRG keine Plakate mehr zu finanzieren, weil sie stattdessen auf bereits bekannte Gesichter setzen könne.

Volksinitiative "Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren" (No Billag-Initiative)

Ein Postulat Semadeni (sp, GR), mit dem klangvollen Titel „Allegra, Romanisch und Italienisch sollen leben!“, erbittet vom Bundesrat einen Bericht, in welchem aufgezeigt werden soll, wie es rund zwanzig Jahre nach der Verankerung des Sprachenartikels in der Bundesverfassung um die Förderung der Minderheitensprachen in der Schweiz steht. Obwohl es ersichtliche Bemühungen zum Erhalt des Romanischen und Italienischen in der Schweiz gebe, stünden die Minderheitensprachen noch immer unter grossem Druck. Die Tatsachen, dass das Italienische auf ein angestammtes Sprachgebiet marginalisiert wird und das Romanische aufgrund vermehrter Gemeindefusionen und einer latenten Inakzeptanz des Rumantsch Grischun immer stärker an Boden verliert, können nicht ignoriert werden. Der offensichtliche Wandel hinsichtlich der demografischen Entwicklung in den alpinen Tälern sowie Verstädterungstendenzen und eine fortschreitende Globalisierung würfen nun auch die Frage auf, ob Bund, Kantone, Gemeinden sowie Sprachorganisationen in puncto Engagement den heutigen Entwicklungen genügend Rechnung tragen. Daher solle der Bericht die aktuelle Situation des Romanischen und Italienischen sowie adäquate Verbesserungen der Förderinstrumente aufzeigen.
Der Bundesrat seinerseits beantragte das Postulat zur Ablehnung. Alain Berset wies die Postulantin darauf hin, dass über die Situation der Minderheitensprachen in der Schweiz bereits im Rahmen der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen Bericht erstattet werde. Die eingeforderten Punkte würden zudem bereits im Rahmen der Botschaft zur Förderung der Kultur 2016–2020 mit einer Reihe geplanter Erneuerungen aufgegriffen. Der Bundesrat sei sich durchaus über die themenspezifischen Herausforderungen im Klaren, jedoch sei hierbei auch zu bedenken, dass die Förderungssteuerung über eine Leistungsvereinbarung mit den Kantonen Graubünden und Tessin erfolge. Für die Periode 2017–2020 wird im Rahmen der Vereinbarungsausarbeitung auch eine Analyse der Situation sowie der bestehenden Massnahmen durchgeführt. Daher sei es in den Augen des Bundesrates noch zu früh, einen zusätzlichen Bericht über die Verbesserungsmöglichkeiten zu erstellen.
Die nationalrätliche Abstimmung zum Postulat während der Herbstsession 2017 sollte dem bundesrätlichen Votum aber nicht beipflichten: Die Vertreterinnen und Vertreter der grossen Kammer schlugen sich mit 126 zu 58 Stimmen bei 4 Enthaltungen auf die Seite der Postulantin und stimmten dem Vorstoss zu.

Allegra, Romanisch und Italienisch sollen leben! (Po. 15.4117)

Auf 15 verschiedenen Listen kämpften die Kandidierenden bei den Nationalratswahlen im Kanton Graubünden um die fünf begehrten Sitze. Bei gleichbleibender Listenzahl erhöhte sich die Zahl der Anwärterinnen und Anwärter leicht auf insgesamt 70 (2011: 69). Ausser bei den Grünliberalen ergänzten die Listen der jeweiligen Jungparteien jene der Mutterparteien. Die FDP trat zudem mit zwei („Liberal“ und „Wirtschaft“), und die SVP sogar mit drei Hauptlisten an („M“,“B“ und „International“). Mit den Patriotisch Liberalen Demokraten (PLD) komplettierte eine von zwei Sportgymnasiasten gegründete, rechtsbürgerliche Partei das Kandidatenfeld.

Dominantes Thema im Bündner Nationalratswahlkampf war zweifelsohne die Kandidatur der EMS-Chefin Magdalena Martullo-Blocher für die SVP. Der Antrittsentscheid der Tochter von SVP-Mäzen Christoph Blocher sorgte dafür, dass die Wahlen in der Südostschweiz starke nationale Medienaufmerksamkeit erhielten. Für Diskussionen sorgte dabei der Umstand, dass die Unternehmerin ihren Wohnsitz im zürcherischen Feldmeilen und nicht etwa im Kanton Graubünden hatte. Ihre Wahlchancen wurden aufgrund ihrer geringen lokalen Verankerung deshalb von einigen Medienexponenten als eher gering eingeschätzt. Ausser mit der Kleinpartei PLD ging die SVP keine ausserparteilichen Listenverbindungen ein. Zu verteidigen hatte die Volkspartei einen Sitz, nämlich jenen von Kantonalpräsident Heinz Brand. Mit ihrer Liste M (für Martullo) und ihrer Liste B (für Brand) machte die SVP klar, dass ihr Ziel für die Wahlen ein Sitzgewinn darstellte.
Gefährdet war insbesondere das Mandat des GLP-Nationalrats Josias Gasser. Die Grünliberalen hatten 2011 dank einer Listenverbindung mit der SP den Einzug in den Nationalrat geschafft. Vier Jahre später kam ihnen von den Sozialdemokraten jedoch wenig Gegenliebe entgegen, da sich diese von Gassers Bilanz in Bern enttäuscht zeigten. Gasser versuchte seinerseits, sich deutlich von links abzugrenzen, um eine Verbindung mit den anderen bürgerlichen Mitteparteien zu erreichen. Als er von diesen jedoch verschmäht wurde, blieb der GLP nichts anderes übrig als erneut eine Zweckehe mit der SP einzugehen. Bei den Sozialdemokraten und ihrer Nationalrätin Silva Semadeni sorgte dieser Verbund zwar ebenfalls für wenig Begeisterung, zumindest aber erhöhten sich so rechnerisch die Chancen auf einen Sitzgewinn. Wohl entscheidender für die Listenverbindung war jedoch die erhoffte Verhinderung eines Sitzgewinnes der SVP.
Auf bürgerlicher Seite kam es zu einer breiten Koalition aus FDP, BDP und CVP, was in Graubünden seit langer Zeit die erste Verbindung dieser Art darstellte. Lange gab es auch Diskussionen über einen Anschluss der SVP. Diese Debatte wurde vor allem von der SVP selber forciert, welche einen solchen Zusammenschluss energisch forderte. Von Seiten der anderen bürgerlichen Parteien wurde verhalten über Verhandlungen mit der Volkspartei kommuniziert. Für Missmut sorgte die Drohung seitens der SVP, man würde die bisherigen Ständeräte von FDP und CVP mit einem eigenen Kandidaten konkurrenzieren, falls der Schulterschluss nicht zustande käme. Die bürgerlichen Parteien entschieden sich aber letztlich, ohne die SVP anzutreten. Ihre Koalition galt damit als aussichtsreichste Anwärterin auf die Eroberung des gefährdeten GLP-Sitzes. Dieser war der FDP bei den letzten Wahlen weggeschnappt worden und lag nun – laut Umfragen kurz vor der Wahl – für den Freisinn wieder in Reichweite. Der Sitz des bisherigen CVP-Nationalrats Martin Candinas galt als nicht gefährdet. Ebenso wenig wurde mit einer Nichtwahl des Engadiner BDP-Mannes Duri Campell gerechnet, welcher den zurücktretenden Hansjörg Hassler ersetzten sollte.

Der Wahltag endete mit einer eindeutigen Wahlsiegerin – der SVP. Die Partei konnte gegenüber den letzten Wahlen um 5.2 Prozentpunkte zulegen und kam neu auf 29.7% Wähleranteil. Dank diesem Glanzresultat und dem daraus resultierenden Sitzgewinn, schaffte Magdalena Martullo-Blocher tatsächlich den Einzug in den Nationalrat. Mit 18‘901 Stimmen erreichte sie gar das drittbeste Resultat im Kanton. Leidtragender war – wie erwartet – der bisherige GLP-Nationalrat Josias Gasser. Seine Partei verlor zwar nur leicht (-0.4 Prozentpunkte), was aber für den Verlust seines Mandates ausreichte. Die Listenpartnerin SP gehörte mit einem Zuwachs auf 17.6% (+2 Prozentpunkte) ebenfalls zu den Wahlgewinnerinnen. Die Sozialdemokraten sind somit neu die zweitstärkste Kraft im Kanton. Ein Debakel erlitt die BDP, welche mit einem Verlust von 6 Prozentpunkten regelrecht abstürzte. Mit 14.6% Wähleranteil rutschte die Mittepartei damit vom zweiten auf den vierten Rang ab. Die CVP (16.8%, +0.2 Prozentpunkte) und die FDP (13.3%, +1.4 Prozentpunkte) konnten ihre Anteile leicht ausbauen. Insbesondere für die FDP war jedoch enttäuschend, dass sie den 2011 verlorenen Sitz nicht zurückerobern konnte. Die neue Bündner Delegation setzt sich damit folgendermassen zusammen: 2 SVP, 1 CVP, 1 BDP und 1 SP. Die Wahlbeteiligung stieg gegenüber 2011 um 0.9 Prozentpunkte leicht an (46%) und der Frauenanteil erhöhte sich durch die Wahl Martullo-Blochers auf 40% (2011: 20%).

Kanton Graubünden -Nationalratswahlen 2015
Dossier: Resultate Nationalratswahlen 2015 (nach Kantonen)

Die Olympiakandidatur Graubünden 2022 hatte im Vorjahr erste entscheidende Hürden genommen und im Dezember das Graubündner Parlament passiert. Die bürgerlichen Parteien hatten sich durchsetzen können und gegen die Ratslinke die nötige Teilrevision des Finanzhaushaltsgesetzes angenommen und der Stimmbevölkerung zur Annahme empfohlen. Die Bündner Stimmberechtigten wurden am 3. März des Berichtsjahres an die Urnen gebeten, um über das Geschäft und letztlich die Kandidatur zu befinden. Daneben hatte der Bundesrat im Vorjahr seine Botschaft zur finanziellen Unterstützung der Olympiakandidatur verabschiedet. Die Landesregierung beantragte dafür einen Verpflichtungskredit von CHF 30 Mio. Mit einem zweiten Verpflichtungskredit über CHF 1 Mia. sollte – im Falle eines Zuschlags durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) – eine allfällige Deckungslücke des Durchführungsbudgets finanziert werden. Das Bundesratsgeschäft blieb vorerst hängig, da das nationale Parlament mit den Beratungen abwarten wollte, bis die Graubündner Stimmbürgerschaft ihre Absicht an der Urne äussern konnte. Zwar hatte die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates Anhörungen durchgeführt, unter anderem mit dem Verein XXIV. Olympische Winterspiele Graubünden 2022, dem Komitee Olympiakritisches Graubünden, mit verschiedenen Naturschutzorganisationen und dem SAC sowie unabhängigen Experten und René Fasel als Vertreter des Internationalen Olympischen Komitees. Sie wollte jedoch dem Entscheid des Kantons Graubünden nicht vorgreifen oder diesen womöglich gar beeinflussen. Damit lag der Fokus auf den Vorgängen in Graubünden, wobei sich Befürworter und Gegner der Spiele je in Komitees organisiert hatten und Anfang 2013 den Abstimmungskampf lostraten. Befürchtungen über ein finanzielles Fiasko seitens der Gegner standen den euphorischen Hoffnungen der Befürworter auf eine erneuerte Infrastruktur, einen Tourismusboom und die Schaffung neuer Arbeitsplätze gegenüber. Den Anfang machten am 3. Januar die Befürworter des Projekts mit einem Mediengespräch. Touristiker lobten die weltweite Präsentationsplattform, Bergbahnbetreiber und Hoteliers bewarben die positiven Einflüsse auch nach den Spielen und für die Sommersaison und diverse Politiker sicherten die Machbarkeit zu und versprachen sich positive Entwicklungen für Verkehr und Marketing des Kantons. Unverhofften Support erhielten die Olympiabefürworter aus dem Ausland: Eine Gruppe britischer Parlamentarier, selbst Skifahrer, empfahl den Bündnern ein Ja zur Olympiakandidatur. Bald wurden auch die ersten Parteiparolen gefasst: Die Junge CVP stand hinter dem Projekt, wie auch die Mutterpartei, jedoch unter Vorbehalt einer positiven Beurteilung des Konzeptes durch das IOC. Ebenfalls für eine Kandidatur sprachen sich die FDP, die BDP, die SVP, die Junge SVP und die EDU aus. Dagegen waren seit jeher die SP und die Grünen sowie später auch die Grünliberalen. Die Bündner SAC-Sektion sprach sich nur unter Vorbehalten für das Vorhaben aus.

Mitte Januar, und damit weniger als zwei Monate vor der kantonalen Abstimmung, konstituierte sich im Oberengadin ein weiteres Unterstützungskomitee. „OlympJa Oberengadin“ wurde aus bürgerlichen Politikern, Vertretern aus Handels- und Gewerbevereinen und der Hotelleriebranche, den Skivereinen sowie den Oberengadiner Grossräten zusammengesetzt. Der grosse Antrieb dieser Gruppe war die Idee, den Tourismus anzukurbeln. Dafür wurde die Kandidatur als besonders umweltverträglich beworben, als gute Werbeplattform gepriesen sowie als wirtschaftlich interessant für die Region betitelt. Ebenfalls Mitte Januar setzte die Graubündner Regierung ein starkes Zeichen: In einer Pressekonferenz traten alle fünf Regierungsmitglieder gemeinsam für die Olympiakandidatur ein. “Eine Kandidatur stellt für Graubünden eine einmalige Chance dar, sich einem weltweiten Publikum als sympathischer Gastgeber zu präsentieren“, so Regierungspräsident Trachsel (bdp), der damit ebenfalls die touristische Wirkung unterstrich. Trotz dieses geschlossenen Auftritts haftete dem Anlass ein fahler Beigeschmack an. Martin Jäger, SP-Regierungsrat, spielte seine Rolle contre cœur und fügte sich im Sinne des Kollegialitätsprinzips der Zustimmung der Kantonsregierung. Jäger selbst hatte als Grossrat im Vorfeld der letzten Olympiaabstimmung 1980 an vorderster Front gegen eine Kandidatur geweibelt. Die SP liess dies nicht unkommentiert und kritisierte den geschlossenen Auftritt der Regierung. Man mache aus der Abstimmung eine Schicksalsabstimmung für die Zukunft des Kantons und die Verpflichtung Jägers, am Podium mitzumachen sei unverhältnismässig und schlechter politischer Stil, so das Empfinden des Parteipräsidenten Jon Pult. Kurz darauf lancierten auch die Gegner der Olympiakandidatur ihren Abstimmungskampf. Unermüdlich warnte das Gegnerkomitee „Olympiakritisches Graubünden“ unter der Leitung von SP-Nationalrätin Silva Semadeni vor dieser „Megaveranstaltung, die nicht in Bergtäler passt“. Zusätzlich wurde immer wieder die Kostenfrage gestellt und darauf hingewiesen, dass die Steuerzahler schliesslich zur Kasse gebeten würden, wohingegen nur wenige von den Spielen profitierten. Sekundiert wurde die Nationalrätin von Bruno Stephan Weiler von der Alpenschutzkommission Cipra International, sowie SP- und Juso-Vertretern.

Der Abstimmungskampf gestaltete sich schliesslich sehr abwechslungsreich und war durch zahlreiche Schlagabtausche geprägt. Mit die grössten Auseinandersetzungen ergaben sich um eine Nachhaltigkeitsstrategie der Olympiapromotoren. Die NIV-Charta, „Nachhaltigkeit, Innovation, Vermächtnis“, sollte als selbstgegebener Leitfaden die Organisation der Spiele prägen, wurde von Beginn weg kommuniziert. Die Sorge der Gegner, das Projekt sei zu kostspielig und nicht nachhaltig, sollte damit zerstreut werden. Doch jede Aktion des Unterstützerkomitees rief auch Gegner auf den Plan, welche unter anderem die NIV-Charta als vorgeschobenes, leeres Propagandamittel bezeichneten. Ebenso sollten Studien von beiden Seiten belegen, dass das Olympiaprojekt positive, oder eben auch negative Auswirkungen für den Kanton hätte. Ende Januar erhielt die „OlympJa“-Bewegung Zulauf: Auch im Prättigau versammelten sich Olympia-Befürworter in einer entsprechenden Sektion. Auch hier waren es vorwiegend bürgerliche Politiker, welche mit Informationsanlässen die Gunst der Einwohner suchten.

Einen Dämpfer, welcher den Olympiagegnern in die Karten spielte, erlitt die Olympiakampagne Ende Januar. Es wurde bekannt, dass Bund und der Kanton Graubünden keine Einigung über eine Defizitgarantie erzielen konnten, respektive dass die Finanzkommission des Nationalrates forderte, die Verluste müssten mit kantonalen Mitteln aufgewogen werden. Letztlich ging es um eine Summe von über CHF 1 Mia. Vor solchen Szenarien hatten die Olympiagegner wiederholt gewarnt. Tatsächlich lag es schliesslich in der Hand der Bundesparlamentarier, über die Angelegenheit zu befinden. Derweil wuchs in Chur die Einsicht: Wenn der Bund keine Defizitgarantie abgebe, würde dies „Abbruch der Übung“ bedeuten, so Regierungsrätin Janom Steiner (bdp). Dies war indes bereits gewiss, hatte doch der Grosse Rat schon früh und einstimmig beschlossen, dass der Kanton keine Defizitgarantie übernehmen werde. Die oberste Olympiagegnerin und Nationalrätin Semadeni (sp, GR) hatte bereits Ende 2012 in einer Interpellation beim Bundesrat nachgefragt, wer die Kostenüberschreitungen zu tragen hätte, falls Graubünden die Spiele erhielte. Dabei ging es um den Restbetrag über CHF 300 Mio., welcher in den damals geltenden Budgets vorerst als ungedeckt ausgewiesen wurde. Die wechselnde Stimmung liess jedoch auch das Kandidaturkomitee „Graubünden 2022“ nicht ruhen. Genau einen Monat vor dem Urnengang gab man bekannt, das Konzept revidiert zu haben, wobei fast CHF 380 Mio. eingespart werden konnten. Diese Einsparung bedeutete zugleich die Deckung des prognostizierten Defizits von rund CHF 300 Mio. Die revidierte Fassung des Budgets schien einige Vorbehalte zerstreuen zu können, war doch damit eine der zentralen Fragen – wer ein Defizit tragen müsste – vorerst vom Tisch. Die Gegner liessen jedoch sogleich ausrichten, dass die Änderungen lediglich auf Buchhaltertricks und Budgetkosmetik beruhten. Die Verunsicherung über die Defizitgarantie beschäftigte bis zur Abstimmung alle Beteiligten. Sportminister Maurer sicherte dafür Bundesmittel zu, wurde dann aber von der Finanzkommission zurückgepfiffen, sie pochte darauf, dass der Kanton ein Defizit trage. Die Grüne Partei reagierte ebenfalls und kündigte bei einem allfälligen Beschluss, Bundesgelder zur Deckung eines Defizits einzusetzen, ein Referendum an. Knapp zwei Wochen vor der Abstimmung publizierte die Zeitung Südostschweiz eine Umfrage: zu diesem Zeitpunkt hätten 45% die Olympiakandidatur abgelehnt, 42% hätten sie gutgeheissen und 9% waren noch nicht entschieden. Damit zeigte sich in Zahlen, was sich seit Jahresbeginn abgezeichnet hatte: es würde knapp werden.

Am 3. März brachten die Stimmberechtigten des Kantons Graubünden mit 52,7% Nein-Stimmen die Kandidaturbestrebungen an der Urne zu Fall. In St. Moritz (61% Ja-Stimmen) und Davos (56,2% Ja-Stimmen) wurde die Kandidatur jeweils deutlich angenommen, so dass in den möglichen Austragungsorten nach Bekanntwerden des Kantonsresultates Ernüchterung herrschte. Ausschlaggebend war die negative Haltung im Unterland und in jenen Regionen, welche in der Kandidatur nicht berücksichtigt worden waren. Die Abfuhr hatte Auswirkungen bis nach Bundesbern, wo man einerseits Bedauern äusserte und eine Fehlersuche forderte, andererseits auch zukunftsgerichtet sinnierte: Die Grünen wollten den Bundesrat beauftragen, mit dem Internationalen Olympischen Komitee neue Konzepte zu beraten. Nach der letzten Abstimmung über eine Bündner Olympiakandidatur 1980 überwog also auch 2013 die Ablehnung gegen Olympische Spiele im Bergkanton. Mit dem Urnenentscheid Graubündens waren auch die Geschäfte in Bern erledigt: Die Diskussionen über den Kandidaturbeitrag von CHF 30 Mio. und die Defizitgarantie über CHF 1 Mia. wurden nach dem Nein hinfällig und mit den Nichteintretensvoten in beiden Räten wurde die Kampagne „Olympia 2022 in der Schweiz“ endgültig abgeschlossen.

Olympische Winterspiele 2022 (BRG 12.091)
Dossier: Olympiakandidaturen

Zwei Monate vor Abstimmungstermin eröffnete Umweltministerin Leuthard (cvp) die Kampagne zur Abstimmung zum revidierten Raumplanungsgesetz (RPG). Die Teilrevision gelangte zur Abstimmung, da der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) im Vorjahr das Referendum zu den beschlossenen Anpassungen ergriffen hatte. Von Seiten des Bundesrates hörte man zum Kampagnenauftakt ein klares Plädoyer der Umweltministerin zur Unterstützung des revidierten Raumplanungsgesetzes. Aufgrund der engen Platzverhältnisse sei es dringend nötig, haushälterischer mit der Ressource Boden umzugehen. Sollte die Teilversion des RPG abgelehnt werden, würde Pro Natura an ihrer Landschaftsinitiative festhalten. Vor den Folgen bei Annahme dieses Volksbegehrens warnte die Bundesrätin eingehend: Ein 20-jähriges Moratorium für Bauzonen würde jegliche Entwicklung behindern und darüber hinaus diejenigen Kantone bestrafen, welche bis anhin haushälterisch mit dem Boden umgegangen seien. Drei Tage später lancierten die Gegner der RPG-Teilrevision mit einem überparteilichen Komitee, das sich aus Wirtschaftsverbänden und Vertretern der CVP, FDP und SVP zusammensetzte, die Referendumskampagne. Zu den umstrittensten Änderungen des als indirekten Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative beschlossenen Raumplanungsgesetzes zählte ein Verbot der Baulandhortung, nach welchem der Umfang der Bauzonen den voraussichtlichen kantonalen Baulandbedarf der nächsten 15 Jahre nicht überschreiten darf. Die Rückzonungspflicht von überdimensionierten Bauzonen sowie die Möglichkeit zur Bauverpflichtung und die Einführung einer obligatorischen Mehrwertabgabe erachtete das Referendumskomitee als zu weit gehend. Man anerkenne einen gewissen Handlungsbedarf in der Raumplanung, akzeptiere die im Laufe der parlamentarischen Beratungen von linker Seite eingebrachten Forderungen jedoch nicht, da diese sogar über die in der Landschaftsinitiative enthaltenen Ansprüche hinaus gehen würden, liess der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) zu Beginn der Kampagne verlauten. Die Vorlage wirke sich insbesondere auf den Kanton Wallis negativ aus, wo ein Grossteil der Bevölkerung Boden besitze, sowie auf kleinere und mittlere Unternehmen, die strategische Baulandreserven verlieren würden. Darüber hinaus würden Mieterinnen und Mieter unter den Anpassungen leiden, da die Baulandverknappung und die Mehrwertabgabe die Bodenpreise in die Höhe schnellen lassen würden. Vertreter des Mieterverbandes taten dieses Argument jedoch als irreführend ab: Man habe die Auswirkungen auf Seiten der Mieter eingehend studiert und vertrete einhellig die Meinung, dass mit den Anpassungen das verdichtete Bauen gefördert werde, was aus Mietersicht positiv sei. Unterstützt wurde dieses Argument von der UVEK-Vorsteherin, welche verkündete, dass die Preise auf dem Wohnungsmarkt aufgrund der Wohnraumverdichtung sogar sinken könnten. Darüber hinaus regte sich an der Medienkonferenz des gegnerischen Komitees Widerstand von Seiten des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE): Die Gegner der Revision würden mit Quellenverweis auf das ARE mit veralteten und zum Teil manipulierten Zahlen operieren und den Umfang der nötigen Rückzonungen weit dramatischer darstellen, als dies tatsächlich der Fall sei. Über diese unerwünschte Störung der eigenen Pressekonferenz entsetzten sich die Gegner der Abstimmungsvorlage in einem Brief an die zuständige Bundesrätin. Der Sprecher des ARE rechtfertigte die spontane Reaktion eines Mitarbeiters damit, dass man lediglich den Eindruck habe verhindern wollen, es handle sich bei den präsentierten Zahlen um offizielle Angaben des Bundesamtes. Laut Angaben des SGV hätten bei Inkrafttreten der Revision dreizehn Kantone bedeutende Rückzonungen zu befürchten. Im UVEK hingegen erwartete man solche aufgrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums nur für vier bis sechs Kantone. Trotz dieser Unklarheiten bezüglich der Auswirkungen formierten sich in 24 Kantonen kantonale Unterstützungskomitees zum revidierten RPG, darunter auch je ein Komitee aus dem Ober- und Unterwallis sowie ein Komitee aus dem tourismusstarken Bündnerland. Angeführt wurde letzteres unter anderem von Nationalrätin Silva Semadeni (sp, GR), Mitträgerin der Landschaftsinitiative. Der Kanton Graubünden hätte mit Inkrafttreten der Revision nichts zu befürchten, da er mit den vor 10 Jahren unternommenen Änderungen des kantonalen Richtplans die bundesrechtlichen Neuerungen bereits grösstenteils umgesetzt habe, liess das kantonale Komitee verlauten. Äusserst kritisch stand der Kanton Wallis der Vorlage zur Revision des Raumplanungsgesetzes gegenüber. Mit Ausnahme der Grünen empfahlen im Tourismuskanton alle Kantonalparteien die Nein-Parole. Die Grünen begründeten ihr Ja mit dem Argument, man bleibe den Prinzipien des Natur- und Landschaftsschutzes treu, und kritisierten gleichzeitig das Nein der Walliser SP als opportunistisch: die Sozialdemokraten würden befürchten, mit einer Zustimmung zum revidierten RPG ihren Erfolg bei den anstehenden kantonalen Parlamentswahlen zu gefährden (vgl. dazu auch Teil I, 1e (Wahlen in kantonale Parlamente)). Auch der Staatsrat kritisierte die RPG-Revision an seiner Medienkonferenz aufs Schärfste. Das revidierte Gesetz sei auf den Bergkanton mit seiner speziellen Wohn- und Grundeigentumsstruktur schlichtweg nicht anwendbar. Insbesondere die Umsetzung der Rückzonungspflicht würde aufgrund unpräziser Ausgestaltung im RPG zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Darüber hinaus sei die Rückzonungspflicht das falsche Mittel zur Bekämpfung der Zersiedelung, liess Staatsrat Jean-Michel Cina (VS, cvp) verlauten. Er erzürnte sich ebenfalls über die Kompetenzverlagerung an den Bund, da sie zu wenig Raum für regionale Besonderheiten lasse. Trotz seiner positiven Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren äusserte auch der Waadtländer Regierungsrat im Verlaufe der Kampagne mit einem Brief an den Bundesrat Bedenken zur Ausgereiftheit der neuen Bestimmungen. Bundesrätin Leuthard (cvp) antwortete persönlich auf die Fragen und Forderungen des Waadtlandes. In ihrer schriftlichen Rückmeldung entkräftete sie die Befürchtungen, dass mit Inkrafttreten der Übergangsbestimmungen grosse urbane Projekte im Kanton blockiert würden, wie die Waadtländer Regierung in ihrem Schreiben vermutet hatte. Neben dem SGV beschlossen FDP und SVP sowie gewichtige Wirtschaftsverbände wie der Hauseigentümerverband (HEV) und Economiesuisse die Nein-Parole zur Revision. Die Ja-Parole zum revidierten Gesetz gaben neben dem Mieterverband auch der Bauernverband (SBV), der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA), diverse Heimatschutz- und Umweltorganisationen und der Tourismusverband (STV) heraus. Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) beförderte mit Ausnahme des Kantons Wallis ein einhelliges Ja. Von den Parteien empfahlen die Grünen, SP, CVP, BDP, GLP und EVP das revidierte RPG zur Annahme. Höchst umstritten war die Parolenfassung bei der CVP Schweiz. Der Parteivorstand beantragte mit Stichentscheid des Präsidenten Christophe Darbellay seinen Delegierten, die Revision wegen ihrer Auswirkungen auf den Kanton Wallis abzulehnen. Zur Befürwortung der Revision mahnte eindringlich die eigene Bundesrätin und UVEK-Vorsteherin, deren Empfehlung die Parteimehrheit an der Delegiertenversammlung schlussendlich mit 170 zu 89 Stimmen folgte. Gegen die Revision stimmten eine geschlossene Walliser CVP-Sektion mit Unterstützung von Genfer und Tessiner Parteikollegen. Ein Antrag auf Stimmfreigabe scheiterte mit beinahe Zweidrittelmehrheit. Im Gegensatz dazu beschloss die Junge CVP an ihrer Delegiertenversammlung, die RPG-Revision nicht zu unterstützen. Wie auch bei der FDP wichen eine Vielzahl von kantonalen CVP-Sektionen vom Beschluss ihrer Mutterpartei ab. Im Gegensatz zur eigenen Partei unterstützten darüber hinaus die FDP Frauen die Teilrevision (zu den parteiinternen Diskussionen vgl. Teil IIIa). Neben dem im Dezember des Vorjahres von links-grüner Seite initiierten nationalen Pro-Komitee bildete sich im Laufe der Kampagne auf eidgenössischer Ebene noch ein weiteres, bürgerliches Komitee zur Unterstützung der Revision mit National- und Ständeräten der BDP, CVP, FDP, GLP und SVP sowie weiteren bürgerlichen Kantonalpolitikern. Das Ergreifen des Referendums durch den SGV stiess bei diesen Vertretern auf Unverständnis. Zum einen beschuldigten sie den SGV, im Hinblick auf die nur bedingt zurückgezogene Landschaftsinitiative, die ein zwanzigjähriges Bauzonenmoratorium fordert, mit dem Feuer zu spielen. Zum anderen sahen sie in der geplanten Verdichtung der Stadt- und Dorfkerne auch eindeutige Vorteile für die KMU. Die Zersiedelung begünstige den Bau von grossen Einkaufzentren am Stadtrand, wobei das Kleingewerbe als grosser Verlierer dastehen würde. Die Intensität der Kampagne äusserte sich auch in einer Vielzahl von Zeitungsinseraten. Insgesamt verzeichnete die Analyse der Année Politique Suisse während den letzten acht Wochen vor der Abstimmung 1261 Inserate in über 50 untersuchten Tages- und Wochenzeitungen. Dies entsprach über 60% aller gesammelten Inserate zu den drei im März zur Abstimmung gelangten Vorlagen. Die Gegner- und Befürworterschaft zeigten sich auf dem Inseratemarkt zur RPG-Revision ähnlich präsent.

Erste Teilrevision des Raumplanungsgesetzes RPG 1 (BRG 10.019)
Dossier: Revision des Raumplanungsgesetzes RPG

Die Kandidatur für olympische Winterspiele im Jahr 2022 in der Schweiz nahm im Berichtsjahr klare Züge an. Mit dem Programm „Graubünden 2022“ bereitete der gleichnamige Verein eine konkurrenzfähige Kandidatur vor, welche den vergangenen olympischen Wettbewerben sportlich in keiner Hinsicht unterlegen sein sollte, jedoch dem zunehmenden Gigantismus Einhalt gebieten wollte. Die Winterspiele der XXIV. Olympiade sollten an den Standorten Davos und St. Moritz stattfinden, so die Vision zahlreicher Mitstreiter unter der Führung von Präsident und Ex-Nationalrat Tarzisius Caviezel und Direktor Gian Gilli. Die Kandidatur sollte je zu einem Drittel durch den Bund, durch die Kantone und Gemeinden sowie durch die Schweizer Privatwirtschaft finanziert werden. Ende Mai wurde das Konzept im Sportparlament von Swissolympic besprochen und mit 76:0 Stimmen gutgeheissen. Später sollten die Bündner Kantonsbevölkerung und die Einwohnerinnen und Einwohner von Davos und St. Moritz zum Thema abstimmen. Im Juli wurde bekannt, dass die Investitionskosten für eine erfolgreiche Durchführung der Spiele auf rund 1.5 Mia. CHF geschätzt wurden, die Gesamtkosten wurden auf 2.8 Mia. CHF geschätzt. Allein das Kandidaturbudget sollte gut 60 Mio. CHF verschlingen, wesentlich mehr als vorerst angenommen. Der Bund müsste vom ganzen Budget gut 1.3 Mia. CHF übernehmen. Diese hohen Kosten waren ein Grund für die skeptische Haltung, welche trotz aller Euphorie immer wieder spürbar wurde. Zudem waren in der jüngeren Vergangenheit zwei Kandidaturprojekte für 1988 in Chur und 2010 in Bern an der Urne recht deutlich verworfen worden (77% Nein für Chur und 78% Nein für Bern). Ob eine Bündner Kandidatur vom Volk goutiert würde, war alles andere als klar. Die Kandidatur von Sion 2006 wurde zwar damals von der Bevölkerung unterstützt, wurde aber vom Internationalen Olympischen Komitee bei der Vergabe nicht berücksichtigt. Der Bündner Regierungsrat hatte sich Anfang September mit einer Botschaft an das Kantonsparlament gerichtet. Die Bündner Regierung stellte sich hinter die Kandidatur. In der Botschaft wurden konkrete Angaben über Investitionsprojekte im Kanton gemacht. Auch der Termin für die kantonale Abstimmung wurde fixiert: Am 3. März 2013 sollen sich die Bündnerinnen und Bündner an der Urne äussern. Zeitgleich wurde das Unterstützungskomitee konstituiert. Neben Persönlichkeiten aus der Sportwelt nahmen diverse Bundesparlamentarier Einsitz: Die Nationalräte Heinz Brand (svp) und Hansjörg Hassler (bdp) sowie die Ständeräte Stefan Engler (cvp) und Martin Schmid (fdp). Widerstand regte sich indes in den Reihen der SP Kantonalsektion, welche sich gegen eine Kandidatur ausgesprochen hatte. So formierte sich Anfang Oktober eine Gegenbewegung „Olympiakritisches Graubünden“, welcher Nationalrätin Semadeni (sp, GR) vorstand und die sich aus der Vereinigung Bündner Umweltorganisationen, der SP, der Juso und Verda-Grünes Graubünden zusammensetzte. Das Komitee wehrte sich gegen hohe Ausgaben, gegen ein Diktat des IOC und gegen unvorhersehbare Probleme durch den Anlass selbst. Namentlich in puncto Ausgaben spielte die schlechte finanzielle Situation Graubündens den Gegnern in die Hände – was sich als Hauptargument in deren Kampagne beobachten liess. Der Bundesrat zeigte sich Mitte Oktober einer Kandidatur positiv eingestellt und verabschiedete den Bundesbeschluss über die Beiträge des Bundes an die Winterspiele 2022. Für die Finanzierung der Kandidatur beantragte die Regierung 30 Mio. CHF. Der Kredit sollte unter der Bedingung frei gegeben werden, dass sich Graubünden und Swiss Olympic mit mindestens je 15 Mio. CHF an den Kandidaturkosten von 60 Millionen Franken beteiligen. Ein weiterer Verpflichtungskredit betraf die Durchführung der Spiele selbst. Der Bundesrat war bereit, 1 Mia. CHF der ungedeckten Kosten zu übernehmen. Eine erste Reaktionsrunde zeigte, dass die Linke und die Grünen, sowie die Christdemokraten, auch auf Bundesebene skeptisch waren. Ende Oktober zeigte eine repräsentative Umfrage, dass fast 55% der Schweizerinnen und Schweizer hinter einer Kandidatur stehen würden. Vor allem die jüngere Bevölkerung und Personen aus dem erweiterten Alpenraum stünden einer Kandidatur offen gegenüber. Fast gleichzeitig publizierte der Trägerverein eine neue Machbarkeitsstudie, welche dem Anlass eine Bruttowertschöpfung von rund 4 Mia. CHF prognostizierte. Anfang Dezember kam die Vorlage des Bündner Regierungsrates ins Parlament, wo das Projekt gegen den Widerstand der SP-Fraktion angenommen, die Defizitgarantie des Kantons allerdings gestrichen wurde. Organisation und Durchführung der Spiele seien Sache des Bundes. Gleichzeitig wurde in der Presse bekannt, dass angeblich 43% der Bündner Bevölkerung für die Kandidatur seien und ebenso viele dagegen, wobei der Rest noch unentschieden sei. Die Fronten waren also nicht nur im Parlament verhärtet. Gegen Ende Jahr zeichnete sich ab, dass ein Ja an der Abstimmung vom folgenden März 2013 alles andere als klar sei. Im Abstimmungskampf standen sich Befürchtungen über ein finanzielles Fiasko den euphorischen Hoffnungen auf eine erneuerte Infrastruktur, einen Tourismusboom und der Schaffung neuer Arbeitsplätze gegenüber.

Olympische Winterspiele 2022 (BRG 12.091)
Dossier: Olympiakandidaturen

In der Herbstsession kam die Revision des RPG in den Nationalrat. In diesem verlief die Diskussion ungleich heftiger, zumal auch die Lobbies ihre Arbeit auf die grosse Kammer konzentriert hatten. Vorab LdU/EVP, Grüne und SP opponierten der Vorlage, da diese sowohl den Raumplanungszielen als auch der vom Bund postulierten ökologischeren Landwirtschaftspolitik widerspreche. Im Mittelpunkt der Kritik stand dabei die Zulassung der bodenunabhängigen Produktion. Dagegen forderten Gewerbekreise gleich lange Spiesse für Gewerbe und Bauern und damit eine noch weitergehende Liberalisierung in der Landwirtschaftszone. Das Plenum lehnte drei Rückweisungsanträge schliesslich ab und trat mit 102 zu 59 Stimmen auf die Vorlage ein. In der Detailberatung blieb nach dem Ständerat auch der Nationalrat auf der Linie des Bundesrates. Er sanktionierte die Zulassung von bodenunabhängigen Produktionsstätten wie Masthallen und Hors-sol ebenso wie die Angliederung eines gewerblichen Nebenbetriebes eines Landwirts, wenn die Bauernfamilie pro Jahr weniger als CHF 70 000 Reineinkommen erzielt und der Nebenerwerb „betriebsnah“ ist. Im Rahmen der neuen Landwirtschaftspolitik wird die bodenunabhängige Nutzung jedoch nicht subventioniert. Das RPG hält die Kantone ausserdem dazu an, bodenunabhängige Produktion nur dort zuzulassen, wo dies sachgerecht erscheint. Den Maststallungen sind auch durch das Gewässerschutzrecht relativ enge Grenzen gesetzt. Der Nebenbetrieb muss vom Bewirtschafter des landwirtschaftlichen Gewerbes selber geleitet werden. Auch der Umnutzung von nicht mehr benutzten landwirtschaftlichen Wohnbauten zu landwirtschaftsfremden Wohnnutzungen stimmte der Nationalrat zu, der Umbau reiner Ökonomiegebäude bleibt dagegen untersagt. Das neue Gesetz sieht folgende Einschränkungen vor: 1.) Der Bau darf nicht mehr benötigt werden, 2.) Die äussere Erscheinung und die Grundstruktur müssen im wesentlichen unverändert bleiben. Aufstockungen und Erweiterungen sind nicht möglich, 3.) Es darf keine wesentliche Neuerschliessung nötig sein; Infrastrukturkosten liegen beim Eigentümer.

Eine gewichtige Differenz zum Ständerat schuf der Nationalrat, indem er die Umnutzung von Wohnraum nicht auf „gut erhaltene“ landwirtschaftliche Wohnbauten jeder Art beschränkte, wie dies Bundesrat und Ständerat vorgeschlagen hatten. Damit würden etwa auch zusammengefallene Rustici im Tessin zum Um- und Wiederaufbau freigegeben. Silva Semadeni (sp, GR) fand mit ihrer Forderung, die bewährte Bündner Praxis für alle Kantone vorzuschreiben, kein Gehör. Im Kanton Graubünden muss die Schutz- und Erhaltenswürdigkeit in einem kantonalen Inventar nachgewiesen sein, damit leerstehende alte Agrarbauten zu Wohnungen oder Ferienhäusern umfunktioniert werden dürfen. Dafür obsiegte mit 84 zu 51 Stimmen ein Antrag der Kommissionsmehrheit, wonach vollständige Zweckänderungen von Bauten zulässig sind, wenn diese vor dem 1. Januar 1980 erstellt worden sind. Damit wären alle vor 1980 erstellten Bauten von den Regeln ausgenommen, welche die Raumplanung (das Raumplanungsgesetz trat am 1.1.1980 in Kraft) dem Bauen und Umbauen auferlegt. Vergeblich wehrte sich die Kommissionsminderheit gegen diese Privilegierung von älteren Gebäuden, und Bundesrat Arnold Koller warnte davor, dass ein vor 1980 gebautes Landwirtschaftsgebäude so vollständig für gewerbliche Zwecke umgenutzt werden könnte, was dem verfassungsrechtlichen Trennungsgrundsatz von Landwirtschaftszone und Wohn- und Gewerbezone widerspreche. Immerhin lehnte der Nationalrat mit 91 zu 76 Stimmen einen Antrag Schmid (svp, BE) ab, der zulassen wollte, dass landwirtschaftsfremde Wohnnutzungen mit einer kleingewerblichen Nutzung verbunden werden können. Auch andere Vorstösse zur Erweiterung der gewerblichen Nebenerwerbsmöglichkeiten der Landwirte kamen nicht durch: Ein Antrag Hasler (svp, AG) auf Streichung des Kriteriums der Betriebsnähe wurde ebenso abgelehnt wie ein Antrag Vallender (fdp, AR), der auf die Festlegung einer Einkommensschwelle verzichten wollte. Auf der Strecke blieben auch Korrekturversuche der Landschaftsschützer: Lili Nabholz (fdp, ZH), Präsidentin der Schweizerischen Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege, kam mit ihrer Forderung, die Bewohner der zweckentfremdeten Bauernbauten wenigstens zur Landschaftspflege des umliegenden Landes zu verpflichten, nicht durch. Ein Minderheitsantrag der Kommission, der mit zusätzlichen Auflagen die bodenunabhängige Produktion weiter einschränken wollte, scheiterte ebenfalls.

Die Schlussabstimmung von 80 zu 63 Stimmen bei 10 Enthaltungen zeigte, dass die Unzufriedenheit von Landschaftsschutzkreisen und Kleinbauern sowie Teilen des Gewerbes über das revidierte Raumplanungsgesetz gross ist. Grüne, die Schweizerische Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern (VKMB) und Landschaftsschützer kündigten noch vor der Differenzbereinigung das Referendum gegen die RPG-Revision an.

Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (BRG 96.040)
Dossier: Bauen ausserhalb der Bauzonen