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Bereits kurz vor dem Abstimmungssonntag im November 2020 zur Konzernverantwortungsinitiative reichten die Jungfreisinnigen in fünf Kantonen (AG, BE, SG, TG, ZH) eine Stimmrechtsbeschwerde gegen die Landeskirchen und deren aktive Beteiligung am Abstimmungskampf zu Gunsten der Initiative ein. Als die Kantonsregierungen nicht darauf eintraten, da diese Frage auf nationaler Ebene geregelt werde, richtete die Jungpartei ihre Beschwerde an das Bundesgericht. Sie beschuldigte die Kirchen, gegen Artikel 34 der Bundesverfassung – welcher Sachlichkeit, Transparenz und Verhältnismässigkeit vorschreibt – verstossen zu haben, und verlangten, dass sich die Religionsgemeinschaften in zukünftigen Abstimmungskämpfen neutral verhalten müssten. In einer Stellungnahme an das Bundesgericht, welche in den Medien teilweise veröffentlicht wurde, teilte die Bundeskanzlei (BK) die Vorwürfe der Jungpartei und stellte fest, dass das Engagement der katholischen und reformierten Landeskirchen im Zuge des Abstimmungskampfes zur KVI «zumindest grenzwertig» gewesen sei, insbesondere da Gegenargumente keinen Eingang in ihre Argumentation gefunden hätten. Die Kirche sei eine öffentlich-rechtlich anerkannte Körperschaft, welche einen staatlichen Auftrag wahrnehme. Dafür erhalte sie gewisse Privilegien, wie etwa das Recht, Steuern erheben zu dürfen, was sie dazu verpflichte, sich an Grundrechte wie die Gewährung der Abstimmungsfreiheit zu halten. Inwiefern die Kirchen im Rahmen ihrer Werbung für die KVI gegen diese Vorgaben verstossen hätten, sei zu klären.

Im März 2021 schrieb das Bundesgericht die fünf Stimmrechtsbeschwerden der Jungfreisinnigen als gegenstandslos ab. Das aktuelle Interesse, welches nötig sei, um ein solches Leiturteil zu fällen, sei nicht gegeben, da die Initiative am Ständemehr gescheitert sei. Das Bundesgericht stimmte jedoch zu, dass ein Interesse bestehen könnte, in diesem Feld Klarheit zu schaffen – jedoch sei dies nur möglich, wenn sich die kirchlichen Interventionen im Abstimmungskampf auf das Ergebnis auswirken würden. Während die Jungfreisinnigen das Urteil bedauerten und weiterhin auf ihrer Forderung nach Neutralität der Kirchen bestanden, begrüsste das Komitee «Kirche für Konzernverantwortung», dem über 700 Kirchgemeinden und Pfarreien angehörten, das Ergebnis. Es sei selbstverständlich, dass sich die Kirche in einer Demokratie zu politischen Fragen äussere und an öffentlichen Debatten teilnehme. Gleichzeitig seien sich die Kirchen auch bewusst, dass eine Aufarbeitung angezeigt sei – eine solche versprachen in der Folge Daniel Kosch, Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ), sowie Rita Famos, die neue Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS).

Kirchenposition zur KVI

Zum ersten Mal seit 2012 wurde die «Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz», welche die Grundlage und Voraussetzung für die Nominierung als immaterielles Kulturerbe der UNESCO bildet, im Sommer 2017 aktualisiert. Die Liste wurde von 165 auf 199 Einträge erweitert, wobei der Schwerpunkt für die 34 neuen Einträge auf die lebendigen Traditionen in den Städten gelegt wurde. Die Inventarisierung erfolgte neuerlich durch die Zusammenarbeit von Bund und Kantonen mit fachlicher Unterstützung der Hochschule Luzern. Die rund 90 von den Kantonen eingereichten Vorschläge für die nationale Liste wurden von einer Steuergruppe – bestehend aus Bundes-, Kantons- und Städtevertretungen, der schweizerischen UNESCO-Kommission, Pro Helvetia sowie wissenschaftlichen Fachpersonen – diskutiert, bevor diese daraus eine Auswahl traf. Neu befinden sich in der Liste u.a. das Aareschwimmen in Bern, die Appenzeller Holzschnitzerei, die Badenfahrt, Sculptures et constructions en neige à La Chaux-de-Fonds oder die Zürcher Technokultur.

UNESCO-Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes

Aufgrund Verletzung der öffentlichen Ordnung durch ausländische Fahrende, wie dies etwa im Sommer 2015 im Kanton Thurgau der Fall war, erarbeitete der Kanton in Zusammenarbeit mit Gemeinden, Polizei und dem Bauernverband im Jahr 2016 einen „Knigge für Fahrende“ (TZ). Dabei wurde ein Mustervertrag erarbeitet, der Landbesitzern als Hilfestellung dienen und die Durchreisenden an die Eckwerte der öffentlichen Ordnung erinnern soll. Ähnliche Bestrebungen existieren bereits in den Kantonen Aargau und Zürich.
Auch der Kanton Freiburg erliess im selben Jahr eine Direktive für Durchreisende. Dazu gezwungen sah sich der Kanton aufgrund des starken Anstiegs an Durchreisenden, was potentiell auch zu mehr Problemen führen könne. Die Verantwortlichen betonten jedoch, dass es keine Probleme mit den Schweizer Jenischen gebe und ihr Bedürfnis zur Schaffung eines zusätzlichen Standplatzes anerkannt werde. Verschiedenenorts distanzierten sich 2016 Schweizer Fahrende von der durch ausländische Fahrende verursachten Störung der öffentlichen Ordnung und plädierten für den Abbau von Vorurteilen gegenüber ihren Gruppen.

Verletzung der öffentlichen Ordnung durch ausländische Fahrende

Das Zuger Parlament hat in erster Lesung (Oktober 2015) die SVP-Gesetzesinitiative "Ja zur Mundart" deutlich abgelehnt. Diese verlangte die ganzheitliche Aufhebung der Standardsprache auf Kindergartenstufe sowie eine partielle Aufhebung auf Primarschulstufe. Für die am 28. Januar 2016 angesetzte zweite Lesung werden die Fraktionen der CVP, SP, ALG, GLP und einzelne Mitglieder der FDP – im Unterschied zur ersten Lesung – einen Gegenvorschlag einbringen, welcher den Status Quo (das Nebeneinander von Mundart und Standardsprache) im Zuger Schulgesetz verankern soll, und somit auch an der Ablehnung der Initiative festhalten. Hält die SVP trotz Gegenvorschlag an ihrer Gesetzesinitiative fest, würde diese zusammen mit dem Gegenvorschlag zur Abstimmung dem Volk vorgelegt.
Im Kanton Aargau hingegen, wo das Stimmvolk am 18. Mai 2014 die Initiative angenommen hatte, war die Regierung im Jahr 2015 bereits mit deren Umsetzung beschäftigt. Die definitive Umsetzung der Regelung ist für das Schuljahr 2016/17 angesetzt, da zunächst das Schulgesetz angepasst werden muss. Bis dahin gilt die Empfehlung, zumindest auf Kindergartenstufe grundsätzlich Mundart zu sprechen. Auch wenn die abgelaufene Vernehmlassung zeigt, dass die Parteien der Umstellung grundsätzlich zustimmen, stellt sich von verschiedener Seite dennoch die Frage, welche Mundart (z.B. Fribourgisch, Urnerisch oder doch Schwäbisch oder Apulisch) nun effektiv gemeint sei und wie es in diesem Zusammenhang insbesondere um die deutschen Kindergärtnerinnen steht. Laut Simone Strub, Mediensprecherin des Departements Bildung, Kultur und Sport des Kantons Aargau, mache die gezielte Rekrutierung aus Deutschland keinen Sinn mehr. In Bezug auf bereits angestellte Kindergärtnerinnen ohne ausreichende Mundartkompetenz müssten einzelne Gemeinden als Folge individuelle Lösungen finden, welche sich äusserst pragmatisch präsentieren können (bspw. Qualifikation in Mundart, Job-Sharing, Wechsel der Schulstufe).

Mundart

"Rüebli-Votum schwächt den Bildungsraum", titelte die Basellandschaftliche Zeitung nach Annahme der Mundart-Initiative im Kanton Aargau und sah eine weitere Hürde für die allfällige Schaffung eines gemeinsamen Nordwestschweizer Bildungsraumes. Im Gegensatz zu den Kantonen Glarus und Luzern, deren Stimmbevölkerung ähnliche Anliegen im Vorjahr versenkt hatten, sprachen sich die Aargauerinnen und Aargauer am 18. Mai 2014 für eine Volksinitiative der Schweizer Demokraten aus, die Mundart als grundsätzliche Unterrichtssprache im Kindergarten festlegt. Der Kanton Aargau reiht sich somit hinter Zürich als zweiter Gliedstaat ein, der das Hochdeutsch gänzlich aus dem Kindergartenalltag verbannt. Für eine gleichwertige Behandlung von Schweizer- und Hochdeutsch hatte sich 2011 der Kanton Basel-Stadt ausgesprochen. Nationalrat Romano (cvp, TI) äusserte aufgrund des Aargauer Stimmentscheids die provozierenden Fragen, ob es einer Verfassungsänderung bedürfe, damit Mundart anstelle des Hochdeutschen den Status einer Landessprache erhalten könne und ob die lateinischsprachigen Schulen in Zukunft Mundart unterrichten müssten, um den nationalen Zusammenhalt zu sichern. Bundesrat Berset sah in beiderlei Hinsicht keinen Handlungsbedarf. Erfolgreich war die Unterschriftensammlung der SVP des Kantons Zug, die im September eine weitere kantonale Mundart-Initiative bei den Behörden deponierte.

Mundart

Dass noch immer ein Mangel an Stand- und Durchgangsplätzen für Fahrende in der Schweiz herrsche, wie dies ein vom Bundesrat verabschiedeter Bericht bereits 2006 nachgewiesen hatte, wurde 2014 überdeutlich. Ein paar Tage vor Eröffnung der BEA liessen sich einige hundert Fahrende auf der Kleinen Allmend im Berner Wankdorf nieder, um gegen die Platznot zu protestieren. Da das Areal für Parkplatzmöglichkeiten während der BEA vorgesehen war, beschloss die Stadt Bern bereits am ersten Tag nach Protestbeginn die Räumung des Areals. Die Fahrenden verliessen das Gelände nicht freiwillig, worauf die Polizei über 70 Personen einer Personenkontrolle unterzog. Kurz darauf bewilligten die Städte Bern und Biel, wohin die Fahrenden nach der Räumung der Kleinen Allmend weiterzogen, je einen provisorischen Durchgangsplatz. Der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät äusserte Kritik am eigenen Kanton, da seit dem Bundesgerichtsentscheid im Jahr 2003 nichts unternommen worden war, um den Rechtsanspruch der Fahrenden durchzusetzen. Zwei Drittel aller Stellplätze innerhalb des Kantons befänden sich bereits in Bern und Biel. Gerhard Müllhauser, Sprecher der Schweizer Fahrenden, hob den Kanton Aargau als einziges Beispiel mit Vorbildcharakter hervor. Seit 2007 sorgt dort die Fachstelle Fahrende für den Bau neuer sowie für den Unterhalt bestehender Plätze. Darüber hinaus ermöglichen Besuche der Behörden auf dem Gelände einen regelmässigen Dialog. Die Akzeptanz der Fahrenden bei der Aargauer Bevölkerung sei hoch, betonte der Leiter der Fachstelle. Dies könne jedoch darauf zurückzuführen sein, dass alle Plätze mit einer Ausnahme ausschliesslich für Schweizer Fahrende vorgesehen seien. Gegenüber ausländischen Fahrenden bestünden nach wie vor grosse Vorbehalte. Ein im September publizierter Bericht der Europäischen Rassismuskommission (ECRI), der sich auf eine 2013 durchgeführte Studie über die Qualität der Schweizer Medienberichterstattung über Roma berief, stellte seit 2007 zwar eine Zunahme der Schweizer Medienberichterstattung über Roma fest. Dabei sei aber nicht wie in anderen Staaten die erlittene Diskriminierung der Roma Thema der Beiträge, sondern es kursierten vorwiegend negative Schlagzeilen, was einen entscheidenden Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung der Gruppe hätte. In ihrem Bericht hält die ECRI fest, dass in Erfüllung des Artikels 19 des Kulturförderungsgesetzes, welcher den Fahrenden ermöglichen soll, im Einklang mit ihrer Kultur zu leben, kaum Fortschritte erzielt würden, resp. sich die Situation in den letzten Jahren teilweise gar verschlechtert habe. Die Kommission empfahl den Schweizer Behörden dringlichst, zusätzliche Stellplätze zu schaffen und angemessene Massnahmen zur Verbesserung der Bildung der Kinder der Fahrenden zu treffen. Ende November präsentierte der Bundesrat seine Kulturbotschaft und damit auch ein Bekenntnis zur Verbesserung der Situation von Fahrenden. Die zu diesem Zwecke eingesetzte Arbeitsgruppe traf sich im November bereits zu einem ersten Treffen, das jedoch mit dem frühzeitigen Verlassen von Vertretern der betroffenen Gruppen abrupt endete. Diese fühlten sich nicht ausreichend involviert und sahen ihre Forderung nach sofortiger Schaffung von zusätzlichen Stellplätzen nicht umgesetzt. Ende Jahr wurde bekannt, dass die Gespräche im Folgejahr doch wieder aufgenommen werden sollen.

Stellplätze für Fahrende

Das sankt-gallische Au-Heerbrugg beschloss an einer Urnenabstimmung im Februar mit einer Zweidrittelmehrheit ein Kopftuchverbot im Schulunterricht. Bei der Abstimmungsvorlage handelte es sich um ein von der kantonalen SVP ergriffenes Referendum, das als Reaktion auf die von der Schulbehörde beschlossene Aufhebung eines 2010 vom St. Galler Erziehungsrat empfohlenen Kopftuchverbots zu Stande kam. Die beiden somalischen Mädchen, deren Weigerung zur Ablegung des Kopftuchs den Schulrat zum Umdenken bewogen hatte, gaben bekannt, den Entscheid mit ihrem Anwalt, dem grünen Nationalrat Daniel Vischer (gp, ZH), anfechten zu wollen. Vischer hatte im Vorjahr bereits die beiden thurgauischen Schülerinnen mazedonischer Herkunft erfolgreich vor dem Bundesgericht vertreten.
Im November überwies der sankt-gallische Kantonsrat mit deutlicher Mehrheit eine SVP-Motion, die den Kanton beauftragt, gesetzliche Regelungen für Bekleidungsvorschriften in Schulen zu erlassen. Zwei Wochen zuvor stützte das Verwaltungsgericht in St. Gallen die Beschwerde eines weiteren muslimischen Mädchens aus Sankt Margrethen. Ein Kopftuchverbot wäre zum jetzigen Zeitpunkt unverhältnismässig. Die kopftuchtragende Schülerin sei weder ein Störfaktor in der Schule noch verhindere die Kopfbedeckung die Integration der 13-Jährigen. Im Kanton Thurgau, wo das Bundesgericht im Vorjahr aufgrund fehlender rechtlicher Grundlagen ein von einer Schulgemeinde verhängtes Kopftuchverbot als unzulässig erklärte, scheiterten die Versuche der SVP im Grossen Rat, mittels Motion die rechtliche Basis zu schaffen. Des Weiteren scheiterte im Kanton Aargau eine Motion der CVP-Fraktion, die ebenfalls das Tragen des Kopftuchs im Schulunterricht verbieten wollte, aufgrund fehlender Unterstützung ausserhalb der CVP und SVP.

Kopftuchverbot im Schulunterricht

Mit 87 zu 93 Stimmen beerdigte der Nationalrat eine aargauische Standesinitiative für ein nationales Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum in der Herbstsession 2012 nur äusserst knapp. Neben den geschlossenen Fraktionen der BDP und der SVP erhielt das Anliegen auch von einer Grossmehrheit der CVP-Fraktion sowie einem Drittel der liberalen Fraktion Unterstützung.

Standesinitiative für ein generelles nationales Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum

Was im Umfeld der Zentralschweizer Regierungskonferenz (ZH, LU, SZ, ZG, UR) im Vorjahr als umstrittener bildungspolitischer Entscheid des Kantons Luzern begonnen hatte, setzte sich im Berichtsjahr mit kulturpolitischen Retaliationsmassnahmen aus dem Kanton Schwyz fort. Auf die Aufkündigung des Konkordats über die Pädagogische Hochschule Zentralschweiz durch Luzern reagierte der Schwyzer Kantonsrat gegen den Willen des Regierungsrats mit dem Ausstieg aus dem interkantonalen Kulturlastenausgleich, an dem sich auch die Kantone Zürich, Zug, Aargau, Uri sowie Luzern – und freiwillig Nid- und Obwalden – beteiligen. Über den Kulturlastenausgleich gelangen sogenannte Abgeltungszahlungen der umliegenden Kantone an bedeutende Kulturinstitutionen Zürichs (Opernhaus, Tonhalle, Schauspielhaus) und Luzerns (Kultur- und Kongresszentrum, Luzerner Theater, Luzerner Sinfonieorchester). Mit der Schwyzer Kündigung entgehen dem Kanton Luzern rund 0,8 Mio. CHF, dem Kanton Zürich gegen 1,3 Mio. CHF.

Schwyzer Kantonsrat will Ausstieg aus dem Kulturlastenausgleich
Dossier: Interkantonaler Kulturlastenausgleich

Der Ständerat beschäftigte sich im März als Erstrat mit der im Vorjahr vom Kanton Aargau eingereichten Standesinitiative für ein nationales Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum. Dieses fusst auf einem durch die zuständige Aargauer Parlamentskommission für Sicherheit abgeänderten Vorstoss der Schweizer Demokraten für ein schweizweites Burkaverbot, der vom aargauischen Grossen Rat deutlich angenommen worden war. Während die Mehrheit der SPK-SR die Initiative zur Ablehnung empfahl, hoffte eine rechtsbürgerliche Kommissionsminderheit vergeblich auf deren Annahme: Mit 24 zu vier Stimmen gab die Kleine Kammer der Initiative keine Folge. Die Befürworter der Vorlage bemühten sich hervorzuheben, dass die öffentliche Sicherheit (auch und gerade vor vermummten Randalierern) im Zentrum ihres Anliegens stünde. Auf eine Darlegung der primär religions- und gesellschaftspolitisch begründeten Motivation des Anliegens (Burka-/Niqab- bzw. Verschleierungsverbot im öffentlichen Raum), wie sie noch auf kantonaler Ebene diskutiert worden war, wurde verzichtet. Auch die Initiativgegner rangen um eine politisch korrekte Begründung ihres Standpunkts. Staatspolitisch argumentierend, identifizierten sie die Kantone als Garanten der öffentlichen Sicherheit und sprachen dem Bund die entsprechende Kompetenz ab. Der Nationalrat hat das Geschäft noch nicht behandelt. Zum Verschleierungsverbot aus Sicht der geltenden Rechtsordnung siehe hier.

Standesinitiative für ein generelles nationales Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum

Die Rolle des Islam in der Schweiz wurde auch in den Medien stark thematisiert. Führend waren Debatten über allfällige Kopftuch- und Burkaverbote sowie über die Zulässigkeit muslimischer Grabstätten. Insbesondere eine parlamentarische Debatte im Kanton Aargau brachte im Mai gesamtschweizerisch die Gemüter in Wallung. Der Grosse Rat sprach sich überaus deutlich für einen von den Schweizer Demokraten eingebrachten Vorschlag aus, eine Standesinitiative für ein schweizweites Burkaverbot zu lancieren. Diverse Stimmen verurteilten diese Diskussion daraufhin als Scheindebatte; sie thematisiere an der Lebenswirklichkeit der in der Schweiz lebenden Mehrheit der Muslime vorbei und sei deshalb kontraproduktiv für deren Integration. Gegen ein Burkaverbot vereinten sich Frauen der SP, CSP, FDP und der Grünen. Ulrich Schlüer (svp, ZH), einer der Haupt-Initianten der Minarett-Initiative, äusserte zum allgemeinen Erstaunen Bedenken gegenüber dem Anliegen. Die zuständige kantonale Kommission folgerte auf diese und andere Reaktionen, dass das Verbot eines bestimmten Kleidungsstückes „ausserordentlich willkürlich“ sei und beschloss eine erweiterte Fassung der Initiative. Mitte September reichte der Kanton Aargau schliesslich eine Standesinitiative für ein generelles nationales Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum ein. Im Kanton sprachen sich die Fraktionen der SVP, CVP, FDP und EVP für, und die SP und die Grünen gegen den Vorstoss aus.

Standesinitiative für ein generelles nationales Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum

Für eine jährliche finanzielle Unterstützung des Kulturangebotes der Kantone Zürich und Luzern sprachen sich im Berichtsjahr die Kantone Uri, Zug und Aargau aus. Mit dem Kanton Schwyz, welcher bereits im Vorjahr seine Teilnahme beschlossen hatte, kam somit zum ersten Mal in der Schweiz eine interkantonale Vereinbarung zum Kulturlastenausgleich zustande. Die vier Geberkantone werden die Kantone Zürich und Luzern zukünftig mit insgesamt rund 10 Mio Fr. pro Jahr unterstützen. Der Kanton Nidwalden, welcher die Vereinbarung nicht unterzeichnet hatte, beschloss einen freiwilligen Beitrag von 3 Mio Fr. für den Zeitraum 2009-2011. Im Kanton Obwalden wurde der Beitritt zum Kulturlastenausgleich mit einem jährlichen Beitrag von 500'000 Fr. im Februar vom Volk abgelehnt.

Erste interkantonale Vereinbarung zum Kulturlastenausgleich tritt in Kraft
Dossier: Interkantonaler Kulturlastenausgleich

Der Regierungsrat des Kantons Zürich beantragte dem Kantonsrat, die vor Jahresfrist eingereichte Volksinitiative zur Trennung von Kirche und Staat ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Zuvor hatten sich schon die katholische Zentralkonferenz und die protestantische Synode dezidiert gegen die Initiative ausgesprochen. Im Kanton Aargau lehnten Regierung und Kirchen eine analoge Motion der SD ebenfalls ab.

Zürcher Regierungsrat empfiehlt Initiative zur Trennung von Kirche und Staat zur Ablehnung

In Bern konnte Ende November nach längerem finanzierungsbedingtem Tauziehen die Gründung der "Maison latine" bekanntgegeben werden. Diese neue Begegnungsstätte zwischen deutscher und lateinischer Kultur wird getragen von einer Stiftung mit der Burgergemeinde Bern als Initiatorin, sowie von der Einwohnergemeinde Bern, den Kantonen Aargau, Freiburg, Graubünden, Solothurn, Tessin, Waadt und Wallis sowie den Organisationen Helvetia Latina, Pro Grigioni Italiani, Lia Rumantscha, Pro Ticino, Neue Helvetische Gesellschaft, Anciens Helvétiens Vaudois und der Vereinigung der Kader des Bundes als Mitstifter.

Eröffnung des "Maison latine" in Bern

In der Kulturpolitik übte der Bund weiterhin grosse Zurückhaltung; das Schwergewicht der Aktivität lag bei Gemeinden und Kantonen. Wohl konstituierte sich die eidgenössische Expertenkommission für Fragen der schweizerischen Kulturpolitik (Kommission Clottu); von ihrer Tätigkeit drang indessen wenig an die Öffentlichkeit. Durch von den eidgenössischen Räten bewilligte Subventionserhöhungen an Pro Helvetia und an die Stiftung Schweizer Volksbibliothek (SVB) unterstrich der Bund sein Interesse für kulturelle Belange. Im Frühling konnte mit der Sammlung am Römerholz, die Meisterwerke europäischer Malerei im Privathaus des Kunstmäzens zeigt, dem Publikum ein Legat von Oskar Reinhart an die Eidgenossenschaft zugänglich gemacht werden:

Die Frage nach der Stellung der Kulturschaffenden und nach der Funktion des Theaters in der modernen Gesellschaft rief Diskussionen auf gesamtschweizerischer Ebene hervor. Eine Auseinandersetzung über die Frage, ob sich der einzelne Schriftsteller wie auch seine Organisation politisch engagieren müsse, löste im Schweizerischen Schriftstellerverband (SSV) eine Krise aus, die zur Demission von 22 Mitgliedern (darunter Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch) führte. Eine Minderheit, welche die Frage bejahte, fühlte sich durch den Verbandspräsidenten wegen seiner aktiven Mitarbeit an der französischen Fassung des Zivilverteidigungsbuchs nicht mehr repräsentiert. Zahlreiche Schwierigkeiten an städtischen Bühnen, insbesondere der zunehmende Besucherschwund, riefen nach einer Besinnung auf die Aufgaben modernen Theaters. Eine Tagung von Sachverständigen im Stapferhaus sprach den Wunsch aus, dass Pro Helvetia die Organisation einer permanenten Theaterkonferenz übernehmen solle.

Mit der Inkraftsetzung des revidierten Filmgesetzes war es erstmals möglich, Bundesbeiträge an Spielfilme auszurichten. Dabei gab die Auszeichnung des Films «Krawall» zu einer Kritik im Nationalrat Anlass. Der Bundesrat befürwortete die Förderungswürdigkeit auch von Filmen, die die staatliche und gesellschaftliche Ordnung zur Diskussion stellen. Vorstösse, die sich mit einer weitergehenden Filmförderung befassten, überwies der Bundesrat der Kommission Clottu zur Prüfung. Dieses Thema wurde in den Motionen der Nationalräte Rasser (LdU, AG) (Mo. 10372) und Ziegler (soz., GE) (Mo. 10189), welche an den Nationalrat als Postulate eingereicht wurden, aufgegriffen. In der Diskussion um eine Aufhebung der Filmzensur wirkte ein Bundesgerichtsentscheid richtungweisend (BGE 96 IV 64). Er betraf den Kanton Bern, der zwar keine Filmzensur kennt, in dem jedoch das Obergericht den schwedischen Sexfilm «Ich bin neugierig» aufgrund einer Strafklage verboten hatte; das Bundesgericht gab den beanstandeten Streifen zur Vorführung frei. Der aargauische Regierungsrat hob die Verordnung über die Vorführung von Filmen und damit die Filmzensur formell auf, und die Zürcher stimmten dem neuen Filmgesetz, das als Gegenvorschlag zu einer Initiative gegen die Filmzensur ausgearbeitet worden war, deutlich zu. Der Luzerner Grosse Rat hiess ein neues Lichtspielgesetz, das keine Zensurvorschriften mehr enthält, in erster Lesung gut. Auseinandersetzungen ergaben sich aus dem wachsenden Angebot pornographischer Schriften; behördliche Massnahmen, auch solche des Jugendschutzes, stiessen verschiedentlich auf Ablehnung.

Nationale Kulturpolitik 1966–1974