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2019 wurde für E-Voting zu einem schwierigen Jahr. Zwar hatte der Bundesrat bereits 2018 mittels Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte eine flächendeckende Einführung des dritten Abstimmungskanals angestrebt, der insbesondere Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern die Stimmabgabe erleichtern soll, die Sicherheitsbedenken nahmen aber stark zu. Dies manifestierte sich nicht nur in einer im Februar definitiv lancierten Volksinitiative für ein E-Voting-Moratorium, die ein breites Unterstützungskomitee von links bis rechts hinter sich wusste, sondern auch in den vor allem von den Parteien vorgebrachten negativen Stellungnahmen in der Vernehmlassung zur Teilrevision der politischen Rechte. Zudem revidierten einige Kantone, darunter etwa Aargau, Basel-Landschaft, Glarus oder Jura, ihre Pläne für eine Einführung von E-Voting.
Auch in der Presse nahm die Skepsis gegen E-Voting zu. Das Sicherheitsrisiko sei grösser als der Nutzen, urteilte etwa die NZZ. Insbesondere, weil sich auch gezeigt habe, dass elektronisches Abstimmen nicht zu höherer Beteiligung führe und auch keine Vereinfachung der Stimmabgabe bedeute. Befürwortende von E-Voting betonten hingegen, dass auch briefliches Abstimmen Sicherheitsmängel aufweise. So sei etwa für sehbehinderte Menschen das Stimmgeheimnis nicht garantiert und viele Stimmabgaben würden als ungültig gewertet, weil sie falsch verpackt wurden oder die Unterschrift fehlt. Zudem würden briefliche Stimmen in vielen Kantonen nicht mit dem Stimmregister abgeglichen. Mittels Digitalisierung könnten diese Probleme vermieden werden.

Einen «schweren Rückschlag» – so die NZZ – erlitt das Projekt E-Voting 2019 durch einen sogenannten Intrusionstest der Post. Um zu zeigen, dass die Sicherheitsbedenken unnötig sind, forderten Post und Bundeskanzlei interessierte Personen dazu auf, das von der spanischen Firma Scytl entwickelte und zwischen 25. Februar und 24. März offenegelegte E-Voting-System der Post auf Schwachstellen zu prüfen. Ein «Hacken» des offengelegten Quellcodes in der Art, dass unbemerkt individuelle Stimmabgaben manipuliert oder dass individuelle Stimmabgaben veröffentlicht werden könnten, sollten mit von der Post finanzierten Prämien von bis zu CHF 50'000 belohnt werden. Rund 3'000 Hackerinnen und Hackern hatten sich zum Test angemeldet und deckten bereits nach wenigen Tagen als «gravierend» bezeichnete Sicherheitsmängel auf. So könne das System die universelle Verifizierbarkeit, also eine nachträgliche Überprüfung auf Manipulation, nicht garantieren. Zudem könne ins System eingedrungen und eigentlich gültige Stimmen könnten ungültig gemacht werden. Die Presse erachtete das Hacker-Resultat als «peinlich für die Post» (Blick) oder gar als Rettung der direkten Demokratie – so ein Kommentar in der Sonntagszeitung. Demokratie lebe vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, weshalb Unsicherheiten und Gefahren vermieden werden müssten, meinte die Weltwoche.
Bereit kurz vor dem Intrusionstest hatte die ETH Zürich eine Studie veröffentlicht, mit der gezeigt wurde, dass Individuen bei E-Voting ihre digitale Stimme anonym verkaufen könnten. Dies ist zwar strafbar, könnte bei genügend grosser Zahl an Stimmen aber durchaus zu einer Manipulation von Resultaten führen.

Auch politisch hatte der Rückschlag Folgen. Ende Juni entschied der Bundesrat, die Handbremse zu ziehen. Auch die Vernehmlassung habe gezeigt, dass zwar ein Bedürfnis nach elektronischem Abstimmen und Wählen bestehe, die momentanen Sicherheitsvorkehrungen allerdings nicht genügten. Vorläufig soll deshalb auf die Gesetzesänderung verzichtet werden, mit der E-Voting als dritter Kanal für die Stimmabgabe – neben Urnengang und brieflicher Stimmabgabe – hätte etabliert werden sollen. Das von den Behörden einst formulierte Ziel, dass bei den eidgenössischen Wahlen 2019 mindestens zwei Drittel aller Kantone E-Voting anbieten, wurde damit klar verfehlt. In den Medien wurde dieser «Marschhalt» unterschiedlich kommentiert: Als «Befreiung» wurde das «Ende des E-Votings» in der Sonntagszeitung bezeichnet, während in der Aargauer Zeitung ein «Neustart», aber kein «Denkverbot» gefordert wurde. Die Schweiz habe 60 Jahre gebraucht, bis die briefliche Stimmabgabe eingeführt worden sei, so der Kommentar. Kritisiert wurde der Entscheid des Bundesrats hingegen von der Organisation der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer. Es sei nicht akzeptabel, dass 180'000 Bürgerinnen und Bürger ihr Beteiligungsrecht weiterhin nicht ausüben könnten, kritisierte deren Präsidentin Ariane Rustichelli. Auch der Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) forderten die baldige Einführung digitaler Beteiligungshilfen. Handschriftliches Ausfüllen des Stimmmaterials verhindere die Einhaltung des Stimmgeheimnisses für Sehbehinderte, weil sie auf Hilfspersonen angewiesen seien.

Auch die Post reagierte auf den bundesrätlichen Entscheid und gab ihr bestehendes System noch im Juli auf. Sie wolle ab 2020 eine Alternative anbieten, bei der die bisherigen Sicherheitsprobleme nicht bestünden. Die vier Kantone, die eigentlich noch einen Vertrag mit der Post gehabt hätten (BL, FR, NE, TG), forderten in der Folge Schadenersatz. Doch nicht nur die Post, auch der Kanton Genf stellte den Betrieb seines Systems noch im Juni 2019 ein – nach dem politischen Nein war die finanzielle Unterstützung des Projekts ausgeblieben. Auch die Kantone, die dieses Genfer-System genutzt hatten (AG, BE, GE, LU, SG, VD), hätten es eigentlich bis Ende 2019 nutzen wollen.

Ende Jahr gab der Nationalrat zusätzlich einer parlamentarischen Initiative Folge, die einen «Marschhalt bei E-Voting» fordert. Es sei eine Denkpause nötig, entschied die Mehrheit der grossen Kammer, obwohl die SPK-NR darauf hingewiesen hatte, dass ohne neue Tests kaum Verbesserungen in der Sicherheit möglich seien.

Zum «Vote électronique»-Programm des Bundesrats gehört jedoch nicht nur E-Voting, sondern auch die elektronische Behördeninformation sowie das digitalisierte Unterschriftensammeln. Die Diskussionen um dieses E-Collecting, also um die Idee, Initiativen mittels digitaler statt analoger Unterschriften unterstützen zu können, konzentrierten sich 2019 auf «Online-Plattformen», die laut NZZ zum «Brutkasten der Demokratie» würden. Die Möglichkeit, via solche Plattformen – die bekannteste darunter ist etwa «WeCollect» – Unterschriftenbogen zu verbreiten, die heruntergeladen, ausgedruckt, ausgefüllt, unterschrieben und eingesandt werden müssen, würde die etablierten Parteien herausfordern, da diese neue Art der Unterschriftensammlung eben auch für wenig oder nicht parteilich organisierte Komitees wesentlich einfacher sei als die bisherigen Formen. Freilich können entsprechende Unterschriftenbogen auch direkt auf der Internetseite der Bundeskanzlei heruntergeladen werden. Was die Sammelplattformen allerdings wertvoll mache, seien deren Listen an Adressdaten. Häufig hinterliessen unterschriftswillige Bürgerinnen und Bürger freiwillig ihre persönlichen Angaben auf einer Plattform und könnten so informiert werden, wenn Volksinitiativen mit ähnlicher Stossrichtung lanciert werden. Solche «zielgruppenspezifische[n] Daten sind so etwas wie Goldstaub in Zeiten, in denen politische Gruppierungen mittels Big Data ihren Wählern näherkommen wollen», so die NZZ. Sollten Referenden und Volksinitiativen dadurch in Zukunft einfacher zustandekommen, müsse über eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen nachgedacht werden, so die Zeitung weiter.
In die Kritik geriet Daniel Graf, der Gründer von WeCollect, da er mit seiner Plattform vor allem Anliegen unterstütze, die aus eher linken Kreisen stammten. Auf der einen Seite führte dies zu alternativen Angeboten seitens ähnlicher Plattformen aus dem rechtsbürgerlichen ideologischen Spektrum, auf der anderen Seite überführte Graf WeCollect in eine Stiftung, in der künftig mehrere Personen entscheiden sollten, welche Volksbegehren unterstützt werden. Graf gab zu Protokoll, er wolle mit seiner Plattform die direkte Demokratie fördern und es vor allem auch zivilgesellschaftlichen Gruppierungen ermöglichen, direktdemokratische Instrumente zu nutzen, die nicht nur Parteien und mächtigen Interessenorganisationen vorbehalten sein sollen.

«Vote électronique» – Kritik und gesellschaftliche Debatte von 2015 bis 2022
Dossier: Vote électronique

Die Virulenz der Debatten um das Thema E-Voting nahm 2018 weiter zu. Diskutiert wurde insbesondere, ob der Nutzen, der mit «Vote électronique» gewonnen werde, das Schadenpotenzial übertreffen könne. Während der Bundesrat und zahlreiche Kantone die Entwicklung von E-Voting vorantrieben, wuchs die Skepsis in den eidgenössischen Räten. Eine grössere gesellschaftliche Debatte zum Thema blieb vorerst noch aus, kann aber im Rahmen einer angekündigten Volksinitiative zu einem Verbot von E-Voting erwartet werden. Ende Jahr entschied sich der Kanton Genf, sein seit 2003 bestehendes System CHVote aus Kostengründen nicht weiter zu entwickeln und es per 2020 vom Markt zu nehmen. Damit verblieb einzig das System der Post, das im Frühling 2019 einem vom Bund finanzierten Intrusionstest unterzogen werden soll.

«Von einem Siegeszug des E-Voting in der Schweiz kann beim besten Willen nicht die Rede sein», hatte die NZZ bereits im Februar 2018 den Stand der Entwicklung des elektronischen Abstimmens kommentiert. Es ginge nicht nur um die wichtigen Sicherheitsbedenken: Auf dem Spiel stünden die Wahrung des Stimmgeheimnisses und die Garantie der unverfälschten Stimmabgabe. Grund für den Kommentar war die Ankündigung der Bundeskanzlei, die bestehenden E-Voting Systeme – das vom Kanton Genf betriebene CHVote und das System der Post – einem Härtetest zu unterziehen. Diese Forderung, verbunden mit einem Preisgeld über CHF 1 Mio., war bereits von Marcel Dobler (fdp, SG) als Motion formuliert worden (Mo. 17.3852), die dieser allerdings nach der Ankündigung der Bundeskanzlei zurückzog. Als Termin für diesen Stresstest nannte der Bund das erste Quartal 2019. Gleich nach der Ausschreibung Ende Jahr meldeten sich mehr als 400 Interessentinnen und Interessenten, die das System hacken wollten

Eine neue Wende bekam die Diskussion um E-Voting Ende Februar mit der Vorankündigung der Lancierung einer Volksinitiative zur Verhinderung von E-Voting. Ein Komitee um den Luzerner Nationalrat und IT-Unternehmer Franz Grüter (svp, LU) und den Chaos Computer Club kündigte an, «Vote électronique» stoppen zu wollen. Man könne zwar auch die Änderung des Gesetzes über die politischen Rechte, die ja noch immer nicht vollzogen sei, mit einem Referendum bekämpfen, aber dann sei es vielleicht zu spät. In der Tat schufen immer mehr Kantone Voraussetzungen für elektronisches Abstimmen. Die Initianten waren sich einig, dass jedes Wahlsystem gehackt werden könne. Dies sei aber noch nicht einmal nötig: Wenn nur schon der Anschein erweckt werde, dass bei einer Abstimmung nicht alles mit rechten Dingen zugehe, nehme das Vertrauen in das Abstimmungsergebnis schaden, betonten sie. So werde die Demokratie de facto abgeschafft, warnte Hernâni Marques vom Chaos Computer Club, der bereits im Referendumskomitee gegen das Büpf gesessen hatte. Einigendes Merkmal des Initiativkomitees war das Misstrauen gegen die Bundeskanzlei, die E-Voting auch in den Kantonen vorantrieb. Die Vorwürfe seien nicht berechtigt, gab Barbara Perriard, die Leiterin politische Rechte in der Bundeskanzlei, zu Protokoll. Das Referendum hätte bereits 2002 bei der Einführung der E-Voting-Versuche ergriffen werden können. Zudem gebe es ja auch die Möglichkeit von kantonalen Referenden. Auch die Bundeskanzlei strebe höchste Sicherheit in Zusammenhang mit E-Voting an. Mit der vollständigen Verifizierbarkeit, die vom Bund von den E-Voting-Systemen verlangt werde, sei aber sichergestellt, dass Angriffe entdeckt würden.

Von verschiedener Seite wurde begrüsst, dass mit einer Initiative eine breite Grundsatzdebatte über den neuen Wahl- und Stimmkanal geführt werden solle. Uneinig war man sich allerdings, wie gross das Schadenpotenzial sei und ob der Nutzen im Vergleich dazu genügend gross sei. Dass ein solcher insbesondere für die Auslandschweizerinnen und -schweizer, aber auch für Menschen mit besonderen Bedürfnissen (z.B. Personen, die von einer Behinderung betroffen sind) bestehe, war unbestritten. Häufig wurde auch ins Feld geführt, dass die Beteiligung – vor allem auch von Jugendlichen – dank elektronischem Abstimmen und Wählen zunehmen würde. Die digitale Stimmabgabe müsse als Chance betrachtet werden, weil sie den Prozess der Stimmabgabe vereinfache und helfe, ungültige Stimmen zu vermeiden, wurde argumentiert. Diskutiert wurde darüber hinaus, dass auch das briefliche Abstimmen nicht vollständig sicher sei und auch dort Pannen passierten. Wichtig sei, dass Fehler entdeckt würden und dass eingeschätzt werden könne, ob eine Abstimmung notfalls, also wenn das Resultat entscheidend beeinflusst wurde, wiederholt werden müsse. Eine solche Einschätzung sei aber gerade bei der Papierwahl häufig nicht möglich: So seien etwa nicht nur analoge, sondern auch viele elektronische Systeme zur Auszählung von Stimmen zu wenig verlässlich. Zum so genannten E-Counting hatte sich die GPK schon 2017 kritisch geäussert. Bei der elektronische Stimmabgabe sei eine Auszählung der Stimmen nicht nur wesentlich einfacher, sondern auch schneller und billiger. E-Voting solle deshalb nicht vorschnell verworfen werden (TA 17.4.18) und sei besser als sein momentaner Ruf (BaZ 24.4.18). Digital Abstimmen sei zudem so billig, dass man mehr direkte Demokratie zulassen könne (AZ 5.5.18).

Bundeskanzler Walter Thurnherr, von der NZZ als «Mister E-Voting der Schweiz» (NZZ 17.2.18) bezeichnet, zeigte sich in einem Interview Ende April (NZZ 28.4.18) ob der wachsenden Skepsis gegenüber E-Voting erstaunt. Vor nicht allzu langer Zeit habe der Bundesrat Vorstösse bekämpft, mit denen eine rasche und flächendeckende Einführung von «Vote électronique» gefordert worden sei. Er selber denke, dass man das kalkulierbare Risiko eingehen könne. Man könne das mit einem gut gesicherten Haus vergleichen, bei dem ein Einbruch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden könne, man aber sofort feststellen könne, wenn wirklich jemand eingedrungen sei. Aber manchmal brauche es Zeit, bis Neuem genügend Vertrauen entgegengebracht werde. Im Kanton Graubünden habe man etwa während 25 Jahren das Auto verboten. Eine solche Ablehnung von Neuem sei aber immer auch eine legitime Entscheidung.

Verschiedene E-Voting-Tests in den Kantonen fielen unterschiedlich aus. So zeigte sich etwa in den Pilotgemeinden im Kanton St. Gallen bei den eidgenössischen Abstimmungen vom März 2017 ein recht deutlicher Rückgang der Zahl online Abstimmender, obwohl die Stimmbeteiligung höher war als bei früheren E-Voting-Versuchen. Man müsse sich fragen, ob hier wirklich ein Bedürfnis bestehe, weil brieflich abstimmen schon heute sehr bequem sei, gab Martin Stöckling, der Stadtpräsident von Rapperswil-Jona, einer der St. Galler Testgemeinden, zu bedenken. Auch im Kanton Genf – dem eigentlichen Pionierkanton hinsichtlich E-Voting – zeigten Auswertungen, dass elektronisches Abstimmen die Wahlbeteiligung eher nicht erhöht. Erste Tests im Kanton Thurgau wurden im September hingegen als «geglückt» bezeichnet (TG 24.9.18).

In den eidgenössischen Räten schien die Skepsis gegenüber E-Voting zu wachsen: Zwei kritische Vorstösse wurden in der Herbstsession zwar abgelehnt, aber die SPK-SR gab einer parlamentarischen Initiative Müller (fdp, LU; Pa.Iv. 18.427) Folge. Der Bundesrat trieb die Entwicklung dennoch entsprechend seines Fahrplans weiter voran. Vor den Sommerferien beauftragte er die Bundeskanzlei mit einer Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte, die Ende 2018 in die Vernehmlassung gegeben wurde. Ziel war nach wie vor der ordentliche Betrieb von E-Voting.
Auch in den Kantonen schien die Euphorie für E-Voting ungebremst. Acht Kantone verwendeten «Vote électronique» weiterhin testweise (AG, BS, BE, FR, GE, LU, NE, SG). Mitte Juni entschied der St. Galler Kantonsrat, E-Voting flächendeckend in allen Gemeinden einzuführen. Der Kanton Thurgau erhielt ebenfalls im Juni die Bewilligung, und auch die Kantone Glarus, Graubünden und Waadt kündigten an, E-Voting bald einführen zu wollen. Im Kanton Uri hatte sich das Parlament jedoch bereits im März gegen die Einführung von E-Voting entschieden; im Kanton Jura erfolgte der abschlägige Entscheid im Dezember 2018.

Die bundesrätliche Entscheidung, trotz Kritik an der Idee der Einführung von «Vote électronique» als ordentlichem Stimmkanal festzuhalten, rief freilich erneut die Skeptikerinnen und Skeptiker auf den Plan. Neu wurden verschiedene Berichte über Wahlmanipulation und Datenklau aus dem Ausland ins Feld geführt. Es stimme zwar, dass das Individuum viele Dinge immer stärker digital organisiere und löse. Während aber bei Sicherheitslücken z.B. beim E-Banking nur Einzelne geschädigt würden, stehe bei Fehlern beim E-Voting das Vertrauen in die gesamte Demokratie auf dem Spiel, warnte etwa Balthasar Glättli (gp, ZH), der sich nach eigenen Aussagen «vom Skeptiker zum Gegner» gewandelt habe (AZ 28.6.18). Zwar werde mit E-Voting gewiss administrativer Aufwand erspart, Änderungen an Abstimmungsprozeduren seien aber «gleichsam operative Eingriffe an den Herzkammern der Demokratie», warnte die Weltwoche (11.10.18). Freilich gebe es auch Fehler bei Briefabstimmungen, diese seien aber viel einfacher aufzudecken. Wollte man bei herkömmlichen Abstimmungen ein Abstimmungsergebnis aus betrügerischer Absicht verfälschen, wäre die Zusammenarbeit zahlreicher Zählbüros aus unterschiedlichen Gemeinden vonnöten. Mit E-Voting würde dies bereits einem einzelnen Hacker gelingen, der nicht mal vor Ort sein müsse, gab der ehemalige Nationalrat Jean-Christophe Schwaab (VD, sp) in einem Interview in der Tribune de Genève (20.12.18) zu bedenken.

Mitte August mischte sich die Auslandschweizer-Organisation (ASO) in die Diskussion ein. Als Reaktion auf die lauter werdende Kritik an E-Voting lancierte sie an ihrem jährlichen Kongress eine Online-Petition, mit der gefordert wurde, dass bis 2021 alle Auslandschweizerinnen und -schweizer elektronisch wählen und abstimmen können. Ende November wurden der Bundeskanzlei 11'492 Unterschriften aus über 150 Ländern übergeben. Viele der rund 725'000 im Ausland wohnhafter Schweizerinnen und Schweizer seien auf den elektronischen Stimmkanal angewiesen – so die Begründung für die Petition.

Ende November wurde bekannt, dass der Kanton Genf sein seit 2003 bestehendes System CHVote einstellen wird. Die verlangte Weiterentwicklung des Systems würde nicht nur eine Verzögerung, sondern deutlich höhere Entwicklungs- und Betriebskosten nach sich ziehen. Diese wollten aber die Vertragskantone Aargau, Bern, Luzern und St. Gallen nicht mittragen, worauf der Genfer Staatsrat beschloss, das bestehende System nicht weiterzuentwickeln und nur noch bis Februar 2020 zur Verfügung zu stellen. Kurz zuvor hatte der Chaos Computer Club bekannt gemacht, dass Nutzerinnen und Nutzer des Onlinezugangs von CHVote relativ einfach auf eine falsche Seite umgeleitet werden können, ohne dies zu bemerken. Dies sei aber schon lange bekannt und habe nichts mit dem Rückzug des Systems zu tun (AZ 29.11.18). Nach der Aufgabe des Konsortiums aus neun Kantonen (ZH, GL, FR, SO, SH, SG, GR, AG, TG) im Jahr 2015 – deren System war vom Bund als zu wenig sicher beurteilt worden – bestand also nur noch ein System, nämlich jenes der Post.
Nebst der hängigen parlamentarischen Initiative Müller wurden in der Folge im Parlament weitere Vorstösse (Mo. 18.4375 und 18.4225) eingereicht, die einen möglichen Alleingang der Post vor allem aus Sicherheitsbedenken verhindern wollten. Auch in einigen Kantonen wurden Vorstösse eingereicht, die aufgrund des Ausstiegs von Genf einen Marschhalt verlangten. Die Kantone Aargau, Bern, Luzern und St. Gallen gaben hingegen bekannt, zum System der Post wechseln zu wollen oder einen Wechsel zumindest zu prüfen. Bereits Ende Juni hatte die Stadt Zug angekündigt, ein neues auf der Blockchain basierendes, zusammen mit der Fachhochschule Luzern entwickeltes E-Voting-System testen zu wollen.

«Vote électronique» – Kritik und gesellschaftliche Debatte von 2015 bis 2022
Dossier: Vote électronique

Le Conseil des Etats s'est penché sur le projet de la CIP-CE faisant suite aux initiatives cantonales (14.316 et 14.307) visant l'autonomie cantonale en matière de procédure électorale. Le débat sur l'entrée en matière a suscité de nombreuses discussions. Le résultat de la procédure de consultation a été à maintes reprises mobilisé pour soutenir la divergence de positions entre les cantons. La question de la garantie des droits fondamentaux inscrits dans la Constitution aux articles 8 et 34 a également été soulevée. Une comparaison avec la procédure électorale du Conseil national a également été faite, pour dénoncer l'ingérence du Tribunal fédéral dans l'organisation et les procédures électorales cantonales. L'entrée en matière a été finalement décidée par 26 voix contre 14.
Le débat s'est poursuivi lors de la discussion par article. L'alinéa 1bis ajouté à l'article 39 Cst sur proposition de la majorité de la commission est approuvé par 24 voix contre 16. Au vote d'ensemble, le projet de la CIP-CE est alors adopté par 26 voix contre 15. Les représentantes et représentants des cantons de Vaud, de Neuchâtel, du Jura, de Bâle-Ville et de Bâle-Campagne ont voté selon la position de leur canton lors de la procédure de consultation, à savoir contre une modification constitutionnelle ou en faveur de la proposition de la minorité. Robert Cramer (verts, GE) et Paul Rechsteiner (ps, SG) ont statué, comme leur canton, en faveur de la proposition de la minorité. Daniel Jositsch (ps, ZH) a défendu la position du canton de Zurich en faveur de la proposition de la minorité, a contrario de Ruedi Noser (plr, ZH). Finalement, Pascale Bruderer Wyss (ps, AG), Hans Stöckli (ps, BE) et Roberto Zanetti (ps, SO) n'ont pas représenté l'avis de leur canton, en votant contre le projet de la commission. Sous l'angle partisan, sept des huit parlementaires contre le projet, sont socialistes. Ces derniers ont supporté l'avis de leur parti. C'est au tour du Conseil national de se prononcer sur le projet.

Wahlverfahren Kantonalwahlen
Dossier: Kantonale Parlamentswahlen 2014

Plusieurs mesures de sécurité encadreront le vote sur l'appartenance cantonale de la ville de Moutier, afin d'assurer un scrutin sans controverses. Des observateurs de la Confédération seront sur place, à Moutier, lors du scrutin du 18 juin 2017. Une conférence tripartie composée des exécutifs des cantons du Jura et de Berne, ainsi que de la conseillère fédérale Simonetta Sommaruga, en a décidé ainsi, afin d'assurer d'un commun accord la fin du processus permettant de régler d'un point de vue politique cette partie-là de la question jurassienne. Les observateurs seront des juristes de l'Office fédéral de la justice n'habitant aucun des deux cantons. Ils seront, entre autre, chargés de faire un travail de sensibilisation dans les bureaux de poste, ou encore dans les établissements médico-sociaux (EMS), où, lors du plébiscite de 1975, un bulletin de vote pouvait, semble-t-il, se monnayer 100 francs. De plus, les votes par correspondance seront adressés à l'Office fédéral de la justice à Berne et non, comme il est de tradition, à l'hôtel de ville de Moutier. Le transport des bulletins sera, quant à lui, soumis à des mesures de sécurité supplémentaires. Finalement, toute personne déposant ses papiers à Moutier après le 18 mars, c'est-à-dire trois mois avant le scrutin, ne pourra y prendre part. Cette mesure permet d'éviter le tourisme électoral redouté par les deux camps. Pour autant, rien ne semble, jusqu'à présent, attester d'un tel phénomène.

Votation communale du 18 juin 2017 à Moutier sur l'appartenance cantonale et répétition du 28 mars 2021
Dossier: Moutier und der Jurakonflikt

Die jurassische Regierung beschloss, den zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilten Pascal Hêche nicht an den Kanton Bern auszuliefern und ihn seine Strafe unter Aufsicht der jurassischen Vollzugsbehörden absitzen zu lassen. Dieser Entscheid, der dem Bundesgerichtsurteil vom Vorjahr entsprach, trug ihr heftige Kritik des Bélier und des RJ (Rassemblement jurassien) ein, welche einen neuen Prozess forderten. Das jurassische Kantonsparlament beschloss kurz nach dem Strafantritt, auf ein Gnadengesuch Hêches einzutreten und ihm mit dem Argument, dass seine Tat politisch motiviert gewesen sei, die Hälfte der Strafe zu erlassen. Die Berner Regierung bestritt die Kompetenz des jurassischen Parlaments zu dieser Begnadigung; sie verzichtete aber auf eine Beschwerde beim Bundesgericht, da die Erfahrung mit der Initiative "Unir" gezeigt habe, dass sich dieses Parlament ohnehin nicht an Urteile dieser Instanz halten würde.

Pascal Hêche-Mitglied der Gruppe Bélier
Dossier: Jurakonflikt: Anschläge und Terrorismus

Der Wechsel des Laufentals von Bern zu Basel-Land kam weiterhin planmässig voran. Die Kantonsbehörden der beiden betroffenen Kantone einigten sich auf das Vorgehen und den Zeitplan bei der Obernahme der Verwaltung und bei der Vermögensausscheidung.
Mit der neuen Kantonszugehörigkeit haben sich allerdings noch nicht alle Gemeinden des Laufentals abgefunden. Die Gemeinde Roggenburg hatte sich in den Plebisziten der siebziger Jahre für einen Wechsel vom Bezirk Delémont (JU) zu Laufen entschieden, um im Kanton Bern zu bleiben. In den Volksabstimmungen für den Anschluss des Laufentals an Basel-Land hatten sich die Roggenburger jeweils mit klaren Mehrheiten gegen einen Kantonswechsel ausgesprochen. Nun verlangten sie in einer von der Gemeinde durchgeführten Konsultativabstimmung mit 78:22 Stimmen, dass ihr historisch nicht zum Bezirk Laufen gehörendes Dorf beim Kanton Bern bleiben darf. Das RJ (Rassemblement jurassien) seinerseits forderte den Anschluss der deutschsprachigen Gemeinde Roggenburg an den Kanton Jura. Das RJ hielt auch fest, dass es einen Kantonswechsel von Ederswiler, der einzigen deutschsprachigen Gemeinde des Kantons Jura, nicht akzeptieren wird. In den Dörfern Brislach und Wahlen dauerte die Opposition gegen den Anschluss an Basel-Land ebenfalls noch an; beide würden einen Wechsel in den angrenzenden Kanton Solothurn vorziehen. Der bernische Regierungsrat verbot allerdings die Durchführung einer Volksabstimmung, da das Gesetz für den Entscheid über die Kantonszugehörigkeit des Laufentals keine "opting-out-Klauseln" für dissidente Gemeinden vorsehe. Die Initianten zogen diesen Entscheid an das Bundesgericht weiter, erlitten aber auch dort eine Niederlage.

Roggenburg will beim Kanton Bern bleiben
Dossier: Kantonswechsel des Laufentals

Das Bundesgericht hatte Ende 1991 die Strafe von 22 Monaten Zuchthaus gegen ein wegen der Zerstörung eines mittelalterlichen Brunnens in der Berner Altstadt verurteiltes Mitglied der Gruppe Bélier bestätigt. Der Verurteilte, Pascal Hêche, reichte daraufhin bei den jurassischen Behörden ein Asylgesuch ein. Er brachte damit die Kantonsregierung in eine schwierige Lage. Diese ist einerseits gegenüber dem Kanton Bern, der ein Auslieferungsgesuch gestellt hatte, gemäss dem Gesetz über die Bundesrechtspflege zu Rechtshilfe verpflichtet. Andererseits würde sie bei einer Auslieferung eines militanten Kämpfers für die jurassische Einheit an Bern unter massiven Beschuss aus den eigenen Reihen geraten. Ein Ausweg aus diesem Dilemma tat sich auf, als nachträglich von Juristen eine seit Jahrzehnten nicht mehr angewendete Verfassungsbestimmung (Art. 67 BV) entdeckt wurde, die es den Kantonen ermöglicht, bei politischen Delikten auf eine Auslieferung zu verzichten. Das letzte Mal war diese Bestimmung vor 70 Jahren angewendet worden, als der Kanton Schaffhausen die Auslieferung eines im Aargau wegen "landesverräterischer" Publikationen verurteilten Politikers verweigerte. Die jurassischen Behörden kündigten an, mit dem Entscheid über die Auslieferung zu warten, bis das Bundesgericht entschieden hat, ob es sich bei der Tat um, wie von den bernischen Gerichten behauptet, einen Vandalenakt oder um ein politisches Delikt gehandelt hat. Die Berner Regierung ersuchte in der Folge das Bundesgericht um ein diesbezügliches Urteil. Im Dezember entschied dieses, dass es sich bei der Tat im weitesten Sinne um ein politisches Delikt gehandelt hat. Dies habe zwar keine Strafmilderung zur Folge, erlaube aber dem Kanton Jura, auf die Auslieferung an Bern zu verzichten und die Strafe selbst zu vollziehen. Eine Neubeurteilung des Falls durch ein jurassisches Gericht kommt gemäss dem Urteil des Bundesgerichts nicht in Frage, da damit die Grundregel verletzt würde, dass jemand für eine Tat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt werden darf. (Zur Zerstörung des Berner Gerechtigkeitsbrunnens siehe auch hier.)

Pascal Hêche-Mitglied der Gruppe Bélier
Dossier: Jurakonflikt: Anschläge und Terrorismus

Die 1990 vom jurassischen Parlament für gültig erklärte Volksinitiative "Unir" des RJ, welche von den Kantonsbehörden eine aktive Politik für eine Eingliederung der beim Kanton Bern verbliebenen südjurassischen Bezirke fordert, war von der bernisehen Regierung mit einer staatsrechtlichen Klage beim Bundesgericht angefochten worden. Dieses erklärte am 17. Juni die Initiative "Unir" für ungültig, weil sie gegen die in der Bundesverfassung verankerte Bestandesgarantie für die Kantone verstosse, und forderte die jurassischen Behörden auf, ihr keine Folge zu geben. In der schriftlichen Begründung führten die Richter aus, unzulässig sei nicht der Wunsch nach einer Vereinigung an sich, sondern dass dieses Ziel nicht in einem einvernehmlichen Verfahren mit Bern und dem Bund angestrebt werden soll, sondern mit Propagandaaktionen auf dem Gebiet des Kantons Bern.
Bereits vor diesem Entscheid hatte die jurassische Regierung dem Parlamentsauftrag von 1990 entsprochen und ein Ausführungsgesetz zur Initiative "Unir" vorgelegt. Dieses proklamiert, dass das Erreichen der "institutionellen Einheit" des Juras (d.h. des Zusammenschlusses aller sechs Bezirke) eines der wichtigsten Ziele des Kantons sein soll. Für die Koordination der diesbezüglichen kantonalen Aktivitäten ist die Einsetzung eines Delegierten für die Wiedervereinigung vorgesehen. Nicht allein diese Aktivitäten, sondern auch private Organisationen, welche sich für diese Ziele einsetzen, will die Regierung über einen speziellen Budgetposten finanzieren. Zudem soll ein aus Vertretern des Kantons Jura und Bewohnern der drei bernjurassischen Bezirke gebildeter Rat Vorschläge für die Organisation eines gemeinsamen Kantons erarbeiten.
Das Parlament des Kantons Jura hiess dieses Gesetz in erster Lesung bei Stimmenthaltung der Freisinnigen gut. Nach dem Bundesgerichtsurteil über die Initiative "Unir" drängte das RJ auf eine unveränderte Verabschiedung in zweiter Lesung. Die Regierung und die vorberatende Kommission schlugen hingegen vor, das Gesetz etwas zu entschärfen, indem die gemeinsame Kommission nicht vom Kanton Jura sondern von der vom Bundesrat eingesetzten Konsultativkommission ernannt werden soll; überdies wurde jede Erwähnung der Initiative selbst vermieden. Das Parlament hiess in zweiter Lesung das so überarbeitete Gesetz mit 40 zu 12 Stimmen bei drei Enthaltungen gut. Der Widerstand kam von der FDP, welche nicht gegen das Gesetz an sich opponierte, sondern vor allem gegen die finanzielle Unterstützung von privaten Organisationen, welche für eine Vereinigung kämpfen. Die Aktivitäten dieser Organisationen (RJ, Bélier, Unité jurassienne) hätten sich nach Ansicht der FDP bisher nur kontraproduktiv auf das auch vom jurassischen Freisinn befürwortete Ziel einer Wiedervereinigung ausgewirkt. Die bernische Regierung reichte unverzüglich eine Beschwerde beim Bundesrat ein, worin sie von ihm Massnahmen zur Durchsetzung des Bundesgerichtsentscheides forderte.

Volksinitiative "Unir" (1988-1992)
Dossier: Moutier und der Jurakonflikt
Dossier: Rassemblement jurassien (RJ) nach der Gründung des Kantons Jura

Nach dem Bekanntwerden der verdeckten Zahlungen der Berner Regierung an die berntreuen Organisationen hatte die jurassische Regierung beim Bundesgericht Beschwerde gegen die Plebiszite von 1974 und 1975, welche zum Verbleiben der drei südlichen jurassischen Bezirke bei Bern geführt hatten, erhoben. Am 13. März beschloss das Bundesgericht einstimmig, aus formalen Gründen auf diese Beschwerde nicht einzutreten. Da der Kanton Jura zur Zeit der Plebiszite noch nicht existiert hat, kommt ihm gemäss dem Urteil keine Klagelegitimation zu; eine Beschwerde hätte demnach zeitgerecht, d.h. nach der Aufdeckung der verdeckten Zahlungen, von einer 1974 stimmberechtigten Person eingereicht werden müssen. Das Bundesgericht wies gleichzeitig auch die jurassische Klage auf Rückerstattung eines Teils der Schwarzgelder ab.

Bundesgerichtsentscheid über die Beschwerde der jurassischen Regierung gegen die Plebiszite von 1974 und 1975
Dossier: Jurassische Beschwerden gegen die Plebiszite von 1974/75

Die bernische Regierung reichte beim Bundesgericht staatsrechtliche Klage gegen die Gutheissung der Volksinitiative "Unir" durch das jurassische Parlament und gegen die staatlichen Beiträge an den "Wiedervereinigungsfonds" ein. Sie sieht darin einen Verstoss gegen die in der Bundesverfassung verankerte Garantie des kantonalen Territoriums, welcher noch gravierender sei, als der 1977 von der Bundesversammlung gestrichene Wiedervereinigungsartikel der jurassischen Kantonsverfassung. Bereits vorher war die bernische Exekutive vom Grossen Rat mit einer von SVP, SP und FDP unterstützten Motion Houriet (fdp) aufgefordert worden, sich mit konkreten Massnahmen gegen die Gebietsansprüche des Kantons Jura zu widersetzen. Ebenfalls mit einer Motion hatte ein anderer Berner Jurassier (Benoit, svp) verlangt, dass als Gegengewicht zum jurassischen Wiedervereinigungsfonds ein bernischer Fonds zur Verteidigung der territorialen Integrität zu gründen sei. Auf Antrag der Regierung, welche auf die schlechten Erfahrungen mit staatlichen Propagandafonds hinwies, lehnte der Grosse Rat diesen Vorstoss ab.

Volksinitiative "Unir" (1988-1992)
Dossier: Moutier und der Jurakonflikt
Dossier: Rassemblement jurassien (RJ) nach der Gründung des Kantons Jura

Die von der jurassischen Regierung eingereichte Beschwerde gegen die Plebiszite von 1974, welche dazu geführt hatten, dass sich der neue Kanton nur aus den drei nördlichen Bezirken zusammensetzt, wurde vom Bundesgericht noch nicht behandelt. Die Kantonsregierung reichte eine zusätzliche Beschwerde gegen die Vermögensaufteilung ein: auch diese müsse nach dem Aufdecken der von der Berner Regierung geführten "schwarzen Kassen" revidiert werden. (Zur Vermögensaufteilung siehe auch hier.) In der Frage der umstrittenen Kantonszugehörigkeit der Gemeinden Vellerat (BE) und Ederswiler (JU) wurde bekannt, dass das EJPD 1988 den beteiligten Kantonen einen Staatsvertrag über den Abtausch der beiden Orte vorgeschlagen hatte. Diese Lösung entspräche dem von der Berner Regierung bereits früher gemachten, aber von den jurassischen Behörden und der Gemeinde Vellerat stets abgelehnten Vorgehen.

Jurassische Beschwerde gegen die Vermögensaufteilung und Staatsvertrag bezüglich Vellerat (BE) und Ederswiler (JU)
Dossier: Jurassische Beschwerden gegen die Plebiszite von 1974/75
Dossier: Vellerat und Ederswiler

Das Urteil des Bundesgerichts über die Abstimmung im Laufental gab auch denjenigen neue Hoffnung, welche sich für den Anschluss der bernisch gebliebenen südjurassischen Bezirke an den Kanton Jura einsetzen. Auch sie hatten nach der Aufdeckung der finanziellen Unterstützung von Berntreuen durch die Berner Regierung Beanstandungen gegen die Plebiszite von 1974 und 1975 angemeldet. Die Ausgangslage ist hier insofern komplizierter als im Laufental, weil das Ergebnis dieser Abstimmungen nicht zur Beibehaltung des Status quo, sondern zur Gründung des Kantons Jura geführt hatte. Konkret hatte die Regierung des Kantons Jura am 14. November 1985 verlangt, dass der Bundesrat die von der Berner Regierung vorgenommenen Zahlungen untersuche und bei allfälligen Unregelmässigkeiten die betroffenen Abstimmungen annuliere und neu ansetze. Die Landesregierung hatte sich als nicht zuständig erklärt und das Gesuch an das Bundesgericht überwiesen. Die jurassische Regierung hatte jedoch auf der Zuständigkeit des Bundesrates insistiert und zu diesem Zweck an das Parlament appelliert. Dieses bestätigte nun aus formalen Gründen den Entscheid des Bundesrates. Erst wenn sich das Bundesgericht als ebenfalls nicht zuständig erklären würde, könnte die Bundesversammlung als Aufsichtsorgan entscheiden, von welcher Instanz die Eingabe zu behandeln sei.

Aufsichtsbeschwerde des Kantons Jura gegen den Bundesrat (87.261)
Dossier: Jurassische Beschwerden gegen die Plebiszite von 1974/75

In der offiziellen Jurapolitik wurden im Berichtsjahr weder neue Akzente gesetzt noch Fortschritte erzielt. Die Regierung des Kantons Jura setzte ihre Bemühungen fort, das Ergebnis des Plebiszits, das 1975 zum Verbleib der südlichen Amtsbezirke beim Kanton Bern geführt hatte, wegen der im Zusammenhang mit der Berner Finanzaffäre aufgedeckten Zahlungen an die Berntreuen zu annullieren. Der Bundesrat erklärte sich ein zweites Mal - nachdem er die Klage bereits im Jahr zuvor an das Bundesgericht übergeben hatte - für die Behandlung des Rekurses nicht zuständig und verwies die jurassische Regierung erneut an das Bundesgericht, worauf diese ihr Anliegen bei der Bundesversammlung vorbrachte.

Aufsichtsbeschwerde des Kantons Jura gegen den Bundesrat (87.261)
Dossier: Jurassische Beschwerden gegen die Plebiszite von 1974/75

Die Aufdeckung der Zahlungen an berntreue Organisationen durch die Besondere Untersuchungskommission (BUK) des bernischen Grossen Rates führte zu einer Belebung der Jurafrage. Für die Befürworter eines Anschlusses der drei bei Bern verbliebenen Bezirke an den Kanton Jura bildeten diese Überweisungen den Anlass, die Resultate der Plebiszite von 1975 grundsätzlich in Frage zu stellen. Der Bundesrat erklärte sich nicht zuständig, auf die Ende 1985 von der jurassischen Kantonsregierung eingereichte Beschwerde wegen Abstimmungsbetrugs einzutreten. Mit dem Argument, dass die Überwachung der damaligen Abstimmungen durch Vertreter des Bundes keine Unregelmässigkeiten zutage gefördert hätten, und dass sein Aufsichtsmandat mit dem Plebiszit vom 11. September 1983 über die Kantonszugehörigkeit des Laufentals beendet worden sei, übergab er die Klage an das Bundesgericht. Diese Instanz wird sich auch mit Aufsichtsbeschwerden aus dem Laufental befassen müssen, welche die Rechtmässigkeit der Abstimmung von 1983, in welcher die Stimmenden einen Wechsel des Bezirks zu Baselland abgelehnt hatten, in Zweifel ziehen. Analog zu den jurassischen Beanstandungen wird auch hier beanstandet, dass die bernische Regierung mit ihren verdeckten Zahlungen an Berntreue das Selbstbestimmungsrecht der Bürger unzulässig und ausschlaggebend beeinflusst habe. Die bernische Finanzaffäre veranlasste im weitern das jurassische Parlament zur Einsetzung einer von R. Béguelin geleiteten Untersuchungskommission, die das Finanzgebaren der Regierung des Kantons Bern bis auf Jahrzehnte hinaus zurückverfolgen soll. Die bernische BUK lehnte eine Zusammenarbeit mit diesem Gremium allerdings ab. Nachdem der Berner Grosse Rat darauf verzichtet hatte, die finanzielle Unterstützung von berntreuen Organisationen durch die Regierung in seine Strafanzeige einzubeziehen, reichte zudem die für einen Anschluss an Baselland kämpfende «Laufentaler Bewegung» Strafanzeige gegen acht ehemalige und amtierende Regierungsräte sowie Alt-Staatsschreiber Martin Josi ein. (Zu den Auswirkungen der Berner Finanzaffäre auf die kantonalen Wahlen siehe hier.)

Abstimmung vom Herbst 1983 über die Kantonszugehörigkeit des Laufentals
Dossier: Kantonswechsel des Laufentals