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Die im Frühjahr 2020 durchgeführte Vernehmlassung zur Änderung des Asylgesetzes – angestossen durch eine parlamentarische Initiative Rutz (svp, ZH) – ergab, dass die Mehrheit der Stellungnehmenden die Möglichkeit begrüssten, zur Identitätsüberprüfung von Asylsuchenden deren mobile Geräte zu nutzen. 24 von 25 stellungnehmenden Kantonen – alle mit Ausnahme des Kantons Neuenburg – sowie die Parteien der CVP, FDP und SVP stimmten diesem Vorhaben im Grundsatz zu, da sie sich davon eine effiziente Methode zur Identifizierung von Personen erhofften, für die keine Identitätsdokumente vorliegen würden. Opposition erfuhr der Entwurf von den linken Parteien und von den meisten stellungnehmenden interessierten Kreisen. Diese erachteten die Massnahme als unverhältnismässigen Eingriff in die persönlichen Grundrechte, vermissten eine gesetzliche Grundlage und bezweifelten darüber hinaus die postulierte Effizienz eines solchen Vorgehens. Nicht zuletzt brachten sie datenschutzrechtliche Bedenken vor. Fünf Kantone und die SVP setzten sich auf der anderen Seite für die Möglichkeit einer zwangsweisen Abnahme der elektronischen Datenträger ein. Der Entwurf der Kommission sah eine Mitwirkungspflicht, aber keinen Zwang vor. Einige stellungnehmende Akteure, darunter auch der EDÖB, machten deutlich, dass sie die Grundrechtskonformität im Falle eines Zwanges nicht mehr gegeben sähen. Der EDÖB forderte etwa auch die Schaffung einer Gesetzesgrundlage für die Bearbeitung personenbezogener Daten von Drittpersonen, da diese auch von den zur Identitätserkennung unternommenen Auswertungen betroffen sein könnten.
Die zuständige SPK-NR übernahm gewisse Empfehlungen aus der Vernehmlassung, insbesondere datenschutzrechtliche Belange, und verabschiedete im Oktober 2020 mit 13 zu 8 Stimmen bei 2 Enthaltungen die Vorlage an den Bundesrat.

Mitwirkungspflicht im Asylverfahren. Überprüfungsmöglichkeit bei Mobiltelefonen (Pa. Iv. 17.423)

Eigentlich hätte die Stimmbevölkerung am 17. Mai 2020 über drei Vorlagen abstimmen sollen. Allerdings beschloss der Bundesrat am 18. März angesichts der Covid-Pandemie, die Abstimmungen über die Begrenzungsinitiative, das Jagdgesetz und die Erhöhung der Kinderabzüge zu verschieben. In ihrer Medienmitteilung begründete die Regierung ihren Entscheid mit der erschwerten Meinungsbildung und der nicht sicher zu gewährleistenden Abstimmungsorganisation. Aufgrund des Versammlungsverbots könnten ferner auch keine Informations- und Publikumsveranstaltungen stattfinden. Neben der Absage der Urnengänge empfahl der Bundesrat den Kantonen, Gemeindeversammlungen zu verbieten. Zudem kündigte er eine Verordnung für einen Fristenstillstand an.
In den Medien wurde der Entscheid mehrheitlich begrüsst. Auch die SVP, die mit der Kampagne für ihre Begrenzungsinitiative bereits begonnen hatte, stand hinter dem Entscheid des Bundesrats. Die Menschen hätten jetzt andere Probleme, gab Thomas Aeschi (svp, ZG) der Aargauer Zeitung zu Protokoll. Für den Entscheid habe man Verständnis, gab Eric Nussbaumer (sp, BL) die Befindlichkeiten in der SP zum Ausdruck, es sei allerdings demokratiepolitisch heikel, wenn neben dem Parlament nun auch die Stimmbevölkerung keine politischen Rechte mehr ausübe. Man hätte sich auch angesichts der schleppenden Verhandlungen mit der EU eine raschere Klärung bei der Begrenzungsinitiative gewünscht, präzisierte Christian Levrat (sp, FR) in Le Temps.
In den Medien wurden zudem vergleichbare Situationen gesucht. Selbst während der beiden Weltkriege und der spanischen Grippe 1918 sei es nicht zu Verschiebungen von Urnengängen gekommen, wohl aber 1951, als es die Maul- und Klauenseuche an vielen Orten verunmöglicht habe, den Urnengang durchzuführen.
Verschiedene Kantone gingen derweil unterschiedlich mit der Corona-Situation um. Im Kanton Schwyz wurden kantonale und im Kanton Luzern Ende März noch lokale Wahlen durchgeführt. Rund 90 Prozent der Bevölkerung würde sowieso brieflich abstimmen; einzig die Auszählung würde wohl länger dauern – so die Behörden. Eine Verschiebung sei angesichts der weit fortgeschrittenen Meinungsbildung aber nicht angebracht. Im Kanton Tessin hingegen, der stark unter der Pandemie litt, wurden die kommunalen Wahlen von Anfang April verschoben. Die zweiten Wahlgänge der lokalen Wahlen in Genf wiederum fanden statt – allerdings ohne Urne. Wer nicht brieflich stimmen konnte, durfte seinen Wahlzettel Dorfpolizisten übergeben, die diese auf Anfrage abholten.

Ende April entschied der Bundesrat dann, die drei Vorlagen auf den Abstimmungstermin vom 27. September 2020 zu verlegen, an dem auch über die Beschaffung der neuen Kampfjets und über den Vaterschaftsurlaub abgestimmt werden sollte. Die Medien sprachen in der Folge aufgrund der fünf nationalen Abstimmungen von einem «Supersonntag».

Volksabstimmungen vom Mai 2020 verschoben

Im Jahr 2019 erliess das Parlament insgesamt 54 Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse, die dem fakultativen Referendum unterstellt waren (2018: 41). Gegen insgesamt sechs dieser Erlasse (11%) wurde ein Referendum angestrengt (2018: gegen 4; 9.8%). Damit hielt der Trend zur stärkeren Kontrolle des Parlaments durch Referenden auch 2019 an: In den Jahren 2015, 2016 und 2017 lag der Anteil parlamentarischer Erlasse, gegen die ein Veto eingelegt wurde, noch jeweils bei rund 4 Prozent.
Ein Komitee um die Kampagnenplattform «Wecollect» reichte 64'933 gültige Unterschriften gegen das E-ID-Gesetz ein; die SP wollte die Bevölkerung zur Erhöhung des Kinderabzugs befragen und reichte dagegen 53'088 Unterschriften ein; das Jagdgesetz wurde von verschiedenen Umwelt- und Tierschutzorganisationen bekämpft und wird dank der eingereichten 58'570 Unterschriften an der Urne entschieden werden; gegen den indirekten Gegenvorschlag zur Initiative für einen Vaterschaftsurlaub reichten Vertreter der SVP und der Jungfreisinnigen 54'489 Unterschriften ein.
Über die vier Gesetze soll im Jahr 2020 abgestimmt werden. Auch die Sammelfristen für die beiden angekündigten Referenden gegen die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge – die GSoA, die SP und die Grünen sammelten hier Unterschriften – sowie gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien, angestrengt von Uniterre, laufen im Frühling 2020 ab.

Drei fakultative Referenden, die gegen Erlasse aus dem Jahr 2018 gerichtet waren, waren 2019 abstimmungsreif. Davon kamen zwei im Mai an die Urne und waren beide erfolglos. Die Mehrheit der Stimmbevölkerung stützte das Parlament nämlich sowohl hinsichtlich der Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie, gegen die ein Komitee aus der Interessengemeinschaft Schiessen (IGS) und der SVP das Referendum ergriffen hatte, als auch hinsichtlich des Bundesgesetzes über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF), mit dem verschiedene Komitees von linker und bürgerlicher Seite, insbesondere bestehend aus Jungparteien, nicht einverstanden waren. Die Abstimmung über die Erweiterung der Rassismusstrafnorm um den Tatbestand der sexuellen Orientierung wurde auf Februar 2020 angesetzt.

Übersicht Referenden 2019
Dossier: Ergriffene Referenden von Jahr zu Jahr (seit 2012)

Gleichzeitig mit der Verabschiedung der Botschaft zur Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution (NMRI) durch den Bundesrat Mitte Dezember 2019 veröffentlichte das EDA die Vernehmlassungsergebnisse zum entsprechenden Vorentwurf. Alles in allem war das Vorhaben des Bundesrates bei den stellungnehmenden Kantonen, Parteien und Organisationen auf ein sehr positives Echo gestossen: 110 der insgesamt 116 Vernehmlasserinnen und Vernehmlasser hatten die Vorlage grundsätzlich befürwortet. Dahingegen hatten ihr der Kanton Schwyz, die FDP und die SVP sowie das Centre Patronal, der schweizerische Gewerbeverband und die Unabhängigkeitspartei Schweiz ablehnend gegenübergestanden; sie hatten die Errichtung einer NMRI nicht für notwendig gehalten. Nichtsdestotrotz hatten auch viele der befürwortenden Teilnehmenden «deutlichen Anpassungsbedarf» an der Vorlage gesehen, wie der Ergebnisbericht feststellte. Rund die Hälfte der Stellungnehmenden, darunter zahlreiche Organisationen aus dem humanitären Bereich, hatten ausdrücklich gefordert, dass die Schweizer NMRI die sogenannten Pariser Prinzipien der UNO umfassend verwirklichen müsse, sodass sie von der GANHRI mit der Bestnote A akkreditiert würde, denn alles andere würde weder dem menschenrechtlichen Selbstverständnis der Schweiz noch ihrem Image auf dem internationalen Parkett gerecht. Als problematisch war hierfür vor allem die vorgesehene universitäre Trägerschaft der NMRI gesehen worden. Ein Grossteil der Teilnehmenden hatte zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der NMRI daher angeregt, ihr eine eigene Rechtspersönlichkeit, beispielsweise als Stiftung oder Verein, zukommen zu lassen.
Der Bundesrat nahm letztere Kritik aus der Vernehmlassung in seiner Botschaft auf, indem er darin die NMRI als öffentlich-rechtliche Körperschaft ausgestaltete. Die NMRI sollte ihre Tätigkeiten im Rahmen ihres Mandats selbst bestimmen. Der Bund und die Kantone sollten mit beratender Funktion, aber ohne Stimmrecht Einsitz nehmen und die NMRI finanziell unterstützen – der Bund mit Finanzhilfe im Umfang von einer Million Franken pro Jahr, die Kantone mit der Übernahme der Kosten für die Infrastruktur der NMRI. Die ursprünglich angedachte universitäre Verankerung sollte insofern beibehalten werden, als die NMRI an einer oder mehreren Universitäten situiert werde. Als Aufgaben der NMRI nannte die Botschaft die Information und Dokumentation, Forschung, Beratung, Menschenrechtsbildung, Sensibilisierung und den internationalen Austausch zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte sowohl im innerstaatlichen Bereich als auch in Bezug auf die innerstaatliche Umsetzung internationaler menschenrechtlicher Verpflichtungen. Dabei werde sie aber keine Verwaltungsaufgaben und keine Ombudsfunktion wahrnehmen, auch behandle sie keine Einzelfälle und spreche keine verbindlichen Empfehlungen aus, präzisierte der Bundesrat in der entsprechenden Medienmitteilung. Damit die Ablösung des Pilotprojekts SKMR, das Ende 2020 auslaufe, nahtlos erfolgen könne, sah der Bundesrat zudem die Verlängerung der Pilotphase um weitere zwei Jahre vor.

Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution (NMRI)
Dossier: Nationale Menschenrechtsinstitution

A l'occasion de la grève féministe et des femmes* du 14 juin 2019, la présidente du Conseil national Marina Carobbio Guscetti (ps, TI) a souhaité marquer le coup. Elle a proposé au bureau du Parlement de faire une grève éclair de 15 minutes, à 11h, le 14 juin. Sa proposition a été acceptée tacitement à l'unanimité par les membres du bureau, mais combattue par une motion d'ordre Glarner (udc, AG). Ce dernier a profité de son temps de tribune pour traiter les grévistes de «femmes frustrées qui n'ont pas eu ce qu'elles voulaient dans la vie». Sa véhémente tirade n'a convaincu que 53 membres (2 ont voté contre et 2 se sont abstenu) de son parti et deux élus PLR. L'UDC s'est montrée dès le départ opposée à la grève. Sa section féminine romande a toutefois prévu une action, controversée, pour ce jour-là. Les femmes UDC organisent en effet un banquet dont les bénéfices seront reversés à des associations anti-avortement.

Grève féministe et des femmes* du 14 juin 2019
Dossier: Feministisches Jahr 2019?
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Frischen Wind in die gesellschaftliche Debatte ums nationale Verhüllungsverbot brachte die grossmehrheitliche Zustimmung des St. Galler Stimmvolks zu einem Verhüllungsverbot auf kantonaler Ebene im September 2018. Damit war St. Gallen nach dem Tessin der zweite Kanton, in dem die Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit verboten wurde. Der Präsident des Initiativkomitees der nationalen Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», der Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann, deutete die St. Galler Entscheidung als ein positives Zeichen für die bevorstehende Abstimmung über das schweizweite Verhüllungsverbot. Bundespräsident Berset gab demgegenüber in der Presse zu Protokoll, man nehme das Resultat auf Kantonsebene zur Kenntnis, aber auf nationaler Ebene sei die Debatte eine andere – dies wohl, weil die St. Galler Bestimmung die Gesichtsverhüllung nur dann verbietet, wenn von ihr eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
Im Zuge der gleichzeitig laufenden Vernehmlassung zum Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot, das vom Bundesrat als indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative aus der Taufe gehoben worden war, taten im Herbst 2018 zahlreiche Akteure ihre Ansichten zur Burkafrage in den Medien kund. Unter den Parteien lehnten neben der SVP – ihres Erachtens nehme der bundesrätliche Gegenvorschlag das Anliegen der Initiative nicht ernst – auch die Grünen den indirekten Gegenvorschlag ab. Sie betrachteten den Gegenvorschlag als unverhältnismässig und unnütz, da Nötigung ohnehin bereits verboten sei und der Gegenvorschlag genauso wenig zu den Rechten und zur Gleichberechtigung muslimischer Frauen beitrage wie die Initiative; letztlich schürten beide Vorurteile gegen die muslimische Bevölkerung. Auf der anderen Seite begrüsste die GLP den Vorschlag des Bundesrates vorbehaltlos. Die CVP und die FDP unterstützten beide die Stossrichtung des Bundesrates, brachten aber entgegengesetzte Vorbehalte zum Ausdruck. Während sich die CVP eine weitergehende Regelung im Sinne eines auf Gesetzesebene verankerten, allgemeinen Verhüllungsverbots wünschte, lehnte die FDP ein solches auf nationaler Ebene kategorisch ab – dies liege in der Kompetenz der Kantone – und zweifelte generell am Gesetzgebungsbedarf in dieser Frage, da es sich bei der Burka in der Schweiz um eine marginale Erscheinung handle. Für gut befand die FDP jedoch die klaren Regeln zum Behördenkontakt. Dieser Teil des bundesrätlichen Vorschlags war – neben der Feststellung, es sei richtig, der Initiative überhaupt mit einem indirekten Gegenvorschlag entgegenzutreten – auch der einzige Punkt, den die SP mehr oder weniger einhellig unterstützte. In allem, was darüber hinausging, zeigten sich die Sozialdemokraten gespalten. Der Waadtländer Nationalrat Pierre-Yves Maillard, der sich schon zuvor als Burka-Gegner zu erkennen gegeben hatte, fand in seiner Partei rund 40 Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die ein Verbot der Burka in der Schweiz befürworteten, wenn auch nicht in der Bundesverfassung, sondern auf Gesetzesstufe. Sein Lausanner Parteikollege Benoît Gaillard bezeichnete die Burka als eine religiöse Praxis, die der Gleichstellung von Mann und Frau, den Menschenrechten und den Fundamenten der Demokratie zuwiderlaufe. Man dürfe nicht ein Jahrhundert des Kampfes für die Gleichstellung der Geschlechter der Toleranz gegenüber einer religiösen Minderheit opfern, denn der Gesichtsschleier beraube die Frauen ihrer öffentlichen Existenz, was nicht mit der Schweizer Bürgerschaft vereinbar sei. Der bundesrätliche Gegenvorschlag tauge demnach gemäss Maillard nicht, um den Erfolg der Initiative zu verhindern. Ebenfalls für ein Burkaverbot auf Gesetzesstufe sprach sich die Waadtländer Ständerätin Géraldine Savary aus; sie sah den Vorschlag des Bundesrates als geeigneten Ausgangspunkt für die entsprechende parlamentarische Debatte. Mit einer rein parlamentarischen Lösung, hoffte sie, könnte die Abstimmung über die Volksinitiative verhindert und der Abstimmungskampf vermieden werden, der die muslimische Bevölkerung stigmatisieren und die Frauen «als Geiseln nehmen» werde, wie sie der «Tribune de Genève» erklärte. Eine andere Ansicht vertrat hingegen beispielsweise der Genfer Nationalrat Carlo Sommaruga, der den Gegenvorschlag genügend überzeugend fand, um den zögernden Teil der Wählerschaft zu gewinnen. Er erlaube die Bestrafung von Nötigung und lasse gleichzeitig den Frauen, die sich aus freien Stücken verschleiern wollten, die Wahl; allen unsere Vorstellung von Gleichheit aufzuzwingen wäre hingegen Ausdruck eines «kolonialen Feminismus», wie Sommaruga von «Le Temps» zitiert wurde.
Von den insgesamt 69 eingegangenen Stellungnahmen qualifizierte der Ergebnisbericht zur Vernehmlassung rund zwei Drittel, mehrheitlich mit Vorbehalten, als befürwortend und ein Drittel als ablehnend. Neben der SVP, den Grünen, der EVP, der EDU, dem Egerkinger Komitee, der EKR, dem SGB und vier weiteren Organisationen lehnten sowohl die KKJPD als auch sieben Kantone den bundesrätlichen Gegenvorschlag ab. Ihrer Ansicht nach sollten die Kantone selbst über die Frage des Verhüllungsverbots entscheiden können beziehungsweise bringe der Vorschlag des Bundesrates keinen Mehrwert gegenüber dem geltenden Recht. Demgegenüber unterstützten die übrigen Parteien der Bundesversammlung, 18 Kantone, verschiedene Frauen- und Menschenrechtsorganisationen sowie u.a. die EKF, die SKG, der schweizerische Tourismusverband und Hotelleriesuisse den Gegenvorschlag, wobei einige von ihnen erklärten, dass dieser sogar noch weiter gehen dürfte. Positiv hervorgehoben wurde von verschiedenen Teilnehmenden, dass der Gegenvorschlag die Autonomie der Kantone wahre und so auch Rücksicht auf die Tourismusdestinationen nehme, dass er Probleme gezielt dort löse, wo sie aufträten, und dass er klare und einfach anwendbare Regeln enthalte. Der Bezug zur Initiative wurde unterschiedlich beurteilt. Während einige die Ansicht vertraten, der Gegenvorschlag nehme das Anliegen der Initiative auf und beseitige deren unangemessene Punkte, sahen andere keine Vergleichbarkeit mit der Initiative. Passend zum Tenor der Vernehmlassungsergebnisse resümierte der Tages-Anzeiger, der Vorschlag des Bundesrates sei «umstritten, aber nicht chancenlos».

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Auch 2018 wurde keines der sechs zur Abstimmung stehenden Volksbegehren angenommen. Unerwartet deutlich wurden dabei die «No-Billag-Initiative» und die «Selbstbestimmungsinitiative» abgelehnt. Sie konnten genauso wie die «Vollgeld-Initiative», die «Fair-Food-Initiative» oder die Initiative «für Ernährungssouveränität» nicht einmal 40 Prozent der Stimmenden überzeugen. Am nächsten an einen Erfolg an der Urne kam noch die «Hornkuh-Initiative», aber auch sie wurde mit 45.3 Prozent Ja-Stimmen abgelehnt. Immerhin waren 2018 wieder Entscheidungen über Volksbegehren angestanden, nachdem 2017 keine einzige Volksinitiative an die Urne gekommen war.

Mit diesen sechs erledigten Volksinitiativen war die Liste der beim Parlament oder beim Bundesrat hängigen Begehren auf sieben geschrumpft (2017: 12). Allerdings hatten es 2018 auch fünf Komitees geschafft, die nötigen Unterschriften in der gegebenen Frist zu sammeln. Der Bundesrat und das Parlament werden sich folglich über ein «Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten», zwei Umweltschutzanliegen («für sauberes Trinkwasser» und «für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide»), die beide weniger als ein Jahr zum Sammeln der Unterschriften brauchten, die «Fair-Preis-Initiative» sowie über die von der SVP noch im Lancierungsjahr erfolgreich innert sieben Monaten zustande gekommene «Begrenzungsinitiative» beugen müssen. 2017 waren noch vier Begehren zustande gekommen.
Im Berichtsjahr wurden – einschliesslich der Begrenzungsinitiative – acht Volksinitiativen lanciert, 2017 hatten sich zehn Komitees auf die Unterschriftenjagd gemacht. Von diesen acht befand sich 2018 noch die Hälfte im Sammelstadium. Unter den neuen Begehren war die «Korrektur-Initiative», die von einer breiten Parteienallianz gegen den Beschluss des Bundesrats, Kriegsmaterialexporte zu lockern, gestartet wurde. Die CVP wollte mit der «Kostenbremse-Initiative» etwas gegen die steigenden Krankenkassenkosten unternehmen, wobei ihr unterstellt wurde, dass sie die Initiative wohl auch als Werbevehikel für die 2019 anstehenden eidgenössischen Wahlen einsetzen wolle. Ebenfalls lanciert wurden die «Justiz-Initiative», die «Massentierhaltungsinitiative», die «Kesb-Initiative», eine Initiative «gegen Tabakwerbung bei Kindern und Jugendlichen» und die von Workfair 50+ ausgearbeitete Initiative mit dem Titel «Arbeit statt Armut».

Für zwei im Sommer 2017 lancierte Begehren war Ende 2018 die Frist für die Abgabe der nötigen Unterschriften verstrichen. Sowohl die Initiative «Zuerst Arbeit für Inländer» als auch die Initiative «Atomkraftwerke abschalten» waren im Sammelstadium gescheitert. Bereits im Jahr 2017 hatten es zwei Begehren nicht geschafft, die Unterschriftenhürden in der vorgegebenen Frist zu überspringen.

Volksinitiativen entfalten nicht nur Wirkung, wenn sie an der Urne angenommen werden. Vielmehr können sie als Druckmittel verwendet werden, um das Parlament zu Gesetzesrevisionen zu veranlassen. Dies gelang 2018 mit der «Velo-Initiative», für die der Bundesrat und das Parlament einen direkten Gegenentwurf ausgearbeitet hatten. Der Bundesbeschluss Velo, zu dessen Gunsten die Initiative zurückgezogen worden war, war – anders als die sechs Initiativen im Berichtsjahr – an der Urne erfolgreich. Zurückgezogen wurde auch die Initiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre», die als rechtskonservative Drohkulisse gegen die von Eveline Widmer-Schlumpf angeregte, 2018 im Parlament aber dann letztlich gescheiterte Revision des Bankgeheimnisses im Inland gewirkt hatte.

Volksbegehren im Jahr 2018
Dossier: Lancierte Volksinitiativen von Jahr zu Jahr (ab 2007)

Die Kampagne rund um die Selbstbestimmungsinitiative lief eigentlich schon seit der Lancierung des Begehrens Anfang 2015. Diverse Parteien und verschiedene Organisationen hatten sehr früh ihren Widerstand angekündigt. Schon im März 2015 hatte der Tages-Anzeiger getitelt «Alle gegen die Volkspartei»: Wirtschaftsverbände hatten Sorgen um Handelsverträge geäussert, Staatsrechtlerinnen und Staatsrechtler hatten einen Angriff auf die Menschenrechte befürchtet, Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker hatten die Idee der «fremden Richter» bemüht, verschiedentlich war eine Instrumentalisierung des Initiativrechts moniert worden und vor den eidgenössischen Wahlen im Herbst 2015 hatte die Frage zur Beziehung von Völkerrecht und Landesrecht «unter Politikern für Polemiken und rote Köpfe» gesorgt (NZZ) – und das alles noch bevor die Initiative überhaupt zustande gekommen war. Die SVP wollte nach eigenem Ermessen Klarheit und Sicherheit hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und Landesrecht herstellen, was freilich von den Gegnerinnen und Gegnern als «falsches Versprechen» (NZZ) oder «initiative simpliste» (Le Temps) bezeichnet und bestritten wurde. Rückenwind brachte die Initiative wohl auch ihrem Erfinder Hans-Ueli Vogt (svp, ZH), der während seines Ständeratswahlkampfes im Kanton Zürich für das Begehren geworben hatte.

Die Medienberichterstattung über die Selbstbestimmungsinitiative riss natürlich auch während ihrer parlamentarischen Behandlung 2017 und 2018 nicht ab. Diskutiert wurde dabei unter anderem auch schon früh über den Abstimmungstermin. Ob die SVP im Wahljahr 2019 von der Initiative profitieren könne oder nicht, hänge vor allem vom Arbeitstempo des Parlaments und davon ab, ob ein Gegenvorschlag ausgearbeitet würde oder nicht, berichtete die Presse. In den Medien wurden derweil auch verschiedentlich Fälle beschrieben, bei denen Gerichte internationalen Verträgen den Vorrang vor Verfassungsbeschlüssen gegeben hatten. Insbesondere die Ausnahmen, die in Einzelfällen bei der Anwendung des Ausführungsgesetzes zur Ausschaffungsinitiative gemacht wurden, waren ja auch Stein des Anstosses für die Selbstbestimmungsinitiative gewesen. Ob die Schweiz nun «Musterschülerin» sei (Tages-Anzeiger), die in vorauseilendem Gehorsam handle, oder sich als Vertragspartnerin an internationale Abkommen halten müsse, wie in der Presse ebenfalls argumentiert wurde, – die Diskussionen hielten die Selbstbestimmungsinitiative im Gespräch.

Bereits vor Abschluss der parlamentarischen Verhandlungen lancierten die Gegnerinnen und Gegner der Initiative Ende Mai 2018 mittels einer Medienkonferenz offiziell den Abstimmungskampf – obwohl dann noch nicht entschieden war, wann das Anliegen an die Urne kommen sollte. Unter dem Namen «Schutzfaktor M» – M stand bei der bereits 2013 ins Leben gerufenen Organisation für Menschenrechte – und der Bezeichnung «Allianz der Zivilgesellschaft» hatten sich laut Basler Zeitung über hundert Organisationen – darunter etwa der katholische Frauenbund, Pink Cross, Behinderten- und Jugendverbände oder Helvetas – und Tausende Einzelpersonen zusammengeschlossen. Vor der Presse bezeichneten verschiedene Vertreterinnen und Vertreter dieser Organisationen das SVP-Anliegen als «Selbstbeschneidungs-Initiative» oder «Anti-Menschenrechts-Initiative». Die ungewohnt frühe Organisation der Gegnerschaft sei mit der Bedeutung der Initiative zu erklären, aber auch damit, dass der «Abstimmungskampf kein Spaziergang» werde, so der Tages-Anzeiger. Darauf weise auch eine im März 2018 durchgeführte Umfrage hin, die zeige, dass 43 Prozent der Befragten die Initiative sicher oder eher annehmen würden und 48 Prozent dagegen oder eher dagegen seien.

Anfang Juli entschied der Bundesrat dann, die Abstimmung auf den frühest möglichen Zeitpunkt, den 25. November 2018, festzulegen. Anfang Oktober startete die SVP mit ihrem Abstimmungskampf, der zumindest hinsichtlich der verwendeten Bilder und verglichen mit früheren Kampagnen zur Minarett-, Ausschaffungs- oder Masseneinwanderungsinitiative etwa vom Sonntags-Blick als «völlig harmlos» bezeichnet wurden. Auf einem in orange gehaltenen Hintergrund hielten Personen ein Schild mit einem Ja «zur direkten Demokratie» und «zur Selbstbestimmung» in die Kamera. Das Logo der Partei war nicht sichtbar. Man habe die Botschaft bewusst simpel halten wollen. Eine aggressive Kampagne sei nicht nötig, weil die Botschaft klar sei, zudem wolle man einen sachlichen Abstimmungskampf führen, gab Kampagnenchef Thomas Matter (svp, ZH) zu Protokoll.

Die Gegnerschaft fuhr für ihre Kampagne schwereres Geschütz auf: So liess Economiesuisse 18 Frachtcontainer auf den Bundesplatz stellen mit dem Hinweis, dass darin 387 Tonnen Exportgüter Platz hätten, was der Menge entspreche, die von der Schweiz aus alle 10 Minuten in die Welt verkauft werde. Diese Ausfuhren seien aber bei einem Ja zur Selbstbestimmungsinitiative gefährdet. Nur dank zahlreicher internationaler Abkommen, die bei einem Ja alle auf der Kippe stünden, gehöre die Schweiz zu den 20 grössten Volkswirtschaften weltweit. Das «Gesicht der Operation Libero» (Blick), Flavia Kleiner, sprach von der «krassesten Initiative, über die wir je abgestimmt haben», mit ihr werde der Rechtsstaat fundamental angegriffen. Eine in den Medien häufig zu vernehmende Stimme gehörte Helen Keller, der Vertreterin der Schweiz am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Auch für sie entsprach die Initiative einem Angriff auf den Rechtsstaat und die Menschenrechte. Sie argumentierte, dass das Volksbegehren nicht hätte für gültig erklärt werden dürfen und fürchtete sich bei einer Annahme vor einer «Katastrophe», wie die Weltwoche ausführte. Plakate der Gegnerinnen und Gegner zeigten eine Kreissäge, die verschiedene Begriffe (z.B. Frauenrechte, Kinderrechte, Behindertenrechte) durchtrennte, verbunden mit dem Slogan «Nein zur Selbstbeschneidungsinitiative der SVP». In der Weltwoche wurden die Plakate als «krasser Ausdruck» von «Volksverachtung» bezeichnet, mit der die «antidemokratische Gesinnung der Selbstbestimmungsgegner» sichtbar werde. Volksentscheide würden mit «Kettensägenmassaker[n]» gleichgesetzt.
Auch auf Social Media hatten die Gegnerinnen und Gegner der Initiative «die Nase vorn» (Weltwoche). Mit einem Film zeigten sie als antike Soldaten verkleidete Mitglieder der SVP (Roger Köppel [ZH], Andreas Glarner [AG] und Magdalena Martullo-Blocher [GR]), die in einem Trojanischen Pferd versteckt das Bundesgericht entmachten wollten. Ein grosses Holzpferd wurde dann auch kurz vor dem Abstimmungstermin auf dem Berner Bahnhofsplatz präsentiert.

Die SVP – allen voran Christoph Blocher – verteidigte die Initiative mit dem Argument, dass die direkte Demokratie schleichend ausgehebelt werde. Bei der Abstimmung stünden nichts weniger als die Volksrechte auf dem Spiel. «Damit die Leute noch etwas zu sagen haben», müssten sie Ja stimmen, so der vom Blick als «SVP-Übervater» bezeichnete Blocher. Der alt-Bundesrat betrachtete die Selbstbestimmungsinitiative zudem als Vehikel, mit dem der EU-Rahmenvertrag verhindert werden könne. Sehr häufig trat auch Hans-Ueli Vogt vor die Medien, um «seine» Initiative zu verteidigen. Auch der «Architekt» des Begehrens, so die Aargauer Zeitung, argumentierte mit der Verteidigung der direkten Demokratie. Das Parlament setze angenommene Initiativen mit Verweis auf internationale Verpflichtungen nicht so um, wie dies von der Stimmbevölkerung verlangt werde. Mit der Initiative werde der Stellenwert der direkten Demokratie hingegen wieder gestärkt.

Für Wirbel sorgte ein Flyer, der von der SVP Mitte August 2018 an alle Schweizer Haushalte verteilt wurde. Darin trat alt-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey als Kronzeugin für die Selbstbestimmungsinitiative auf: «Das Schweizer Recht schützt besser als das europäische. Ich bin entschieden dagegen, dass europäisches Recht sämtliche Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU regeln soll», wurde die ehemalige Magistratin zitiert. Diese Aussage hatte Calmy-Rey im Rahmen einer Diskussion um das EU-Rahmenabkommen gemacht. Von der SVP sei sie aber nicht angefragt worden, sie sei schockiert über dieses Vorgehen. SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) sprach in diesem Zusammenhang von «Lügenpropaganda». Auch die «Buh-Rufe» und die «Schimpftiraden» (Aargauer Zeitung), die Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei einem Podium in Suhr (AG) über sich ergehen lassen musste, zeugten von der immer aufgeheizteren Stimmung. Nicht nur die von der SVP immer wieder heftig attackierte Justizministerin, sondern auch die Bundesratsmitglieder Doris Leuthard, Alain Berset, Ignazio Cassis und Johann Schneider-Ammann engagierten sich mit verschiedenen Auftritten für die ablehnende Haltung des Bundesrates. Man habe Lehren aus dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative gezogen, bestätigte Simonetta Sommaruga der Aargauer Zeitung, und trete darum als Regierung stärker in Erscheinung.

Ende August zeigte eine Umfrage, dass zu diesem Zeitpunkt 53 Prozent der Befragten Nein zur Initiative gesagt hätten und 45 Prozent Ja. Als aussergewöhnlich wurde von den Befragenden der Umstand gewertet, dass das Ja-Lager über die Zeit nicht kleiner geworden sei; ein Muster, das sonst bei Initiativen im Verlauf einer Kampagne zu beobachten sei. Thomas Matter sprach bei seinem Kommentar zu diesen Zahlen in der Aargauer Zeitung von einem Kampf «David gegen Goliath». Er schätzte den finanziellen Aufwand der Gegnerschaft auf einen «zweistelligen Millionenbetrag». Die Gegnerinnen und Gegner führten eine «Märchenstundenkampagne mit unlimitierten Budgets», urteilte Matter. Die SVP selber habe weniger als CHF 3 Mio. ausgegeben. Eine Analyse von Media Focus ging hingegen aufgrund der gekauften Werbeflächen (Plakate, Inserate, Werbung auf Youtube) davon aus, dass das Befürworterlager mehr ausgegeben hatte als das Gegnerlager. Auch die APS-Inserateanalyse, mit der die Anzahl der in Printmedien geschalteten Inserate betrachtet wird, stellte ein grösseres Engagement der Befürwortenden- als der Gegnerseite fest. Zudem schalteten die Befürworterinnen und Befürworter deutlich mehr Inserate als noch bei der Masseneinwanderungs- oder der Durchsetzungsinitiative. Wer wie viel für den Abstimmungskampf ausgab, blieb zwar ein Geheimnis, die Kosten waren aber sicherlich überdurchschnittlich hoch.
Die Gegnerinnen und Gegner warnten aufgrund der Umfrageresultate davor, zu meinen, dass das Rennen bereits gelaufen sei. Demoskopen würden sich oft irren, so etwa der Blick. Als für das Nein-Lager nicht förderlich, wurde zudem die Absicht des Bundesrates bezeichnet, ausgerechnet kurz vor der Abstimmung eine Unterzeichnung des umstrittenen UNO-Migrationspaktes zu prüfen. Die Umfragen hatten zudem gezeigt, dass rund ein Drittel der FDP-Sympathisierenden die Initiative unterstützen würde. Auch die Ja-Parole der Jungfreisinnigen des Kantons Zürich zeige, dass durch den Freisinn ein Riss verlaufe, urteilte der Sonntags-Blick. Diesem wollte Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) auf Anfrage mit Aufklärung und Mobilisierung der eigenen Basis begegnen – so das Sonntagsblatt weiter.

Den «Rückenwind», den die Befürworterinnen und Befürworter durch die Debatte um den Migrationspakt noch einmal erhalten hatten, wie der Blick urteilte, versuchten sie kurz vor der Abstimmung dann noch mit «Brachial-Werbung» (Blick) zu verstärken. Auf der Titelseite der Pendlerzeitung «20 Minuten» warb das «Egerkinger Komitee» um Walter Wobmann (svp, AG) und Andreas Glarner (svp, AG) damit, dass mit der Annahme der Selbstbestimmungsinitiative der UNO-Migrationspakt verhindert werden könnte, dass hingegen bei einer Ablehnung die Minarett-Initiative wieder für ungültig erklärt werden würde. Eine Karikatur zeigte zudem Justizministerin Simonetta Sommaruga, die mit der Aussage «Hereinspaziert» an der Grenze Flüchtlinge in die Schweiz bittet.
Die heftige und ungewöhnliche lange Kampagne liess für den Abstimmungssonntag eine hohe Beteiligung erwarten.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Im Nationalrat hatten beide parlamentarischen Initiativen (17.446 und 18.417), welche die Einführung eines Finanzreferendums forderten, keine Chance. Weil beide Vorstösse praktisch identisch waren, fand nur eine Abstimmung statt, bei der sich eine Mehrheit von 115 zu 79 Stimmen bei einer Enthaltung gegen Folge geben aussprach. Zu den Minderheiten-Stimmen aus den Fraktionen der Urheber gesellten sich je drei CVP- und BDP-Stimmen. Neben den Voten der Kommissionssprecher sowie der Urheber der Vorstösse – Adrian Amstutz (svp, BE) für die SVP-Fraktion bzw. Martin Bäumle (glp, ZH) – verlangte niemand das Wort. Die Idee eines Finanzreferendums dürfte damit wieder eine Weile vom Tisch sein.

Finanzreferendum (Pa.Iv. 17.446 und Pa.Iv. 18.417)
Dossier: Einführung eines Finanzreferendums auf nationaler Ebene

Das Finanzreferendum war nicht nur im Ständerat ein Thema, sondern auch in der grossen Kammer. Dort zielten gleich zwei parlamentarische Initiativen darauf ab, Bundesbeschlüsse, die Ausgaben über einem bestimmten Betrag zur Folge haben, dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Der Vorstoss der SVP-Fraktion (Pa.Iv. 17.446) wurde mit dem Umstand begründet, dass sich die direkte Demokratie positiv auf die Finanzdisziplin auswirke. In jenen Kantonen, in denen die Stimmbevölkerung mittels Finanzreferendum die Möglichkeit habe, hinsichtlich der Ausgaben auf die Bremse zu treten, seien Steuern und Ausgaben tiefer als in den anderen Kantonen. Martin Bäumle (glp, ZH) argumentierte in seiner parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 18.417) mit dem potenziellen Gewinn an Legitimation. Er verwies auf das Beispiel der Beschaffung einer neuen Kampfjet-Flotte oder den Kohäsionsbeitrag an die EU. In beiden Fällen wird darüber diskutiert, ob nicht die Stimmbevölkerung mitentscheiden soll, um so bei einem Ja die jeweiligen Ausgaben zu legitimieren.
In ihrem Bericht von Mitte August 2018 sprach sich die SPK-NR knapp mit 13 zu 11 Stimmen gegen Folge geben beider Anträge aus. Sie verwies in ihrem Entscheid auf den Umsetzungsprozess einer parlamentarischen Initiative der SVP aus dem Jahr 2003 (03.401), bei dem sich in der Vernehmlassung eine deutlich ablehnende Haltung gezeigt habe, weshalb dieser Prozess damals abgebrochen worden sei. Es sei nicht anzunehmen, dass sich diese negative Haltung seit damals grundlegend geändert habe. Man befürchte eine Übersteuerung, weil theoretisch zwei Mal gegen ein Gesetz das Referendum ergriffen werden könnte, da meist bereits bei der Gesetzgebung beschlossen werde, mit welchem Betrag der Bund sich finanziell engagieren müsse. Übersteige dieser Betrag dann aber die von einem fakultativen Referendum vorgesehene Hürde, dann müsste eigentlich ein zweites Referendum gegen das gleiche Gesetz ermöglicht werden. Vielfach sei zudem auch nicht bereits zum vornherein klar, ob ein Betrag überschritten werde oder nicht. Darüber hinaus dürften direktdemokratische Instrumente nicht mit Zielvorgaben – hier die Ausgabendisziplin – verknüpft werden. Direkte Demokratie sei ein Wert an sich. Budgetdisziplin werde auf Bundesebene schliesslich bereits mittels Ausgaben- und Schuldenbremse erreicht. Die starke, insbesondere aus SVP-Mitgliedern bestehende Minderheit, hob hervor, dass das Bedürfnis der Bevölkerung zur Mitbestimmung bei Projekten mit hohen Ausgaben wachse.

Finanzreferendum (Pa.Iv. 17.446 und Pa.Iv. 18.417)
Dossier: Einführung eines Finanzreferendums auf nationaler Ebene

In der Frühjahrssession 2018 behandelte der Ständerat die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)». Die Debatte wurde vom Schweizer Fernsehen direkt übertragen. Robert Cramer (gp, GE), Sprecher der RK-SR, erörterte zunächst die ablehnende Position der Kommission, die sich unter anderem auch auf die Anhörung verschiedener Rechtsprofessorinnen und Rechtsprofessoren stütze, welche einhellig der Meinung seien, dass die Initiative mehr Probleme verursache, als sie löst. Die momentane Situation lasse den obersten Gerichten den nötigen Spielraum für eine Abwägung zwischen Völkerrecht und Landesrecht. Es sei in den Augen der Experten nicht angebracht, die beiden Normen gegeneinander auszuspielen, da internationales Recht, das in der Schweiz angewendet werde, genauso legitim und demokratisch abgestützt sei wie das Landesrecht selbst. Cramer erklärte, dass die Kommission auch verschiedene Akteure aus der Wirtschaft angehört habe, wobei die Stellungnahmen auch hier einhellig gegen die Initiative ausgefallen seien. Die Kommission sei auch deshalb mit 12 zu 1 Stimmen zum Schluss gekommen, dem Rat die Ablehnung der Initiative zu empfehlen. Allerdings gebe es zwei Minderheitenanträge: Zum einen lege Andrea Caroni (fdp, AR) – unterstützt von vier Kommissionsmitgliedern – einen Gegenvorschlag vor, zum anderen empfehle Thomas Minder (parteilos, SH) die Initiative zur Annahme.

Andrea Caroni betonte in seinem Votum für seinen Gegenvorschlag, dass die Schweizer Rechtsordnung bei Konfliktfragen unterschiedlicher Normstufen sehr klar sei, mit Ausnahme eben des Verhältnisses zwischen Landes- und Völkerrecht. Dort herrsche «Improvisation» oder «Durchwursteln» vor, wobei in der Regel die Bundesgerichte «mit der Wurst betraut» seien. Dies sei aber «institutionell falsch» und es brauche deshalb eine klare Regelung. Eine solche müsse im Normalfall – hier wich der Gegenvorschlag deutlich von der Initiative ab – dem Völkerrecht den Vorrang geben, da man hier im Sinne von «Pacta sunt servanda» gegebene Versprechen einzuhalten habe. In begründeten Ausnahmefällen solle allerdings die Möglichkeit bestehen, durch ausdrücklichen und expliziten Beschluss durch den Verfassungs- oder Gesetzgeber vom Vorrang des Völkerrechts abzuweichen. Caroni exemplifizierte seine Idee an der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, die ja nicht explizit eine Änderung von Völkerrecht vorgesehen habe. Wäre sein Vorschlag damals schon umgesetzt gewesen, dann hätte in der Initiative entweder explizit erwähnt werden müssen, dass ein internationaler Vertrag – konkret das Personenfreizügigkeitsabkommen – gekündigt werden solle, oder die Nichterwähnung hätte bedeutet, dass die Initianten das Völkerrecht implizit akzeptierten und bei der Umsetzung darauf Rücksicht genommen werden müsse. Caroni führte weiter aus, dass er seinen Vorschlag nicht aus taktischen Überlegungen einreiche, weil er Angst vor einer Annahme der Initiative an der Urne habe. Es gehe ihm vielmehr um das inhaltliche Anliegen, das er mit den Initianten teile: Die konkrete Regelung des Verhältnisses zwischen Landes- und Völkerrecht. Allerdings schlug er selber vor, auf den Gegenvorschlag zu verzichten – und diesen vorerst zu schubladisieren –, wenn die Initianten ihr Begehren nicht zu dessen Gunsten zurückziehen würden. Die Materie sei für sich genommen schon komplex genug. Wenn gleich zwei Vorlagen an die Urne kämen, sei dies dem Verständnis des Themas wohl eher abträglich.

Thomas Minder zählte in der Verteidigung seines Minderheitenantrags zur Annahme der Volksinitiative eine Reihe von aktuellen Vorstössen auf, in denen das Parlament Beschlüsse fasse, die im Widerspruch zu bestehendem internationalen Recht stünden: So verstosse etwa die Motion Grin (svp, VD), welche die Ausklammerung von Palmöl beim Freihandelsabkommen mit Malaysia verlange und soeben vom Nationalrat angenommen worden sei, gegen EFTA-Recht. Ebenso stünde eine Annahme der Fair-Food-Initiative im Widerspruch zu zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen. Es gebe aber auch andere Beispiele, wo Vertragspartner der Schweiz Verträge nicht gänzlich einhielten. So habe etwa die EU bei Horizon 2020 oder Erasmus plus völkerrechtliche Verpflichtungen verletzt. Niemand habe damals nach einer Kündigung der Bilateralen Verträge gerufen, sondern man habe die Kröte geschluckt. Bei den über 5'000 völkerrechtlichen Verträgen, welche die Schweiz abgeschlossen habe – in ihrem Schlussvotum sprach Bundesrätin Simonetta Sommaruga von rund 4'000 Verträgen – bestünden zahlreiche potenzielle Normenkonflikte. Und hier setze die Initiative an, indem sie klar festlege, dass bei Normenkonflikten die Verfassung vorzugehen habe.

In der Folge äusserten sich 17 Ständerätinnen und -räte zur Vorlage, wobei sich die Argumente mehr oder weniger wiederholten: Die Initiative sei konfus und widersprüchlich; der SVP wurde vorgeworfen sich damit nicht gegen fremde Richter, sondern gegen das eigene Bundesgericht zu wenden. Betont wurde zudem die Gefährdung schweizerischer Wirtschaftsinteressen. Die Verlässlichkeit der Schweiz würde bei einer Annahme des Begehrens auf dem Spiel stehen. Völkerrecht helfe zudem insbesondere Kleinstaaten, die ohne rechtliche Absicherung dem Recht des Stärkeren ausgesetzt wären.

Die Ständeräte der SVP sprachen sich für eine Annahme der Initiative aus, weil laut Werner Hösli (svp, GL) die «Macht des Volkes» geschützt werden müsse; gemäss Peter Föhn (svp, SZ) der zunehmenden Aushöhlung der Bundesverfassung durch internationale Bestimmungen Einhalt geboten werden müsse; oder der Politikverdrossenheit begegnet werden müsse, die – so Alex Kuprecht (svp, SZ) – auch deshalb wachse, weil «die Menschen das Gefühl haben [...], dass die da oben in Bern sowieso machen, was sie wollen» – etwa bei der Umsetzung angenommener Volksinitiativen. Gefordert sei deshalb ein «bisschen mehr 'Switzerland first'».

Der Ständerat war sich also mehrheitlich einig darin, dass die Initiative abzulehnen sei. Weniger einig waren sich die Kantonsvertreterinnen und -vertreter hingegen darüber, ob die Normenkonflikte, die sich langfristig wohl noch häufen werden, gesondert geregelt werden müssten, oder ob die so genannte Schubert-Praxis genüge. Zur Frage stand folglich, ob man es wie bis anhin dem Bundesgericht überlassen wolle, zu regeln, wann Landesrecht ausnahmsweise Völkerrecht vorgehen solle. Nicht wenige Voten plädierten für den Gegenvorschlag Caroni. Letztlich setzte sich allerdings die Überzeugung durch, dass auch der Gegenvorschlag eine «fausse bonne idée» sei, wie sich Didier Berberat (sp, NE) ausdrückte.

In ihrem Schlussvotum wollte Justizministerin Simonetta Sommaruga klarstellen, dass es «grundfalsch» sei, das Völkerrecht mit Unterdrückung und Fremdbestimmung in Verbindung zu bringen. Sie wies auf verschiedene Geschäfte hin, mit denen die Problematik der Beziehung internationaler Verträge und innerstaatlichen Rechts angegangen werde – so etwa eine Erweiterung des obligatorischen Staatsvertragsreferendums oder die Anpassung der Symmetrie bei der Kündigung von Staatsverträgen. Die Bundesrätin hielt zudem Gericht über das Parlament: Man habe in der Debatte einige Male gehört, dass der Volkswille nicht richtig umgesetzt werde, diese Kritik richte sich aber eigentlich an die Volks- und Kantonsvertretung. Das Parlament habe ja bereits die Möglichkeit, im Einzelfall zu entscheiden, dass Landesrecht gegenüber internationalem Recht der Vorrang gegeben werden solle. Und wenn es dies nicht tue, dann habe es sicherlich gute Gründe dafür. Der Bundesrat empfehle die Initiative insbesondere deshalb zur Ablehnung, weil sie starre Regeln fordere und so die zahlreichen, heute bestehenden Möglichkeiten für pragmatische Einzelfalllösungen beschneide. Das Begehren verspreche zwar Klarheit im Verhältnis zwischen Landesrecht und internationalem Recht, schaffe aber grundsätzlich das Gegenteil, nämlich Rechtsunsicherheit. Dies wäre freilich – so die Magistratin abschliessend – auch beim diskutierten Gegenvorschlag der Fall.

Nach rund vierstündiger Debatte schritt die kleine Kammer zur Abstimmung. Das Stimmverhältnis von 27 zu 15 Stimmen für Nichteintreten auf den Gegenvorschlag Caroni widerspiegelte den doch recht grossen Wunsch nach Klärung, während die Initiative mit 36 zu 6 Stimmen letztlich recht deutlich zur Ablehnung empfohlen wurde.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Mitte Dezember 2017 gab der Bundesrat den Medien bekannt, dass er die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ablehne, ihr aber mit einem indirekten Gegenvorschlag begegnen möchte. Die Initiative für ein nationales Verbot sei abzulehnen, weil die Kantone selber entscheiden können sollten, ob sie die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum verbieten wollen oder nicht. So hätten die Kantone Tessin und St. Gallen ein solches Verbot befürwortet, während es in Zürich, Solothurn, Schwyz, Basel-Stadt und Glarus abgelehnt worden sei. Diesen unterschiedlichen Befindlichkeiten gelte es Rechnung zu tragen. Der Bundesrat anerkenne jedoch, dass die Gesichtsverhüllung problematisch sein könne, und zwar zum einen, wenn jemand zur Verhüllung gezwungen werde, und zum anderen im Kontakt mit den Behörden. Er wollte sich dieser Problematik daher mit einem indirekten Gegenvorschlag annehmen, der Regelungen auf Gesetzesebene vorsehe, ohne den Kompetenzbereich des Bundes zu überschreiten. Konkret solle es im Strafgesetzbuch ausdrücklich verboten werden, jemanden zur Verhüllung des Gesichts zu zwingen. Zudem solle der Kontakt mit Bundesbehörden und Bundesrecht vollziehenden Behörden unter Androhung von Strafe unverhüllt erfolgen müssen. Der Bundesrat beauftragte das EJPD mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vernehmlassungsvorlage bis Ende Juni 2018.
Bei den Initianten vermochte der Vorschlag des Bundesrats wenig Eindruck zu erwecken; er sei «schwammig» und entspreche nicht dem Anliegen der Initiative, so Walter Wobmann (svp, SO) gegenüber der Basler Zeitung. Das Komitee halte an der Initiative fest und blicke der Abstimmung nach wie vor zuversichtlich entgegen. Die SVP lehnte den bundesrätlichen Vorschlag ebenfalls als «wirkungslos» ab, wie in der Presse zu lesen war. Auf wenig Gegenliebe stiess der Vorschlag indes auch bei den Grünen. Nationalrat Balthasar Glättli (gp, ZH) bezeichnete ihn gegenüber der Basler Zeitung als «falsch und überflüssig», weil Nötigung ohnehin strafbar sei, und machte ihm in der Aargauer Zeitung den gleichen Vorwurf wie der Initiative selbst, nämlich zur «Stimmungsmache gegen Muslime in der Schweiz» beizutragen. Positiver äusserten sich die CVP und die SP zur Stossrichtung des Bundesrates, wenngleich sich die SP weiter auf ihren eigenen direkten Gegenentwurf zur Verbesserung der Gleichstellung der Frauen konzentrieren wollte. SP-Nationalrat Cédric Wermuth (sp, AG) bedauerte im Tages-Anzeiger, dass der Bundesrat sich nicht getraut habe, «die Debatte neu auszurichten», und dass der Gegenvorschlag «keine Antwort auf das Unbehagen» liefere, das hinter der Initiative stehe. Von verschiedenen Seiten wurde der bundesrätliche Vorschlag auch als nicht oder nur schwer umsetzbar kritisiert, da Frauen, die gezwungen werden, sich zu verschleiern, dies eher nicht bei der Polizei zur Anzeige bringen würden. Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR), der bereits ein Gegenkomitee zur Initiative gegründet hatte, begrüsste dagegen den Vorschlag des Bundesrates. Er sei zwar nicht «das Ei des Kolumbus», eröffne aber die Möglichkeit für eine gezielte Debatte über die Probleme im Zusammenhang mit der Gesichtsverhüllung und über allfällige Lösungen, so Caroni gegenüber «Le Temps».

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Anfang Juli 2017 legte der Bundesrat die Botschaft zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» vor. Die Regierung empfahl das Begehren ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. Als Hauptargumente führte sie die Gefahr negativer aussenpolitischer sowie aussenwirtschaftlicher Auswirkungen an. Sich über bestehende internationale Verträge hinwegzusetzen, entspreche nicht der Rechtskultur der Schweiz und untergrabe die Rechts- und Planungssicherheit. Zudem weise die Volksinitiative innere Widersprüche auf. Es sei bereits heute klar, dass die Bundesverfassung oberste Rechtsquelle ist. Der Gegensatz zwischen Landesrecht und Völkerrecht sei konstruiert: «Völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen, bedeutet keine Einschränkung, sondern Ausübung der nationalen Souveränität». Zwar gäbe es gemäss dem Bundesrat durchaus Spannungen zwischen Völker- und Landesrecht, insbesondere bei der Umsetzung von völkerrechtswidrigen Volksinitiativen, diese seien aber eher als Chance anzusehen, weil pragmatische und breit abgestützte Lösungsfindungen möglich seien, was mit der von der Initiative vorgeschlagenen starren Hierarchie hingegen verbaut würde. Die «in der Selbstbestimmungsinitiative enthaltene Ermächtigung zum Vertragsbruch» hätte nachteilige Auswirkungen für Wirtschaft und Aussenpolitik. Gerade der Kleinstaat Schweiz sei angewiesen auf völkerrechtliche Verträge, um nicht dem Recht des Stärkeren ausgeliefert zu sein. Nur wenn man sich selber an Verträge halte, könne man auch Zuverlässigkeit von anderen Vertragspartnern erwarten. Anstelle der versprochenen Klärung des Verhältnisses von Landesrecht und Völkerrecht würde man sich bei einer Annahme eher eine Erschwerung aufhalsen. Zudem würde die direkte Demokratie bei wichtigen Fragen damit nicht gestärkt, sondern geschwächt, weil man letztlich den Gerichten die Deutungshoheit überlassen müsste.
Vor der Presse wandte sich Justizministerin Simonetta Sommaruga mit deutlichen Worten gegen die Initiative. Sie warf den Initianten laut der Tribune de Genève vor, im Text vor allem hinsichtlich der Anwendung – wann genau herrscht ein Konflikt zwischen Landes- und Völkerrecht und wer entscheidet, ob ein Vertrag allenfalls gekündigt werden müsste – willentlich unpräzise geblieben zu sein, um die Verantwortung nicht übernehmen zu müssen («Les initiants sont restés volontairement flous pour ne pas assumer leurs responsabilités»). Während die SVP sich ob dem Entscheid des Bundesrates erbost zeigte, – Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) gab seine Enttäuschung zu Protokoll, dass der Bundesrat nicht einsehen wolle, dass das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht problematisch sei und deshalb eine Lösung gefunden werden müsse – begrüssten Parteien, Wirtschaftsverbände und verschiedene Interessenorganisationen den Entscheid.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Neun der 13 Abstimmungsvorlagen, über welche die Stimmberechtigten an vier Wochenenden im Jahr 2016 zu entscheiden hatten, waren Volksinitiativen. Dies schienen erste Folgen der vor allem im Vorjahr unter dem Stichwort «Initiativenflut» diskutierten, scheinbar wachsenden Zahl lancierter Volksbegehren zu sein. Allerdings fanden die Begehren von grüner und linker (Atomausstiegsinitiative, Grüne Wirtschaft, AHVplus, Pro Service public, bedingungsloses Grundeinkommen, Nahrungsmittelspekulation) wie auch von rechter und bürgerlicher Seite (Milchkuh-Initiative, Heiratsstrafe, Durchsetzungsinitiative) bei der Bevölkerung keine Gnade. Achtungserfolge konnten immerhin die Atomausstiegsinitiative (45.8% Ja-Stimmenanteil), die AHVplus- (40.6%) und die Durchsetzungsinitiative (41.2%) verzeichnen. Nur knapp abgelehnt wurde die CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe: 49.2 Prozent Ja-Stimmen reichten aber auch hier nicht. So bleibt die Pädophileninitiative 2014 das letzte an der Urne erfolgreiche Volksbegehren und die Annahme-Quote der Initiativen verschlechterte sich auf 10.4 Prozent (22 von 211).
Auch die vier fakultativen Referenden fielen 2016 entsprechend den Empfehlungen von Regierung und Parlament aus. Das Nachrichtendienstgesetz (66.5%), gegen das linke Kreise das Referendum ergriffen hatten, das Asylgesetz (66.8%), gegen das die SVP angetreten war, und das Fortpflanzungsmedizingesetz (62.4%), das von einem überparteilichen Komitee aus EVP- und CVP-Kreisen bekämpft worden war, erreichten alle eine Zustimmung von gut zwei Dritteln der Stimmbevölkerung. Etwas umstrittener war höchstens der Entscheid für eine zweite Röhre am Gotthard, welcher von Umweltschutzorganisationen erzwungen worden war: Die Sanierung des Tunnels wurde von 57 Prozent der Stimmenden gutgeheissen. Damit verringerte sich auch die Erfolgsquote der fakultativen Referenden auf 52.7 Prozent: 96 von 182 Referenden waren bisher erfolgreich.
Die höchste Stimmbeteiligung 2016 wurde am Abstimmungswochenende im Februar verzeichnet: Insbesondere die Durchsetzungsinitiative mobilisierte hohe 63.7 Prozent der Stimmberechtigten an die Urne. Die 46.8 Prozent Stimmbeteiligung im Juni, die 43.1 Prozent im September und die 45.4 Prozent im November, als einzig über den Atomausstieg abgestimmt wurde, lagen etwa im Beteiligungsschnitt des bisherigen 21. Jahrhunderts (46%).

Übersicht Urnengänge 2016
Dossier: Eidgenössische Volksabstimmungen von Jahr zu Jahr (seit 2000)

Am 12. August 2016 reichte die SVP die nötige Anzahl Unterschriften für ihre Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» bei der Bundeskanzlei ein – diese beglaubigte ein paar Wochen später 116'428 Unterschriften – und nutzte die Übergabe der Unterschriftenbogen zugleich für einen erneuten Medienauftritt. Weil das Parlament, die Regierung, die Verwaltung und die Justiz «in unheimlichem Zusammenspiel» (zitiert aus der NZZ) das Volk als obersten Gesetzgeber entmachte, müsse die direkte Demokratie gestärkt werden. Die Umsetzung von Initiativen – die SVP verwies auf ihre eigene Ausschaffungsinitiative, auf die Masseneinwanderungsinitiative und die Verwahrungsinitiative – werde mit Verweis auf internationales Recht immer häufiger verhindert, obwohl Volk und Stände den Begehren zugestimmt hätten, so die Initianten. Der direkten Demokratie werde also nur wieder Gehör verschafft, wenn im Falle eines Widerspruchs zwischen Bundesverfassung und völkerrechtlichen Bestimmungen Erstere den Vorrang erhalte, indem Letztere entweder angepasst oder gekündigt würden. Massgeblich sollten zudem nur noch jene völkerrechtlichen Verträge sein, die direktdemokratisch legitimiert, also dem fakultativen Referendum unterstanden hätten.

Gegen das Volksbegehren hatte sich schon früh Widerstand geregt. Bereits im Juni 2016 hatte die Organisation «Schutzfaktor M» zu einer Medienveranstaltung eingeladen, an der vor der Selbstbestimmungsinitiative gewarnt worden war. Die Möglichkeit, Staatsverträge durch Volksinitiativen ausser Kraft zu setzen, komme einer Verabsolutierung der Demokratie gleich, was gefährlich sei, gab etwa Heinrich Koller, der ehemalige Direktor des Bundesamtes für Justiz, zu Protokoll. Alt-Bundesrichter Niccolò Raselli (sp) warnte vor einer «Anti-Menschenrechts-Initiative», da die Gefahr einer Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention bestehe. Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) – der mittlerweile in den Nationalrat gewählte Kopf hinter der Initiative – wehrte sich gegen den Vorwurf, dass die SVP gegen die Menschenrechte sei; sie stosse sich lediglich an den immer häufiger auftretenden Eingriffen des Menschenrechtsgerichtshofes in Strassburg in das Schweizer Recht.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

En mai 2015, le groupe UDC a déposé une initiative parlementaire appelée Pas de prestation de l’État pour les personnes résidant illégalement en Suisse. Elle vise la modification de l'article 12 de la Constitution, qui garantit le droit fondamental à obtenir de l'aide dans des situations de détresse. A travers sa porte-parole Céline Amaudruz, l'Union démocratique du centre entend faire dépendre ce droit à l'aide d'urgence du titre de séjour. Ainsi, toute personne dont le permis de séjour est échu, qui s'oppose à un renvoi ou ne coopère pas à son expulsion s'en verrait privée. Les prestations d'urgence sont réglementées par la loi sur l'asile (LAsi), sont de la compétence des cantons et sont réduites par rapport à l'aide sociale attribuée aux autochtones et aux réfugiés reconnus. La Commission des institutions politiques du Conseil national (CIP-CN) s'est opposée par 14 voix contre 6 et une abstention à l'initiative. L'argument principal étant que la suppression de l'aide d'urgence n'aurait pas d'effet incitatif pour les personnes de quitter le pays, mais risquerait plutôt de les pousser à la criminalité ou à la clandestinité. Lors du débat en chambre basse, les opposants à l'initiative ont souligné le caractère fondamental des premiers articles de la Constitution, arguant que la suppression de l'aide d'urgence était une attaque à la dignité humaine. Ces arguments ont convaincu 121 députés contre 64 et 4 se sont abstenus. Tout le groupe UDC a voté en faveur de l'initiative, ainsi que le député Burkart, issu des rangs libéraux-radicaux.

Pas de prestation de l'Etat pour les personnes résidant illégalement en Suisse

Von den drei fakultativen Referenden, die gegen 2015 vom Parlament erlassene Beschlüsse lanciert worden waren, schafften nur zwei die Hürden. Das Kantonsreferendum gegen den Entscheid des Parlaments zu den Grundbeiträgen des Ressourcen- und Lastenausgleichs für 2016 bis 2019 scheiterte, weil nur vier (SH, ZG, SZ, NW) statt der nötigen acht Kantone dagegen opponierten. Die nötige Anzahl Unterschriften reichten hingegen die SVP mit ihrem Veto gegen das Asylgesetz sowie die Juso gegen das Nachrichtendienstgesetz ein. Insgesamt hatte das Parlament im Berichtsjahr 59 Bundesgesetze oder Bundesbeschlüsse gefällt, gegen die das fakultative Referendum hätte eingereicht werden können (2014: 60). Die drei fakultativen Referenden, die angestrengt wurden, entsprachen also 5.1 Prozent aller referendumsfähigen Gesetze und Beschlüsse (2014: 5%).

2015 stand zudem ein fakultatives Referendum zur Abstimmung (2014: 1), das gegen das 2014 vom Parlament beschlossene Radio- und Fernsehgesetz angestrengt und Ende Januar 2015 vom Schweizerischen Gewerbeverband mit 91'308 gültigen Unterschriften eingereicht worden war. Bei der Abstimmung Mitte Juni 2015, wurde das Gesetz mit einer hauchdünnen Mehrheit angenommen.

Übersicht Referenden 2015
Dossier: Ergriffene Referenden von Jahr zu Jahr (seit 2012)

Sowohl die Gewährleistung der neuen Tessiner Kantonsverfassung, wodurch das Gesichtsverhüllungsverbot von Bundesrat und Parlament als bundesrechtskonform akzeptiert wurde, als auch das Urteil des EGMR vom Juli 2014, welches das Burkaverbot in Frankreich offiziell als EMRK-konform einstufte, verhalfen der Burka-Kontroverse in der Schweiz zu Aufwind. Anfang 2015 kündigte das Egerkinger Komitee um den Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann, das seinerzeit die Minarett-Initiative aus der Taufe gehoben hatte, denn auch an, auf nationaler Ebene eine Initiative für ein Verhüllungsverbot nach Tessiner Vorbild einzureichen, und zwar parallel zu Wobmanns parlamentarischer Initiative mit dem gleichen Anliegen. Obwohl die SPK-NR das Anliegen im April 2015 mit knapper Mehrheit unterstützt hatte, glaubte der Initiant nicht an den Erfolg über den parlamentarischen Weg. Deshalb und nicht zuletzt auch aus wahltaktischen Gründen – im Hinblick auf die bevorstehenden eidgenössischen Wahlen im Oktober 2015 erhoffte sich die SVP einen positiven Effekt von der Initiative, wie der Walliser SVP-Nationalrat Oskar Freysinger unumwunden zugab – trat das Egerkinger Komitee am 29. September 2015 vor die Medien, um die endgültige Lancierung der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» bekanntzumachen. Der Initiativtext sei bei der Bundeskanzlei eingereicht worden und so bald als möglich wolle man mit der Unterschriftensammlung beginnen, liess das Komitee, dem neben Walter Wobmann weitere SVP-Exponentinnen und -Exponenten sowie Mitglieder der EDU, der Lega und der Schweizer Demokraten angehörten, in der Presse verlauten. Inhalt des Initiativtextes war erstens das Verbot, sein Gesicht im öffentlichen Raum oder an öffentlich zugänglichen Orten (ausgenommen Sakralstätten) zu verhüllen oder zu verbergen, sowie zweitens das Verbot, eine Person zu zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen. Ausnahmen sollten aus gesundheitlichen, sicherheitsrelevanten und klimatischen Gründen sowie aus Gründen des einheimischen Brauchtums gestattet sein, um etwa Mundschutzmasken für Pflegepersonal, Motorradhelme, Kälteschutz beim Wintersport oder Fasnachtsmasken nicht unter Strafe zu stellen. In den Augen der Gegnerinnen und Gegner sollte die Initiative ein Problem lösen, das gar nicht existiere, sei doch die Wahrscheinlichkeit, in der Schweiz einer Burkaträgerin zu begegnen «nicht viel höher als auf dem Mars», wie «La Liberté» karikierend schrieb.
Die Alarmglocken schrillen liess die Initiative unterdessen in der Tourismusbranche, die sich – unter der Frankenstärke und Buchungsrückgängen aus dem Euroraum ächzend – gerade an der steigenden Anzahl zahlungskräftiger Gäste aus den Golfstaaten erfreute. Verböte die Schweiz die Burka, so die Befürchtung, würde diese Klientel zukünftig auf Reisen in die Schweiz verzichten und auch sonst könnte die Schweiz als bisher als offen und tolerant wahrgenommene Destination einen beträchtlichen Imageschaden erleiden und auch andere Touristen abschrecken. Eine prompte Reaktion auf das neuste Projekt des Egerkinger Komitees kam auch aus der Gemeinde Egerkingen (SO): Per Communiqué distanzierte sich der Gemeinderat in aller Form vom Egerkinger Komitee, das sich im Namen auf seinen Gründungsort beruft, und dessen «ideologisch verbrämter Gesinnung», wie der Tages-Anzeiger berichtete, und forderte das Komitee auf, den Namen Egerkingen nicht mehr zu verwenden.
Die Debatte um das Verhüllungsverbot loderte im Nachgang der Terroranschläge von Paris Mitte November 2015 noch einmal heiss auf. Während Kritiker des Burkaverbots befürchteten, durch die Einführung eines solchen könnte die Schweiz vermehrt in den Fokus von Dschihadisten rücken und in der Folge auch Ziel von zukünftigen Attentaten sein, zeigten sich die Initianten in den Medien wenig beeindruckt von den jüngsten Geschehnissen. Selbst durch Drohungen von Fundamentalisten wollten sie sich nicht einschüchtern lassen, denn nach den Anschlägen in Paris sei die Initiative «aktueller denn je»; es gehe letztlich darum, «unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung zu schützen», so Wobmann gegenüber der «Schweiz am Sonntag».
Wie man das Burkaverbot schon vor dem offiziellen Inkrafttreten wirkungslos machen könnte, zeigte sich derweil im Kanton Tessin, dessen Regelung Pate für das nationale Verbot gestanden hatte: Der französisch-algerische Unternehmer Rachid Nekkaz kündigte im Dezember in Locarno (TI) medienwirksam an, alle Bussen für Burka- oder Nikabträgerinnen im Tessin – ungeachtet deren Höhe – zu übernehmen.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Mitte Juni 2015 legte der Bundesrat seinen Bericht zum Postulat der FDP-Fraktion vor, das eine Klärung des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und Landesrecht gefordert hatte. Die Regierung anerkannte im Fazit ihres Berichtes, dass insbesondere im Verhältnis zwischen Volksinitiative und Völkerrecht eine zunehmende Problematik bestehe. Eine Hierarchisierung oder eine Vorrangregel von Landesrecht sei allerdings kaum ohne negative Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der Schweiz als verlässliche Vertragspartnerin möglich. Der Bundesrat schlug indes vor, dass jeweils vor der Verabschiedung eines Erlasses oder vor Abschluss eines Vertrages die Konsequenzen für Völker- bzw. Landesrecht eruiert werden sollten, um bereits bei der Verabschiedung Klarheit zu schaffen, ob Unvereinbarkeiten bestünden und wie diese allenfalls beseitigt werden müssten.
Zur Frage nach einem möglichen obligatorischen Referendum bei Staatsverträgen mit verfassungsmässigem Charakter ging der bundesrätliche Bericht auf das bestehende «Referendum sui generis» ein. Es gebe ja bereits ein obligatorisches Staatsvertragsreferendum, das bei Verträgen Anwendung findet, mit denen die Schweiz Mitglied von supranationalen Organisationen werden soll. Dem fakultativen Staatsvertragsreferendum unterstehen Verträge, die unbefristet und unkündbar sind. Darüber hinaus bestehe aber auch ein ungeschriebenes Verfassungsrecht: Dieses «Referendum sui generis» könne dann zur Anwendung gelangen, wenn ein Vertrag eine so grosse Bedeutung habe, dass ihm Verfassungsrang zukomme. Dies habe man sich beispielsweise beim Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen überlegt, damals aber verworfen. Falls je nach einem allfälligen Austritt ein Wiederbeitritt in die Europäische Menschenrechtskonvention nötig wäre, dann würde dieser beispielsweise einem obligatorischen Referendum unterstellt werden.

Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht (Po. 13.3805)
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen
Dossier: Obligatorisches Referendum für völkerrechtliche Verträge mit Verfassungscharakter

Schon seit geraumer Zeit schlug sich die SVP mit dem Gedanken herum, eine Initiative zu lancieren, mit der das Verhältnis zwischen Landesrecht und Völkerrecht definiert werden soll. Bereits 2013 hatte Parteipräsident Toni Brunner (svp, SG) moniert, dass sich das Bundesgericht immer stärker von internationaler Rechtsprechung beeinflussen lasse. Ein Positionspapier, in dem die schleichende Entmündigung des Schweizer Volkes kritisiert worden war, hatte in der Folge parteiintern als Grundlage für die Ausarbeitung einer Volksinitiative gedient, die Mitte August 2014 mit einer Medienkonferenz angekündigt und deren Lancierung Ende Oktober 2014 an der Delegiertenversammlung beschlossen worden war. Hans-Ueli Vogt (ZH, svp), Kantonsrat aus Zürich und Vater des Initiativtextes, bemängelte insbesondere, dass das Völkerrecht die Umsetzung angenommener Volksinitiativen erschwere.
Zu Beginn des Wahljahres, am 10. März 2015, wurde die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» schliesslich mit viel Aufhebens gestartet: Mit Hilfe eines SVP-«Extrablatts», das eine Auflage von rund 4.2 Mio. Exemplaren hatte, wurde das Begehren von der Volkspartei lanciert.
Die Regelung des Verhältnisses zwischen Völker- und Landesrecht war zwar auch im Parlament aufgrund einiger Vorstösse diskutiert worden, mit ihrer Idee, das Landesrecht über das Völkerrecht zu stellen und im Falle eines Normenkonflikts internationale Verträge neu zu verhandeln oder zu kündigen und damit notfalls gar die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention in Kauf nehmen zu wollen, stand die SVP in der Parteienlandschaft allerdings ziemlich alleine auf weiter Flur.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Die vor allem medial ausgetragene, gesellschaftliche Debatte um Reformen der Volksinitiative, die sich etwa im Begriff ‚Initiativenflut‘ manifestierte, lässt sich mit Zahlen aus dem Berichtsjahr unterfüttern (vgl. Tabelle anbei). Nachdem 2013 etwas weniger Initiativen (9) lanciert worden waren als 2012 (11) waren 2014 für insgesamt zwölf neue Begehren Unterschriftensammlungen gestartet worden. Gleich vier davon behandeln Ernährungs- und Landwirtschaftsfragen, wobei die vom Bauernverband und der SVP getragene Initiative „für Ernährungssicherheit“ innerhalb von knapp fünf Monaten mit fast 150'000 gültigen Unterschriften die Sammelhürde sehr rasch übersprang. Zwei der zwölf lancierten Begehren stammen aus der Feder von Anita Chaaban, die mit der Verwahrungsinitiative 2004 einen Erfolg an der Urne gefeiert hatte. Sie fordert ein Zentralregister für Sexualstraftäter und eine Haftung für Vollzugsbehörden bei Rückfällen fälschlicherweise entlassener Straftäter. Unterschriften werden zudem für die Wiedergutmachung an Verdingkinder gesammelt, für die Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h auf Autobahnen, für Vollgeld und die Abschaffung der Billag-Gebühren. Neue Dimensionen erreichen die restlichen beiden Initiativbegehren, die Ende Jahr lanciert wurden. Die Initiative „zur Ausschaffung krimineller Männer“ verwendet exakt den gleichen Initiativtext wie die 2010 angenommene Ausschaffungsinitiative der SVP mit der Ausnahme, dass sie „Ausländer“ durch „Männer“ ersetzt. Das Komitee „Männer raus“ will nach eigenen Angaben ein Zeichen setzten gegen den latenten Rassismus in der Schweiz. Auch die so genannte Rasa-Initiative (Raus aus der Sackgasse) bestreitet neue Wege. Sie fordert die Streichung der Artikel 121a und 197 Ziff. 11 a aus der Bundesverfassung. Dabei handelt es sich um jene Paragraphen, die mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative in die Verfassung Eingang gefunden hatten. Eine Streichungsinitiative war zuvor schon von der Gewerkschaft VPOD angeregt worden.
Die zwölf Begehren entsprechen lediglich der Hälfte der im Jahr 2011 lancierten Begehren, die Ausgangspunkt der Debatte um die Initiativenflut waren. Damals wurden zahlreiche Initiativen vor allem als Wahlvehikel lanciert. Dies scheint für die Wahlen 2015 eher kein Thema mehr zu sein. Von den 2014 lancierten Initiativen stammt einzig die „Fair Food-Initiative“ von einer Partei, nämlich der GP. Was in der Diskussion um (zu) viele Volksbegehren häufig zu kurz kommt, ist eine Relativierung mit nicht zustande gekommenen Initiativen. Ein Überblick über die letzten rund 35 Jahre zeigt, dass im Schnitt rund ein Drittel aller lancierten Initiativen an der Unterschriftenhürde gescheitert oder ein Volksanliegen zurückgezogen worden ist. Im Berichtjahr mussten total sechs Begehren als gescheitert klassiert werden. Aufgeteilt nach Lancierungsjahren zeigt sich folgendes Bild: Von den elf im Jahr 2012 lancierten Initiativen scheiterten deren fünf und von den neun im Jahr 2013 lancierten Volksbegehren brachten bisher deren fünf die 100'000 Unterschriften nicht zusammen (eine der 2013 lancierten Initiativen war 2014 noch im Sammelstadium und drei waren erfolgreich eingereicht).
Die Rekordzahl aus dem Jahr 2011, in dem 24 Begehren lanciert wurden – von diesen schafften übrigens elf die Unterschriftenhürde nicht – machte sich 2014 im Parlamentsbetrieb bemerkbar. So wurde im Berichtjahr über neun Initiativen abgestimmt, von denen sechs 2011 lanciert worden waren (2013 waren über 5 Initiativen Urnenentscheide gefällt worden). Neben den sechs im Berichtjahr zustande gekommenen Begehren (2013: 8) waren elf noch hängig (2013: 12). Darunter immer noch sechs, die im Spitzenjahr 2011 eingereicht worden waren. Insgesamt wurde der von Volksinitiativen verursachte Pendenzenberg im Berichtjahr aber langsam abgebaut.
Für 2015 waren Ende 2014 bereits einige weitere Volksbegehren angekündigt worden. Viel Staub wirbelte das noch vor Ende Jahr der Bundeskanzlei zur Prüfung vorgelegte Begehren der SVP auf, das unter dem Namen Selbstbestimmungsinitiative die Bundesverfassung über das Völkerrecht stellen will. Die Volkspartei wird wohl versuchen, mit diesem Anliegen im Wahljahr zu punkten. Zudem kündigte der Verband „Pro Velo Schweiz“ eine Initiative an, mit der die Förderung des Velofahrens in die Verfassung geschrieben werden soll. Ähnlich wie Wanderwege soll ein Velowegnetz erstellt und gepflegt werden. VCS und WWF sagten ihre Unterstützung zu. Die PdA beschloss im Dezember die Lancierung eines Begehrens, mit der eine AHV-Rente von CHF 4‘000 angestrebt wird, wofür die Pensionskassengelder in die AHV überführt werden sollen. Schliesslich beschloss die Junge GP eine Volksinitiative zur Förderung des verdichteten Bauens zu lancieren.

Lancierte Volksinitiativen 2014
Dossier: Lancierte Volksinitiativen von Jahr zu Jahr (ab 2007)

Ein altes, immer wieder vorgebrachtes Begehren, die Einführung einer Gesetzesinitiative, war Gegenstand einer parlamentarischen Initiative Hiltpold (fdp, GE). Bereits 1987, 2004 und 2009 waren ähnliche Vorstösse eingereicht worden. Der Genfer Nationalrat machte geltend, dass die Volksinitiative als immer beliebteres Instrument nicht geeignet sei für Anliegen, die eine Gesetzesänderung anregen möchten: Detailbestimmungen hätten in der Verfassung nichts zu suchen, das Prozedere von Annahme einer Initiative bis hin zu einer Gesetzesvorlage sei lang und die Umsetzung häufig schwierig. Das könne aber nicht den Initianten angelastet werden, weil sie ja gar keine andere Möglichkeit hätten, als via Verfassungsinitiative Einfluss zu nehmen. Zudem existiere die Gesetzesinitiative auf kantonaler Ebene und werde dort geschätzt und ohne Probleme genutzt. Die SPK-NR lehnte das Begehren ab. Die Umsetzung wäre noch komplizierter als bei der 2009 wieder abgeschafften allgemeinen Volksinitiative. Zudem könnte die Bundesversammlung nicht mehr autonom entscheiden, auf welcher Stufe ein Begehren umgesetzt werden soll. Die Ausarbeitung von Gesetzestexten, die mit übergeordnetem Recht kompatibel sind, und vor allem die Überprüfung dieser Kompatibilität wären zu grosse Anforderungen an die Initiativkomitees und das Parlament. Ein weiteres in der Debatte vorgebrachtes Argument war die Schwächung der Kantone, weil eine Gesetzesinitiative kein Ständemehr bedingen würde. Der Nationalrat gab, seiner Kommission folgend, der Initiative mit 116 zu 61 Stimmen keine Folge. Obwohl das Anliegen von einem FDP-Parlamentarier stammte, wurde es nur von den geschlossenen Fraktionen der SP und der GP, sowie von drei FDP-Abgeordneten unterstützt. Acht Mitglieder der FDP-Fraktion enthielten sich der Stimme.

Einführung einer Gesetzesinitiative
Dossier: Vorstösse für eine Einführung der Gesetzesinitiative

Ein weiteres Begehren aus den Reihen der SVP, mit dem die Beziehung zwischen Landesrecht und Völkerrecht geregelt werden sollte, wurde mit einer parlamentarischen Initiative Rutz (svp, ZH) vorgebracht. Gregor Rutz argumentierte, dass immer mehr Rechtsbestimmungen aus dem Ausland ins Schweizerische Rechtssystem Eingang fänden und forderte deshalb in seinem Vorstoss, dass die Angleichung von Landesrecht an Völkerrecht, an bindende internationale Verträge oder an ausländisches Recht und an Normen internationaler Organisationen nur dann vorgenommen werden darf, wenn dies in einem dem Referendum unterstehenden Erlass so vorgesehen ist. Die SPK-NR, die den Vorstoss mit 14 zu 7 Stimmen ablehnte, machte geltend, dass die Forderung der Initiative eigentlich bereits erfüllt sei, weil die Anpassung an Landesrecht an abgeschlossene völkerrechtliche Verträge nur bei einer Verfassungs- oder Gesetzesänderung vorgenommen werde; zudem unterstünden völkerrechtliche Verträge, die rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder bei der Umsetzung einen Erlass von Bundesgesetzen erforderlich machen, bereits dem fakultativen Referendum. Rutz forderte zusätzlich eine Angleichung der Auslegung völkerrechtlicher Verträge. Hier hielt die SPK fest, dass dies eine fallweise Aufgabe der Judikative sein müsse. Die Legislative könne hier nicht alle Einzelfälle pauschal regeln. Die geschlossene SVP-Fraktion – unterstützt von Petra Gössi (fdp, SZ) – brachte den Vorstoss mit den total 55 Stimmen gegen die 126 Stimmen aus den anderen Fraktionen nicht durch.

Rechtsbestimmungen aus dem Ausland ins Schweizerische Rechtssystem

Die Diskussion um die Umsetzung von Volksinitiativen, bzw. um das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht, hatte 2013 zu einiger Aktivität in den Reihen der SVP geführt. Mit seiner parlamentarischen Initiative forderte Luzi Stamm (svp, AG) eine Regelung des Verhältnisses zwischen Bundesgesetzen und Staatsverträgen. Stamms Vorschlag sah vor, dass in einem Konflikt das neuere Recht dem älteren vorgeht. Sollte also ein neues Bundesgesetz oder ein neuer Verfassungsgrundsatz geschaffen werden, so müsste ein älterer, völkerrechtlicher Vertrag neu ausgehandelt oder aber gekündigt werden. Damit einher ging die Forderung, dass keine rechtlich oder faktisch unkündbaren Staatsverträge mehr abgeschlossen werden dürften. Sollte ein neuer referendumspflichtiger Staatsvertrag im Konflikt mit bestehendem Gesetz geraten, so müsste das Gesetz angepasst werden. Mit dem Vorschlag wäre die so genannte Schubert-Praxis verändert worden, die vorsieht, dass ein völkerrechtlicher Vertrag einem Bundesgesetz vorgeht, wenn der Gesetzgeber sich nicht ausdrücklich über den Vertrag hinwegsetzt. Die SPK-NR lehnte die parlamentarische Initiative mit 16 zu 7 Stimmen ab und erachtete es als sinnvoller, die bisherige Praxis beizubehalten, mit der Konflikte zwischen Rechtsnormen bereits beim Erlass zu vermeiden versucht werden und bei der Umsetzung von Initiativen auf Konformität mit dem Völkerrecht geachtet wird. Der Nationalrat folgte dem Antrag seiner SPK und gab der Initiative mit 129 zu 54 Stimmen keine Folge, wobei die Ja-Stimmen allesamt aus der geschlossenen SVP-Fraktion stammten.

Regelung des Verhältnisses zwischen Bundesgesetzen und Staatsverträgen

Mit einer parlamentarischen Initiative strebte Heinz Brand (svp, GR) die Superiorität der Verfassung über Völkerrecht an. Stein des Anstosses waren die Diskussionen um die Umsetzung von Volksinitiativen. Die SVP forderte – auch in zwei weiteren ähnlichen Vorstössen – vehement, dass Initiativen, die von der Stimmbevölkerung und den Ständen angenommen wurden auch dann umgesetzt werden sollen, wenn sie nicht-zwingendem Völkerrecht widersprechen. Zudem forderte Brand mit seinem Begehren, dass der Bundesrat keine völkerrechtlichen Verträge mehr abschliessen dürfe, wenn diese der Bundesverfassung widersprechen. Ziel seines Vorstosses sei nicht die Nichtbeachtung des Völkerrechts, machte der Initiant deutlich, sondern die Klärung des Vorranges bei Widersprüchen zwischen Völkerrecht und Landesrecht. Die SPK-NR hatte für die Initiative mit 16 zu 7 Stimmen Ablehnung beantragt mit der Begründung, dass im Falle eines Konfliktes zwischen Landesrecht und Völkerrecht ohne Verfassungsregelung pragmatische Lösungen möglich seien, weil so von Fall zu Fall abgewogen werden könne. Eine starre Lösung, wie sie von der Initiative Brand vorgeschlagen werde, hätte hingegen beachtliche negative Auswirkungen auf die Schweiz, die als kleines Land an einem funktionierenden internationalen Rechtssystem interessiert sein müsse und sich nicht isolieren dürfe. Mit einer Umsetzung der Initiative müssten aber einmal abgeschlossene internationale Verträge bei Annahme von Initiativbegehren immer wieder umgestossen werden, was zu grosser Rechtsunsicherheit auch und vor allem für die Wirtschaft führen könnte. In der Ratsdebatte standen verschiedene SVP-Redner als Befürworter des Vorstosses auf verlorenem Posten. Die 52 SVP-Stimmen standen 127 Stimmen aus allen anderen Lagern (bei einer Enthaltung aus der CVP-Fraktion) gegenüber.

Verhältnis zwischen Bundesrecht und Völkerrecht